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Das Zentrum für die Schönung der Politik

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Aktion gegen die moralische Verkommenheit Das Zentrum für die Schönung der Politik

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Politik

Am vorletzten Sonntag des Juni wollte ein „Marsch der Entschlossenen“ tote Flüchtlinge zum Kanzleramt bringen, „um sie direkt vor den politischen Entscheidungsträgern zu beerdigen“. (2)

Grabstein für ertrunkene Flüchtlinge vor dem Bundeskanzleramt als Teil der Aktion «Die Toten Kommen» des Zentrums für politische Schönheit, Berlin, Deutschland.
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Grabstein für ertrunkene Flüchtlinge vor dem Bundeskanzleramt als Teil der Aktion «Die Toten Kommen» des Zentrums für politische Schönheit, Berlin, Deutschland. Foto: Sebaso (PD)

Datum 1. Juli 2015
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Auf tatsächliche Leichen musste zwar verzichtet werden – die Särge wurden verboten, genau wie Bagger und das Ausheben von Gräbern, was der Aktionssprecher als „schweren Eingriff in die Freiheit der Kunst“ bezeichnete – es gelang aber dennoch ein Kunstwerk: „Die Entschlossenen des Kunsthappenings „Marsch der Entschlossenen“ rissen die Zäune zur Bundestagswiese nieder und hoben spontan hunderte Gräber mitten in der Hauptstadt aus. Mittlerweile ist das Gräberfeld umzäunt und wird vor Zugriffen abgeschirmt.“ Das betrachtet der Veranstalter, das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS), offenbar als einen Erfolg. Es versteht sich selbst als „eine Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Grossgesinntheit – zum Schutz der Menschheit“ [1].

I.

In seinem Manifest: „Aggressiver Humanismus“ hat das Zentrum für politische Schönheit niedergelegt, wie es die Welt so sieht: Dabei erblickt es überall in ihr Unmenschliches: „Inhumanität breitet sich auf dem Globus aus wie ein Krebsgeschwür.“ Und das findet es gar nicht schön im doppelten Wortsinn: Unmenschliches ist auch in künstlerischem Sinne unschön.

Die Toten sind damit zum Produkt einer unschönen Politik erklärt, für deren „Schönheit“ gesorgt werden muss. Leider lasse es in Deutschland momentan so ziemlich jeder (Politik, Medien, Bevölkerung) an den nötigen Verschönerungsleistungen fehlen. „Zukünftige Generationen werden nicht verstehen, weshalb wir alle die Mittel besassen, Krieg, Hinrichtung, Vergewaltigung und Hunger zu stoppen, sie aber nicht einsetzten.“ Und: „Um Europa herum herrschen: Elend, Not und Schrecken. Aber Medien wie Politik drehen sich in Deutschland permanent um die eigenen Belange. Es graut einem vor dem Urteil künftiger Historiker über das Ausmass dieser Selbstbezogenheit“.

Aus moralischer Verkommenheit, so die künstlerische Sichtweise, beseitigt die Politik nicht die Übel der Welt und aus moralischer Verkommenheit erhebt die Bevölkerung dagegen keinen Einspruch. Dabei profitiert die Politik der erfolgreichen kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas von einer auf Geldvermehrung ausgelegte Weltordnung und sichert diesen Vorteil militärisch ab. Die Armutsresultate, die dabei überall anfallen, und das Elend, das dabei zustande kommt, interessieren sie dabei, wenn überhaupt, als möglichst kostengünstig zu verwahren und zu verwalten. Und zum Arsenal der europäischen Flüchtlingspolitik gehörte es bis vor kurzem noch, den Tod von Flüchtlingen als Abschreckung für potentiell Nachfolgende einzukalkulieren. All das wird vom ZPS gleichzeitig moralisch verdammt und doch als potentiell schön affirmiert: Sachliche Gründe, jede Absicht und jeder Zweck, also alles, was Inhalt der „eigenen Belange“ ist, interessiert nicht.

Grundlose Unmenschlichkeit ist der Vorwurf, und die kann das Herrschaftspersonal ja auch wieder bleiben lassen, wenn es sein ästhetisches Potenzial erkannt hat: „Ein Akt politischer Schönheit wäre, wenn der nächste Bundeskanzler die Lösung dieses Problems (Millionen von Flüchtlingen fristen ein klägliches Leben in Flüchtlingslagern) als sein Vermächtnis definiert.“ Zu dieser Erkenntnis ist ihm mit „politischer Aktionskunst“ zu verhelfen.

II.

Die bestand nun darin, auf der Flucht umgekommene Menschen tatsächlich oder symbolisch zu beerdigen: „Wir werden sie empfangen und ihre Würde retten – und damit unsere eigene“ . Auf letzteres, also darauf die eigene Menschlichkeit zu zelebrieren, kam es durchaus an. Tote Flüchtlinge verlangen eine Kunstaktion? Warum? Damit „künftige Historiker“ aufschreiben können, dass in Deutschland doch nicht alle nur selbstbezogen waren? Dass Europa eben nicht nur diese Toten zu bieten hatte, sondern Deutschland auch ein Heer von ‚aggressiven Humanisten', das den „unwürdigen Umgang“ mit ihnen nicht ohne künstlerischen Beitrag hinnehmen wollte? Da können die Flüchtlinge aber lachen – die toten sowieso und die noch lebenden auch.

III.

Linke Organisationen und Flüchtlingsinitiativen freuen sich über die Aktion und teilen die Fotos entstandener und in deutschen Vorgärten weiter entstehender Gräber fleissig in den sozialen Medien. Die Aktion, so ihr Hinweis, sie schaffe ‚Öffentlichkeit' für Elend und Tod der Flüchtlinge und den politischen Umgang damit. Da ist bloss gar keine „Aufklärung“ mehr nötig: Dass es mit dem Ertrinken in gehabtem Umfang nicht weitergehen kann, sagen vom Pro Asyl bis zu de Maizière inzwischen alle. Das Problem mit den Flüchtlingen wird ständig öffentlich diskutiert, ebenso wie die politischen Überlegungen und Massnahmen, wie mit ihnen zu verfahren sei und verfahren wird, um die nationale Last klein und den nationalen Nutzen gross zu halten. Dafür braucht es weder ein ZPS noch andere flüchtlingsfreundliche Bewegungen.

Die „aggressiven Humanisten“ haben mit ihrer Aktionskunst auch nichts Humanitäres im Sinne von Helfendes im Sinn. Sich von gesetzlichen Vorschriften nicht zurückhalten zu lassen in ihrem künstlerischen Aktivismus, darauf sind sie stolz. Praktische Hilfe ist eben so wenig beabsichtigt wie theoretische Klärung. Bei politischer Aktionskunst geht es um mehr als um ein paar Leichen: „Die menschliche Seele braucht das Gefühl von Grösse, Schönheit, Gerechtigkeit und Anstand. Diese epochalen Gefühle vermögen sich bei der Politisierung der Sozialversicherungs-, Renten- und Gesundheitssysteme nicht richtig einzustellen. Das könnte aber der globale Schutz der Menschenrechte leisten. Das Ziel des Tauchgangs zu politischer Schönheit ist ein Land, in dem die Mitglieder des parlamentarischen Ausschusses für Menschenrechte im höchsten Ansehen stehen und die Menschenrechtsorganisationen nicht auf Verzweiflungstaten angewiesen sind, um Gehör zu finden. Das klingt “zu schön, um wahr zu sein”? — Genau das bildet die Substanz der Suche nach politischer Schönheit.“

Die Befriedigung schnöder materieller Bedürfnisse ist einfach nicht das, was eine Menschenseele zufriedenstellt. Das sollen sich die Menschen, die auf der Fluch vor Elend und Gewalt ihr Leben riskieren, ruhig mal hinter die Ohren schreiben. Die menschliche Seele braucht Immaterielles („epochale Gefühle“), und das kann sie der Beschäftigung mit politischen Kleinigkeiten (Sozialversicherung u.ä.) einfach nicht abgewinnen. Da muss Grosses her – der „globale Schutz der Menschenrechte“ zum Beispiel. Vermutlich liegt es völlig neben der Gedankenwelt dieser Schönheitstaucher, wenn man darauf verweist, dass in der Welt der realen Politik die Menschenrechte moralisch ganz hoch im Kurs stehen und so gut wie alle Kriege, die gerade laufen, mit ihrer Verteidigung gerechtfertigt werden. Das ist eben die reale Politik und nicht die „schöne“. Nach der muss mit Hilfe künstlerischer Happenings weiter gesucht werden. Wer sich dabei seelisch wohlfühlt, der ist bei ZPS richtig.

P.s.: Der unterscheidet sich allerdings deutlich von Varian Frey, den das ZPS als Vorbild benennt, und der mit Hilfe „krimineller Machenschaften“ Verfolgte des NS-Regimes ganz praktisch und real rettete.

Berthold Beimler