Die Aktualität des Kampfes gegen die Goldminen in Chalkidiki, Nordgriechenland Goldene Versprechungen – dunkle Zukunft

Politik

Es ist – natürlich neben dem „Grexit“ – eine der grossen ungeklärten Fragen der letzten sechs Monaten in Griechenland. Wie endet der „Kampf ums Gold“ in der beliebten griechischen Urlaubsregion Chalkidiki?

Die Aktualität des Kampfes gegen die Goldminen in Chalkidiki.
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Die Aktualität des Kampfes gegen die Goldminen in Chalkidiki. Foto: Joseph Kesisoglou (CC BY 2.0 cropped)

18. August 2015
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Trotz der medialen Fokussierung – vor allem linker Medien – auf die aussenpolitischen Auseinandersetzungen der neuen Syriza-Regierung, gibt es weiterhin das wenig beachtete Feld der innenpolitischen Entwicklungen. Dazu zählen auch Konflikte der neuen Regierung mit sozialen Bewegungen. Die Weiterführung des Projekts des Goldabbaus einer kanadischen Firma mit dem durchaus komischen Namen „Eldorado Gold“ ist weiterhin ein grosser Streitpunkt – zwischen der lokalen Bevölkerung und der Firma, den sozialen Bewegungen und Regierung sowie innerhalb der Regierungspartei selbst.

Alexis Tsipras' Äusserungen, die einen Kurswechsel in der Frage suggerieren, sorgten für ein Aufwärmen des ungelösten Konflikts. Und in den bekannten „Gallischen Dörfern“ Nordgriechenlands scheint sich wieder Widerstand zu formieren, nachdem die gr4Bewegung gegen die Goldminen sich in den letzten Monaten auf einem Tiefpunkt befunden hatte. Ende August findet in Chalkidiki das transnationale Camp der antiautoritären Platform Beyond Europe statt, wo neben dem inhatllichen Austausch von AktivistInnen auch ein neuer Höhepunkt des Protests erwartet wird. Die Geschehnisse um diesen ökosozialen Kampf machen schon seit Jahren von sich reden, und gerade jetzt, in einer kritischen Situation Griechenlands im Battle mit der Eurozone werfen sie die richtigen und notwendigen Fragen auf.

Der Ausrutscher des Premiers

So hat sich das Alexis Tsipras bestimmt nicht vorgestellt: Er wurde bei einem exklusiven Interview für den Syriza-nahen Radiosender Kokkino nach dem Stand der Dinge in Chalkidiki gefragt. Eigentlich sollte ja das Interview sein Image unter Parteigenoss*innen und in der (linken) Öffentlichkeit verbessern. Der Fokus sollte auf den harten Verhandlungen und der schwierigen Einigung mit den Gläubigern und europäischen Institutionen liegen. Nach mehr als einer Stunde Talk fragte der Moderator, wie die Regierung mit den Goldminen umgehen wird. Das Eingangsstatement des Moderators: „War es nicht in Skouries wo die Bürger sich aufgebäumt haben gegenüber der Firma? War es ist nicht in Skouries wo der rechte Staat Menschen schlug? In Skouries funktioniert weiterhin die Firma nach 6 Monaten linker Regierung, und die Menschen werden immer noch verprügelt.“

Tsipras sagte, dass die Gerechtigkeit des Kampfes nicht durch Rache gegen die Firma und Arbeiter erreicht werden kann. Neben dem Recht der lokalen Bevölkerung müsse die „soziale Gerechtigkeit“ beschützt werden, d.h. vor allem die Arbeitsplätze, die durch das Projekt ermöglicht werden. Vor allem die Zahl „5000 Arbeiter“ vergrösserte aber die Aufregung, da in Wirklichkeit nur 1996 – davon mindestens ein Drittel Sicherheitspersonal – beschäftigt sind. Tsipras löste unter dem Hashtag #skouries – der Ort der Baustelle – einen regelrechten Shitstorm der Empörung aus, der bis heute andauert.

Viele Tweets sprechen von einer „Rolle vorwärts“ von Tsipras. Sogar T-Shirts mit diesem Bild in Karikaturform wurden gedruckt. Viele fragen sich, warum sie Syriza gewählt haben. Manche versuchen weiter Druck auf die Politik auszuüben. Einige Tweets richteten sich an die Parlamentsabgeordnete aus Chalkidiki, Katerina Iglesi, und forderten von ihr, sich zum Kurswechsel zu positionieren. Und es zirkulieren Bilder von der Baustelle: „Die neue Sahara-Wüste liegt in Griechenland“. Die Gemeinde Aristotelis, wo Syriza die Mehrheit hat, kritisierte ebenfalls, dass die Firma sich beeilt, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Zeit längst angebrochen ist, in der die Regierung endlich Klarheit schaffen muss.

Es folgte eine dramatische Debatte im Zentralkomitee von Syriza. Dramatisch war sie natürlich schon ohne die Sidestory der Goldminen aus einem anderen Grund. Schliessich sollte darüber entschieden werden, wie Syriza seine innerparteilichen Raufereien behandeln wird. Konferenz um die Zukunft der Partei ja, aber wann und wie? Das Ergebnis war die klare Durchsetzung der Fraktion um Tsipras für eine Konferenz erst im September. Die Linke Plattform hatte auf einen früheren Termin, noch vor den Abschluss der Gespräche über ein mögliches drittes Kreditprogramm, gedrängt. Aber das war lediglich die Mainstory.

Die Abgeordnete Katerina Iglesi verlas an dem Tag auch eine Erklärung von Syriza-Mitgliedern von Chalkidki. Sie betonen in ihrer Erklärung, dass sie schon vor fünf Monaten Daten vorgelegt haben, die die illegalen Arbeiten der Firma am Berg beweisen, und verlangen vom Ministerium die Schliessung der Baustelle von Skouries. Die Regierung hatte genug Zeit und gesetzliche Möglichkeiten zur Verfügung, um die Kontrolle der Legalität des Projekts durchzuführen. „Wir stehen einer eigentümlichen Heuchelei unserer eigenen Genossen gegenüber, denn sie verlegen die Rettung unseres Lands, das täglich zerstört wird, mithilfe von Vorwänden in eine unbekannte Zukunft“, hiess es. Oder: „Die Bewegung erhält nur Versprechungen, währenddessen die Firma ihr katastrophales Werk fortsetzt, indem sie den Berg Kakavos in ein verwüstetes Gebiet verwandelt“.

Tsipras hat bei seiner Antwort erstmal seinen Fehler vom Vortag behoben. Er habe nur aus Versehen „5.000 Arbeiter“ gesagt, da der Moderator Kostas Arvanitis bereits in seiner Frage diese Zahl benutzt hätte. Seine zentrale Message vom Vortag bekräftigte er aber: Das Recht des Kampfes von Skouries kann sich nicht mit einer rachsüchtigen Option identifizieren, die meint, dass die Arbeiter ohne Arbeit verbleiben sollen. Die Lösung finde sich in der Bestätigung des Kampfes und gleichzeitig der Verteidigung des sozialen Zusammenhalts.

Sechs Monate Hoffnung

Versprochen wurde im Wahlkampf aber anderes. Darauf machen nicht nur die Erklärung der Syriza-Ortsgruppe und der Gemeinde Aristotelis aufmerksam. Syriza hat sich stets auf die Seite der kämpfenden Bevölkerung gestellt – ob mit Besuchen von Tsipras in Chalkidiki oder der Teilnahme hochrangiger Syriza-Politiker an den Grossdemonstrationen in Thessaloniki und Athen. Im Wahlkampf versprach Tsipras das sofortige Ende der Arbeiten in Skouries. Nicht zufällig erinnert die Ankündigung Tsipras' auch an die Debatte über den Abbruch der Memoranden und das Schicksal anderer Versprechungen von Syriza, die dem Druck der Gläubiger weichen mussten. Syriza hat sich seit Jahren aktiv an der Bewegung beteiligt – in gewissen Fällen sogar kämpferisch, und nicht nur in Chalkidiki, sondern auch in den vielen Solidaritätskomitees, die es im ganzen Land gibt. Die Jugendorganisation von Syriza machte in den letzten Monaten weiterhin Druck, diese internationale Investition und staatliche Repression zu beenden. Die Bewegung und ihre grossen Demonstrationen wurde unter anderem zu einem wichtigen sozialen Zugpferd von Syriza. Das zeigte sich auch bei den Wahlen: Ein Grossteil der Bewegung wählte Syriza. Der heutige Bürgermeister von Ierisos ist von Syriza und zum ersten mal seit den 70er Jahren wählte die Region eine linke Parlamentarierin. Und inhaltlich passte es: Gegen griechische Oligarchen, gegen internationale Grosskapitalinteressen, gegen Privatisierungen. Das perfekte Antimemorandumpaket auf lokaler Ebene.

Tatsächlich hat der Ex-Minister für Umwelt und Energie, Panagiotis Lafazanis, der Firma das Leben seit Amtsantritt schwerer gemacht und somit einige der Dorfbewohner zumindest eine zeit lang zufriedengestellt. Sämtliche Lizenzen wurden entzogen und Beweisdokumente z.B. zur Umweltverträglichkeit der Abbaumethoden eingefordert, die aber bis heute nicht eingereicht worden sind. Unter anderem deutsche Medien berichteten vom Abbruch der Arbeiten. Die Bürgerkomitees in Chalkidiki kritisieren aber, dass ein Teil der Arbeiten fortgesetzt wurde – etwa der Ausbau der Baustelle oder die weitere Rodung des Waldes. Bis heute gibt es keinen Beschluss zum Abbruch des Projekts. Und dafür gibt es gute juristische Gründe: saftige Entschädigungsgelder für „Eldorado Gold“, die nicht nur wegen der schon getätigten Investitionen, sondern auch wegen ausbleibender zukünftiger Gewinne gezahlt werden müssten. Nach wie vor ist juristisch ungeklärt, ob nur Verzögerungen erreicht werden können oder ein kompletter Stopp des Projekts.

Der aktuelle Stand der Dinge: Es wird eine Positionierung des Ministeriums im Zusammenhang mit der Entscheidung der Genehmigung anhand von Umweltkriterien erwartet. Die Firma war schon vom ehemaligen Syriza-Minister Panagiotis Lafazanis gebeten worden, komplette Berichte über die Metallurgie darzulegen und die Umweltverträglichkeit der Methode „flash melting“ zu beweisen. Viele erwarten, dass die Antwort des Ministeriums die Zukunft der Investitionen bestimmen wird. Eine grosse Rolle wird auch die Debatte innerhalb Syrizas spielen: Genau wie in der Diskussion zum Memorandum gibt es zwei Lager. Die Frage um die Goldminen ist Teil eines schwierigen Mosaiks an Entscheidungen, die in der nächsten Zeit gefällt werden müssen.

Deutlich wird mit den letzten Erklärungen, dass die Hoffnung auf die Regierung in Chalkidki seit dem Troika-Deal schwindet. Sie war es auch, die neben der anhaltenden staatlichen Repression die Aktivität der Bewegung verringerte. Obwohl der Glaube auf Veränderung bei einem Grossteil der Bewegung und Komitees durch den Wahlsieg von Syriza lebendig war, scheint er jetzt der schwierigen Erkenntnis zu weichen, dass entweder die Grenzen der Möglichkeiten linker Regierungspolitik markiert worden sind, oder sie mal wieder verraten wurden. Es ist ein lebendiges Beispiel des kritischen Verhältnisses von Bewegung und Partei, das viele Bewegungslinke in (west-)europäischen Ländern erträumen.

#skouries – reloaded?

Schon seit 2006 formierte sich breiter Widerstand in der lokalen Bevölkerung der bekannten Urlaubsregion gegen die erwartete Umweltkatastrophe und ihre sozialen und wirtschaftlichen Folgen, besonders für den Tourismus und Landwirtschaft. Zwar entstanden und entstehen Jobs durch den Goldabbau, allerdings wird beim Wegbrechen anderer Wirtschaftszweige wiederum ein Jobabbau und eine Auswanderung der Jugend befürchtet. Von dem erwarteten Milliardengewinn soll ausserdem fast nichts in die Staatskasse fliessen. Schon der Ausverkauf des Lands und der Abbaurechte galt damals als „Schnäppchen“. 2003 wurden die sogenannten Kassandra-Minen und ein etwa 300qkm grosses Areal der Firma „Hellas Gold“ für elf Millionen Euro überlassen. 2011 wurde „Hellas Gold“ von „Eldorado Gold“ für 1,8 Milliarden übernommen. Bis zu 14 Milliarden Euro Gewinne sind möglich und Griechenland könnte zu einem der grössten Goldlieferanten Europas aufsteigen.

Die Kämpfe der lokalen Bewegung verstärkten sich seit der Übernahme durch „Eldorado Gold“, welche die Phase der Grossdemonstrationen mit mehr als 20.000 Teilnehmer*innen in Thessaloniki und Massenaktionen direkt am Berg einleitete. Seine endgültige Zuspitzung fand der Kampf am 17. Februar 2013, als sich etwa 40 vermummte Aktivist*innen Zugang zur Skouries-Mine verschafften und Fahrzeuge, Maschinen und Büroräume in Brand steckten. Das Ereignis löste damals enormes mediales Aufsehen aus – auch über die Grenzen hinweg. Der damalige Ministerpräsident Antonis Samaras wollte „die ausländischen Investitionen in diesem Land um jeden Preis schützen“. Und prompt eskalierte die Repression gegen die Bewohner*innen. Täglich fanden Hausdurchsuchungen statt, auch Festnahmen mit DNA-Entnahmen. Manchen Festgenommenen wurde einen ganzen Tag lang der Kontakt zur Familie oder einem anwaltlichen Beistand verweigert.

Ein Mitglied von Syriza wurde sogar verhaftet, weil es durch öffentlichen Aufruf zum Protest zur Tat angestiftet haben soll. Medien berichteten, dass auf Basis von DNA-Abgleichen mit am Tatort gefundenen Kleidungsstücken und Zigarettenstummeln sowie von Handy-Ortungsdaten gegen 20 Aktivist*innen aus der Region schwere Vorwürfe erhoben werden. Einige der Vorwürfe lauten: Gründung einer kriminellen Vereinigung, versuchter Mord und Besitz von Sprengstoffen. Parallel dazu laufen Ermittlungen gegen insgesamt 350 Aktivist*innen wegen Vergehen auf Demonstrationen und anderen Vorwürfen. Diese Ermittlungen werden die Bewegung in den nächsten Jahren weiterhin beschäftigen.

Zwei Wochen nach dem Anschlag protestierten in Megali Panagia, dem Dorf in direkter Nähe der Skouries-Mine, von der Firma mobilisierte Arbeiter*innen und Angehörige gegen den Widerstand. Einer der prominentesten Redner war Adonis Georgiadis, früher Mitglied der rechtspopulistischen Partei LA.OS. Am selben Tag veröffentlichte die Firma in Zeitungen eine ganzseitige Anzeige mit Fotos der Arbeiter*innen, die ihren Arbeitsplatz verteidigten. Diese Praxis der Firma, die an Aktionen von Streikbrecher erinnern, setzt sich bis heute fort. Die Gegenmobilisierung seitens der Firma und des Staates hat eine genauso lange Geschichte wie die Proteste selbst.

Sicher scheint aber, dass der Widerstand auf Grund seiner Geschichte und auch der vielfältigen Zusammensetzung nicht so schnell untergehen wird. Wichtig ist dabei vielen Protestierenden die Vernetzung mit ähnlich Betroffenen nicht nur im Norden Griechenlands, sondern auch mit Protesten gegen andere Grossprojekte in Europa und darüber hinaus. Trotz dem Glauben an einer Lösung durch Athen, haben viele Komitees den „Winterschlaf“ überstanden. Vor allem in den wichtigen Zentren des Widerstandes, in Megali Panagia (das Dorf fast direkt bei der Baustelle), in Ierisos (das Dorf am Strand) und Polygyros (die Hauptstadt von Chalkidiki). Erst kürzlich fand ein zehntägiges Widerstandscamp der Bewohner von Megali Panagia am Berg statt. Begleitet wurde das Camp vom staatlichen Fernsehen ERT3. Zwischendurch kam es zu Aktionen, wie etwa einer spontanen Menschenblockade auf einem Zufahrtsweg zur Baustelle, die von Riot-Einheiten der Polizei gewaltsam geräumt wurde. Fünf Menschen kamen in Gewahrsam. Es kommt wieder vermehrt zu Treffen und Aktivitäten in den verschiedenen Dörfern.

Direkte Verstärkung kann die Bewegung demnächst auch aus dem Ausland erwarten. Vom 18.-25. August soll in Ierisos das transnationale Camp der antiautoritären Plattform „Beyond Europe“ stattfinden. Es soll über Kämpfe in der Krise, den Kampf gegen die Festung Europa, transnationale Vernetzung und Solidarität mit Rojava diskutiert werden. Und natürlich über das Verhältnis der Linksparteien „neuen Typs“ zu den sozialen Bewegungen. Allein aus Deutschland werden hundert Aktivist*innen erwartet. Aber neben Verständigung und Austausch soll auch die Unterstützung der sozialen Kämpfe in Griechenland deutlich gemacht werden. So ist auch eine Demonstration zum Berg geplant. Es wird schon offen gemurmelt, dass „am 23. August die Geduld zu Ende geht“.

John Malamatinas / lcm