Die Frustration der Unterschicht Wie treten wir dem Rechtsruck entgegen?

Politik

Zwei unbrauchbare Antworten auf den Aufschwung der AfD und ein Vorschlag zu einer brauchbaren.

Frauke Petry bei einer Kundgebung der AfD im Münchner Hofbräukeller, 2016.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Frauke Petry bei einer Kundgebung der AfD im Münchner Hofbräukeller, 2016. Foto: Harald Bischoff (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

7. März 2016
0
0
8 min.
Drucken
Korrektur
Hessen hat kommunal gewählt und die noch nicht völlig verrohte Hälfe der Republik ist in hellem Aufruhr. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist zweistellig und drittstärkste Kraft. Die Wahl, die auch als „Stimmungstest“ für die kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gilt, zeigt einen eindeutigen Trend: Weniger Wahlbeteiligung, starke Verluste für die etablierten Parteien und Stimmenzuwächse für eine Partei, deren Kerngeschäft im Wesentlich eine mit Provokationen medial inszenierte Hasskampagne gegen „Fremde“ ist.

So weit, so schlecht. Nun aber beginnt das grosse Rätselraten, wie dieser Bedrohung denn beizukommen sei. An und für sich ist auch genau das an der Zeit, denn es braucht eine Strategiedebatte. Allerdings sind viele der Vorschläge leider nicht nur unbrauchbar, sondern sogar kontraproduktiv. Einige wollen wir kurz besprechen.

Operation Styling: Makeup für den Zombie-Wähler

Grossen Zorn im linksliberalen Milieu entfachte die geringe Wahlbeteiligung. „Um die AfD zu unterstützen, muss man sie nicht einmal wählen. Es reicht auch, wenn man nicht wählen geht. Und ja, das ist ein Vorwurf“, kommentierte der Grünen-Politiker Erik Marquart auf Twitter und fand Zustimmung bis ins ausserparlamentarische linke Milieu. Diese These, gerne nach jeder Wahlniederlage von CDU bis Grüne bemüht, geht natürlich nicht auf.

Denn zum einen ist es ja nicht so, dass dadurch in irgendeiner Weise weniger Menschen existieren würden, die den rechten Rattenfängern hinterherlaufen, sondern nur die Prozentzahlen auf dem Papier würden hübscher aussehen. Die absolute Zahl an Stimmen für die AfD wird ja nicht dadurch geringer, dass mehr Menschen sich überwinden, die abgewirtschafteten Bürgerparteien anzukreuzen. Der Vorwurf an (linke) Nichtwähler, doch nächstes Mal bitte gegen besseres Wissen und Gewissen an die Urne zu dackeln und das Kästchen der Grünen (oder sonstwas) anzumalen, ist eine für dieses Milieu recht typische Vermeidungsstrategie: Man will, dass das Ding am Ende ein wenig hübscher aussieht, man möchte dem schon halb zum Zombie verkommenen Volkskörper noch ein letztes Mal ein schmuckes Gewand überwerfen, Makeup über die Wunden schmieren und ihn drappieren, auf dass man sagen kann: Na, so schlimm ist es ja noch nicht.

Zum anderen legen Umfragen nahe, dass selbst diese Operation Styling in die Hose gehen würde: Das Nicht-Wählerspektrum tendiert ebenfalls verstärkt nach rechts, also geht auch hier die Rechnung nicht auf.

Wichtiger aber noch ist: Wir sollen als Antimilitaristen, Antifaschisten und Antikapitalisten jetzt so tun, als ob SPD und Grüne das „kleinere Übel“ wären und die Hartz-IV-, Asylgesetztverschärfungs- und Kriegsparteien supporten, weil das unsere „demokratische Pflicht“ gegen die AfD ist. Und jene, die das ganze Jahr lang, wenn es keine Urnengänge gibt, auf dem gemütlichen Sofa sitzen, rufen uns hinterher: „Der Erfolg der AfD ist gleichzeitig Indiz für diese These wie hoffentlich auch ein Warnschuss für alle, die dieses Mal ihre Allerwertesten nicht hoch bekommen haben vom gemütlichen Sofakissen. Kapiert es endlich – und geht beim nächsten Mal gefälligst wählen!“ (Boris Tomic, Frankfurter Neue Presse)

Die Frustration von vor allem aus den Unterschichten kommenden Menschen über diese Form von Demokratie ist nichts, worauf wir mit moralischen Appellen zur Stabilisierung des Parlamentarismus reagieren sollten. Es kann uns nicht darum gehen, aus Angst vor der AfD oder sonstwem moralinsaure Jetzt-habt-euch-doch-nicht-so-Reden zu deklamieren, um ein System der Repräsentation zu konservieren, von dem sich kaum jemand repräsentiert fühlt. Wir müssen andere Formen von Teilhabe, Partizipation und gemeinsamen politischen Handelns entwickeln und nicht so tun, als sei die Bewahrung dieses grottigen Staats und seiner Mechanismen irgendeine Form des „Antifaschismus“. Die Antwort auf die „Alternative für Deutschland“ kann nicht sein, dass wir dann besser keine „Alternative“ brauchen, sondern sie muss lauten: Wir haben – anders als die AfD – eine tatsächliche Alternative zu diesen Parteien, diesen Wahlen und diesem Staat.

Operation Elfenbeinturm: Ihr seid so dumm, so hässlich, so verkommen

Eine andere Herangehensweise, die ohnehin schon immer sehr populär war, ist die der permanenten Publikumsbeschimpfung. Man besinnt sich darauf, selber einer von den Guten, Klugen und Schönen zu sein, und erklärt von diesem Podest aus das „Pack“ kollektiv zu primitiven, unterentwickelten Barbaren, die quasi schon von ihrer Natur her nicht anders können, als den räudigsten Parolen hinterher zu rennen.

Eine Zeit lang mag das funktioniert haben, denn es entsteht sozialer Druck: Wer will schon als verrohter schmutziger Neandertaler gelten, das kommt in Freundeskreis wie Beruf nicht gut an. Aber der Damm ist gebrochen und die moralischen Vorhaltungen sind nicht mehr geeignet, jene, die sich entschlossen haben, solches zu tun, davon abzuhalten, AfD zu wählen oder sich mit lächerlichen Traditionsfahnen auf Vorplätze von Hauptbahnhöfen zu stellen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Es gibt die Räudigen und Dummen in der AfD und all den anderen rechten Mobilisierungsversuchen zuhauf. Und es gibt massenhaft auch die, die so verkommen sind, dass der einzige Umgang, den man mit ihnen finden kann, der ist, sie unter Einsatz aller möglichen Mittel daran zu hindern, sich an anderen Menschen zu vergehen.

Aber das Problem, dass sich Unzufriedene und Abgegessene in Zeiten multipler Krisen eben nicht dahin orientieren, wo sie hingehören: nach links, sondern regressiven Krisenlösungsversuchen ein offenes Ohr leihen, werden wir nicht dadurch lösen, dass wir uns selbst moralisch oder intellektuell total super finden. Diverse Umfragen seit Entstehung der „Alternative für Deutschland“ zeigen, dass ein überwiegender Teil der Wählerschaft nicht in erster Linie wegen der eigenen Inhalte dieser Partei mit ihr sympathisiert, sondern einen „Denkzettel für die anderen Parteien“ verteilen will.

Diesem Teil der AfD-Sympathisanten könnte man erklären, was das Wirtschafts- und Sozialprogramm ihrer angeblichen „Partei der kleinen Leute“ eigentlich für sie bedeutet, nämlich nichts Gutes. Und dann müsste man sie darauf hinweisen, dass jeder Geflüchtete, jeder Dönerverkäufer und jede migrantische Putzkraft mehr an gemeinsamen Interessen mit ihnen hat, als die Hochadlige Beatrix von Storch, der Bismarck-Fan und Jurist Alexander Gauland oder der Salon-Nationalist Jürgen Elsässer.

Die Antifa-Debatte der vergangenen Jahre war hier eigentlich weiter als wir es in unserer Praxis heute sind. „Wenn wir nicht in der Lage sind, im Alltag nützlich zu sein, für uns und all die anderen, die das, was hier läuft, satt haben, werden wir noch so fluffige theoretische Papierchen schreiben können, es wird uns keinen wirklichen Schritt weiter bringen“, schrieb da die radikale linke berlin (rlb). Die NEA mahnte, die „Berührungsängste zur ‚Normalbevölkerung'“ zu überwinden, und die Frankfurter Siempre Antifa schrieb: „Es kommt darauf an, eine system-überwindende Perspektive wieder mit lokaler Arbeit in den Stadtteilen und Betrieben zu verbinden, um lokale Mobilisierungen gegen die herrschende Politik und damit für vom System nicht mehr integrierbare Forderungen herzustellen. Damit können wir Bewegungen, die den in bürgerlichen Klassengesellschaften stets vorhandenen Nährboden für rassistisches und nationalistisches Gedankengut für sich nutzen wollen, frühzeitiger und nachhaltiger bekämpfen.“

Wirksamer Antifaschismus hat die Zielgruppe schon abgeholt, bevor die Rattenfänger überhaupt einen Fuss in Kiez oder Betrieb gesetzt haben. Dafür mag es in diesem Land spät sein, zu spät ist es aber nicht.

Was sonst? Zwei Strategien, eine Linie

Nehmen wir ein konkretes Beispiel aus der wahren Wirklichkeit: Mein Freund Martin (Name von der Redaktion geändert, Brudi :-) ) ist Koch in einer Grossküche. Bei einer Hopfen-Schorle erläuterte er mir kürzlich das Problem, dass mit jeder Generation „Junger“, die neu eingestellt werden, spürbar mehr rassistische Ressentiments an den Arbeitsplatz kommen, wo die Akzeptanz für derlei Gerede ohnehin immer schon hoch war. Was kann Martin tun? Er hätte die Möglichkeit sich zurückzuziehen und mit diesen Typen nichts zu tun haben zu wollen. Er hätte auch die Möglichkeit, sie zu beschimpfen und ihnen zu sagen, dass sie Arschlöcher sind. Beides hätte eine klare Folge: Er würde isoliert und die anderen könnten sich weiter in ihren Sprüchen selbst bestätigen.

Oder: Er greift das Problem der beschissenen Arbeitsbedingungen auf, integriert diese Leute in einen Kampf um die Gründung eines Betriebsrats und versucht auf der Ebene gemeinsamer Interessen ein Vertrauensverhältnis herzustellen, das es möglich macht, im gemeinsamen Gespräch die Ressentiments als das zu entlarven, was sie sind: Nutzlos, inhuman und falsch.

Dort, wo wir im Stadtteil und auf dem Arbeitsplatz, in der Lage sind, Formen politischer Selbstorganisierung, gemeinsamen Kämpfens und widerständigen Lebens zu schaffen, werden wir erfolgreicher gegen in der bürgerlichen Gesellschaft weit verbreitete Ressentiments sein, als dort, wo wir als Leute, die keiner kennt, mit erhobenem Zeigefinger zur Raison rufen. Wer jetzt meint, dieser Ansatz verharmlose irgendetwas oder sei ein Plädoyer die „Sorgen“ der Rassisten zu verstehen, liegt falsch. Es ist der exakt Gleiche, den die kurdische Bewegung in einer zutiefst patriarchalen, islamistischen und nationalistischen Umgebung gewählt hat, und man wird ihr nicht vorwerfen wollen, Patriarchat, Islamismus oder Nationalismus zu verharmlosen.

Neben dieser Strategie des Aufbaus der eigenen Strukturen von Gegenmacht kann aber in der derzeitigen Situation sicher auch die direkte Einschränkung des Handlungsspielraums der Faschisten nicht vernachlässigt werden: Räume müssen ihnen genommen werden, ihre menschenverachtende Hetze muss offen dargelegt werden (herausragend geschehen etwa dieses Wochenende) und diejenigen von ihnen, die ihre Weltanschauung in die Tat umsetzen wollen, müssen gehindert, bestraft und eingeschüchtert werden.

Diese Doppelstrategie wäre ein Vorschlag. Sie hätte den Vorteil, dass sie immun ist gegen einen „Antifaschismus“, der sich aus Schreck vor dem Aufschwung der Rechten in den Schoss derer flüchtet, die abschieben, ausbeuten und morden – nur eben unter schwarzem, rotem oder grünem Anstrich und geringfügig „zivilisierter“.

Peter Schaber / lcm