Wer Wind sät, wird Sturm ernten Schwarze Regenschirme, weisse Kittel und die Abtreibungsfrage in Polen

Politik

In Polen ist es in den vergangenen Wochen zu einer bisher beispiellosen und erfolgreichen Mobilisierung von Frauen gegen eine radikale Verschärfung des ohnehin sehr restriktiven Abtreibungsrechtes gekommen.

«Die Regierung ist keine Schwangerschaft. Abtreibung erlaubt.» Czarny-Protest Bewegung in Warschau gegen das neue Abtreibungsgesetz, 1. Oktober 2016.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

«Die Regierung ist keine Schwangerschaft. Abtreibung erlaubt.» Czarny-Protest Bewegung in Warschau gegen das neue Abtreibungsgesetz, 1. Oktober 2016. Foto: Konto na chwilę (CC BY-SA 4.0 cropped)

12. Oktober 2016
0
0
7 min.
Drucken
Korrektur
Zum wiederholten Male war Polen in der vergangenen Woche Thema für eine spezielle Debatte im Europaparlament. Am 5. Oktober wurde diesmal aber nicht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit, sondern über die Frauenrechte in unserem Nachbarland diskutiert. Direkter Anlass war ein über ein Volksbegehren ins Parlament eingebrachtes Gesetzesprojekt unter dem Titel „Stop Aborcji“ (dt. Abtreibungsstopp, Download in polnischer Sprache), gegen das sich zur selben Zeit eine breite gesellschaftliche Protestbewegung formierte. Ordo luris, eine durch ultrakonservative Juristen gesteuerte Organisation, die wohl dem Opus Dei nahesteht und mutmasslich durch radikale Abtreibungs- und LGBTIQ-Gegner aus den USA mitfinanziert wird, sammelte dafür ca. eine halbe Million Unterschriften. Ordo Iuris hatte fest mit der Unterstützung der kirchennahen PiS gerechnet – umso grösser war dann die Enttäuschung, als das Projekt letztendlich doch in den parlamentarischen Papierkorb wanderte.

Polen gehört ebenso wie Irland und Malta zu jenen Ländern in Europa, in denen bereits heute ein sehr restriktives Abtreibungsrecht gilt und Sexualerziehung zumindest im öffentlichen Schulsystem weitestgehend ein Unbehagen auslösendes Fremdwort darstellt. Ein Schwangerschaftsabbruch ist bisher nur in drei Fällen möglich: wenn die Schwangerschaft aus einer Straftat hervorging, die Gesundheit oder das Leben der Mutter direkt in Gefahr sind oder der Fötus schwer geschädigt ist. Dieser sogenannte Abtreibungskompromiss von 1993 gilt neben dem Religionsunterricht in den Schulen als eines der wichtigsten Symbole für den weitreichenden politischen Einfluss des polnischen Episkopats. „Sogenannt“, weil es sich um keinen wirklichen Kompromiss handelte; vielmehr diktierte eine sehr einflussreiche Minderheit einer breiten, in dieser Frage liberaleren gesellschaftlichen Mehrheit weitgehend ihre Vorstellungen. Schon damals war klar, die Kirchenführung wollte eigentlich noch mehr erreichen.

Das Ende der Scheinheiligkeit?

Naturgemäss haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht wenige an den Status Quo gewöhnt. Dennoch ist die mehrheitliche gesellschaftliche Akzeptanz von Abtreibungen (und im weiteren Sinne die Sexualmoral überhaupt) eines der Felder, in denen sich eine Mehrzahl auch gläubiger Katholikinnen und Katholiken stillschweigend nicht an die Vorgaben ihrer eifernden männlichen Kirchenoberen hält. Mehr noch: in Übereinstimmung mit der These von Religionswissenschaftlern, die der polnischen Gesellschaft eine zunehmende Individualisierung des Glaubens attestieren, kommt es zunehmend zu einer Radikalisierung der Positionen in weltanschaulichen Fragen.

Genauso, wie in einem gewissen Masse die Gruppe derjenigen wächst, die für ein Totalverbot von Abtreibungen eintritt, gewinnt auch die These für eine Liberalisierung zunehmend an gesellschaftlicher Unterstützung. Jüngst kam eine Umfrage zu dem Ergebnis, dass sich nur 11 Prozent für ein Totalverbot aussprachen, während 39 Prozent der weiblichen bzw. 35 Prozent der männlichen Befragten eine Liberalisierung der geltenden Regelung befürworteten.

Zur Realität gehört aber auch, dass es für betroffene Frauen selbst bei der Erfüllung einer der drei oben genannten Kriterien im öffentlichen Gesundheitssystem seit Jahren immer schwieriger wird, auch tatsächlich Zugang zu entsprechender medizinischer Versorgung und ggf. auch zu einer Abtreibung zu erhalten – im traditionell geprägten Südosten des Landes ist es beinahe schon ganz unmöglich. Viele Ärzte und Apotheker verweigern aus Angst vor Stigmatisierung und mit Verweis auf die Gewissensklausel ihre medizinische Unterstützung. Gleichzeitig nehmen nach unterschiedlichen Schätzungen pro Jahr bis zu 100.000 Polinnen Abtreibungen in privaten Kliniken, mit aus dem Ausland eingeführten Pillen oder bei Reisen in die Slowakei, Tschechien oder Deutschland vor. Hinter der Auseinandersetzung steht also nicht zuletzt die soziale Klassenfrage, wer wann, wie und wo Zugang zu medizinischen Leistungen hat.

Kriminalisierung vs. Liberalisierung

Das politische Ziel von Ordo Iuris war es, ein totales Abtreibungsverbot mithilfe drastischer Strafen nicht nur für Ärzte, sondern auch für die betroffenen Frauen durchzusetzen. Letzteren sollte sogar bei natürlichen Fehlgeburten mit einer staatsanwaltlichen Untersuchung gedroht werden. Die bekannte Feministin Prof. Monika Płatek stellte in einem im Rahmen eines von der Heinrich-Böll-Stiftung finanzierten Projektes in Auftrag gegebenen Gutachtens unmissverständlich fest, dass die letztendliche Entscheidung über das Leben und die Fruchtbarkeit einer Frau ausschliesslich bei ihr selber liegen muss: genauso wenig, wie eine Schwangere zu einer Abtreibung gezwungen werden darf, kann man sie auch nicht durch das Verbot einer Abtreibung zum Riskieren ihrer Gesundheit oder gar ihres Lebens nötigen.

Viele Frauenrechtsorganisationen schlugen nach der erfolgreichen Qualifizierung des Volksbegehrens „Stop Aborcji“ Alarm. Schnell wurde der Entschluss für ein feministisches Gegenprojekt zu einer Liberalisierung nach deutschem Muster gefasst. Dafür wurden unter dem Motto „Ratujmy Kobiety“ (dt. Retten wir die Frauen) im letzten Sommer ca. 250.000 Unterschriften gesammelt, woran sich auch die polnische Grüne Partei aktiv beteiligte. Obwohl dies im Vergleich zum Totalverbotsantrag von Ordo Iuris nur etwa der Hälfte der Unterschriften entspricht, war bereits diese Zahl für das ansonsten eher konservative Polen ein deutliches Signal: eine ähnliche Initiative war vor einigen Jahren noch am Quorum von 100.000 Unterschriften gescheitert.

Zweikampf der ungleichen Transformationsgewinner: rechtskonservatives Episkopat gegen emanzipierte Frauen

Was sich nun mit diesen beiden Initiativen im polnischen Parlament abspielte, nahm teilweise schon groteske Züge an. Einerseits hatte die PiS betont, dass sie im Unterschied zur Vorgängerregierung grundsätzlich alle, auch ihr ideologisch nicht passende Volksbegehren zunächst einmal in erster Lesung ernsthaft diskutieren werde. Anderseits wurde gleich zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens nur der Antrag von Ordo Iuris zur weiteren Bearbeitung in die Ausschüsse verwiesen. Die übergrosse Mehrzahl der Abgeordneten der PiS folgte am 23. September nicht dem Beispiel ihres Parteichefs (und faktischen Staatschefs) Jarosław Kaczyński – aus Angst vor der Stigmatisierung durch radikale Abtreibungsgegner verwarfen sie sofort das feministische Projekt „Ratujmy Kobiety“, das auch von der in dieser Frage gespaltenen Opposition nicht gerettet werden konnte.

Dies war der letztendliche Auslöser für den „Schwarzen Montag“: der 3. Oktober geht als symbolträchtiger Tag einer beispiellosen Mobilisierung von Frauen und ihren Unterstützern mit Aktionen in 143 Orten und ca. 100.000 teilnehmenden Personen in die Geschichte des polnischen Feminismus ein.

Die tatsächliche Unterstützung für diesen „Frauenstreik“ dürfte noch weitaus grösser gewesen sein, weil gerade in kleineren Ortschaften Möglichkeiten offenen Protests an einem Arbeitstag kaum gegeben sind. Hervorzuheben ist dabei besonders der für Polen ungewöhnlich hohe Anteil von jungen Frauen, die sich schon seit Monaten im Internet organisieren und am Protest beteiligten – zum Vergleich: der Altersdurchschnitt bei den auch im Ausland auf Widerhall treffenden Demonstrationen des Komitees zur Verteidigung der Demokratie liegt sicherlich 15 Jahre höher. Zudem kam es nicht nur zur Debatte im Europaparlament, sondern auch zu einer Reihe von medial wirksamen, internationalen Solidaritätsaktionen nicht nur in Deutschland, sondern auf allen Kontinenten.

Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Daher blieb Jarosław Kaczyński angesichts einer langen Liste von politischen Skandalen und Auseinandersetzungen auf anderen Feldern wohl zunächst nichts anderes übrig, als die Notbremse zu ziehen. Im Schnellverfahren wurde das Projekt von Ordo Iuris im von der PiS dominierten Justiz- und Menschenrechtsausschuss des Sejms negativ bewertet und am 6. Oktober nach einer Nachtsitzung vom Plenum verworfen. Bemerkenswert ist, dass auch hier immerhin 32 (von 234) Abgeordnete der Regierungspartei ihrem Chef die Gefolgschaft verweigerten. Obwohl Kaczyński zu Recht darauf verweisen kann, dass es sich hierbei nicht um ein Regierungsprojekt handelte und sich das Episkopat immerhin öffentlich gegen die Bestrafung von Frauen ausgesprochen hatte, so dürfte dieser Verlauf der Ereignisse für die PiS nicht ohne Folgen bleiben.

Es spricht einiges dafür, dass mit dem 6. Oktober auch symbolisch das erste Regierungsjahr der PiS zu Ende gegangen ist: Jarosław Kaczyński hat seinen doppelten Nimbus als strammer Patriot (Rechte) und scheinbar unbesiegbarer Machiavellist (Linke) unwiederbringlich verloren. Zwar hat Premierministerin Beata Szydło bereits ein eigenes Projekt zum „Schutz des Lebens“ und zur Unterstützung von Schwangeren, die sich für das Austragen ihres schwerstbehinderten Kindes entscheiden, angekündigt. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die zunehmend an Einfluss gewinnenden Rechtsradikalen des ONR (Obóz Narodowo-Radikalny, dt. Nationalradikales Lager, ungefähr mit dem ungarischen Jobbik vergleichbar) zumindest einen Teil der von der PiS enttäuschten Abtreibungsgegner unter ihre Fittiche nehmen werden.

Ausserdem gibt es keine Garantie dafür, dass die PiS nicht doch noch die „eugenische Abtreibung“ von schwerstgeschädigten Föten aus dem Gesetz streichen wird. Die Befürworter einer Liberalisierung können hingegen, wenn überhaupt, nur auf eine Nachfolgeregierung hoffen. Wie auch immer sich die Lage weiter entwickeln wird, es ist davon auszugehen, dass Polen nicht nur einen heissen Herbst vor sich hat. Wie zu hören ist, sammeln die Abtreibungsgegner schon wieder fleissig Unterschriften.

Gert Röhrborn
boell.de

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite des Gunda-Werner-Instituts.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-SA 3.0) Lizenz.