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Polen: Warum die KO verlor – und die PiS sich behaupten konnte

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Die Rolle der katholischen Kirche und die Skandale des PiS-Kandidaten Nawrocki Polen: Warum die KO verlor – und die PiS sich behaupten konnte

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Politik

Der Wahlsieg von Karol T. Nawrocki, dem Kandidaten der nationalkonservativen PiS („Prawo i Sprawiedliwość“ – Recht und Gerechtigkeit), mit 51,2 % bei der Präsidentschaftswahl 2025 ist eine klare Niederlage für die Regierungspartei (KO-Kandidat Rafał K. Trzaskowski: 48,8 %).

Karol Nawrocki in der polnischen Stadt Bydgoszcz vor der Präsidentschaftswahl, 19. Mai 2025.
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Karol Nawrocki in der polnischen Stadt Bydgoszcz vor der Präsidentschaftswahl, 19. Mai 2025. Foto: Aawiosnaa (CC-BY 4.0 cropped)

Datum 9. Juli 2025
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Dieser Sieg bestätigt die autoritären Tendenzen der PiS, die sie seit Jahren konsequent verfolgt – zugleich inszeniert sich die Partei als „soziale“ Alternative. Die „Koalicja Obywatelska“ (KO – „Bürger:innenkoalition“), die knapp daran scheiterte, den Wahlsieg der PiS zu verhindern, bleibt jedoch keine wirkliche Alternative.

Hintergrund und Bedeutung

Die Koalition KO unter Führung der Partei PO („Platforma Obywatelska“ – Bürger:innenplattform) konnte 2023 die seit 2014 von der PiS dominierte rechtsnationale Regierung ablösen. Nach Jahren des autoritären Umbaus und der Einschränkung von Grundrechten erschien dies für viele als Neuanfang, für andere nur als Atempause.

Die KO stellte mit Donald F. Tusk den Regierungschef, doch das Präsidentenamt blieb zunächst in Händen des PiS-Vertreters Andrzej S. Duda. Da der Präsident ein Veto gegen Gesetzesvorlagen einlegen kann, war die Kontrolle über das Präsidialamt ein zentraler Faktor für die politische Handlungsfähigkeit der Regierung. Der Gewinn des Präsidentenamtes war daher ein entscheidendes Ziel für die KO, um die rechtsgerichteten Reformen der PiS zurückzudrehen. Wahlprognosen kündigten ein äusserst knappes Ergebnis an, die tatsächliche Wahl war hochumkämpft.

Seit etwa zwei Jahrzehnten ist die Politik in Polen durch die „Polarität“ KO und PiS geprägt, nachdem die zuvor dominierende SLD („Sojusz Lewicy Demokratycznej“ – Bund der Demokratischen Linken; postkommunistische, sozialdemokratisierte Wendepartei) samt ihrer Bündnispartner (wie der Bauernpartei) sich selbst demontiert hatte. Die SLD ging im letzten Jahrzehnt in das sozialdemokratische Wahlbündnis Lewica („Die Linke“) auf und konnte sich so zumindest als politischer Faktor wieder stabilisieren. Nur mit Hilfe der Lewica, der Bauernpartei und eine mit ihr verbündete konservative Partei („Dritter Weg“) konnte die KO letztlich 2023 eine Parlamentsmehrheit gewinnen.

Warum die KO verlor – und die PiS sich behaupten konnte

Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen zeigte sich ein Schwächerwerden der lange Zeit dominierenden Polarität von PiS und KO, deren beide Kandidaten dort etwa 30 % errangen, also nur noch etwa 60 % zusammen. Rechtsextreme Kandidat:innen erhielten zusammen etwa 20 % der Stimmen, während der Rest auf die Koalitionspartner:innen der KO entfiel. Es war also klar, dass das Rennen um die Präsidentschaft äusserst knapp ausfallen würde.

Die KO und ihre Verbündeten, darunter der konservative „Dritte Weg“ und die sozialdemokratische „Linke“, konnten in städtischen Gebieten breite Unterstützung mobilisieren. Doch die KO machte einen entscheidenden Fehler: Um konservative, vor allem ländliche Wähler:innen, besonders im Osten Polens, anzusprechen, inszenierte sie sich als eigentliche Vertreterin christlicher Werte – gekoppelt mit einer restriktiveren, rassistischen Haltung gegenüber Migration.
Diese Strategie blieb wirkungslos: Die erwartete Zuwanderung konservativer Stimmen blieb aus. Stattdessen distanzierten sich viele urbane, progressive und linke Wähler:innen von der KO. Die Niederlage resultierte vor allem aus dem Verlust dieser Schichten.

Normalerweise ist die Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen in Polen höher als bei Parlamentswahlen, doch 2025 lag sie mit 71 % leicht unter der von 2023 (74 %).

Polen hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Wandel durchlaufen: Neoliberale Regierungen verfolgten aggressive Privatisierungs- und Sparprogramme, während die PiS versuchte, wenigstens kleine Teile des Wirtschaftswachstums in soziale Zugeständnisse umzulenken, um sich so als „Partei aller Pol:innen“ zu präsentieren. Dabei bereicherte sie sich erheblich, während sie ihre eigene Machtposition ausbaute, was auch eine autoritäre Transformation des Staates einschloss.

Der stramm-nationalistische Kurs ging zugleich faktisch mit einem weiteren Vordringen westlichen Kapitals einher. Vor allem deutsche Konzerne kontrollieren Schlüsselbranchen wie Werften, Molkereien, Kohle, Stahl, Telekommunikation, Immobilien und Lebensmittelhandel. Dies trug zu Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit bis Anfang der 2010er Jahre bei.

Seit dem Wahlsieg der KO inszenierte sich die PiS weiter und verstärkt als Verteidigerin Polens gegen „ausländische Aggressor:innen“ und „Besatzer:innen“ und hielt ihre nationalistische Rhetorik vor allem in ländlichen und rückständigen Regionen aufrecht. Dabei setzte sie auf Versprechen höherer Renten und Sozialleistungen.

Die Rolle der katholischen Kirche

Entscheidend für den Wahlerfolg der PiS war auch die breite Unterstützung durch die katholische Kirche, die in ländlichen Regionen weiterhin eine Autorität darstellt. Kirchliche Mitarbeiter:innen und solche angeschlossener Verbände wurden häufig indirekt zur Stimmabgabe für die PiS gedrängt – wer sich widersetzte, sah sich mit Konsequenzen bedroht.

Die katholische Kirche ist in Polen eine bedeutende politische und wirtschaftliche Akteurin:
  • Sie besitzt etwa 10 % des Landes;
  • kontrolliert mehrere Medienanstalten (Radio Maryja, TV Trwam) und Verlage (u. a. „Niedziela“ und „Gość Niedzielny“);
  • betreibt zahlreiche Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Altenheime;
  • unterhält Bildungseinrichtungen, von Privatschulen bis zu Universitäten.
  • Insgesamt sind über 100.000 Menschen direkt oder indirekt durch kirchliche Strukturen beschäftigt.
Die enge Verbindung von PiS und Kirche spiegelt sich im Wahlkampf wider. Die PiS präsentiert sich als Verteidigerin christlicher Werte, während sie auf Erden tatsächlich die Interessen der kapitalistischen Eliten vertritt und soziale Ungleichheit und Hass gegen Minderheiten fördert.
Dieser Widerspruch hat gerade in städtischen Milieus zu einem gewissen Loslösungsprozess christlich-konservativer Wähler:innen von der PiS geführt. Die katholische Wählerschaft ist längst nicht mehr homogen. Vor allem auf dem Land ist der erzkonservative Katholizismus aber nach wie vor eine Macht.

Die Skandale des PiS-Kandidaten Nawrocki

Der Wahlsieg Nawrockis wirkt umso problematischer angesichts seiner persönlichen Skandale:
  • Homophobie und Männlichkeitskult: Nawrocki hat mehrfach homophobe Äusserungen getätigt und propagiert einen rigiden Männlichkeitsbegriff – in einem Land, in dem LGBT+ häufig diskriminiert werden.
  • Immobilienbetrug: Er ist in dubiose Immobiliengeschäfte verwickelt, bei denen er öffentlichen Grund zu Schleuderpreisen erwarb und Mieter:innen verdrängte, unterstützt von Verbindungen zur Unterwelt.
  • Sexuelle Ausbeutung: Zwischen 2010 und 2012 war Nawrocki als Security-Mitarbeiter eines Hotels in Gdańsk (Danzig) tätig und soll dort die Organisation von Sexarbeiterinnen für Hotelgäste verantwortet haben.
  • Hooligans und Rechtsextremismus: Nawrocki war aktiv in Fussball-Hooligan-Gruppen, nahm an gewaltsamen Ausschreitungen teil und pflegt nachweislich Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen, die regelmässig Minderheiten angreifen.
  • Drogenszene: Es gibt Berichte über seinen Konsum harter Drogen, teilweise sichtbar kurz vor Fernsehauftritten.
  • Fan von Donald Trump: Nawrocki hat mehrfach seine Bewunderung für Trump ausgedrückt: „Donald Trump ist ein Mann, der sich nicht vor politischer Korrektheit fürchtet. Er sagt, was er denkt, und genau das braucht Polen jetzt.“
Diese Skandale und Gesinnung zeichnen ein Bild eines umstrittenen, rechten Politikers, dessen persönliches Verhalten und Verbindungen seine reaktionäre Agenda noch bedrohlicher machen.

Das politisch zentrale Problem der KO ist jedoch Nawrockis Vetorecht als Präsident, was ihm die Blockade praktisch aller Gesetzesvorhaben ermöglicht. Die PiS wird dies massiv nutzen, weil sie hofft, die neoliberale KO spätestens in zwei Jahren bei den Wahlen abzulösen. Die einzigen Punkte, an denen es keine Differenzen zwischen der Regierung Tusk und dem neuen Präsidenten geben dürfte, sind die Fortsetzung der massiven Aufrüstung und die Fortsetzung des rassistischen Grenzregimes in Ostpolen.

Doch damit enden die Probleme der Tusk-Regierung nicht. Hinzu kommen interne Differenzen innerhalb der Koalition: Während die Linke auf die Wiederherstellung individueller Rechte und sozialer Programme setzt, verfolgt die KO neoliberale Sparprogramme und strebt vor allem die wirtschaftliche Integration in die EU an. Der „Dritte Weg“ hingegen möchte konservative Massnahmen der PiS teilweise fortsetzen. Gemeinsam ist ihnen lediglich das Ziel, die PiS aus der Regierung zu verdrängen – die politische Einheit endet damit.

Perspektiven der Linken?

Sowohl KO als auch PiS vertreten die Interessen wirtschaftlicher Eliten. Die neoliberale Politik der KO hat die sozialen Probleme verschärft und den Rechtsruck begünstigt, weil die PiS sich als „soziale“ Alternative – natürlich nur für „Pol:innen“ – inszenieren konnte.

Die einzige realistische Alternative wäre eine wirklich sozialistische Linke, die konsequent gegen Sparmassnahmen, Einschränkungen demokratischer Rechte, soziale Ungleichheit, Aufrüstung und NATO-Mitgliedschaft kämpft. Der Widerstand gegen PiS und den Rechtsruck wird in Polen aktuell durch vielfältige soziale Bewegungen getragen, von Frauen- und LGBT+-Rechten über Umweltschutz bis zu sozialem Wohnungsbau.

Die aus der SLD hervorgegangenen Flügel von Lewica verraten solche Ziele ganz klar im Namen der „Politik des kleineren Übels“, indem sie mit 4 Minister:innen als sozialem Feigenblatt in der Regierung Tusk mitwirken.

Der linke Flügel von Lewica, die linksreformistische Sammlungsbewegung „Razem Lewica“ („Die Linke – Gemeinsam“, kurz: Razem), hat sich angesichts der Frage der Regierung gespalten – was sich auch direkt im Präsidentschaftswahlkampf auswirkte. Eines der bisherigen „Gesichter“ von Razem, Magdalena Biejat, bekannt als Aktivistin der Frauenbewegung, wurde als Präsidentschaftskandidatin von Lewica aufgestellt, um im zweiten Wahlgang den KO-Kandidaten zu unterstützen.

Dagegen stellte Razem selbst, das sich inzwischen klarer von der neoliberalen, rassistischen Politik von Tusk distanziert hat, einen eigenen Kandidaten auf, den Co-Vorsitzenden der Partei, Adrian Zandberg. Zandberg wurde von der polnischen Rechten, die vor keiner antisemitischen oder sonstigen rassistischen Ungeheuerlichkeit zurückschreckt, des „Skandals“ bezichtigt, sich beim Tragen von Marx-T-Shirts ablichten zu lassen.

Zandbergs Programm war das einzige, das sich klar gegen die rassistische Migrationspolitik und die neoliberalen Kürzungsprogramme stellte, allerdings unklar blieb in Bezug auf einen Stopp der wahnsinnigen Rüstungsausgaben Polens (5 % des BIP). Trotzdem stellte Zandbergs Kandidatur einen Bezugspunkt für die sozialen und ökologischen Protestbewegungen in der politischen Auseinandersetzung der Präsidentschaftswahl dar. Die fast 5 % der Stimmen für Zandberg im ersten Wahlgang waren insofern ein wichtiges Zeichen der Suche nach einer linken Alternative, insbesondere da Zandberg unter den Jugendlichen über 19 % erreichte – und damit in dieser Bevölkerungsgruppe das zweitbeste Resultat erzielte. Insgesamt erzielten die linken Kandidat:innen zusammen mit an die 11 % der Stimmen ihr bestes Resultat seit 2011.

Das Aufbrechen der immer unpopulärer werdenden KO/PiS-Polarität, das sich insbesondere im ersten Wahlgang angedeutet hat, ist sicherlich eine Chance dafür, dass sich eine starke linke Alternative angesichts des allgemeinen Rechtsrucks in Polen aus den Protestbewegungen und der Jugend herausbildet. Dabei sollte der Bruch der Mehrheit von Razem mit einem „Weiter so“ der Unterstützung von Tusk ein positives Beispiel für die Neuorientierung sein (die 5 bei der Razem-Mehrheit verbliebenen Sejm-Abgeordneten haben auch bei der Vertrauensabstimmung gegen Tusk gestimmt).

Dabei muss die Linke nicht nur urbane Zentren, sondern auch den ländlichen Osten Polens ansprechen – ohne sich ideologisch anzupassen, sondern indem sie die materiellen Interessen dieser besonders von kapitalistischer Ausbeutung betroffenen Bevölkerungsgruppen aufgreift. So können rückständige und marginalisierte Kreise gewonnen und rückschrittliche Ideologien geschwächt und eine gemeinsame Front in Polen und ganz Europa gegen Elitarismus, Sozialabbau und Rechtspopulismus aufgebaut werden.

Tomasz Jarosław

Zuerst erschienen auf arbeiterinnenmacht.de