Eine dieser Verlautbarungen ist, die Integration sei gescheitert. Eine zweite lautet, die Überwachung hätte nicht hingehaut und daran anschliessend, die Geheimdienste hätte versagt, unter anderem deshalb, weil sie nicht zusammenarbeiten.
„Integration“ gescheitert?
Was ist damit gemeint? Was ist eigentlich „Integration“? Ein ordentlicher Arbeitsplatz und damit ein gesichertes Einkommen, so der allgemeine Konsens. Und das hätten die Leute in der Banlieue, in Molenbeek, die Rioters in Grossbritannien und die Jugendlichen in Griechenland vermutlich auch gerne. In der krisengeschüttelten EU mit 23 oder mehr Millionen Arbeitslosen, dazu jeder Menge working poor mit Sozialhilfezuschüssen usw. gibt es diese Arbeitsplätze allerdings nicht mehr. Gerade in Belgien, man erinnere sich, gab es 2014 grosse Proteste gegen die Betriebsschliessungen in der Schwerindustrie und die Angriffe auf das Lohn- und Pensionsniveau – übrigens vergeblich. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, der Druck auf die noch Beschäftigten gewachsen. Die berufliche Perspektivenlosigkeit kettet die jungen Leute an das Elternhaus oder treibt sie in die Kriminalität.Der Begriff „Integration“ beinhaltet jedoch noch mehr. Er vermittelt den Eindruck, es läge nur an den Betroffenen selbst, sich zu integrieren, sich zu bemühen, Ausbildungen zu machen, miese Jobs anzunehmen, anständig zu bleiben, usw. usf. Bestenfalls werden noch Behörden angewiesen, ihnen dabei unter die Arme zu greifen und Hilfen für diese Integration anzubieten. Dabei sind weder die Jugendlichen noch die Behörden diejenigen, die über den Arbeitsmarkt gebieten und Arbeitsplätze schaffen. Das kann nur das Kapital, und das hat in seiner inzwischen schrankenlosen Freiheit der Auswahl der Sphären und Standorte beschlossen, dass es einen guten Teil der europäischen Bevölkerung nicht benötigt.
Es ist also die Integration nicht „gescheitert“, sondern die Schaffung von überflüssiger Bevölkerung ist ein Ergebnis der Akkumulation des Kapitals, nicht der Abwesenheit von gutem Willen und Investitionen.
Kontrolle der Bevölkerung mangelhaft?
Hier schlagen sich alle möglichen Vertreter der nationalen Gewaltapparate der EU auf die Brust und seufzen „mea culpa“. Andere wiederum meinen, ihre Hausübungen bereits gemacht zu haben und auf dem richtigen Weg zu sein. Man müsste mehr Telefongespräche abhören, mehr Spitzel anwerben, mehr Verkehrskontrollen veranstalten, mehr Sicherheitskräfte einsetzen usw. Die Staaten sind aufgerufen, ihrerseits zu investieren, den ganzen Sicherheitsapparat aufzustocken, mehr Polizisten mit Waffen patrouillieren zu lassen, die Grenzen besser zu überwachen – Schengen ade! – und die Gesetzeslage dahingehend zu verändern, dass sich die Polizei und Justiz von allen falschen Rücksichten gegenüber den Untertanen möglichst entfesseln. Dabei können sie auf Medien zählen, die diese Aufhebung der bürgerlichen Rechte begrüssen und beklatschen.Man erinnere sich, dass in Frankreich seit Monaten der Ausnahmezustand herrscht. In dem Land, das seinerzeit die Deklaration der Menschenrechte verabschiedete, können heute Leute ohne richterlichen Befehl verhaftet und Hausdurchsuchungen vorgenommen werden, Versammlungen verboten und Leute recht lange ohne Anklage in Haft gehalten werden. Ähnliche Entwicklungen sind in ganz Europa zu erwarten, ähnlich wie in den USA durch dem Erlass der Antiterrorgesetze nach 9/11.
Das totalitäre Ideal, den Menschen ins Hirnkastl hineinschauen und dadurch alle strafbaren Handlungen bereits im Vorfeld unterbinden zu können, wird hier wieder einmal gepäppelt. Ein Ideal bleibt es allemal, und den Terror damit zu bekämpfen, ist unmöglich: Staaten, wo ein Teil der Bevölkerung hauptberuflich damit beschäftigt ist, den anderen zu überwachen, können auf Dauer nicht bestehen – die Demokratie, und das war ihr Erfolgsmodell, beruht auf dem Konsens der Bürger, nicht auf ihrer Kontrolle.
Bei all diesen Verfahrensformen und Aussagen, und auch beim lockeren Umgang mit Asylrecht und Flüchtlingen, der schon die UNO als Kritiker auf den Plan gerufen hat, zeigt sich auch noch ein weiteres wichtiges Moment der Demokratie: sie ist eine Staatsform, erfüllt sie ihren Zweck nicht mehr, so wird eben anders Staat gemacht.