Die Stiftung Wissenschaft und Politik und der syrische Aufstand The Day After

Politik

Verschiedene Medien und auch wir haben in den letzten Wochen über das Projekt der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) "The Day After", gefördert und initiiert von BRD und US Regierungsstellen, berichtet.

Ausgebombtes Auto in den Strassen von Aleppo am 6. Oktober 2012.
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Ausgebombtes Auto in den Strassen von Aleppo am 6. Oktober 2012. Foto: VOA (PD)

29. August 2012
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Hier manifestiert sich die Strategie des Westens, den Aufstand in Nordafrika und Nahost zu einer Modernisierung der dortigen Herrschaftsverhältnisse zu nutzen, ohne dabei an Einfluss zu verlieren. Angepasst an die jeweilige spezifische Situation im Land werden neue Eliten hofiert, neue Machtbündnisse moderiert und arrangiert.

In Ägypten gelang es der US Administration eine funktionierende Machtbalance zwischen Militär und den Moslembrüder zu schmieden, auf der Strecke blieben die radikaleren Salafisten, die "Gruppen der revolutionären Jugendbewegung" und die sozialen Anliegen des ägyptischen Aufstandes. Einer der ersten Beschlüsse des (mittlerweile aufgelösten) von den Moslembrüder kontrollierten Parlaments richtete sich gegen die grassierenden Streiks und sozialen Kämpfe.

Im Yemen konnte unter Einbeziehung von Saudi Arabien Saleh dazu gebracht werden, offiziell zurückzutreten. Auch wenn im Hintergrund immer noch Machtkämpfe toben und der Salehclan und seine Verbündeten mit gezielten Provokation wie militärischen Operationen, die von mit ihnen allierten Offizieren der Eliteeinheiten ausgeführt werden, versuchen, ihren Anteil an der Macht zu erhalten, konnte die Massenbewegung von den Strassen und Plätzen vertrieben werden.

In Hinblick auf den Aufstand in Syrien gestaltete sich die Situation für den Westen schwierig.

Das syrische Regime hatte sich schon vor längerer Zeit von den Resten eines staatskapitalistischen Überbaus verabschiedet (was erhalten blieb, war eine totalitäre Geheimdienststruktur), entgegen der staatlichen "antizionistischen" Propaganda war Syrien Israel ein "vertrauter Feind", die neoliberale Umgestaltung Syriens war abgeschlossen. Assad II war noch kurz, bevor das Feuer der Revolte Syrien erreichte, u.a. vom US Aussenministerium als vielversprechender "Reformer" abgefeiert worden.

Westliche Analysten prophezeiten ein baldiges Ende des Proteste, zu sicher sitze das Regime im Sattel, zu allgegenwärtig seien die Geheimdienste, zu unglaubwürdig die "Figuren" der Opposition. Entsprechend wurde auch in den westlichen Massenmedien (und übrigens auch in der westlichen Linken) der syrische Aufstand anfänglich nur wenig wahrgenommen.

Die Beharrlichkeit des Aufbegehrens in Syriens, getragen von Basisstrukturen vorort (u.a. die Lokalen Koordinierungskomitees) machten dann jedoch eine Neuorientierung der Politik des Westens, der arabischen Staaten und der Türkei notwendig.

Entgegen der (gerade auch in der westlichen Linken) kolportierten Anschauungen ging es dabei jedoch nie um eine militärische Intervention. Drohgebärden gegenüber dem syrischen Regime sollten im Verbund mit sogenannten Friedensmissionen (erst der arabischen Liga, später der UN) und wirtschaftlichen Sanktionen einen Regimechange unter Einbeziehung (von Teilen) der alten syrischen Elite zustandebringen.

Die Bestialität des syrischen Regimes und die damit einhergehende Militarisierung des Konfliktes lassen allerdings diese Option zunehmend unwahrscheinlicher erscheinen.

Exkurs: Niemand weiss zuverlässig, in welchem Umfang westliche Staaten, die Regierungen des Golfkooperationsrates sowie andere Interessierte bestimmte Fraktionen des bewaffneten Widerstandes wirklich unterstützen. Die Freie Syrische Armee (FSA) besitzt bis heute keine einheitliche Befehlsstruktur, ihr offizieller Oberkommandierende in der Türkei dürfte nur sehr begrenzt Einfluss haben. Vielerorts haben sich lokale Widerstandsstrukturen im Zuge der Zupitzung der Situation bewaffnet, beschränken sich jedoch weitgehend darauf, zu versuchen, in ihrem Gebiet die Armee daran zu hindern, repressiv gegen die Bevölkerung vorzugehen. Bisher ist es kaum zu Abschüssen von Flugzeugen und Hubschraubern durch die Aufständischen gekommen (auch wenn in den westlichen Medien immer wieder die immer gleichen Bilder einiger Abschüsse zu sehen sind), überall sind veraltete sowjetische Waffen bei den Aufständischen Kämpfern zu sehen, ähnliches berichten auch Reporter vorort.

Deshalb ist davon auszugehen, dass die Ausstattung mit modernen Waffen durch den Westen und die Golfstaaten bewusst klein gehalten wird. Das zynische Kalkül dürfte sein, dass so zwar der Blutzoll höher ausfällt, dies aber am Ausgang der Auseinandersetzung nichts ändert und man gleichzeitig sicher geht, dass die gelieferten Waffen nicht in die "falschen Hände" geraten. Ebenso völlig im Dunkeln bleibt der reale Einfluss islamistischer Gruppierungen. Das diese zunehmend in Syrien aktiv sind, ist unbestritten, alle Angaben über ihre zahlenmässige Stärke und ihre gesellschaftliche Verankerung sind jedoch absolut unpräzise.

Während also mittlerweile Hunderttausende auf der Flucht sind, tagtäglich Wohnviertel aus der Luft bombardiert und mit schwerer Artillerie beschossen werden, Regierungstruppen-und Milizen Massaker an Zivilisten begehen, wird im Hintergrund die Zeit nach Assad II vorbereitet.

Seit Monaten trafen sich syrische Oppositionelle in Berlin, wobei bis heute geheim ist, wer denn diese "45 Repräsentanten von Moslembrüder bis Kommunisten" eigentlich sind. Zwar ist der syrische Geheimdienst auch in der BRD tätig, überwacht und drangsaliert auch hier Kritiker des syrischen Regimes, dies dürfte jedoch nicht der einzige Grund dafür sein, dass die Namen der Teilnehmer der Treffen nicht bekannt werden.

Die syrische EXILopposition gilt als hoffnungslos zerstritten, ohne massive Unterstützung durch den Westen dürfte sie nicht in der Lage sein, einen Masterplan für den Transformationsprozess in Syrien zu gestalten. Ihre Wichtigtuer hatten angesichts des nahenden Endes des Assad Regimes auch nichts besseres zu tun, als konkurierende Veranstaltungen zur Bildung einer Übergansgsregierung abzuhalten. Wahrscheinlich dürfte es dabei in erster Linie um die Verteidigung der Posten gegangen sein. Die Lokalen Koordierungskomitees haben sich schon vor Wochen klar zu diesen Machtambitionen der Exiloposition positioniert.

Um dem Chaos im Syrischen Nationalkongress (SNC), dessen Treffen regelmässig im heftigen Streit, Schlägereien und religiösen/ethnischen Spaltungen enden, eine machbare Perspektive auf "regimechange" im westlichen Sinne entgegen setzen zu können, wurde u.a. auch das Projekt "The Day After" initiiert.

In 2011 startet am SWP das Projekt "Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt" .

Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amt und der Robert Bosch Stiftung und in Kooperation mit dem Studienwerk der Heinrich Böll Stiftung soll die Aussen- und Wirtschaftspolitik der BRD als Reaktion auf den Aufstand in Nordafrika und Nahost neu justiert werden. Die SWP hatte, wie die meisten westlichen think tanks, in seiner Einschätzung zur Situation in der Region reichlich daneben gelegen. Der Coup von "The Day After" geht jedoch weit über die bisherigen Aufgaben eines think tanks hinaus. Unter Mitwirkung von US Regierungsstellen und Instituten wurde im Zusammenwirken mit jenen unbekannten "45 Repräsentanten der Opposition" ein Strategiepapier für den Transformationsprozess in Syrien erstellt.

Ob das Ergebnis, ein siebenseitiger Text, der heute lediglich in englisch (als pdf) veröffentlicht und bei einer gross beworbenden Veranstaltung heute Nachmittag stolz präsentiert wird, entscheidend dazu beitragen kann, eine Perspektive im Sinne des Westens zu verwirklichen, muss fraglich bleiben.

Die Absicht aber bleibt offensichtlich: Es geht um eine strategische Neuorientierung, um den Magreb und die Region, die der Westen Nahost nennt, unter Kontrolle zu behalten.

(Noch örtlich) begrenzte neue soziale Aufstände in Tunesien und Algerien, anstehende Strukturanpassungen unter IWF Bedingungen bei anhaltenden Streikbewegungen in Ägypten, Kämpfe um gesellschaftliche Teilhabe und gegen die Arroganz der Macht in Marokko, Bahrain, ...., die Migrationsprozesse nach Europa, bei zunehmender Instabilität aufgrund zwischenstaatlicher Widersprüche, bzw. der Ausstrahlwirkung innerstaatlicher Konflikte (Iran, Yemen, Libanon) drohen sich aus westlicher Sicht zu einem nur noch schwierig zu handelnen Szenario auszuweiten.

Mit der Konstituierung "neuer" Regime in Ägypten, Tunesien, Libyen ist nur Zeit gewonnen, der erste Wellenkamm bewältigt.

Wir haben schon mehrmals betont, das die Metropolenlinke mit ihren alten Begrifflichkeiten und überkommenden Analysen der realen Entwicklung meilenweit hinherhinkt. In der weltweiten Suchbewegung nach einem neuem gesellschaftlichen Aufbruch ist die Entwicklung in Nordafrika und Nahost vielleicht derzeit der strategisch wichtigste Abschnitt. Das weitgehende Desinteresse und die Unfähigkeit, sich jenseits von identitärer Zuschreibung und veralterten "Frontdenken" solidarisch auf die dortigen Prozesse zu beziehen, ist ein moralisches und politisches Armutszeugnis.

Unsere Gegner werden es uns danken.

recherchegruppe aufstand