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Rechtsradikale Untergrundgruppen auf dem Vormarsch Frankreichs Problem mit Rechts-Terrorismus ist hausgemacht

Politik

Attentats-Pläne auf den Präsidenten und auf Muslime brachten Frankreich in Bedrängnis. Der Feind kommt auch aus den eigenen Reihen.

Châtelet, Belgien.
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Châtelet, Belgien. Foto: Dereckson (CC BY 3.0 cropped)

17. Dezember 2018
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«Möglicher Anschlag auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vereitelt», «Rechtes Komplott in Frankreich?», «Rechtsextreme planten Anschlag auf den französischen Präsidenten»: Diese Schlagzeilen raschelten durch den internationalen Blätterwald, flackerten über Fernseh- und Computermonitore auf der ganzen Welt.

Demnach haben französische Anti-Terror-Ermittler sechs Verdächtige aus der rechtsextremen Szene festgenommen, die Pariser Staatsanwaltschaft leitete Anti-Terrorermittlungen ein. Den Verhafteten, fünf Männer und eine Frau im Alter zwischen 22 und 62 Jahren, wird die Bildung einer kriminellen terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Sie wurden in Isère, in Moselle sowie in Ille-et-Vilaine gefasst. Was genau sie planten, ist zurzeit nicht bekannt. «Die Ermittlungen betreffen einen zu diesem Zeitpunkt noch unklaren und wenig definierten Plan für eine gewalttätige Aktion», hiess es von den Ermittlern in einer Stellungnahme. Wohl nicht ganz zufällig hatte Staatspräsident Macron kurz davor in einem Interview mit einer grossen Tageszeitung vor rechtsextremen Bewegungen in ganz Europa gewarnt.

Wie Journalisten der Fernsehstation «BFM TV» berichten, wurden im Haus des Hauptverdächtigen mindestens eine Schusswaffe sowie ein Granatwerfer gefunden. Ermittler nannten Präsident Emmanuel Macron als mögliches Anschlagsziel. Dieser hatte erst kürzlich in einem Interview vor einer Bedrohung durch rechtsextreme Bewegungen in ganz Europa gewarnt.

Rechtsradikale Untergrundgruppen auf dem Vormarsch

Die Verhaftung der sechs Verdächtigen ist der bisher letzte Akt in einer Reihe von ähnlichen Vorfällen: Frankreich hat ein Problem mit ultra-rechten gewalttätigen Untergrundgruppen. Erst am 24. Juni verhafteten Sicherheitskräfte in Korsika, Zentral- und Westfrankreich zehn Personen aus dem Umfeld der Gruppe «Action des forces opérationelles» (AFO), die Attentate gegen Muslime und Moscheen vorbereitet hatten. Bei den damaligen Hausdurchsuchungen fanden die Ermittler 36 Schusswaffen und ein Labor zur Herstellung von explosiven Stoffen. Zur Kommunikation und Planung der Anschläge nutzten die Rechtsradikalen einen Server des in Genf ansässigen Unternehmens «Proton Technologies AG».

Wie im Nachhinein bekannt wurde, baute die AFO mithilfe der nicht rückverfolgbaren Proton-E-Mails eine Befehlskette auf: Die Mitglieder reagierten auf Anweisungen ihrer «Abteilungsleiter», die wiederum ihren regionalen Befehlshabern gehorchten. Die Kommunikation lief im Geheimen über die Schweiz.

Verbindungen zum Militär und in den Sicherheitsapparat

Die straffe militärische Organisation der AFO ist kein Zufall: Einer der Verhafteten ist ein ehemaliger Polizeibeamter. Die Untergrundgruppe verfügt zudem über Kontakte zum französischen Militär. In den elf Regionen, in denen die AFO aktiv ist, vermuten die Ermittler mehrere Waffenverstecke. Die darin gebunkerten Waffen sollen aus einem Raubüberfall auf den Luftwaffenstützpunkt Istres vom September 2016 stammen. Damals verschwanden mehrere Dutzend Gewehre, darunter auch höchst gefährliche Sturmgewehre vom Typ Famas. Der Fall ist bis heute ungelöst, das Verteidigungsministerium verdächtigt mehrere Soldaten, die zur AFO gehören sollen.

Seit dem Beginn der blutigen islamistischen Terroranschläge im Jahr 2015 haben sich in Frankreich neben der AFO mehrere kleine «Selbstverteidigungsgruppen» gebildet, die aus dem Untergrund gegen die «islamische Gefahr» kämpfen und den «gescheiterten Staat» mithilfe eines Bürgerkriegs stürzen wollen. Der Inlandsgeheimdienst DGSI warnte die Behörden, dass diese Gruppen die Anwendung von Gewalt nicht mehr ausschliessen würden.

Ein weiteres Beispiel ist die rechtsextreme Untergrundgruppe um den Aktivisten Logan Nisin. Nisin und seine Komplizen flogen im Oktober 2017 auf, noch bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen konnten: Zu ihren Anschlagszielen gehörten Migrantinnen und Migranten, Drogenhändler und Politiker. Darunter zum Beispiel Jean-Luc Mélenchon, Gründer und Vorsitzender der Linkspartei «Parti de Gauche» oder Christophe Castaner, amtierender Innenminister und Mitglied der Partei «La République en Marche». Gemäss informationen, die dem Online-Portal «mediapart» vorliegen, befanden sich unter Nisins Komplizen der Sohn eines Polizeibeamten, der Sohn eines Beamten der nationalen Gendarmerie sowie ein Mitglied der Luftwaffe, das sich damals in der Ausbildung zum Unteroffizier befand. Gemäss «Le Monde» fanden die Ermittler auch Waffen.

Die AFO und die Gruppe um Logan Nisin sind nur zwei Beispiele aus einer Reihe von rassistisch motivierten Vorfällen, in die Mitglieder der französischen Polizei, der Gendarmerie und dem Militär involviert waren.

Rechtsextreme werben gezielt im Sicherheitsapparat

Die Aufdeckung der neusten Terrorpläne ist kein Zufall. Bereits am 9. April enthüllten Journalisten des Online-Portals «mediapart», dass sich die DGSI Sorgen über das Wiederaufleben der rechtsextremen Bewegung macht. Wie die DGSI mitteilte, befinden sich unter ihren Zielen etwa fünfzig Polizisten, Gendarmen und Soldaten, die wegen ihrer Verbindungen ins gewalttätige rechtsextreme Milieu überwacht werden.

Bei ihren Überwachungen stellte die DGSI fest, dass vor allem die AFO Mitglieder des Sicherheitsapparats aktiv und massiv umwirbt. Hier finden die rechtsextremen Terroristen militärisch gedrillte und im Kriegshandwerk ausgebildete Mitglieder, die sich bestens für ihre Zwecke einsetzen lassen.

Die Rekrutierungen im Sicherheitsapparat durch Rechtsextreme geht so weit, dass die DGSI verschiedene Armeekorps, die Polizei, die Gendarmerie, den Zoll und die Gefängnisverwaltungen sensibilisieren musste. Damit soll der Informationsaustausch über verdächtige Beamte verbessert, aber auch die Rekrutierung von neuem Polizei- oder Militärpersonal verhindert werden, das in der Vergangenheit als Teil der rechtsextremen Bewegung identifiziert wurde. Damit wurde die Unterwanderung des französischen Sicherheitsapparates durch Personen aus der rechten, gewalttätigen Untergrundszene zum offiziell anerkannten Problem.

Die Französische Republik ist gewarnt

Eine anonyme Quelle aus dem Bereich der französischen Anti-Terror-Bekämpfung sagte im März gegenüber «mediapart»: «Die Rechtsextremen strukturieren sich in beunruhigender Weise – und es ist wahr, dass es darunter viele Soldaten oder ehemalige Militärangehörige gibt.» Es handle sich dabei oft um Soldaten, die von Missionen in Afghanistan oder im Irak zurückgekehrt seien, ergänzte ein Veteran. «Sie kehren traumatisiert zurück und müssen beobachtet werden, damit sie ihren individuellen Kampf nicht fortsetzen.»

Im Herbst 2017 warnten die französischen Nachrichtendienste vor der Gefahr, dass «die so genannte ultra-rechte Bewegung» zu gewalttätigen Aktionen übergehen könnte. Eine Annahme, die die jüngsten Verhaftungen erneut bestätigen.

Und Patrick Calvar, ehemaliger Leiter der DGSI, schlug im Mai 2016 bei einer Anhörung vor dem Ausschuss für Landesverteidigung und Streitkräfte in der Nationalversammlung Alarm: «Der Extremismus nimmt überall zu, und wir, die Geheimdienste, verlagern die Ressourcen, um uns auf die rechtsextreme Szene zu konzentrieren, die nur auf eine Konfrontation wartet.» Es liege an den Geheimdiensten, gegen alle Gruppen, die Konflikte zwischen den einzelnen Gemeinschaften auslösen wollen, vorzugehen.

Tobias Tscherrig / Infosperber

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