Positionen zum Ukraine-Krieg Verteidiger des falschen Blödsinns

Politik

Da gab es wieder einen Schlagabtausch in einer social media Gruppe. Viel kommt bei sowas nie rum, aber zumindest ein paar Standpunkte für die Suchenden sollte man klären.

Gegen jeden Krieg.
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25. September 2023
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Vermeintlich unverfänglich postete jemand einen Aufruf zum Unabhängigkeitstag der Ukraine am 24.08. Darin steht:

„Damit eine unabhängige Ukraine langfristig in Frieden und Sicherheit existieren kann, muss sie den russischen Faschismus aber entscheidend besiegen. Ein solcher Sieg wäre auch im Interesse aller Bürger der freien Welt, denn der Existenzkampf der Ukraine ist zugleich eine Entscheidungsschlacht im Krieg zwischen Russland als faschistische Diktaturen und liberalen Demokratien. Seit Jahren führt der russische Faschismus einen Krieg gegen den Westen, um die internationale Ordnung zu zerstören. Das Schlachtfeld dieses Krieges ist die Ukraine, die damit das Bollwerk der freien Welt bildet.“

In früheren Beiträgen habe ich selbst das russische Regime als faschistisch bezeichnet. Ob es dabei Waffenlieferungen geben sollte oder nicht, ist für mich eine völlig nebensächliche Frage, da meine Äusserungen oder die einer winzigen Szene, darauf überhaupt keinen Einfluss haben. Würden wir uns signifikante gesellschaftliche Macht aneignen, sähe dies eventuell anders aus. So lange das nicht der Fall ist, gilt es meines Erachtens nach sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Kritik zu üben, Gegenmacht zu erkämpfen, direkte Aktionen hervorzubringen, zu bilden und Strukturen aufzubauen und dabei die Genoss*innen anderswo zu unterstützen.

Manche Anarchist*innen freilich, meinen auch in dieser Situation ihre Identität herzustellen, indem sie auf Prinzipien herumreiten und weltfremde Positionen einnehmen, um ihre Dogmen aufrechtzuerhalten. Mich haben weder Beiträge der Insurrektionalist*innen, Syndikalist*innen und gewaltfreien Anarchist*innen in Hinblick auf die anhaltende Kriegssituation überzeugt. Immerhin wurde sie aber relativ breit auf der Balkan Anarchist Bookfair diskutiert.

In einem Punkt sind sich Anarchist*innen aber einig: Zwar handelt es sich beim vom Russland ausgehenden Krieg in der Ukraine um die Konfrontation zwischen faschistischen und liberal-demokratischen Gesellschaftsmodellen. Diese Unterschiede gilt es zu sehen und zu verstehen. Sie zu ignorieren wäre blanker Hohn gegenüber allen Genoss*innen, die in Russland, der Türkei, China, Ägypten oder anderen diktatorischen Staaten aktiv waren und sind. Dass die liberale Demokratie mit der irrwitzigen Kalter-Krieg-Rhetorik der „freien Welt“ unbedingt zu verteidigen wäre, kann jedoch niemals eine anarchistische Position sein.

Daher habe ich den obigen Aufruf als „nationalistischen Quatsch“ bezeichnet, mit welchem die Ursache dieses und anderer Kriege eben nicht verstanden wird. Sie ist strukturell mit der Existenz von Nationalstaaten verbunden, welche ihre geostrategischen und kapitalistischen Interessen absichern. Im konkreten Fall zeigt sich jedoch auch, dass es die paranoide spezifische Ideologie eines autokratischen Regimes ist, welches zum Militär greift.

Die ökologische Apokalypse einschliesslich des Klimawandels, die Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse, sowie Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals beschleunigen und verstärken dabei Konflikte um Einfluss und Ressourcen, welche zunehmend kriegerisch ausgetragen werden. Seit eh und je spielen dabei die Interesse der westlichen kapitalistischen Nationalstaaten eine wesentliche und grausame Rolle. Ihre Unternehmen sind es, die die Ressourcen der Länder des globalen Südens ausbeuten, dazu Mafia und Paramilitärs finanzieren, neofeudale Arbeitsbedingungen schaffen und Diktaturen stützen, wenn dies ihnen politische Stabilität verspricht.

Während des Schlagabtausches trat dann ein Allzudeutscher in Erscheinung, welcher uns die grausamen Kriegsverbrechen des russischen Regimes vorhielt. Mit diesem Hypermoralismus, als Ausdruck seines bürgerlichen Bewusstseins, meinte er offenbar punkten zu können, blieb jedoch völlig in der Idiotie seiner anachronistischen Sichtweise gefangen. Um die Fragen, ob das russische Regime Kriegsverbrechen verübt und dass es in jedem Fall deutlich brutaler und schlimmer ist, als die sogenannte Demokratie der westlichen Staaten, ging es aber gar nicht.

Trotzdem bezeichnete er mich als „linksradikalen“, „idealistischen Phrasendrescher“. Er setzte den „kapitalistischen Nationalstaat“ gleich mit in Anführungsstriche – als wenn eine solche Analysekategorie nicht schlichtweg ein Ausgangspunkt jedes sozialistischen Denkens sein müsste. Deutlich wird, dass hier jemand ganz vehement seine westliche Zivilisation gegen die vermeintliche Barbarei zu verteidigen beabsichtigt – und damit eben nicht verstehen will, woher die Gewalt kommt und was eigentlich mit ihr aufrechterhalten wird.

Das sind die Blüten, welche die allzudeutsche Ideologie trägt – auch wenn sie lange schon welk sind. In gewohnten Täter-Opfer-Verkehrungen kreisen die Allzudeutschen weiterhin um sich selbst und untergraben jeden Ansatz zur Formierung einer sozial-revolutionären Perspektive. Also feiert man den Nationalstaat ab, konstruiert sich ein russisches oder sonstiges Feindbild zurecht, um ja nicht darüber nachdenken zu müssen, dass dies eben nur die Kehrseite des westlichen kapitalistischen Staates ist. Dies affirmative Haltung wird dann als „realistische“ Einschätzung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden. Realistischerweise werden damit die bestehenden Gewaltverhältnisse gerechtfertigt.

Verstehe ich das richtig? Lässt man als Allzudeutscher lieber Menschen im Mittelmeer ertrinken, Gewerkschafter in Kolumbien und Kongo erschiessen, Panzer nach Saudi-Arabien liefern und Kohlebagger weitergraben, als sich die Frage zu stellen, welche Ursachen und Folgen der globale nationalstaatlich strukturierte Kapitalismus hat? Nein wirklich, wer ein dermassen gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit hat, sollte vielleicht besser überlegen, warum er sich überhaupt noch in linken Kontexten bewegt. Derartige Positionen sind nicht einmal mehr sozialdemokratische Kriegskredit-Bewilligung, sondern Rechtfertigung der eigenen bürgerlichen Existenz.

paradox-a