einen der linken Szene zuzuordnenden politischen Aktivisten
einordnet, konnte durch die Vernehmung von KHK Schwaab in der
Beweisaufnahme am 18.04.2024 gewonnen werden. So ergibt sich aus dem
als Vorhalt an den Zeugen eingeführten Durchsuchungsbericht vom
17.01.2023, dass der Angeklagte in seiner spontanen Reaktion
gegenüber den Ermittlungsbeamten mit der Ankündigung einer
‚bundesweiten Reaktion der linken Szene' reagierte (Bl. 241, Band
I der Hauptakte). Das in dieser Ankündigung zum Ausdruck kommende
Selbstverständnis des Angeklagten ist bei der Vornahme einer /6/
Güterabwägung zu berücksichtigen: Es verdeutlicht, dass der
Angeklagte sich nicht auf eine blosse journalistische Einordnung
der verbotenen Vereinigung als solches beschränkt, sondern dass
er auch die in der Verbotsverfügung vom 14.08.2017 aufgezählten
strafbaren Inhalte der Internetseite des Vereins durch seine
Verlinkung weiterverbreitet ohne diese journalistisch einzuordnen <1.“ (Hv. hinzugefügt)
Jetzt geht es nicht mehr nur darum, ob Kienert das schreiben durfte, was er
in seinem Artikel schrieb, und ob er dabei auch das Archiv von
linksunten.indymedia verlinken durfte. Vielmehr geht es jetzt
darum, dass die Staatsanwaltschaft – vielleicht nicht wirklich
ernsthaft, sondern nur aus der Not heraus, dass ihre Anklage in der
bisherigen mündlichen Verhandlung an allen Ecken und Enden
zusammengebrochen ist (Hält
nicht einmal mehr die Polizei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe die
Stange? vom 26.04. und Leerer
Beweis-Beutel? vom 02.05.2024) – ein bestimmtes normatives
Bild, was Presse zu sein hat, zu definieren und mit den Mitteln der
Strafjustiz durchzusetzen versucht:
‚Echte' JournalistInnen dürfen nicht daneben auch linke
AktivistInnen sein.
Sie dürfen nicht einmal frei kommentieren, sondern müssen sich auf
das blosse ‚Einordnen' – also Kontextualisieren –
dessen, was ist, beschränken.
Und sie dürfen nicht einmal prognostizieren, dass eine Durchsuchung
bei einem linken Radiosender Reaktionen der linken Szene
hervorruft.
(1/1842 -
3/1843), die von der liberalen rheinischen Bourgeoisie finanziert
wurde und deren Chefredakteur der ganz junge Karl Marx war, der zu
diesem Zeitpunkt weder (politisch) Kommunist noch
(theoretisch) historischer Materialist war, den Pressestatus
abgesprochen, weil sie ‚aktivistisch' gegen die absolutistische
Monarchie war und sich nicht auf ‚Einordnen' beschränkte.
Noch
gefährlicher als jener plumpe Vorstoss der Karlsruhe
Staatsanwaltschaft ist freilich die Reaktion des Vorsitzenden
der Karlsruher Landgerichts-Kammer, vor der sich Kienert wegen seines
Artikels verantworten muss.
Auch das Landgericht prüfte Kienerts berufliches Selbstverständnis – und erteilte ein gefährliches Kompliment
Richter Heim wies nicht etwa den Versuch der Staatsanwaltschaft Karlsruhe,die ‚gute' Presse ins Töpfen und die schlechte Presse ins
Kröpfchen zu sortieren, frontal als unvereinbar mit der
Pressefreiheit zurück, sondern bescheinigte Kienert mit ins
Töpfchen zu gehören, wie Minh Schredle am Mittwoch in Kontext:
Wochenzeitung berichtete:
„Laut Heim [Vorsitzender der
Landgerichtskammer, vor der der Prozess stattfindet] würden
sich die Ausführungen der Staatsanwaltschaft ‚an der Grenze zum
Ehrabschneidenden' bewegen, er halte sie für ‚rechtlich
problematisch'. Die Kammer habe sich veranlasst gesehen, Kienerts
Berufsbild zu prüfen und komme zum Ergebnis, dass dieses
‚primär journalistisch' sei. Entsprechend gebe es auch keinen
Anlass, die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte
Pressefreiheit für ihn weniger stark zu berücksichtigen – so
wie es Graulich in seinem Beweisantrag fordert.“
(https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/686/staatsanwalt-hat-sich-verhoert-9552.html)
Klar
– es ist schwierig, dieses Kompliment, mit ins Töpfen zu gehören,
zurückzuweisen. Aber die Verteidigung der Pressefreiheit
erfordert, schon einen derartigen staatlichen Sortiervorgang –
eine solche staatliche Diskriminierung (Absonderung)2 der ‚guten' von der ‚schlechten' Presse – zurückzuweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat in hellen Momenten entschieden:
„Unbeschadet einer
noch zu erörternden Besonderheit des Rundfunkwesens gehört der
Rundfunk ebenso wie die Presse zu den unentbehrlichen modernen
Massenkommunikationsmitteln, durch die Einfluss auf die
öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung
mitgebildet wird. Der Rundfunk ist mehr als nur ‚Medium' der
öffentlichen Meinungsbildung; er ist ein eminenter ‚Faktor' der
öffentlichen Meinungsbildung. Diese Mitwirkung an der öffentlichen
Meinungsbildung beschränkt sich keineswegs auf die
Nachrichtensendungen, politischen Kommentare, Sendereihen über
politische Probleme der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft;
Meinungsbildung geschieht ebenso in Hörspielen, musikalischen
Darbietungen, Übertragungen kabarettistischer Programme bis hinein
in die szenische Gestaltung einer Darbietung. Jedes
Rundfunkprogramm wird durch die Auswahl und Gestaltung der
Sendungen eine gewisse Tendenz haben, insbesondere soweit es um
die Entscheidung darüber geht, was nicht gesendet werden soll, was
die Hörer nicht zu interessieren braucht, was ohne Schaden für die
öffentliche Meinungsbildung vernachlässigt werden kann, und
wie das Gesendete geformt und gesagt werden soll. Bei solcher
Betrachtung wird deutlich, dass für den Rundfunk als einem neben
der Presse stehenden, mindestens gleich bedeutsamen, unentbehrlichen
modernen Massenkommunikationsmittel und Faktor der öffentlichen
Meinungsbildung die institutionelle Freiheit nicht weniger
wichtig ist als für die Presse. In Art. 5 GG kommt das eindeutig zum
Ausdruck, wenn Abs. 1 Satz 2 neben der Pressefreiheit ‚die Freiheit
der Berichterstattung durch Rundfunk und Film' gewährleistet.“
(BVerfGE 12, 205 - 264 [260 f.,
DFR-Textziffer
179] – Erste Rundfunkentscheidung; Hv. hinzugefügt)
Eben
deshalb darf es in der Bundesrepublik nur öffentlich-rechtlichen und
privaten, aber keinen Staatsrundfunk geben.
Auch
für die Presse gilt:
„Die Presse […] beschafft die
Informationen [und] nimmt selbst dazu Stellung“.
(BVerfGE 20, 162 – 230 [174 f.;
DFR-Textziffer
35] – Spiegel-Affäre)
„Wenn sich der Staat […], […], zu Förderungsmassnahmen für die Presse entschliesst, […],
verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, dass jede Einflussnahme auf Inhalt
und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrungen des
publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden.
Staatliche Förderungen dürfen bestimmte Meinungen oder
Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen. Art. 5
Abs. 1 Satz 2 GG begründet im Förderungsbereich für den Staat
vielmehr eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede
Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Dieser
Neutralitätspflicht des Staates entspricht auf seiten des Trägers
der Pressefreiheit ein subjektives Abwehrrecht gegen die mit
staatlichen Förderungsmassnahmen etwa verbundenen inhaltslenkenden
Wirkungen sowie ein Anspruch auf Gleichbehandlung im
publizistischen Wettbewerb.“
(BVerfGE 80, 124 - 137 [133 f.,
DFR-Textziffer
27]
– Postzeitungsdienst; Hv. hinzugefügt)
„Der Begriff ‚Presse' ist weit und
formal auszulegen; er kann nicht von einer – an welchen Massstäben
auch immer ausgerichteten – Bewertung des einzelnen
Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Die Pressefreiheit ist
nicht auf die ‚seriöse' Presse beschränkt (Maunz-Dürig-Herzog,
Grundgesetz, Art. 5 Rdnr. 128 f.; vgl. auch BVerfGE 25, 296 [397 <3>]
und – für den Rundfunk – BVerfGE 12, 205 [260]).“
(BVerfGE 34, 269 - 293 [383, DFR-Tz. 31] – Soraya4.
Entsprechend
hat auch das Bundesverwaltungsgericht (für die staatliche
Auskunftserteilung an die Presse) entschieden:
„Zutreffend
sind die vorinstanzlichen Entscheidungen davon ausgegangen, dass
allen Gerichten, somit auch den Instanzgerichten der
Finanzgerichtsbarkeit, kraft Bundesverfassungsrechts die Aufgabe
obliegt, die Entscheidungen ihrer Spruchkörper der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. […].
Bei der Erfüllung dieses Verfassungsauftrages hat die
Gerichtsverwaltung – wie jede Verwaltung – die
öffentlich-rechtlichen Bindungen zu beachten, denen jegliches
Verwaltungshandeln unterliegt. Dazu gehört hier insbesondere
die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den
Herausgebern von Presseerzeugnissen, die untereinander im
publizistischen Wettbewerb stehen, einschliesslich der Verpflichtung,
diese strikt gleichzubehandeln (BVerfGE 80, 124, 133 f.).“
[BVerwG, Urteil
vom 26.02.1997 zum Aktenzeichen 6 C 3.96, Abschnitt II. 2. b) vor
aa); Hv. hinzugefügt]
An Artikel 3
Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz
gibt es wenig misszuverstehen: „Niemand darf wegen […] seiner […]
politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Ausnahmen von dieser staatlichen Neutralitätspflicht und vom Schutz des
gesellschaftlichen Pluralismus stellen freilich die Artikel 9
Absatz 2 (Vereinsverbote 5),
18 (Grundrechtsverwirkung <6)
sowie 21 Absatz 2 bis 4 Grundgesetz (Parteiverbot
und Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung <7)
dar.
Diese bilden allerdings auch zusammen kein vermehrungsfähiges
„Prinzip“ der undemokratischen „wehrhaften Demokratie“,
wie die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts in seinen vielen
unhellen Momenten meint, sondern es handelt sich um einzelne Ausnahme
(spezifische Rechtsfolgen), die unter ganze bestimmten Bedingungen
(spezifischen Tatbestandvoraussetzungen) Einschränkung der
bürgerlich-demokratischen Freiheit und Gleichheit zulassen:
„mit diesem [Diskriminierungs-]Verbot
[des Artikel 3 Absatz 3 GG] ist es unvereinbar, den Zugang zum
freien Anwaltsberuf wegen einer jedermann gestatteten Kritik an der
verfassungsmässigen Ordnung oder Zugehörigkeit zu einer nicht
verbotenen Partei zu behindern. Gemäss Art. 3 Abs. 3 GG […] darf
‚niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt
oder bevorzugt werden'. […]. Volle Geltungskraft beansprucht das
Diskriminierungsverbot jedenfalls überall dort, wo die Verfassung
Benachteiligungen wegen politischer Überzeugungen ihrerseits
nicht abdeckt. Das gilt namentlich für die staatliche Regelung
freiberuflicher Tätigkeiten.8 Hier finden politische Aktivitäten ihre Schranken lediglich in den
für jedermann geltenden (verfassungskonformen) allgemeinen Gesetzen,
durch Verwirkung von Grundrechten gemäss Art. 18 GG und als Folge
von Parteiverboten gemäss Art. 21 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 39,
334 [373 <9]).
Die Bedeutung des Diskriminierungsverbots
wird verfehlt, wenn sein Schutz auf das blosse Haben einer
politischen Überzeugung reduziert und das Äussern und Betätigen
dieser Überzeugung allein nach anderen Massstäben beurteilt wird
(so aber BVerfGE 39, 334 [368 10]).
Damit wird das Gebot für seine praktische Anwendung völlig
entleert und jedenfalls das Gegenteil von der gebotenen
Effektuierung des Grundrechtsschutzes bewirkt. Denn eine blosse
Überzeugung, die nicht nach aussen tritt, bedarf keines rechtlichen
Schutzes. […].
Diese verfassungsrechtliche Beurteilung des Diskriminierungsverbots wird erhärtet, wenn der bislang
wenig beachtete Umstand berücksichtigt wird, dass die
Verfassungsväter die Aufnahme der Sondervorschrift des Art. 139
GG für erforderlich gehalten haben, wonach die
Entnazifizierungsvorschriften von den Bestimmungen des
Grundgesetzes nicht berührt werden. Durch diese ausdrückliche
Statuierung einer eng umgrenzten Ausnahme vom allgemeinen
Diskriminierungsverbot wird dessen grundsätzliche Geltungskraft
noch unterstrichen. Die Aufnahme dieser Ausnahmevorschrift in das
Grundgesetz legt jedenfalls die Annahme nahe, dass
Benachteiligungen wegen anderer politischer Gesinnungen und
Betätigungen nach den Vorstellungen der Verfassungsväter unzulässig
sein sollten, soweit nicht die Verfassung zu ihrem Schutz die im
folgenden Abschnitt erörterten besonderen Regelungen vorgesehen hat.
Zu einer anderen Beurteilung nötigt
nicht etwa die vielfach zitierte Grundentscheidung des
Grundgesetzes für eine ‚streitbare Demokratie'.
Der Begriff der
streitbaren Demokratie beruht auf der Zusammenschau mehrerer Normen
des Grundgesetzes (insbesondere Art. 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs.
2 und 28 Abs. 3 GG). Aus ihnen wird hergeleitet, dass das Grundgesetz
die neu konstituierte Demokratie nicht ungeschützt ihren Feinden
ausliefern will (vgl. etwa BVerfGE 5, 85 [139]; 13, 46 [49 f.]; 25,
88 [100]; 28, 36 [48 f.]; 28, 51 [54 f.]; 30, 1 [19] mit abw. Meinung
von Geller, Schlabrendorff und Rupp S. 45 ff.; 39, 349 [368 f.];
Überblick bei A. Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung
für die streitbare Demokratie, 1982, S. 11 ff. und S. 66 ff.).
Während in den meisten einschlägigen Entscheidungen lediglich
die massgeblichen Grundgesetzvorschriften aufgezählt werden,
wird im Abhör-Urteil (BVerfGE 30, 1 [19 f.]) und insbesondere im
Radikalen-Beschluss (BVerfGE 39, 334 [349]) darüber hinaus kurz
ausgeführt, das Grundgesetz habe dem Staat die Aufgabe übertragen,
die zentralen Grundwerte, für die es sich entscheide, zu
sichern und zu gewährleisten; zugleich treffe es Vorkehrungen
gegen ihre Bedrohung und institutionalisiere besondere Verfahren
zur Abwehr von Angriffen auf die verfassungsmässige Ordnung.
[…].
Verfassungsrechtlich bedarf es […] der Klärung, ob und inwieweit der Grundentscheidung für die
streitbare Demokratie eine selbständige rechtliche Tragweite
zukommt, ob also aus ihr weitergehende Massnahmen hergeleitet werden
dürfen als aus den dem Begriff zugrunde liegenden Grundrechtsnormen.
Diese Frage ist in der Literatur umstritten (vgl. die Darstellung bei
Sattler, a.a.O., S. 19 ff.). In den zitierten
verfassungsgerichtlichen Entscheidungen wird der Begriff im
wesentlichen im Zusammenhang mit den einschlägigen
Verfassungsnormen zu deren Auslegung verwendet. Dem kann
zugestimmt werden. Ihm darüber hinaus noch eine weitergehende
rechtliche Tragweite beizumessen, erscheint hingegen bedenklich.
Jedenfalls ist der Begriff der streitbaren Demokratie weder
bestimmt noch geeignet, daraus weitergehende Einschränkungen
von Grundrechten herzuleiten als aus denjenigen Verfassungsnormen,
die diesem Begriff zugrunde liegen. Die Verfassung hat sich
unmissverständlich für ein grundsätzliches
Diskriminierungsverbot entschieden und alle Staatsorgane an die
Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Zugleich hat
sie selbst klare materiell- und verfahrensrechtliche Regelungen für
die Fälle vorgesehen, in denen die Grundrechtsgarantien hinter den
Massnahmen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung zurückzutreten haben. Es kann nicht statthaft
sein, diese Entscheidungen durch Heranziehung eines Begriffs
auszuhöhlen, dessen inhaltliche Unbestimmtheit es zulässt, ihn
jeweils unter dem Druck vermeintlicher Notwendigkeiten mit mancherlei
Inhalten anzureichern. Das muss gerade auch für den Bereich der
Berufsfreiheit gelten, der nach ständiger Rechtsprechung für die
Entfaltung des Einzelnen von hoher Bedeutung ist und der von einer
‚grundsätzlichen Freiheitsvermutung' bestimmt wird.“
(BVerfGE 63, 298 - 312 [302, 304 f., 308
f., 311] [abweichendes Votum von Richter Simon zu BVerfGE 63,
266 - 298]; Hv. hinzugefügt – Rechtsanwaltszulassung bei
KBW-Mitgliedschaft)
Die bürgerlich-demokratischen Freiheit und Gleichheit ist zwar weder der
Sozialismus noch gar der Kommunismus oder die Anarchie, aber sie
gilt es zu verteidigen, wenn die Pressefreiheit verteidigt werden
soll – nicht, darum zu buhlen, mit ins Töpfchen einsortiert
zu werden.
Die Versuchung des etatistischen und moralisierenden Antifaschismus
Damit sind wir bei „Versuchung des etatistischen und moralisierendenAntifaschismus“ angekommen: Denn in Zeiten queerdenkerischer
‚Alternativmedien' und rechtspopulistischer Propaganda ist die
Verlockerung gross, wenn die Chance besteht, mit der FAZ
und der tagesschau bei der ‚guten' Presse einsortiert zu
werden; und zivilgesellschaftlich ist ein solches punktuelles
antifaschistisches Bündnis von Freien Radios (vielleicht sogar
indymedia) bis Frankfurter Allgemeiner Zeitung auch richtig,
aber wenn anstelle selbst gewählter zivilgesellschaftlicher
Bündnisse (‚von unten') ein etatistischer Sortiervorgang (‚von
oben') tritt, dann kippt die Sache:
Jede Verbotsforderung – und sei sie noch so noch
antifaschistisch motiviert – ist unter Geltung des
totalitarismustheoretisch motivierten Konzepts der (nicht
liberalen11, sondern) „freiheitlichen, demokratischen Grundordnung“
Wasser auf die Mühlen der spätestens am Ende
auch (KPD- nach SRP-Verbot; linksunten-Verbot nach
altermedia-Verbot), wenn nicht sogar zuerst (Anwendung
des § 129a StGB ursprünglich auf linke Gruppen und erst in neuerer
Zeit auch auf rechte Gruppen) gegen links wirkenden staatlichen
Einschränkung des gesellschaftlichen Pluralismus. Jeder Moralismus („Faschismus [Rassismus, Homophobie,
Transphobie …] ist keine Meinung, sondern ein
Verbrechen“), der sich nicht um den Unterschied zwischen
Meinungen und Handlungen 12 (sowie zwischen gesellschaftlichen einerseits und staatlichen
andererseits Handlungen) schert, ist ideologische Vorarbeit für
die Parole „Linksextremismus ist keine Meinung, sondern ein
Verbrechen“.
Eine Antwort mit Courage
Als dem Kollegen Peter Nowak im vergangenen Jahr vom OberlandesgerichtStuttgart – im Gegensatz zu Fabian Kienert (in Bezug
auf dessen Artikel, über den gerade vor dem Landgericht
Karlsruhe gerade verhandelt wird) – bescheinigt wurde,
„sachlich über das Gesamtgeschehen und
die Standpunkte der Kritiker der [linksunten-]Verbotsverfügung
informiert“
(Beschlussvom
12.06.2023 zum Aktenzeichen
2 Ws 2/23, Textziffer 66)
zu
haben, wies
Nowak – wenn auch freundlich formuliert – die
Blumen zurück: „Ich selbst kann freilich keinen grossen
Unterschied zwischen dem Tenor meines Artikel[s] und dem Tenor des
Artikels des Kollegen Kienert erkennen.“
Ich
wünsche mir (viel mehr als „Wünschen“ bleibt Linken heutzutage
ja nicht übrig…), Kollege Kienert würde ähnlich darauf
antworten, dass die Staatsschutzkammer des Landgerichts
Karlsruhe „sich veranlasst gesehen [hat], Kienerts Berufsbild zu
prüfen“ und zum – freiheitlichen, aber nicht liberalen –
„Ergebnis [kam], dass dieses ‚primär journalistisch'
sei“. Liberale RichterInnen würden das Ansinnen von
StaatsanwältInnen, das „Berufsbild“ von JournalistInnen zu
prüfen, schroff zurückweisen.
Gerichte
sind – anders als der Presserat – nicht gesellschaftliche
Selbstverwaltung; und Gesetze sind – anders als der Pressekodex –
nicht Ethik, sondern Produkt und Voraussetzung der Ausübung von
Staatsgewalt.
„Solange
es einen Staat gibt, gibt es keine Freiheit. Wenn es Freiheit geben
wird, wird es keinen Staat geben.“ (LW
25, 393 - 507 [482] – Staat und Revolution)
Diese
Einsicht sollte freilich nicht dazu führen, zu verkennen, dass es
Graduierungen von Freiheit und Unfreiheit gibt:
„Wenn
Engels sagt, dass in einer demokratischen Republik der Staat ‚nicht
minder' als in der Monarchie eine ‚Maschine zur Unterdrückung
einer Klasse durch eine andre' bleibt, so bedeutet das durchaus
nicht, dass die Form der Unterdrückung dem Proletariat gleichgültig
sei, wie manche Anarchisten ‚lehren'. Eine breitere, freiere,
offenere Form des Klassenkampfes […] bedeutet für das Proletariat
eine riesige Erleichterung im Kampf um die Aufhebung der Klassen
überhaupt.“ (ebd., 467)



