Ist die Strategie der Ausgrenzung am Ende? Österreich: Rechtspopulisten im Burgenland

Politik

Überraschung im Burgenland: Die sozialdemokratische SPÖ geht eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ ein. Die Entscheidung bringt den Wahlkampf in Wien nun richtig ins Rollen und wirft demokratiepolitische Fragen auf.

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ORF Landesstudio im Burgenland. Foto: Deneb (PD)

14. Juni 2015
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In Österreich hat die sozialdemokratische Partei ein politisches Tabu gebrochen. Nach der Landtagswahl im Burgenland entschied sich der amtierende Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ einzugehen. Unüblich schnell wurden die Koalitionsverhandlungen in Eisenstadt abgeschlossen, nach nur einer Woche lag ein fertiger Koalitionsvertrag inklusive Ressortverteilung und Personaltableau auf dem Tisch. Ehe man sich es versah, hatte Niessl die zentrale Streitfrage nach dem richtigen Umgang bürgerlicher mit rechtspopulistischen Parteien bereits beantwortet. Er entschied sich gegen die Strategie der Ausgrenzung.

Im Rahmen ihres Bundesparteitages 2014 hatte die SPÖ zum wiederholten Male bekräftigt, auf keiner politischen Ebene Koalitionen mit der FPÖ eingehen zu wollen. Bundeskanzler Werner Faymann hatte das Koalitions-Tabu in der Folge auf den identitätsstiftenden Nenner „Die FPÖ lebt vom Aufhetzen!“ gebracht, aber für die Koalitionsverhandlungen im Burgenland spielte das keine Rolle.

Im strukturschwachen östlichsten Bundesland, das gleich an drei osteuropäische Nachbarn grenzt, hatte die SPÖ nach hohen Stimmenverlusten zwei Machtoptionen: Entweder eine grosse Koalition mit der Österreichischen Volkspartei einzugehen oder sich mit der FPÖ zu verbünden - der einzigen Partei, deren Stimmenzuwächse eine Rolle als Mehrheitsbeschaffer zuliess. Im Hintergrund bestand auch die Variante einer Dreierkoalition aus ÖVP, FPÖ und der Liste Burgenland. Die ÖVP hätte so, trotz Stimmverlusten, das Amt des Landeshauptmannes erhalten können. Niessl handelte vordergründig als Machtpolitiker und sicherte sein Amt, seit 1964 in Händen der SPÖ.

Der Grund des Landeshauptmann für seinen überraschenden Schwenk war kurios: es sei „auch aus demokratiepolitischen Gründen nachvollziehbar“, dass die stärkste Partei den Landeshauptmann stelle und dass die Partei, die am meisten dazugewinne, auch in einer Koalition vertreten sei.“ Folgte man diesem Argument ernsthaft, müssten die Rechtspopulisten seit Jahren der bevorzugte Koalitionspartner der SPÖ sein.

Erste Reaktionen: Empörung und Ambivalenz

Wie zu erwarten löste die Entscheidung von Hans Niessl empörte Reaktionen innerhalb des linken Parteienspektrums aus. Die Grünen zeigten in ihrer Ablehnung Geschlossenheit, für die Bundesvorsitzende Eva Glawischnig war die Entscheidung Niessls „völlig unverständlich auch deshalb, weil das Burgenland wie keine andere Region Österreichs von der EU profitiert habe. Nun wolle der SPÖ-Chef mit einer Partei koalieren, die für eine Grenzen dicht-, Schotten zu- und Raus aus dem Euro-Politik stehe“.

Dagegen waren die Reaktionen in der SPÖ gespalten. Zwar protestierten die SPÖ-nahen Jugendorganisationen scharf, einige forderten gleich den Parteiausschluss des Landeshauptmanns, aber das rote Establishment um Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos und Bundeskanzler Werner Faymann scheute sich in die Autarkie der Landespartei einzugreifen und relativierte lieber die im Vorjahr gefassten Beschlüsse. Darabos konnte sich im Interview mit dem Kurier sogar vorstellen, „dass Rot-Blau zum "gelungenen Experiment" wird, wenn die FPÖ eine vernünftige Politik vertrete.“ Auf nationaler Ebene kämen die Rechtspopulisten aber weiterhin nicht als Koalitionspartner in Frage.

Bedeckt hielt sich die österreichische Volkspartei. Im Bundesland Steiermark besteht aktuell die Chance in eine Koalition mit der FPÖ einzusteigen und die bisherige „Reformpartnerschaft“ mit der SPÖ zu beenden.

Wiener Wahlkampf unter neuen Vorzeichen

Auf jeden Fall bringt die neue Koalitionsvariante den aktuellen Wahlkampf in Wien, dem politisch bedeutendsten Bundesland, nun richtig ins Rollen. Dort wird am 11. Oktober gewählt. Der langjährige Wiener Bürgermeister Michael Häupl bekennt sich weiterhin zu seiner kategorischen Ablehnung der FPÖ als Koalitionspartner. Während die rot-grüne Mehrheit in den Umfragen seit Monaten schrumpft, wird sich ob kurz oder lang auch die Frage nach der Rolle der NEOS in verschiedenen politischen Konstellationen stellen. Dieser neuen wirtschaftsliberalen Partei hatte der amtierende Bürgermeister bereits vorab ausgerichtet, dass er mit „Privatisierern“ keine Koalition eingehen wolle.

Lachender Gewinner des SPÖ-Schwenks ist jedenfalls die FPÖ um ihren Vorsitzenden und Wiener Spitzenkandidaten Heinz-Christian Strache. Der feierte die neue Partnerschaft mit der SPÖ im Burgenland als Ende der Ausgrenzung und kann jetzt die Karte sozialdemokratischer Wankelmütigkeit genüsslich bis in die Endphase des Wiener Wahlkampfes ausspielen.

Jede Stimme für die FPÖ kann nun tatsächlich zur Regierungsbeteiligung führen. Denn die österreichische Volkspartei sinnt auf Rache für den Machtverlust im Burgenland, die Möglichkeit einer Koalition zwischen ÖVP, FPÖ und NEOS wird denkbar, schlicht die einzige Machtoption für die in Wien chronisch schwache Volkspartei. Die Versuchung liegt nahe, gerade weil ausgerechnet die SPÖ die Freiheitlichen wieder hoffähig gemacht hat.

Heinz-Christian Straches Machtinstinkt kombiniert mit dem Motiv der „Schwarzen“, den „Roten“ ihren burgenländischen Verrat heimzuzahlen, lässt dunkle Wolken am Wiener Wahlhorizont aufziehen. Nach der letzten Wiener Gemeinderatswahl 2010 beklagte sich FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer noch verbittert, dass man die „quer durch Europa andrängenden nonkonformistischen rechtspopulistischen Parteien“ aus dem politischen Diskurs halte und die Zusammenarbeit verweigere (angesichts des Wiener FPÖ Wahlerfolges von 33 Prozent der Stimmen). Nun öffnet die SPÖ der FPÖ im Burgenland die Hintertür.

Ausgrenzen oder einbinden?

„Demokratiepolitisch“ stellt sich die tiefere Frage nach der erfolgversprechenderen Strategie gegenüber dem rechtspopulistischen Spektrum. Die österreichische Parteienlandschaft auf Bundesebene scheint seit Jahren festgefahren, es herrscht eine babylonische Gefangenschaft von SPÖ und ÖVP in der ungeliebten grossen Koalition. Die geringe Attraktivität und Strahlkraft der Zwangsheirat führte bei der letzten Nationalratswahl 2013 zum Einzug von gleich zwei Parteineugründungen, dem „Team Stronach“ und den „NEOS“. Das simple „So nicht!“ verbunden mit populistischen Programmen reichte aus, um beide Parteien im ersten Anlauf die Vier-Prozent-Hürde überspringen zu lassen und gleichzeitig der FPÖ weitere Stimmengewinne zu bescheren. SPÖ und ÖVP wurden dagegen vom Wähler abgestraft. So wächst beiderseits der Druck aus der rot-schwarzen Zwangsumarmung auszubrechen. Bloss wie? Und mit wem?

In den österreichischen Bundesländern hatte sich zu dieser Frage ein Trend in eine andere Richtung abgezeichnet. In Vorarlberg brachte sich die FPÖ mit einem antisemitischen Ausfall ihres Parteichefs Dieter Egger 2009 um die - seit 1949 bestandene - Mitarbeit in der Regierung. Intensive Bemühungen nach der Wahl 2014 wieder aufgenommen zu werden, waren vergeblich: Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) entschied sich für Schwarz-Grün. Auch in ihrem Stammland Kärnten wurde die FPÖ 2013 nach unzähligen Skandalen abgewählt, dort regiert jetzt die "Kenia"-Koalition aus SPÖ, ÖVP und den Grünen. Bis zur überraschenden Entscheidung Hanns Niessls war die FPÖ aus allen Landesregierungen verschwunden. Die Strategie der Ausgrenzung der Rechtspopulisten schien erfolgreich aufgegangen. Bis zu den Wahlen im Burgenland.

Am Rande der burgenländischen Koalitionsverhandlungen empfahl die Klagenfurter Professorin Kathrin Stainer-Hämmerle im ZIB 2 Interview den bürgerlichen Parteien bereits einen neuen Umgang mit der FPÖ: „Lasst sie mitregieren“, in der politischen Verantwortung sollten sich die Rechtspopulisten endlich beweisen müssen, schlug sie vor und forderte implizit auch die Aufgabe der Ausgrenzung auf Bundesebene. Ob nun rot-blaue Gedanken die strategischen Pläne der SPÖ bestimmen? Oder bleibt das Burgenland ein einmaliger Ausreisser? Fest steht jedenfalls, dass es für Rot-Blau im Nationalrat bereits jetzt reichen würde. Mit einer ganzen Stimme Mehrheit.

Christian Römer
boell.de

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