Der Kampf ums Wasser Griechenland: Widerstand gegen kapitalistische Verwertung

Politik

Der Pílion ist ein Berg von 1.624 Metern Höhe, an dessen Fuss die zentralgriechische Hafenstadt Vólos mit 200.000 Einwohner*innen liegt.

Brunnen auf der Pilion-Halbinsel, Griechenland.
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Brunnen auf der Pilion-Halbinsel, Griechenland. Foto: Ziegler175 (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

22. April 2019
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Die in die Ägäis ragende gleichnamige Bergkette trennt den Pagasitischen Golf vom offenen Meer. Durch seine Quellen, die klaren Gebirgsbäche, die üppige Vegetation und das an den Südhängen milde Klima, ist der Pílion bei Einheimischen wie Fremden beliebt. In der Mythologie war er als Heimat der Zentauren bekannt. Seit Jahren leistet die ‚Bewegung für das Wasser' erfolgreich Widerstand gegen die kapitalistische Verwertung des Pílionwassers. Ralf Dreis sprach mit María Technopoúlou (54 Jahre) und Vangélis Galanópoulos (69 Jahre).

GWR: Wie hat der Kampf der ‚Bewegung für das Wasser' in Vólos begonnen und was unterscheidet ihn vom Widerstand gegen Privatisierung in Thessaloníki und Athen?

Vangélis Galanópoulos (VG): Unsere Gegend, der Pílion, hat eine interessante Vorgeschichte, den Kampf ums Wasser betreffend. Zu Beginn der 1990er Jahre versuchte die Stadt Vólos Zugriff auf die Quelle von Lagoníkas am Gipfel des Berges zu bekommen. Diese Quelle gehört zu Pourí, einem Dorf auf der Ostseite des Pílion.

GWR: Damals sind viele Genoss*innen aus Thessaloníki nach Pourí gefahren, um die Bewohner*innen zu unterstützen.

VG: Und auch aus Athen. Es war der erste systematische Angriff auf die Quellen des Pílion, damals mit der Begründung, das Wasserproblem der Stadt Vólos zu lösen, die schon Pílionwasser aus näher liegenden Quellen bezog. Zur gleichen Zeit erteilte die Stadt dem Coca Cola Konzern die Genehmigung zum Betrieb einer Abfüllanlage, sowohl für Erfrischungsgetränke als auch zum Abfüllen von Trinkwasser in Flaschen. Damals ging es um 6000 Kubikmeter Wasser am Tag.

Es gab also zu wenig Trinkwasser für Vólos und Coca Cola, weshalb sie sich die Quelle von Lagoníkas unter den Nagel reissen wollten. Eine Quelle, die den Bedarf der Bewohner*innen Pourís deckte und von lebenswichtiger Bedeutung für das Dorf und die Natur dort war. Dieser erste Angriff auf die Quellen, brachte in gewisser Weise die ruhigen Wasser der Gegend zum Schäumen, mobilisierte die ansässige Bevölkerung und führte zu einer zweijährigen Auseinandersetzung mit den staatlichen Autoritäten. Am Schluss schickten sie mehrere Hundertschaften MAT-Sondereinsatzkommandos der Polizei, um die Quelle zu erobern.

In einem Einsatz, der um Mitternacht begann, versuchten sie die Polizei-Truppen unter schwierigsten Bedingungen auf schlechten Feldwegen auf den Berg zu bringen. Nach Stunden kamen sie im Morgengrauen dort an. Doch das Dorf hatte seit Monaten Wachposten im Wald platziert und war gewarnt. Alle, bis hin zu kleinen Kindern und auch die Genoss*innen aus Thessaloníki und Athen, waren an der Quelle versammelt, um die Polizeitruppen mit Dynamitstangen und Jagdkarabinern zu empfangen. Hals über Kopf ergriffen diese die Flucht. Der Plan, Wasser für Vólos und Coca Cola zu beschlagnahmen musste aufgegeben werden. Nach 1992 folgte eine Zeit relativer Ruhe, bis 2010 ein neuer Angriff begann. Die Menschen in den Dörfern sind bis heute stark beeinflusst von dem, was damals in Pourí geschah.

GWR: Erinnern sich die Leute denn noch daran?

VG: Alle erinnern sich daran. 2010 waren nicht einmal 20 Jahre vergangen und das Geschehene war eine intensive Erfahrung. Viele sind sensibel beim Thema Wasser. 2010 hatte die Zeit der Spardiktate begonnen, die auch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch multinationale Konzerne beinhalteten, und es gab ein besonderes Interesse am Trinkwasser. Der damalige Bürgermeister, ein Verfechter der Spardiktate, der schon an der Auseinandersetzung um die Quelle von Pourí als Politiker beteiligt war, wusste, dass man eine andere Taktik als dort anwenden musste. Der erste Schachzug war, alle Dörfer, die über eigene Quellen verfügen, einzugemeinden.

GWR: Mit Hilfe der umstrittenen Gebietsreform Kapodístrias von 1997?

VG: Nein, durch die Fortsetzung 2010, der Gebietsreform Kalokrátis. Nicht, dass es bei Kapodístrias kein Interesse gegeben hätte, im Gegenteil. Bei uns in Stagiátes und im Nachbardorf Drákeia wollten sich die Bürgermeister persönlich am Wasser bereichern – aus Angst, eingemeindet zu werden und nichts mehr zu sagen zu haben. In Stagiátes schlugen sie vor, die Quelle an einen Industriellen zu verkaufen, was wir entschieden abgelehnt haben. In Drákeia gaben sie eine Studie in Auftrag, die die Ausbeutung der Quellen durch ein ‚Public-Private-Partnership' für 30 Jahre vorsah.

Drákeia – ein grosses Dorf mit viel Landwirtschaft, die in der Lage ist, die Jugend zu halten und zu ernähren – hat zwei starke Quellen, die für die Einwohner*innen so etwas wie die Quelle des Lebens darstellen. Als die Menschen mitbekamen, was ihre Bürgermeister planten, widersetzten sie sich und konnten die Pläne stoppen. Für sie war es unglaublich, dass jemand für 30 Jahre die Rechte über ihr Trinkwasser und die Bewässerung ihrer Felder erhalten sollte.

GWR: Was die Bauern gezwungen hätte, Wasser für ihre Felder zu kaufen.

VG: Genau. Momentan – und seit hunderten von Jahren – läuft unser Wasser in offenen Kanälen von Feld zu Feld und kann nach Bedarf umgeleitet werden. Der Plan sah vor, das Wasser in Rohre zu verlegen, um Wasseruhren anzubringen. Alle hätten das Wasser zu dem Preis erhalten, den der Besitzer der Quellen festgelegt hätte. Darüber hinaus wollte er vier Werke zur Stromerzeugung bauen, da das Wasser mit grosser Kraft den Berg hinabstürzt. Der Rest sollte in der Ebene aufgefangen, mit Chlor versetzt und an die Stadt Vólos verkauft werden.

María Technopoúlou (MT): Was unsere ‚Bürgerinitiative Wasser Vólos' betrifft, so haben wir mit Beginn der Spardiktate verstanden, dass alle Pläne auf die Privatisierung des Wassers hinauslaufen, und uns rechtzeitig organisiert. Wir haben uns schlau gemacht was international passiert, was in Frankreich und Deutschland geschehen war, und diese Erfahrungen mit unseren kombiniert. Früh haben wir gesagt: noch bevor die beginnen, als neue, vergrösserte Stadt im Rahmen von Kalikrátis zu arbeiten, müssen wir einen Aktionsrahmen gegen die geplanten Privatisierungen abgesteckt haben. Wir müssen klar machen, was für uns als ansässige Bevölkerung Wasser bedeutet und dass wir keine profitorientierte Ausbeutung dieser Resource erlauben werden.

Die Stadtregierung versuchte, die Verfügungsgewalt über das Wasser durch Eingemeindung zu erlangen, um den Gemeinden den Zugriff auf die Quellen zu entziehen. Darüber hinaus begannen sie, das saubere Quellwasser mit Chlor zu verunreinigen, um es „trinkbar“ zu machen. Reines Quellwasser, über das wir schon immer verfügen, das durch unsere Dörfer fliesst und noch nie gechlort wurde, da es keinen Grund dafür gibt. Wir reinigen die Leitungen von Wurzeln, die Auffangbecken und die Quellen von Laub, wir sorgen dafür, dass die Brunnen laufen und sind in ständigem Kontakt mit unseren Quellen.

GWR: Also sollte durch das Chloren nur bewiesen werden, dass die Stadt etwas tut.

MT: Erstens das, und es sollte eine Geringschätzung des Wassers erreicht werden. Wenn ich frisches Quellwasser aus der Leitung trinke und mich daran erfreue, ist das etwas anderes als mit Chlor verunreinigtes Wasser zu trinken, wovor ich mich ekle. Dann trinke ich es nicht mehr, sondern kaufe abgefülltes Wasser in Plastikflaschen. Es ist also ein Mittel, die Leute in Abhängigkeit zu bringen, sich nicht mehr mit ihrem Trinkwasser zu beschäftigen, den direkten Kontakt zu sauberem Wasser, zur Quelle zu verlieren, passive*r Konsument*in zu werden. Mit dem Gedanken „jetzt ist unser Wasser sowieso schlecht, sollen sie es doch privatisieren“.

Zum Glück haben die Menschen hier anders reagiert. Der erste Aufschrei erfolgte, um das Chloren des Wassers zu stoppen. Auf dynamische Weise, mit Nachdruck. Ganze Dörfer riefen Vollversammlungen ein, beschlossen sich gegen die Verunreinigung des Wassers zur Wehr zu setzen und zerstörten kollektiv die Chloranlagen an den Quellen. Das Ganze war damit aber nicht vorbei. Die Stadtwerke installierten neue Chloranlagen und momentan ist das Trinkwasser in einigen Dörfern gechlort, auch hier in Stagiátes, obwohl wir die Anlagen oft sabotiert haben. Sie behaupten, das sei aus Gesundheitsgründen nötig. Praktisch geht es darum, die Menschen vom sauberen Quellwasser zu entfremden.

GWR: Gibt es noch Dörfer, die das Chloren des Trinkwassers nie akzeptiert haben?

VG: Ja, in Drákeia z.B. ist das Wasser nach wie vor ungechlort. Die haben das Glück, dass es an ihren Quellen und Wasserbehältern kein Stromnetz gibt. Sie verhindern den Bau einer Stromleitung und waren bisher nicht gezwungen, Chloranlagen zu sabotieren. Wenn Bauunternehmer tagsüber den Bau der Leitung vorbereiten, wird nachts alles wieder abgerissen.

GWR: In eurem Dorf sind doch auch noch einige Brunnen sauber, oder?

MT: Alle öffentlichen Brunnen im Dorf sind sauber, weil sie direkt von der Quelle gespeist werden, so dass wir Trinkwasser von dort holen. Dagegen ist das Wasser in unseren Häusern gechlort, obwohl es sauber ist. Die Vollversammlungen haben Untersuchungen in Auftrag gegeben, und das Wasser ist absolut rein! Auch laut Gesetz sind wir im Recht, da Trinkwasser in Gemeinden unter 3000 Einwohner*innen nicht gechlort werden muss.

Was sie uns als gesetzliche Notwendigkeit verkaufen wollen, gilt nur für städtische Zentren, wo sie wohl nicht in der Lage sind, anders die Ungefährlichkeit des Wassers zu garantieren. Wir selbst kontrollieren unser Wasser seit 2009. Auch die Wasserwerke bestätigen die Sauberkeit. Wir haben die absurde Situation, dass viele Leute aus Vólos zu unseren Brunnen kommen, um sauberes Trinkwasser abzufüllen, während in unseren Häusern gechlortes Wasser aus dem Hahn kommt.

Da der neue Bürgermeister von Vólos, Achiléas Béos – ein mafioser Typ, Nachtclub- und Ex-Fussballclubbesitzer – die Chloranlagen sofort erneuern lässt, wenn wir sie sabotieren, versuchen wir momentan durchschlagendere Methoden zu finden. Es ist wichtig zu erwähnen, dass ausser den direkten Aktionen auch der juristische Weg beschritten wurde. Die Anzeigen gingen jedoch meist in den Fluren der Justiz verloren. So haben wir von anerkannten Instituten den Chlorgehalt des Wassers in unserem Dorf überprüfen lassen. Da es sieben Mal soviel Chlor enthielt wie öffentliche Schwimmbäder, haben einige Anwohner*innen Anzeige erstattet. Auch die landete in irgendeiner Ablage.

GWR: Berichten die Massenmedien und örtlichen Zeitungen über solch haarsträubende Geschichten?

VG: Die Lokalzeitungen entscheiden jedes Mal neu was sie drucken. Erwähnenswert ist, dass die dynamischen, oft illegalen Aktionen, weder von Polizei noch Stadtverwaltung bekannt gemacht werden, da sie die Ausweitung solcher Aktionsformen verhindern wollen.

GWR: Was zumindest zeigt, dass sie momentan Angst vor euch haben.

VG: Auf jeden Fall. Doch es sagt nichts darüber aus, was die Presse von uns veröffentlicht und wie. Denn das hängt davon ab, welche Zeitung sich welcher Machtclique zugehörig fühlt. Vor einiger Zeit hat die Lokalzeitung ‚Thessalía' einen regelrechten Krieg gegen uns geführt. Heute drucken sie unsere Meldungen, da sie gegen den jetzigen Bürgermeister ist. Das zweite lokale Blatt ‚Tachydrómos' macht es umgekehrt, da es ihn unterstützt. Wir stützen uns deshalb auf eigene Medien, wie unseren Blog ‚Water Vólos', unsere Facebook-Seite und unser landweites Netz von Initiativen, über die wir ein breites Spektrum interessierter Menschen erreichen.

MT: Und nicht nur in Griechenland. Es gibt viele Leute im Ausland, die über Bewegungsmedien gut informiert sind, was auf dem Pílion, in Vólos und Griechenland geschieht.

VG: Die landesweiten privaten Fernsehkanäle haben sich bisher gar nicht damit beschäftigt, was hier in Bezug auf das Wasser geschieht. Einzig der staatliche Sender ERT, als er von der damaligen konservativen Regierung unter Antónis Samarás (Néa Dimokratía) abgeschaltet wurde und die Beschäftigten ihn selbstverwaltet als Piratensender weiterführten, haben uns mit aller Kraft unterstützt. Allerdings nur damals.

MT: Auf lokaler Ebene gibt es eine Journalistin, die regelmässig im staatlichen Radio berichtet, weil sie sich persönlich dafür interessiert. Sie unterstützt uns seit unserer Gründung, also 2011-2012 im Zuge des ersten Spardiktats, als es einen koordinierten Angriff auf das Wasser der Píliondörfer gab und die Quellen erstmals gechlort wurden.

VG: Ein Dorf nach dem anderen wurde damals Thema in den Zeitungen, da sie angeblich schlechtes Trinkwasser hätten und das Wasser deshalb gechlort werden müsse. Das wiederum mobilisierte die lokale Bevölkerung, die Vollversammlungen einberief und im Februar 2012 ein grosses Plenum aller Dörfer, das gemeinsam mit Aktiven aus Vólos die ‚Bewegung für das Wasser' gründete. Denn auch in Vólos trinkt niemand sauberes Wasser. Zwar bezieht Vólos viel Wasser aus Pílionquellen, doch ist das Wassernetz dort derart löchrig, dass es offiziell einen Wasserverlust von 40% bis 60% gibt. Gezwungenermassen fördern sie noch Wasser aus Bohrungen, was von so schlechter Qualität ist, dass Vólos in Griechenland den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Trinkwasser aus Plastikflaschen hat.

GWR: Die Stadtregierung behauptet kein Geld zur Erneuerung des Netzes zu haben. Wollen sie die Wasserwerke verkaufen, damit der neue Besitzer dies finanziert?

VG: Sie versuchen den städtischen Betrieb zu ruinieren, um ihn dann zu verschleudern.

MT: Wir versuchen klar zu machen, dass das Thema Wasser allumfassend ist. Also nicht ein Dorf, eine Quelle. Am Thema Wasser kann gesellschaftliche Organisierung umfassend erklärt werden. Es gibt klares Wasser, das jeden Tag den Berg herunterläuft, während die Menschen in Vólos verunreinigtes Wasser trinken. Nicht einmal zum Kochen ist es geeignet. Es laufen also täglich viele tausend Kubikmeter sauberes Wasser den Berg herab. Daran wird auch eine Privatisierung nichts ändern, da niemand das durchlöcherte Wassernetz repariert. Unser Vorschlag als Initiative ist es, überall in Vólos öffentliche Wasserstellen zu installieren, die kostenlos sauberes Pilionwasser spenden, bis das marode Netz repariert ist. Die Wasserstellen würden das drängendste Problem sofort lösen. Niemand müsste abgefülltes Wasser kaufen, wenn eingespeistes Pílionwasser über öffentliche Wasserstellen umsonst verteilt würde.

VG: Die Leute müssten nicht mehr aufs Dorf fahren, um Wasser abzufüllen und gleichzeitig würden Unmengen an Plastikmüll, Abermillionen von Plastikflaschen allein in Vólos, eingespart.

MT: Es würde auch die Spaltung zwischen Dorf und Stadt aufheben, die durch die herrschende Propaganda gefördert wird. Die Machtfraktion um Béos behauptet, die Dörfer hätten sauberes Wasser umsonst, und würden den Bewohner*innen der Stadt keines gönnen, die das ihre teuer bezahlen. So machen sie eine Front auf, die nicht existiert.

VG: Dann müsste endlich das Netz repariert werden, da du ansonsten das ganze Wasser des Pílion hineinfüllen kannst, ohne dass es je ausreicht. Ein Fass ohne Boden, das niemals voll wird.

GWR: Das Trinkwasser ist nicht der einzige Streitpunkt.

VG: Ein Jahr nachdem sie begannen unser Wasser mit Chlor zu versetzen, kamen sie auf die Idee auch das Wasser zur Bewässerung der Felder und Gärten an die Wasserwerke zu geben. Sie sagten den Bauern, die ihre Felder seit hunderten Jahren mit Wasser direkt von der Quelle bewässern und die Wasserkanäle zur Leitung des Wassers von Garten zu Garten unterhalten: „Schluss jetzt, wir übernehmen. Ihr seid ab sofort unsere Kunden und bezahlt“. Obwohl selbst die Angestellten der Wasserwerke zugaben, dass sie nicht in der Lage sind, die Bewässerung der Felder zu händeln. Sie haben Probleme mit dem Netz, den Abwässern, der Kläranlage, nicht genügend Personal usw. Allen war deshalb klar, dass perspektivisch auch die Bewässerung der Felder und Gärten privatisiert werden soll. Ebenso, dass ein solcher Plan durch Bürgermeister Béos nur mit Gewalt, Polizei, Erpressung und mafiösen Strukturen durchgesetzt werden könnte.

Im Mai 2015 versuchte er ein Vertragswerk zu verabschieden, das die Bewässerung der Felder zwischen den Wasserwerken und den zukünftigen Kund*innen regelt. Wir versammelten uns mit Hunderten vor den Wasserwerken mit der Forderung, unsere Argumente im Verwaltungsrat selbst vorzubringen. Drei Hundertschaften MAT-Sondereinsatzpolizei erwarteten uns, dazu eine private Security-Truppe und die durchtrainierten, aufgeblasenen Bodyguards des Bürgermeisters.

Das Zentrum der Stadt war abgeriegelt und niemand durfte ins Gebäude. Wir versuchten es trotzdem, da wir das Recht dazu hatten. So kam es zum ersten grossen Zusammenstoss mit Verletzten und späteren Gerichtsverfahren. Diese erste grosse Auseinandersetzung hinderte Béos nicht daran, seinen Plan verabschieden zu lassen. Später, als die Stadtverordnetenversammlung den Vertrag bestätigen sollte, liess er das Thema nicht auf die Tagesordnung setzen, um es heimlich und illegal durchs Stadtparlament zu bringen. So wurde der Vertrag tatsächlich per Mehrheitsbeschluss verabschiedet.

Nachdem wir dies im Nachhinein erfuhren, erstatteten wir Anzeige am höchsten griechischen Verwaltungsgericht, was nun endlich vor einigen Tagen entschied, dass der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung 2015 illegal zustande kam und ungültig ist. Das ist ein grosser Sieg für uns, denn es war das erste Mal, dass ein Teil der griechischen Justiz anerkannte, dass im Rathaus von Vólos illegale Praktiken angewendet werden. Ausserdem erklärte es alle in den letzten drei Jahren zum Wasser getroffenen Entscheidungen für ungültig. Für uns das Wichtigste ist jedoch, dass direkt nach der Auseinandersetzung 2015, die Vollversammlungen der Dörfer entschieden, die Bewässerung der Felder in Selbstverwaltung fortzuführen.

GWR: Aber ab dann illegal.

VG: Ja, was soll´s. Sie haben ausserdem keine Anträge zwecks Bewässerung gestellt, da sie nicht anerkennen, was beschlossen wurde. Jedes Dorf bestimmte ein eigenes Bewässerungskomitee aus drei Personen, also für die Wasserverteilung, für finanzielle Fragen, und die Instandhaltung der Wasserkanäle. Das wurde dieses Jahr zum vierten Mal in Folge gemacht. Unsere Forderung ist, dass die Gemeinden wieder für die Bewässerung der Felder zuständig sind, und somit offiziell den direkten Zugriff und die Kontrolle über ihr Wasser zurückerhalten. Die Stadt kann defacto nichts verkaufen, da wir in den Dörfern nie die entsprechenden Formulare ausgefüllt, sondern uns komplett verweigert haben. Sie wissen nicht, wie gross die Grundstücke sind, wer wieviel Wasser braucht, wer überhaupt wässert. Sie haben nichts.

Um all das zu bekommen, müssten sie Hundertschaften schicken und unter Polizeischutz Felder ausmessen. Wohin das führt wissen sie seit Pourí 1992. Die Bewässerung der Felder haben wir momentan in den Dörfern am Berg zu hundert Prozent selbst in der Hand. Selbstverwaltung in Teilen gibt es bei der Trinkwasserversorgung und der Unterhaltung und Säuberung der Leitungen von der Quelle bis zu den zentralen Wasserspeichern. Dort setzen sie dann Chlor bei. Die Unterhaltung, Säuberung und die sonstigen Arbeiten haben wir – wenn auch illegal – selbst übernommen, was uns oft mehrere Tage und Wochen freiwillige Arbeit kostet. Wir reparieren Schäden am Netz, vor allem im Winter, wenn Leitungen bersten, da die Wasserwerke uns aus Rache meist überhaupt nicht mehr beachten.

MT: Was positive Auswirkungen auf unsere persönlichen Beziehungen untereinander hat. Wasser ist die Quelle des Lebens, und alle im Dorf interessieren sich nun dafür, arbeiten dafür und ziehen Nutzen daraus, wenn das Wasser gut ist. Es hat uns vereint, nicht nur hier in Stagiátes, einem kleinen Dorf, sondern auch in Drákeia, was grösser ist. Alle haben ein gemeinsames Ziel. Wenn die Leitungen, die Quelle, die Brunnen sauber sein sollen, dann machst du das selbst, autonom, selbstverwaltet mit den anderen zusammen. Es gibt nicht die Möglichkeit, eine Firma oder die Wasserwerke anzurufen, zu warten und dann übernimmt das irgendwer. Du nimmst dein Schicksal in die eigenen Hände, weil sonst nichts geschieht. Das schätzen und das unterstützen inzwischen auch alle.

GWR: Ihr macht auch anderes, wie Theateraufführungen, gemeinsam.

MT: Genau, im Sommer spielen wir Theater an der Quelle, lesen nachts Märchen für die Kinder vor oder alle kochen zuhause und bringen das Essen zur Quelle, um dort gemeinsam zu essen. Samstags backen wir Brot in den alten Steinöfen. Das ganze Dorf macht mit.

VG: Früher waren die Quellen heilige Orte und Teil des täglichen Lebens. Die Leute trafen sich an den Quellen, um zu feiern, manchmal erbauten sie dort Kirchen, wie in unseren Nachbardörfern Ágios Vlásios und Ágios Lavréntios. Alle haben auf die eine oder andere Art ihrer Quelle die Ehre erwiesen. Das geriet in Vergessenheit und wir erwecken diese Tradition gerade zu neuem Leben.

GWR: Habt ihr nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine Einschätzung wie es weitergeht?

VG: Durch all den Druck, die Verfolgung, die Strafverfahren, sind wir seit zwei Jahren etwas in der Flaute: Es gibt einige die Angst haben, was auch natürlich ist. Unseren Widerstand konnten sie nicht brechen. Die Selbstverwaltung des Wassers funktioniert, aber wir merken schon, dass einige sich zurückgezogen haben. Das trifft vor allem auf letztes Jahr zu, in dem wir viele Zusammenstösse mit der Stadtregierung hatten. Gleichzeitig liefen mehrere Strafverfahren und erst zuletzt wurde ein Genosse nach drei Jahren endlich freigesprochen.

Vor einem Monat folgte ein weiterer Freispruch für drei Angeklagte aus Stagiátes. Allerdings gab es letztes Jahr nach heftigen Zusammenstössen mit den Schlägern des Bürgermeisters und der Polizei vor und im Stadtparlament, eine neue Repressionswelle. Es laufen Verfahren gegen neun Personen. Gleichzeitig wurden unsere Dörfer von Zivilbullen und Uniformierten überschwemmt, die gezielt Menschen verfolgten und wegen angeblicher Straftaten, die sich inzwischen als harmlose Ordnungswidrigkeiten entpuppten, verhaften wollten. Auch in Vólos jagten sie Genoss*innen auf ähnliche Art.

Diese militärisch zu nennende Besetzung von Dörfern ist aus Skouriés auf Chalkidikí bekannt, wo die Menschen gegen den umweltzerstörenden Goldabbau kämpfen. Durch gezielte Kriminalisierung Einzelner sollen ganze Bevölkerungskreise eingeschüchtert werden. Dabei hiess es am Anfang wir sähen Gespenster, niemand wolle die Wasserwerke privatisieren.

Erst im Januar 2017 gaben sie zu, die Kläranlage privatisieren zu wollen. Damals hat die Bewegung erneut Stärke gezeigt, als wir über Wochen massenhaft in der Stadtverordnetenversammlung präsent waren und diese nur unter Anwesenheit von MAT-Sondereinsatztruppen tagte. Wir konnten den Verkauf verhindern. Es war zugleich das erste Mal, dass wir Kontakt zu den Angestellten der Wasserwerke bekamen. Die hatten bis dahin gut bezahlt geschwiegen, was auch als Schweigegeld zur Vertuschung all der Skandale gewertet werden kann. Jetzt nehmen sie offen Stellung gegen den Verkauf, womit sich die Widerstandsfront erweitert hat, weil ihre Arbeitsplätze bedroht wären.

Da der Verkauf vorerst gescheitert ist, versucht die Gegenseite nun die Wasserwerke in den Bankrott zu treiben, um dann alles Stück für Stück zwangszuversteigern. Die Bewegung ihrerseits schöpft neuen Mut durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und die Freisprüche in den Prozessen. Wir sind also bereit, uns dem Ausverkauf entgegenzustellen. Wir haben nicht nur klar gemacht, dass wir keine Privatisierung wollen, sondern auch den potentiell interessierten Konzernen verdeutlicht, dass wir ihnen das Leben schwer machen werden, sollten sie sich einkaufen wollen.

GWR: Was wichtig sein kann.

MT: Wichtig ist ausserdem, dass wir uns in Vollversammlungen organisieren, da diese Art der Organisierung die Nazis von Chrysí Avgí ausschliesst. Die Faschisten haben verstanden, dass in unserem direktdemokratischen Weg der horizontalen Organisierung kein Platz für sie ist. So sind wir schon durch die Art der Organisierung Teil der antifaschistischen Bewegung ohne ein Schild vor uns herzutragen. Die Praxis spricht für sich. Wenn wir davon sprechen, dass das Wasser Allgemeingut ist, allen gehört, jedem Lebewesen zur Verfügung stehen muss, dann sind sie raus. Denn sie behaupten, die „Quelle gehört dem Dorf“, es ist „unser lokales Wasser“. Es war deshalb wichtig, dass die Dörfer das Gleiche entschieden wie wir als emanzipatorische Bewegung. Das Wasser gehört allen! Auch die Konservativen, die es gibt, die aber keine faschistoiden Einstellungen verbreiten, sagen das.

Wir müssen zugeben, dass es uns als Bewegungsaktivist*innen zu Beginn überrascht hat, als die Vollversammlungen der Dörfer beschlossen, die Unterhaltung der Quellen und die Verteilung des Wassers in Selbstverwaltung fortzuführen. Die Praxis der direkten Demokratie gefiel ihnen, da ihnen niemand etwas aufzwang. Die Versammlungen waren nicht von oben verordnet, sondern entsprangen den Dörfern selbst.

VG: Wir reden hier nicht von Aufstand und benutzen auch den Begriff Bewegung mit Vorsicht, trotzdem geschehen hier wichtige Sachen, wo doch ansonsten vieles rückläufig ist. Es bewegt sich etwas und ich denke, sie werden es nicht schaffen, das Wasser zu privatisieren.

Ralf Dreis / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 438, April 2019, www.graswurzel.net