Überlegungen aus Anlass des Scheiterns der Verfassungsbeschwerden in Sachen „linksunten.indymedia“ Lehren aus dem Ende einer Fahnenstange

Politik

2017 hatte das deutsche Innenministerium verfügt: „Der Verein ‚linksunten.indymedia' läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmässige Ordnung.“ (BAnz AT 25.08.2017 B1)

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Foto: Florian Koppe (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)

31. März 2023
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Was mit „Verein ‚linksunten.indymedia'“ gemeint war, ergab sich aus einer begleitenden Presseerklärung des Ministeriums: „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia' auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“1

Über dieses Verbot wurde ein längerer Rechtsstreit geführt, der kürzlich mit einer Entscheidung des deutschen Verfassungsgericht endete, die eine Nicht-Entscheidung war: Die von den seinerzeitigen AdressatInnen der Verbotsverfügung erhobene Verfassungsbeschwerden wurde „nicht zur Entscheidung angenommen“:

„Die Verfassungsbeschwerden zeigen nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des Fachrechts Verfassungsrecht verkannt haben könnte. […]. Hier stützen die Beschwerdeführenden ihre Rügen […] im Wesentlichen darauf, dass nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern die Verbotsverfügung ihre Grundrechte verletze. Eine mögliche Grundrechtsverletzung gerade durch die gerichtlichen Entscheidungen wird damit nicht substantiiert.“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/02/rk20230201_1bvr133620.html, Textziffer 12)

„Nicht substantiiert“ heisst soviel wie: Nicht prüffähig – zu den entscheidenden Fragen wurde nichts rechtsrelevantes Nachvollziehbares vorgetragen.)

Aus diesem Anlass habe ich ein längeres Interview mit Detlef Georgia Schulze, der/die schon seit Jahren immer wieder mal in linker Antirepressionsarbeit aktiv ist und sich auch akademisch mit Fragen der Rechtstheorie2 beschäftigt hat, geführt. Die (bisherigen) Antworten von dgs lassen sich in acht Thesen zusammenfassen, die ich hier zum Anlass für einige Erläuterungen und ergänzende Überlegungen nehmen möchte.

Für die Repression gegen die deutsche Linke wieder aus der Mottenkiste hervorgekramt:

Das sogenannte öffentliche Vereinsrecht

Seit Ende der 1960er waren Linke mit deutscher Staatsangehörigkeit in der BRD mit staatlicher Repression – abgesehen vom Demonstrationsstrafrecht – vor allem in Form

• des Radikalen-Erlasses von 1972, mit dem – vor allem linke – sogenannte „Extremisten“ aus dem Öffentlichen Dienst ferngehalten wurden, einerseits und

• des Sonderrechtssystem um die § 129 (Kriminelle Vereinigung) und § 129a des deutschen Strafgesetzbuches herum andererseits

konfrontiert. Zuvor war allerdings – im Kontext des KPD-Verbotes von 1956 – das sogenannte öffentliche Vereinsrecht3 von grosser Bedeutung für das Vorgehen des BRD-Staatsapparates gegen KPD-nahe Vereinigungen4. Seit den 1970er Jahren wurden das öffentliche Vereinsrecht dann vor allem für sog. ausländische und „Ausländervereine“ in der BRD von Bedeutung. Für „Vereine“, deren Mitglieder überwiegend oder ausschliesslich deutsche Staatsangehörige waren, verlor das öffentliche Vereinsrecht stark an Bedeutung – sodass vielen aus Anlass des ‚linksunten-Verbots' der Unterschied zwischen öffentlichen und bürgerlichem Vereinsrecht nicht bekannt war bzw. ihn nicht verstanden und nicht beachteten.

So hiess es zum Beispiel in einem Artikel bei de.indymedia: „Begründet wurde das polizeistaatliche Vorgehen mit hahnebüchenen Floskeln, ermöglicht durch einen vereinsrechtlichen Kopfstand: linksunten wurde kurzerhand zu einem Verein erklärt.“ (Jetzt erst recht: „Wir sind alle linksunten.indymedia!“, in: de.indymedia vom 11.09.2017; https://de.indymedia.org/node/13855)5

Nur so absurd war die diesbezügliche staatliche Begründung gar nicht – denn während im bürgerlichen Vereinsrecht Dinge wie Vorstand, Satzung und gegebenenfalls Eintragung ins Vereinsregister eine Rolle spielen, ist der Vereins-Begriff des deutschen öffentlichen Vereinsrechts nahezu konturlos:

„Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html; meine Hervorhebungen)

Mal abgesehen von der Frage des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens der Verbotsgründe6 handelte es sich also weniger um behördliche Willkür als um unerfreuliches Gesetzesrecht. Dies nicht beachtet zu haben, dürfte dazu beigetragen haben, den vermeintlich leichten Weg7 zum Bundesverwaltungsgericht (in Leipzig) und dann zum Bundesverfassungsgericht (in Karlsruhe) gewählt zu haben – statt den politischen Widerstand gegen das Verbot zu organisieren.

These 1: Es mangelte an einer expliziten Reaktion des alten BetreiberInnenkreises

Es gab kein klares Statement vom BetreiberInnen-Kreis zu der Verbotsverfügung. Dadurch fehlte es an einer Orientierung, wie man adäquat auf das Verbot hätte reagieren können. Erst wurde mittels einer Fotomontage auf das „Streisand-Effekt“ genannte Phänomen angespielt, dass der Versuch, etwas zu unterdrücken oder geheimzuhalten, manchmal gerade Aufmerksamkeit für die Sache oder Information erzeugt. Damit wurde immerhin ein gewisser rebellischer Geist gezeigt, dann war man „zur Zeit offline“ (also abwarten und Tee trinken) und dann stellte man den Betrieb einfach ein (die Zeitschrift „radikal“8 hatte trotz Repression für deutlich längere Zeit weitergemacht). Dann wurde Klage beim Bundesverwaltungsgericht erhoben (statt also auf eine gewisse Solidarisierungsbewegung zu setzen) und die öffentlichen Statements wurden den AnwältInnen überlassen (die ja im wesentlichen ein ‚professionelles' Herangehen haben und haben müssen, auch wenn sie politisch interessiert und parteilich sein sollten – ‚Die Institutionen sind mächtiger als die einzelnen Menschen'9). Also ganz ehrlich: für eine politisch (durchdachte) Kampagne von ‚Linksradikalen' klingt das doch recht merkwürdig; um nicht zu sagen: widersprüchlich bis konfus.

These 2: Das juristische Vorgehen der VerbotsadressatInnen war von einem Widerspruch zwischen dem Wunsch, (offensiv) Klage gegen das Verbot zu erheben, und dem Wunsch, (defensiv) die strafrechtlichen Risiken zu minimieren, gekennzeichnet.

Vor einem Verwaltungsgericht wäre es wichtig gewesen, als Kläger offensiv die (vereins-)rechtlichen Interessen zu vertreten. Und dazu hätte man sich erst mal zu linksunten ‚bekennen' müssen. So ist so ist nun einmal die Regelung in Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz10 und § 42 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung11. Diese Regelung kann zwar politisch in Frage gestellt und eine Änderung angestrebt werden. Aber – abgesehen von der Frage, ob die dann noch rechtzeitig für das linksunten-Verfahren gekommen wäre – wurde auch das nicht gemacht. Statt dessen wurden sich Illusionen gemacht.

Um aber das strafrechtliche Risiko zu minimieren – was legitim ist, aber (1.) nicht deutlich kommuniziert wurde und (2.) im Widerspruch zum aktiven/offensiven verwaltungsrechtlichen Klagen stand –, hatte man sich dazu entschlossen, mit linksunten nichts zu tun zu haben oder das eventuelle Zutunhaben jedenfalls in der Schwebe zu lassen12. Dadurch hat man es dem Bundesverwaltungsgericht aber verunmöglicht, die Rechtmässigkeit der Verbotsverfügung zu prüfen. Man kann nur vom einem Glück im im Unglück sprechen, dass das Verwaltungsgericht den Unterschied von Medium und HerausgeberInnenkreis anerkannte und zum Ausdruck brachte. Das könnte immerhin der Schlüssel dafür sein, zumindest das Medienverbot zurückzuschlagen (das es noch kein ‚neues linksunten' gibt, liegt nicht in erster Linie am Verwaltungsgericht13). Dafür die Vereinsförmigkeit des alten HerausgeberInnenkreises als gegeben anzusehen, sind allerdings die RichterInnen am Bundesverwaltungsgericht (und die GesetzgeberInnen des deutschen Vereinsgesetzes) in der Tat verantwortlich. Aber beide Frage (Rechtsschutzinteresse für eine Überprüfung der Verbotsgründe und Vereinsförmigkeit des Verbotsobjekts) müssen unterschieden werden.

These 3: Die Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Begriffs wurde ignoriert – und dadurch die Bedrohlichkeit/Durchsetzbarkeit des Verbotes unterschätzt.

§ 2 Absatz 1 Vereinsgesetz bestimmt: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“14

Mit dieser Definition kann im Prinzip fast jeder Zusammenschluss von drei oder mehr Personen als „Verein“ deklariert werden. Und auch Medienherausgeber können natürlich vereinsförmig organisiert sein (z.B. die SPD als de facto-Herausgeberin15 des „vorwärts. Zeitung der deutschen Sozialdemokratie“ oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH als Verlegerin der FAZ16). Es ist also ein Irrglaube, dass Medienherausgeber aus grundrechtlichen Gründen vor Vereinsverboten geschützt wären. Diese Auffassung müsste vielmehr erst theoretisch entwickelt und argumentativ begründet werden. Denn frühere Verbote von ‚Medienorganisatinen' wurden vom Bundesverwaltungsgericht und der deutschen Rechtswissenschaft entweder gar nicht beanstandet oder jedenfalls nicht unter dem speziellen Gesichtspunkt, dass es sich um Verlage und Fernsehsender handelt.

Das einzige, wo hinsichtlich des Vereins-Begriffs vielleicht hätte angesetzt werden können, war das Definitionsmerkmal ‚Unterwerfung unter eine organisierte Willensbildung' (meine Betonung). Ich war (als Ex-Trotzkist) noch nie bei einer Gruppensitzung von autonomen Basisaktivisten dabei, aber selbst wenn jeder machen kann, was er/sie will, muss es so etwas geben wie eine koordinierte Willens- oder Beschlussfassung; sonst kommt man ja nicht zu Potte. Ob das dann ‚Unterwerfung unter eine organisierte Willensbildung' ist? Ich vermute, das BVerwG hat nicht ganz ohne Gründe, die Vereinsförmigkeit des BetreiberInnenkreises von linksunten bejaht. Nur die innenministerielle Namensverwechselung zwischen Medium und HerausgerberInnenkreis (der hiess nämlich nicht „linksunten.indymedia“, sondern „IMC linksunten“17), hätte dem Gericht allerdings auffallen können (die AnwältInnen der Betroffenen interessierte es aber anscheinend auch nicht)!

These 4: Das Verbot wurde als persönliches Wahlkampfmanöver de Maizières verharmlost18 und so auf die leichte Schulter genommen

Es stimmt zwar, dass dass das linksunten-Verbot auch eine Reaktion auf die Randale im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel 2020 in Hamburg war, und insofern konnte man es als staatsaktionistischen Exzess ansehen. Das ändert aber nichts daran, dass es trotzdem ein ernsthafter Angriff des deutschen Staates (oder zumindest einer Fraktion davon) auf eine linke Struktur war. Dieser Angriff hatte einen nicht unerheblichen politischen Schaden für die Linke insgesamt gehabt (und nicht nur publizistisch). Und das Beispiel Radio Dreyeckland, wo es kürzlich wegen des Setzens eines Links auf das Archiv von linksunten, zu Hausdurchsuchungen kam, zeigt, dass dieser Schaden bis heute noch Konsequenzen hat.

These 5: Es wurde auf die BMI-These vom „[e]rste[n] Verbot einer linksextremistischen Vereinigung“ hereingefallen.

Im Untertitel der das Verbot begleitenden Pressemitteilung (s. noch einmal Fussnote 1) behauptet das Innenministerium, es handele sich bei dem ‚linksunten-Verbot' um das „Erste Verbot einer linksextremistischen Vereinigung“19. Zweck der Falschbehauptung war vermutlich, einen Nachholbedarf an Repression gegen links zu behaupten.

Trotzdem übernahm Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk bei einem Vortrag am 10. Januar 2019 in der Kunsthalle Berlin-Weissensee20 die innenministerielle These.21 Zweck der Falschbehauptung in letzterem Fall vermutlich: Leute durch Dramatisierung / durch Postulierung einer neuen Qualität der Repression zu mobilisieren.

Richtiger war dagegen die Darstellung im Schattenblick: Dort wurde immerhin das vereinsrechtliche Vorgehen gegen Vereinigungen mit „aussenpolitische[n] Bezüge“ seit den 1970er Jahren erwähnt22; auch wurde das vereinsrechtliche Vorgehen (wenn auch nicht sonderlich klar erklärt) zu dem strafrechtlichen Vorgehen gemäss § 129a Strafgesetz, das vor allem in den 1970er und 1980er Jahren dominierte, ins Verhältnis gesetzt (wird dieser Vergleich expliziert zeigt sich: Lange Zeit gingen die BRD-Staatsapparate gegen rechte Strukturen maximal mit Vereinsverboten vor, während sie vor allem in den 1970er und 1980er Jahre mit der Keule der Anti-Terror-Gesetzgebung gegen links zuschlugen – also von wegen ‚Nachholbedarf für Repression gegen links'…):

„Ausserhalb aussenpolitischer Bezüge, wie im Falle eines türkischen und eines palästinensischen Vereines, ist das Mittel des Vereinsverbotes bislang vor allem gegen islamistische und rechtsradikale Gruppierungen zur Anwendung gelangt. Die in der Pressemitteilung des BMI vom 25. August eigens als Unterüberschrift aufgeführte Zeile ‚Erstes Verbot einer linksextremistischen Vereinigung' signalisiert staatliche Handlungsbereitschaft gegen links, was auf rechten Portalen mit einiger Genugtuung quittiert wurde. Ob das BMI nicht zum Mittel des politischen Strafrechtes nach Paragraph 129 a gegriffen hat, weil es für die Qualifikation des wie ein öffentliches Medium agierenden Portals als terroristische Vereinigung nicht gereicht hätte, wurde dort nicht weiter kommentiert.“ (http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0298.html; Fortsetzung: http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0299.html)

Allerdings fehlte auch in dem Schattenblick-Artikel ein Hinweis auf das 1970 auf Landesebene (Baden-Württemberg) gegen die Heidelberger Ortsgruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) verfügte Verbot23 und vor allem ein Hinweis auf die zahlreichen Vereinsverbote im Zuge der KommunistInnenverfolgung in der BRD der 1950er und 1960er Jahre. Diese Vereinsverbote wurde zwar zumeist ebenfalls auf Landes- (oder Regierungsbezirks-)Ebene verfügt; in zwei Fällen (der FDJ und der VVN) stellte die Bundesregierung Verbotsanträge beim Bundesverwaltungsgericht (Vereinsverbote waren damals anders geregelt als seit 1964 durch Inkrafttreten des Vereinsgesetzes):

„Am 29. September 1953 beschloss das Bundeskabinett, beim Bundesverwaltungsgericht einen Antrag gegen die FDJ in Westdeutschland auf Feststellung gemäss § 129a StGB [s. dazu den Anhang (S. 11)], Art. 9 Abs. 2 GG zu stellen, und beauftragte den Bundesminister des Innern mit der Durchführung des Verfahrens. Daraufhin hat der Bundesminister des Innern mit Schriftsatz vom 13. Oktober 1953, eingegangen beim Bundesverwaltungsgericht am 20. Oktober 1953, beantragt zu erkennen: Es wird im Sinne von § 129a StGB festgestellt, dass die Vereinigung ‚Freie Deutsche Jugend' gemäss Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verboten ist.“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/3ba05f9c-3ecf-4545-b965-58812b91661f?searchId=46180141, Textziffer 4 - 5; meine Hervorhebung)

Diesem Antrag – betreffs FDJ – gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem gerade zitierten Beschluss vom 16.07.1954 statt (ebd., Textziffer 23, 87).

Einen entsprechenden Verbotsantrag gegen die VVN stellte die Bundesregierung mit Schriftsatz vom 20.10.1959. Dieser war in der Kabinettssitzung am 16. September besprochen und gebilligt worden.

Allein schon bis 1959 (das Vereinsgesetz trat – wie schon gesagt – erst 1964 in Kraft) wurden auf Landes- oder Regierungsbezirks-Ebene 18 KPD-nahe Vereinigungen verboten.24 Eine Liste aller 327 zwischen Gründung der Bundesrepublik (de facto zwischen dem Jahr 1951) und in Kraft treten des Vereinsgesetzes von 1964 verfügten Vereinsverbote findet sich im Gemeinsamen Ministerialblatt 1966, 1 - 26. (Die Zahl ist u.a. deshalb so hoch, weil die Verbote – wie gesagt – zumeist auf Landes- oder auch nur Regierungsbezirksebene ausgesprochen wurden und demgemäss pro Verein mehrfach ausgesprochen werden ‚mussten'.)

These 6: Der Versuch, die ursprüngliche innenministerielle Gleichsetzung von Medium und Mediums-HerausgeberInnen zu übernehmen und nur die rechtliche Bewertung umzukehren, war ein Fehler.

Man hatte sich darauf verlassen, dass Medienorganisationen vom Grundgesetz geschützt sind (Pressefreiheit); was sich als fataler Fehler herausgestellt hat. Und dadurch, dass man aus strafrechtlichen Gründen auch noch die Zugehörigkeit zum BetreiberInnenkreis nicht bekennen wollte, hatte man sich auch noch den verwaltungsrechtlichen Klageweg selber abgeschnitten. Und dann hat man auch noch beim BVerfG Beschwerde erhoben wegen der Verbotsverfügung, während es in Wirklichkeit darum hätte gehen müssen, Grundrechtsverstösse im Verwaltungsgerichtsverfahren zu prüfen.25 Viel unglücklicher kann es doch kaum laufen, oder?!

These 7: Die bürgerlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das ‚linksunten-Verbot' waren von einem völlig undurchdachten Vorgehen geprägt

Es hätte von Anfang einer klaren Festlegung bedurft, wie man auf das Verbot reagieren will. Verwaltungsgerichtsverfahren und nicht Nicht-Zugehörigkeit zum organisatorischen Zusammenhang schliessen sich jedenfalls aus. Im übrigen hätte man nicht den AnwältInnen die öffentlichen Statements überlassen dürfen, sondern das hätten die Medienaktivisten selbst machen müssen. Und dann hätte man mit einer klugen und argumentativen Öffentlichkeitsarbeit eine breite Solibewegung aufbauen können, die über den Kreis der ‚üblichen Verdächtigen' hätte hinausreichen können. Vielleicht hätten sogar linksliberale und reformistische Kräfte ihre Stimme erhoben. (Wegen Radio Dreyeckland stellte jetzt immerhin ein FDP-Abgeordneter eine Anfrage im baden-württembergischen Landtag und eine Grünen Abgeordnete verbreitete eine Presseerklärung.26)

These 8: Die linke Niederlage in dieser Auseinandersetzung war in erster Linie selbstverschuldet.

Es ist nicht garantiert, dass es mit einer besseren Strategie und Taktik erfolgreicher ausgegangen wäre. Aber zumindest wäre es sicher möglich gewesen, eine breitere Öffentlichkeit für dieses Thema zu interessieren. Die Reaktionen in den Medien nach G20 waren zwar von einer deutlichen Hysterie gegen ‚linke Gewalt' geprägt, aber mit einer politisch und juristisch fundierteren Gegenkampagne wäre es unter Umständen möglich gewesen, dieser Hysterie ein bisschen Wind aus den Segeln zu nehmen. Und wenn man auch noch Bündnispartner aus Spektren hätte gewinnen können, die deutlich über die autonom-basisaktivistische Szene hinausgereicht hätte, hätte der Druck verstärkt werden können, eine juristische Klärung herbeizuführen, die eher im ‚linken Sinne' gewesen wäre. Und dieser Bedarf einer Klärung besteht schon deshalb mit einer gewissen Dringlichkeit, weil das linksunten-Verbot ein Damoklesschwert für alle Medienschaffenden darstellt!

Achim Schill

Anhang:

Der damalige § 129a StGB hatte inhaltlich nichts mit dem 1976 neu geführten § 129a StGB über Terroristische Vereinigungen zu tun. Von in 1951 bis 1964 lautete § 129a StGB:

„(1) Hat das Bundesverwaltungsgericht oder das oberste Verwaltungsgericht eines Landes festgestellt, dass eine Vereinigung gemäss Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist, so wird jeder, der die Vereinigung fortführt, den organisatorischen Zusammenhalt auf andere Weise weiter aufrechterhält, sich an ihr als Mitglied beteiligt oder sie sonst unterstützt, mit Gefängnis bestraft, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. (2) § 129 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auf Antrag der Bundesregierung, das oberste Verwaltungsgericht eines Landes auf Antrag der Landesregierung.“27
Von 1964 bis 1976 war § 129a StGB nicht mit Inhalt belegt.28 Von 1951 bis 1964 gab es es – neben dem damaligen § 129a StGB – den § 90a StGB29 und von 1964 bis 1968 den § 90b StGB30, der eine Bestrafung unabhängig von einem vorhergehenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorsah. Seit 1964 ist aber vor der Strafbarkeit immerhin ein exekutives Verbot erforderlich, das dann vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten werden kann. Mit der gewissen Liberalisierung des Politischen Strafrechts 1968 trat dann an Stelle des § 90b StGB der § 85 StGB31, der – mit mehreren seitdem erfolgten Änderungen auch heute noch gilt32 und für das aktuelle Ermittlungsverfahren gegen zwei Redakteure von Radio Dreyeckland herangezogen wurde.


Fussnoten:

1 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html / https://web.archive.org/web/20170825104801/https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html 2 Siehe u.a.: • Rechtsstaat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie?: https://swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_NETWORK/6hf36h/alma991108234039705501 • Politisierung und Ent-Politisierung als performative Praxis: https://swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_NETWORK/6hf36h/alma991123628309705501 (darin ein Beitrag von dgs zum Thema: „Überlegungen zu einer antiessentialistischen Reformulierung des Verrechtlichungs-Begriffs“).

3 In der BRD gibt es einerseits ein zivilrechtliches Vereinsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und andererseits ein öffentliches (verwaltungsrechtliches) Vereinsrecht (im Vereinsgesetz); letzteres ist für Vereinsverbote und anderes Vorgehen der öffentlichen Verwaltung gegen Vereine von Bedeutung.

4 Siehe zur KommunistInnen-Verfolgung in der BRD der 1950er und 1960 Jahre u.a.: Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968: https://swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_NETWORK/6hf36h/alma991045865549705501

5 Auch in dem von der Roten Hilfe kurz nach dem Verbot initiierten Aufruf „Gegen die Kriminalisierung linker Medien!“ hiess es pauschal: Es „wurde kurzerhand ein Verein konstruiert, der hinter linksunten.indymedia stecke und so verboten werden konnte. […]. Hinter jeder Internetseite u.a. kann ein Verein konstruiert werden“ (https://rote-hilfe.de/77-news/837-linksunten Das Vereinsgesetz und der dortige weite Vereinsbegriff als (zumindest vom Bundesinnenministerium [BMI] beanspruchte) Rechtsgrundlage wurde gar nicht erst erwähnt (sich mit ihm und dessen Auslegung durch das BMI also nicht kritisch auseinandergesetzt), und das Wort „konstruiert“ schaffte mehr Verwirrung als Klarheit: • Das „konstruiert“ kann einmal in etwa im Sinne von ‚freie erfunden' (‚es wurden Beweis gefälscht' o.ä.) verstanden werden. Aber das ist im Falle „linksunten“ nicht geschehen.
• Das „konstruiert“ kann aber auch – vorsichtiger – im Sinne von ‚fragwürdige juristische Konstruktion / falsche Rechtsauffassung' verstanden werden. Warum ist der Unterschied wichtig? Aus folgendem Grund:
• Auch nach dem weiten Vereinsbegriff des Vereinsbegriffs sind zumindest mehrere Leute nötig, um von einem „Verein“ sprechen zu können. Dass es möglich sei, auch eine Einzelperson zu einem „Verein“ zu erklären, um damit einer von dieser Einzelpersonen betriebenen Webseite den Garaus zu machen, behauptet auch das deutsche Innenministerium nicht. • Eine ganz andere Sache wäre: Es gibt nur eine einzige natürliche Person als BetreiberIn und das Innenministerium
erfindet einfach drei Mit-BetreiberInnen hinzu. So aber verhielt es sich im Falle von linksunten nicht. Es ist ganz klar, dass der Umfang von technischen und moderatorischen Aufgaben, die für den Betrieb von linksunten.indymedia zu erledigen war, ein gewisse Anzahl von Leute erforderte und nicht allein oder zu zweit hätte bewältigt werden können.

6 „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmässige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html

7 „Aus juristischer Perspektive betrachtet ist das Verbot von Indymedia linksunten zweifelsfrei auf Sand gebaut.“ (Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V., Die Auseinandersetzung auch politisch führen, in: Rote Hilfe e.V. [Hg.], Verboten! Zur Kriminalisierung von Indymedia linksunten, Göttingen, 2018 [12 - 15 ‹12›]) Später heisst es dann in dem Text zwar unter anderem auch: „Die Gesetzesgrundlagen wurden […] von dem staatlichen Apparat erlassen, der darauf abzielt, die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten.“ Aber wie beide Behauptungen zusammenpassen sollen, wird den LeserInnen nicht erklärt.
Auch wenn sich beide zitierten Sätze irgendwie widerspruchsfrei verbinden lassen sollten, bliebe trotzdem als entscheidendes Problem: Der erste Satz war unzutreffend. Es war und ist zwar möglich, das Verbot juristisch zu kritisieren – dies hätte dann allerdings auch (sorgfältig) getan und nicht nur postuliert werden müssen. Aber juristisch war das Verbot von Anfang nicht „auf Sand gebaut“; das Innenministerium hat(te) juristische Argumente, die nicht einfach lächerlich waren. These wie „zweifelsfrei auf Sand gebaut“ produzieren Rechtsillusionen fernab der Wirklichkeit.

8 Siehe zu dieser https://de.wikipedia.org/wiki/Radikal_(Zeitschrift sowie https://www.nadir.org/nadir/archiv/Medien/Zeitschriften/radikal/20jahre/

9 wie Johannes Agnoli (Zwanzig Jahre danach Kommemorativabhandlung zur „Transformation der Demokratie“, in: Prokla H. 62, März 1986, 7 - 40 [7]) mal Karl Marx als Statement zuschrieb.

10 „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“ – Entscheidend ist hier das Wort „seinen“, womit StellvertreterInnenklage für Dritte nicht von der Garantie umfasst sind.

11 „Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“ – Wiederum ist das „seinen“ (vor „Rechten“) das entscheidende Wort.

12 „Aus den uns bislang vorliegenden Unterlagen ist nicht ersichtlich, […] was die Betroffenen der Durchsuchungen damit zu tun haben sollen“ (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1062169.indymedia-betreiber-klagen-vor-bundesgericht-gegen-behoerden.html

13 Zwar würde ein neuer linksunten-HerausgeberInnenkreis in dem Risiko stehen, als sog. „Ersatzorganisation“ klassifiziert zu werden, aber jedenfalls bis zu einer solchen Klassifizierung wäre die Mitgliedschaft in der (vermeintlichen) „Ersatzorganisation“ als solche nicht strafbar. – Es gibt weitere juristischen Risiken; aber wie mit diesen umgegangen werden soll, wäre vor allem politisch zu diskutieren.

14 http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html

15 Die Wikipedia nennt den SPD-Generalsekretär Kevin Künert als Herausgeber (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vorw%C3%A4rts_(Deutschland)&oldid=231124276 – Falls die Wikipedia Recht hat – ob das wohl Vorsicht vor einem Verbot ist? ;-)

16 Dass es gemäss § 2 des deutschen Vereinsgesetzes nicht auf die Rechtsform ankommt, bedeutet, dass auch unternehmensrechtliche Gesellschaften in den öffentlich-rechtlichen Vereins-Begriff eingeschlossen sind (so spricht § 17 Vereinsgesetz ausdrücklich von „Wirtschaftsvereinigungen“).

17 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf S. 38 f. Siehe auch • https://linksunten.indymedia.org/archiv/accounts/index.html und • den dort genannten account „IMC linksunten“ mit einer Liste der Artikel, die mittels dieses accounts gepostet wurden.

18 Siehe dazu: • „Begründet wurde das polizeistaatliche Vorgehen mit hahnebüchenen Floskeln, ermöglicht durch einen vereinsrechtlichen Kopfstand: linksunten wurde kurzerhand zu einem Verein erklärt. Dabei ist das widerliche Manöver so leicht zu durchschauen: Rache für die Riots während dem G20-Gipfel im Juni in Hamburg und ...Wahlkampf.“ (Jetzt erst recht: „Wir sind alle linksunten.indymedia!“, in: de.indymedia vom 11.09.2017; https://de.indymedia.org/node/13855
• „Für die Aufsicht der Medien wäre jedoch nicht der sich im Wahlkampf befindende Bundesinnenminister zuständig, sondern die einzelnen Medienanstalten der Bundesländer.“ (Verbot von linksunten – Update und Ausblick, in: de.indymedia vom 16.06.2018; https://de.indymedia.org/node/21948 [„Auf Basis der Veranstaltung ‚Pressefreiheit ausgehebelt – Zum Verbot von linksunten.indymedia' mit Rechtanwältin Kristin Pietrzyk wird ein Update und Ausblick zum Verbot von linksunten gegeben.“])
• Auch in dem schon erwähnten Aufruf „Gegen die Kriminalisierung linker Medien!“ war von einem „nach rechts offene Wahlkampfkalkül eines Ministers“ die Rede.

19 Am Ende des Textes der Presseerklärung hiess es dann etwas genauer (aber auch nicht zutreffend): „Es ist das erste Verbot einer linksextremistischen Vereinigung durch einen Bundesinnenminister.“ (meine Hervorhebung)

20 http://kunsthalle.kunsthochschule-berlin.de/wofuer/

21 Am 28.12.2017 hatte sie dagegen beim Kongress des Chaos Computer Clubs präziser von „erste[s] Verbot eines Vereins, der nicht eingetragen war und dem linksradikalen Spektrum zugeordnet wurde, den das BMI jemals erlassen hat (https://media.ccc.de/v/34c3-8955-all_computers_are_beschlagnahmt#t=402 Min. 6:42 bis Min. 6:49), gesprochen. Ob dies zutrifft, ist allerdings auch fraglich, denn Deres (in: Verwaltungsrundschau 1992, 421 - 431 [430]) nennt bei manchen verbotenen Vereinen den Zusatz „e.V.“, bei GUPS, GUPA und DevSol (siehe folgende Fussnote 22) aber nicht. Auch im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.07.1994 zum Aktenzeichen 1 VR 10.93 wegen FEYKA (siehe ebd.) ist ebenfalls keine Eintragung erwähnt. (Auch im Gemeinsamen Ministerialblatt 1966, 1 - 26, das die Verbote bis zum Inkraftreten des Vereinsgesetzes – damit vor Verbotszuständigkeit des BMI nennt – ist nur teilweise der Zusatz e.V. genannt, wobei bei den KPD-nahen Vereinen aber anzunehmen ist, dass sie irgendeine Art von formeller Struktur hatten.)

22 Die Generalunionen Palästinensischer Studenten und Arbeiter (GUPS und GUPA) wurden 1972 und 1973 in der BRD verboten und als inländische Vereinigungen von AusländerInnen (§ 14 VereinsG im Unterschied zu § 15 VereinsG, der sich mit ausländischen Vereinen befasst, deren Organisation und Tätigkeit sich auf Deutschland erstreckt) klassifiziert wurden (Deres, in: Verwaltungsrundschau 1992, 421 - 431 [430 ‹Nr. 4: GUPS; Nr. 5 GUPA›].
Auch die Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland (FEYKA), deren Verbot 1993 verfügt wurde, wurde als Verein i.S.v. § 14 VereinsG klassifiziert („Der Ast. [= Antragsteller – und zwar eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz gegen das Verbot] ist ein Ausländerverein i.S. des § 14 I VereinsG.“ (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.07.1994 zum Aktenzeichen BVerwG 1 VR 10.93 in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 587 - 590 [587; https://research.wolterskluwer-online.de/document/d1f06084-0885-4434-bd48-4e5c9fa82d2b Textziffer 8]).
Laut Löwer (in: Münch/Kunig, Grundgesetz. Bd. 1, 20126, S. 842) wurden von Inkraftreten des Vereinsgesetzes (1964) bis Erscheinen des Kommentars 107 Vereinigungen auf Bundesebene und 78 auf Landesebene verboten, darunter auf Bundesebene 86 ausländische Vereine, die von Löwer nicht nach „rechts-“ und „linksextremistisch“ ausdifferenziert werden, sowie auf auf Bundesebene 4 und auf Landesebene 1 „linksextremistische“ Vereinigung, was sog. „Ausländervereine“ einschliesst. Das eine Verbot auf Landesebene ist das hier im Artikel weiter unten erwähnte Verbot des SDS Heidelberg (s. Fussnote 23); die vier Verbote auf Bundesebene sind die drei vorgenannten und ein weiteres Verbot. Anzunehmen ist, dass Löwer das 1983 verfügte Verbot von DevSol (bei Deres, a.a.O., S. 431 [Nr. 10]) als Verbot einer „linksextremistischen“ Vereinigung klassifizierte.
Unter den von Löwer genannten 86 ausländische Vereine befinden sich weitere „linksextremistische“ Vereinigungen, darunter der kurdische Fernsehsender Roj TV mit Sitz in Dänemark (s. dazu den Artikel von dgs vom 13.06.2019: https://de.indymedia.org/sites/default/files/2019/06/Kein_blosses_Schreckgespenst--FIN.pdf S. 4 unten bis S. 6 oben).

23 Siehe: • Verfügung des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 24. Juni 1970. Verbot und Auflösung der Hochschulgruppe Heidelberg des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, in: Kritische Justiz 1970, 345 - 348; anschliessend bis S. 350 Anmerkungen dazu aus: Sonder-Info des AStA Heidelberg vom 29. 6.1970; https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0023-4834-1970-3-345/verfuegung-vom-24-06-1970-anmerkung-aus-sonder-info-des-asta-heidelberg-vom-29-06-1970-jahrgang-3-1970-heft-3?page=0 und dazu: • Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5.8.1970, in: Kritische Justiz 1970, 351 - 359; https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0023-4834-1970-3-351/beschluss-vom-05-08-1970-jahrgang-3-1970-heft-3?page=0

24 1. Freie Deutsche Jugend (FDJ); 2. Nationale Front (NF); 3. Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft (GDSF); 4. Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFBD); 5. Westdeutscher Flüchtlingskongress (WFLK); 6. Zentralrat zum Schutz demokratischer Rechte (ZR); 7. Sozialistische Aktion (SDA); 8. Komitee für Einheit und Freiheit im deutschen Sport; 9. Gesamtdeutscher Arbeitskreis für Land- und Fortwirtschaft (GALF); 10. Demokratischer Kulturbund Deutschland (DKBD); 11. Deutsches Arbeiterkomitee (DAK); 12. Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ); 13. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN); 14. Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland (FKdBD); 15. Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB); 16. Einheitsverband der Kriegsgeschädigten; 17. Ausschuss für Rettung der Pfalz; 18. Tatgemeinschaft Frieden und Einheit (Hans Kluth, Die KPD in der Bundesrepublik. Ihre politische Tätigkeit und Organisation von 1945 – 1956, Westdeutscher Verlag: Köln/Opladen, 1959, 131 f.). Die teilweise kuriosen Namen erklären sich aus der damaligen gesamtdeutsch-neutralistischen politischen Orientierung der KPD.

25 Dass Bundesverwaltungsgericht hatte seinerseits nicht gesagt, dass die Verbotsverfügung vollständig rechtmässig sei, sondern sah sich durch den Umstand, dass nicht der alte BetreiberInnenkreis als Kollektiv, sondern die einzelnen AdressatInnen der Verbotsverfügung geklagt hatten, daran gehindert, zu prüfen, ob die Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz im Fall linksunten vorlagen. In der Verfassungsbeschwerde hätte daher dargelegt werden müssen, warum es verfassungswidrig ist, dass das Bundesverwaltungsgericht es als notwendig ansieht, dass die jeweils verbotenen Vereine als Kollektive klagen.

26 „Auch im Landtag von Baden-Württemberg scheint es Zweifel zu geben, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft so in Ordnung war. Catherine Kern, medienpolitische Sprecherin der grünen Fraktion, kündigt an, dass sie den Fall genau verfolgen werde: […]. Fragen hat auch der FDP-Abgeordnete Nico Weinmann, der sicher nicht im Verdacht steht, mit ‚linksunten.indymedia' zu sympathisieren.“ (Kontext: Wochenzeitung vom 22.03.2023; vgl. https://www.gruene-landtag-bw.de/presse/aktuelles/kern-aufklaerung-der-vorgaenge-muss-zuegig-kommen/ sowie https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Drucksachen/3000/17_3558_D.pdf S. 2, https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Plp/17_0057_02022023.pdf S. 3431 bzw. 47 und https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Drucksachen/4000/17_4115.pdf

27 https://web.archive.org/web/20230131001643/https://lexetius.de/StGB/129a,12 / http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl151s0739b.pdf S. 744.

28 https://web.archive.org/save/https://lexetius.de/StGB/129a,11

29 https://web.archive.org/web/20230325184223/https://lexetius.de/StGB/90a,8 / https://web.archive.org/web/20230325153002/https://lexetius.de/StGB/90a,7 (1961 - 1964).

30 https://web.archive.org/web/20230131001643/https://lexetius.de/StGB/90b

31 https://web.archive.org/web/20230131001643/https://lexetius.de/StGB/85

32 http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html