UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Millionen für militärische Überwachungstechnologie an Aussengrenzen | Untergrund-Blättle

6783

Europäische Grenzpolitik Millionen für militärische Überwachungstechnologie an Aussengrenzen

Politik

Um Geflüchtete von der Einreise an den EU-Aussengrenzen abzuhalten, gibt die Europäische Union Millionen für modernste Überwachungstechnologien aus. Davon profitieren vor allem private Rüstungsunternehmen.

Aufklärungsdrohne IAI Heron TP, ILA 2018.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Aufklärungsdrohne IAI Heron TP, ILA 2018. Foto: Boevaya mashina (CC BY-SA 4.0 cropped)

17. Januar 2022
0
0
5 min.
Drucken
Korrektur
Militärische Drohnen, mobile Radargeräte und automatisierte Lügendetektoren — in den letzten zehn Jahren hat die EU hunderte Millionen Euro für moderne Überwachungstechnologien ausgegeben, um Geflüchtete von der Einreise in die EU abzuhalten. Das berichtet „The Guardian“ in einer umfassenden Übersicht zur „Festung Europa“. Neben der heftig in der Kritik stehenden Grenzschutzbehörde Frontex, die ein grosser Abnehmer für neue Grenzschutztechnologien ist, fördert die EU den Einsatz von Überwachungstechnologien an den Aussengrenzen ihrer Mitgliedsstaaten als zentraler Geldgeber, etwa mit Fonds für innere Sicherheit oder dem Innovationsförderungsprojekt Horizon 2020.

Erst letzten Monat hatte die polnische Regierung genehmigt, eine 5,5 Meter hohe und 200 Kilometer lange Mauer an der Grenze zu Belarus zu errichten, die mit hochsensiblen Bewegungsmeldern und Wärmekameras ausgestattet sein soll. 350 Millionen Euro legt Polen für den Bau auf den Tisch. Seit der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Geflüchtete gezielt instrumentalisiert, um Druck auf die EU auszuüben, droht die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze zu eskalieren. Mehr als zwölf Menschen sind inzwischen im Grenzgebiet gestorben. Zuletzt verschickten polnische Grenzbehörden automatisierte SMS, um Geflüchtete von der Einreise abzuhalten. Private Rüstungs- und Technologieunternehmen profitieren

Im Jahr 2018 prognostizierte die EU, dass der europäische Sicherheitsmarkt bis 2020 auf 128 Milliarden Euro anwachsen werde. Davon profitieren vor allem Rüstungs- und Technologieunternehmen, die diese Technologien anbieten. Das hat bei Aktivist:innen und einigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments Besorgnis ausgelöst.

„Drohnen oder Hubschrauber halten die Menschen nicht davon ab, die Grenze zu überqueren. Sie nehmen nur riskantere Wege“, sagt Jack Sapoch, ehemaliger Mitarbeiter des Border Violence Monitoring Network, ein Projekt, das illegale Pushbacks von Asylsuchenden in der EU und anderen Staaten dokumentiert. Dass sich die EU in Fragen des Grenzschutzes vor allem auf Rüstungs- und Technologieunternehmen verlasse, hält Petra Molnar vom Refugee Law Lab für unangemessen. Das Refugee Law Lab untersucht unter anderem den Einfluss von neuen Technologien auf Geflüchtete. „Sie verlassen sich darauf, dass der Privatsektor diese Spielzeuge für sie entwickelt. Aber es gibt sehr wenig Regulierung“, sagt sie. „Für mich ist es wirklich traurig, dass es fast schon eine beschlossene Sache ist, dass all das Geld für Lager, Zäune, Überwachung und Drohnen ausgegeben wird.“ Die hohen Summen könnten statt in Überwachungs- und Militärtechnologien auch in Hilfen für Geflüchtete aller Art, in soziale Projekte oder in die konkrete Unterstützung der grenznahen Regionen fliessen, um nur einige Alternativen zu nennen.

Die deutsche Europaabgeordnete Özlem Demirel kritisiert, dass die Rüstungsindustrie Migration zu einer Sicherheitsfrage gemacht habe: „Die EU spricht immer von Werten wie den Menschenrechten und wendet sich gegen Menschenrechtsverletzungen, aber Woche für Woche sterben mehr Menschen, und wir müssen uns fragen, ob die EU ihre Werte verletzt“, sagt sie. Überwachung aus der Luft mit Militärdrohnen

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe an Technologien, mit denen die EU-Grenzbehörde die Geflüchteten an der Einreise hindern wollen. Neben der Überwachung aus der Luft durch militärische Drohnen kommen am Boden nicht nur Sensoren und Spezialkameras, sondern auch automatisierte Software zum Einsatz. Während Griechenland an der Grenze zur Türkei auf Luftschiffe setzt, nutzen Grenzbeamt:innen auf dem Balkan Drohnen und Hubschrauber, um Geflüchtete vom Überqueren der Grenze abzuhalten.

Im Mittelmeerraum kommen die Langstrecken-Drohnen Heron und Hermes zum Einsatz. Diese Drohnen können mehr als dreissig Stunden in einer Höhe von 10.000 Metern fliegen und senden dabei nahezu Echtzeit-Daten an die Frontex-Zentrale in Warschau. Meist starten sie vom Inselstaat Malta und suchen dann die libysche Such- und Rettungszone nach Flüchtlingsbooten ab, die das Mittelmeer überqueren wollen. Israelische Rüstungsunternehmen stellen die Drohnen her, die auch im Gazastreifen zum Einsatz kommen. Sie gelten als die teuersten Instrumente für die Überwachung aus der Luft. Im vergangenen Jahr vergab Frontex für die Drohnen einen Auftrag in Höhe von 100 Millionen Euro. Derzeit gibt Frontex 84 Millionen Euro, also ein Sechstel des diesjährigen Budgets, für Flüge an den EU-Aussengrenzen aus. Bewegungsmelder und automatisierte Verhaltenserkennung

An den Grenzen am Boden kommen vermehrt Sensoren und Spezialkameras wie mobile Radargeräte, Wärmebildkameras, Herzschlagdetektoren und CO2-Monitore zum Einsatz. Sie können Bewegungen erkennen und sollen dabei helfen, Personen aufzuspüren, die sich beispielsweise in Fahrzeugen verstecken. Grenzbehörden in Griechenland, Rumänien und Kroatien nutzen die Technik bereits. Auch die geplante Mauer an der polnisch-belarussischen Grenze soll mit fortschrittlichen Wärmebildkameras und Sensoren ausgestattet werden. An der Aussengrenze zur Türkei setzt Griechenland zudem seit Mitte des Jahres eine Schallkanone ein, die Geflüchtete mit ohrenbetäubenden Knallgeräuschen von der Lautstärke eines Düsentriebwerks einschüchtern soll.

Auch das im September neu eröffnete Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos setzt auf moderne Überwachungstechnik. Das Pilotprojekt wird mit Bewegungsmeldern, Verhaltenserkennung und Drohnen kameraüberwacht. Ein privates Sicherheitsunternehmen und 50 uniformierte Beamte kontrollieren das von Stacheldraht umzäunte Lager unter anderem mit Fingerabdrücken, Drehkreuze und Röntgenstrahlen. Es ist das erste von fünf geplanten Lagern in Griechenland; zwei weitere haben im November eröffnet. Insgesamt zahlt die EU-Kommission 276 Millionen Euro für die neuen Zentren auf den griechischen Inseln.

Zusätzlich zu Sensor- und Kameratechnik setzt die EU auch zunehmend auf automatisierte Überwachungssysteme. Drei Jahre lang hat sie in Griechenland, Ungarn und Lettland einen automatisierten Lügendetektor getestet, der die Mimik von Geflüchteten und anderen Reisenden scannt, während sie Fragen beantworten und dann entscheidet, ob sie die Wahrheit sagen. Das Pilotprojekt hat die EU 4,5 Millionen Euro gekostet. Wissenschaftler:innen haben die Technologie als „pseudowissenschaftlich“ kritisiert. Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer hat vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg bereits gegen die Software geklagt.

Christina Braun
netzpolitik.org

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.

Mehr zum Thema...
Checkpoint Kulata an der griechisch-bulgarischen Grenze.
EU finanziert Modernisierung innerer Sicherheit in Griechenland„Illegale Einwanderung, Verbrechen und Krisen“

09.09.2015

- Die griechische Regierung will ihre Grenzanlagen massiv aufrüsten. Dies geht aus einem Dokument hervor, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch auf ihrer Webseite veröffentlicht.

mehr...
Die europäische Überwachungsdrohne «Euro Hawk».
Ab Ende des Jahres könnten EU-Drohnen über dem Mittelmeer fliegenGrenzüberwachung und Umweltschutz

09.03.2016

- Die Agenturen der Europäischen Union wollen in naher Zukunft Drohnen zur Migrationskontrolle einsetzen. Dies hat der Direktor der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA), Markku Mylly, dem Informationsdienst EurActiv in einem Interview bestätigt.

mehr...
FRONTEX betreibt das Überwachungsnetzwerk EUROSUR, das ebenfalls auf Satelliten basiert. Hier im Bild - FRONTEX Grenzschtüzer in Griechenland.
Satellitenaufklärung „mit speziellen Anomalie-Algorithmen und Prognosetools“Neue FRONTEX-Agentur

30.05.2016

- Die EU hebt die Überwachung der Meere auf eine neue Stufe. Die drei Agenturen zur Überwachung der Meere und Küsten werden zusammengelegt. Allein für unbemannte Luftfahrzeuge stehen 81 Millionen Euro bereit. Das Geld fliesst in die Kassen von Rüstungskonzernen.

mehr...
Delegieren von Verantwortungen - Thomas Osten-Sacken zur Situation auf Lesbos

05.03.2020 - Am Wochenende hatte die türkische Regierung angekündigt, Flüchtlinge nicht länger an der Weiterreise in die EU zu hindern. Griechenland hat die Grenze dicht gemacht und setzt das Asylrecht für einen Monat aus.

Mission Lifeline startet Evakuierungsmission für Mütter und Kinder von Lesbos

10.03.2020 - Am ersten März-Wochenende hatte die türkische Regierung angekündigt, Flüchtlinge nicht länger an der Weiterreise in die EU zu hindern. Griechenland hat daraufhin die Grenze dichtgemacht.

Dossier: Drohnen
Peter D. Lawlor
Propaganda
Überwachung

Aktueller Termin in Freiburg im Breisgau

Strandcafe

Das Strandcafe ist ein von vielen Gruppen und Personenn kollektiv autonomes Cafe. Wir versuchen mit vielen Menschen und Gruppen das Strandcafe öfter und länger offen zu halten. Kommt vorbei und geniesst das gemütliche Strandcafe fernab ...

Mittwoch, 29. März 2023 - 10:00 Uhr

Strandcafé, Adlerstraße 12, 79098 Freiburg im Breisgau

Event in Zürich

The Baboon Show

Mittwoch, 29. März 2023
- 19:00 -

Dynamo (Saal)

Wasserwerkstrasse 21

8006 Zürich

Mehr auf UB online...

Rebellion von Sklaven auf Santa Domingo im Jahr 1791.
Vorheriger Artikel

C.L.R. James: Die Schwarzen Jakobiner

Zeit der Tragödie, Zeit der Massen

Basel am 15. März 2023.
Nächster Artikel

Offener Brief an den Gesamtregierungsrat Basel-Stadt

Die Führungsverantwortlichen der Basler Polizei haben ein Gewaltproblem

Untergrund-Blättle