Organisierung statt Befriedung Mietenkämpfen: Überlegungen zum Konzept einer Mieter*innengewerkschaft

Politik

Die gute Nachricht zuerst: es bewegt sich was in Berlin und anderswo. Genauer: Die Mieter*innen bewegen sich.

Der Eingang des SO36.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Der Eingang des SO36. Foto: Jajabis (CC BY-SA 2.0 cropped)

24. April 2018
1
0
8 min.
Drucken
Korrektur
Mittelpunkt des Geschehens ist dabei mal wieder Kreuzberg, also der Bezirk, der in Hinsicht auf Mietenkämpfe auf eine sehr bewegende Geschichte, teilweise immer noch auf Personal und Strukturen, ganz sicher aber auf einen kämpferischen Geist zurückgreifen kann. Die Kiezversammlungen, die die Initiative „Zwangsräumen verhindern“ alle paar Monate im SO36 veranstaltet, platzen aus allen Nähten.

Als das Café Filou und der Buchladen „Kisch & Co“ von der Räumung bedroht waren, wurden diese durch Protestaktionen der Nachbar*innen, Demos und neugegründete Initiativen gestoppt. Die neuen – wie Boss&U aus der Otto-Suhr-Siedlung – liessen sich von den „alten Hasen“ wie Kotti&Co, die mittlerweile seit fast sieben Jahren am Kottbusser Tor um ihre Häuser kämpfen, beraten.

Das Neue Kreuzberger Zentrum ging – mit viel Glück – nicht an einen privaten Investor, dort kämpft jetzt ein Mieter*innenrat um Selbstverwaltung, ein einmaliges Projekt im ehemaligen sozialen Wohnungsbau. Viele Häuser, die bereits vom Vorverkaufsrecht gebraucht gemacht haben und sich nun teilweise selbst verwalten, schliessen sich zusammen, um nicht unpolitisch zu werden und nur noch im Eigenheim-Saft zu schmoren.

Ausserhalb Kreuzbergs schliessen sich immer mehr Mieter*innen von Berlins grösstem Vermieter, der Deutschen Wohnen, zusammen und kämpfen gemeinsam gegen die Immobilien AG. Auch aus anderen Städten hört man Ähnliches. Verbunden sind all diese Menschen durch ihre gemeinsame Angst: Was, wenn meine Miete erhöht wird? Was mache ich, wenn ein Investor mein Haus kauft, wenn der Besitzer meiner Wohnung Eigenbedarf anmeldet, wenn meine Wohnung an eine Immobilien AG verscherbelt wird? Die Mieter*innen-Bewegung wächst in dem Masse, in dem die Mieten und Verkäufe in den Innenstädte die Preise in die Höhe treiben, denn längst sind nicht mehr nur ärmere Menschen von diesen Ängsten und von diesen Kämpfen betroffen.

Doch so schön diese Momente sind, so schnell können sie auch wieder vorbei sein, denn das Prinzip „Mieter*innen helfen Mieter*innen“ stösst schnell an seine Grenzen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Mietenkämpfe zehren. Die meisten Menschen haben nicht viel Zeit und es fehlt anhaltende Bereitschaft, denn nach dem ersten Energieschub fällt die Motivation schnell wieder ab. Manchmal wird auch ein Teilsieg errungen, mit dem die Mieter*innen sich zumindest für den Moment zufrieden geben, auch wenn er keine langfristige Sicherheit bietet. Vor allem aber scheint der Gegner, scheinen die Vermieter*innen einfach übermächtig in diesem ungleichen Kampf.

Viele Kämpfe müssen die Mieter*innen in Deutschland alleine führen, auch, wenn sie sich zu Haus- oder Strassen- oder Stadtteilgemeinschaften zusammenschliessen. Das Mietrecht sieht zum Beispiel nicht vor, dass Mieter*innen Sammelklagen einreichen dürfen. Vor Gericht geht es dann immer alleine. Und wer schon mal einen Prozess geführt hat, weiss wie mürbe das machen kann, vor allem wenn es um das Dach über dem Kopf geht. Viele politische Mittel, mit denen man die Vermieter*innen unter Druck setzen könnten, wie ein Mietenstreik, sind verboten.

Andere Gründe dafür, dass so einer Bewegung die Puste ausgeht, sind Befriedungsstrategien aus dem Policy-Bereich – das passiert vor allem, wenn linke(re) Regierung an der Macht sind, also ganz genau so wie es in Berlin gerade der Fall ist. Die Politik sucht dann die Nähe zur Bewegung, die Vollzeit-Aktivisten wollen ihre Forderungen endlich umgesetzt sehen und/oder machen das politische Betätigungsfeld zum Beruf. Also werden Stellen geschaffen, direkt im politischen Betrieb, in der Wissenschaft oder in Zwischenstrukturen. Das zahnlose Quartiersmanagement ist ein erfolgreiches Beispiel, wie politischer Druck abmoderiert wurde.

Besonders wirkmächtig sind Befriedungsstrategien, die auf den ersten Blick wie Gewinne aussehen. Wir erleben das gerade in Kreuzberg. Da wird ein „Haus der Stadtaktivist*innen“ geplant. Die Projektgelder kommen vom Senat. Das klingt gut. Das klingt als ob die Politik auf den Druck von der Strasse reagieren würde, als ob die kämpferischen Initiativen einen Ort bekommen würden. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass für so etwas implizite und explizite Gegenwerte erwartet werden, dass der Druck auf Parteien abnimmt, weil die Bewegung schon mit ihnen im Boot sitzt, Komplize ist, bevor es überhaupt so richtig losgegangen ist, bevor überhaupt der erste richtig grosse Sieg errungen wurde.

Was sollen wir also tun, damit dieser Funke nicht erlischt? Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es immer mal wieder diese Momente der Hoffnung in denen wir Linke dachten, jetzt sei der Moment gekommen, in dem unsere Bewegungen wieder erstarken würden, in dem der Druck von unserer Seite so zunehmen würde, dass wir dem Kapitalismus irgendwie den Gar aus machen würden: die Anti-Globalisierungs-Proteste Anfang des Jahrhunderts waren so ein Moment und natürlich die Platzbesetzungen während und nach Occupy. Doch dann passierte (so gut) wie nichts – und warum eigentlich?

Die Politik-Professorin und Marxistin Jodi Dean argumentiert in ihrem klugen Buch „Crowds and Party“, dass die Linke sich davor scheut, langfristige Organisationsstrukturen aufzubauen, weil der Neoliberalismus so wirkmächtig ist, dass der in der Linken und in Linken selbst fortwirkt und so der Individualismus immer über langfristiges Engagement siegt. Ihr Appell: Das wird erst enden, wenn wir attraktive, aber vor allem robuste Alternativen bauen. Sie schlägt den Aufbau einer Partei vor. Das würde allerdings im Fall der Berliner Mieter*innen keinen Sinn machen: eine linke Partei aufbauen, die nur ein Thema hat? Der Misserfolg ist vorprogrammiert. Aber warum eigentlich keine Gewerkschaft gründen?

Eine Gewerkschaft würde viele Probleme lösen, die es heute noch in der Mieter*innen-Bewegung gibt. Da wo die Mietervereine versagen, macht die Gewerkschaft überhaupt erst weiter.

In London haben sich Mieter*innen mittlerweile in „Renter's Unions“ zusammengeschlossen und durch Mietenstreiks erste Erfolge gegen Vermieter*innen erzielt. 5 Monate lange hatten Londoner Studierende gegen ihren Vermieter, das University College London gestreikt und gewonnen: die ausstehenden Mieten mussten nicht gezahlt werden und die Miete wurde gesenkt. Auch hierzulande könnten Mietenstreiks ein probates Mittel sein. Gerade die Möglichkeit des Streiks verschiebt auch das politische Kampffeld: heute sind es oftmals die Parteien und die Regierungen die in den Kämpfen angesprochen werden (müssen). Derzeit gibt es kaum Hebel um wirklich gegen Vermieter*innen wie die Deutsche Wohnen anzutreten und ihnen nachhaltig zu schaden.

Das wäre mit einem Streik anders. Je mehr Mieter*innen mitmachen würde, desto egaler würde das Verbot. Ein weiteres Problem: Derzeit beackern die einzelnen Initiativen sehr unterschiedliche Themen: Hausverkäufe, Modernisierungen, Mietensteigerung durch Betriebskosten, die Themen sind zahlreich und die Initiativen lassen sich kaum miteinander verbinden – ausser in einer Gewerkschaft, die alle Interessen der Mieter*innen trifft und in der gemeinsam gekämpft wird. Darüber hinaus müsste durch eine Gewerkschaft das mühselig angeeignete Wissen über Organisierung einerseits und über Mietrecht andererseits nicht immer wieder neu angeeignet, sondern es könnte effektiv weitergegeben werden. Viele Mietenthemen sind zudem Bundesthemen und können auf lokaler oder auf Landes-Ebene nicht gelöst werden. Auch dafür wäre ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss geeignet.

Warum das so wichtig ist? Seit Wochen und Monaten wird eine theoretische Klassenkampf-Diskussion geführt, die eigentlich längst in eine Praxis gemündet ist und jetzt weiter geführt werden muss. Seit Jahrzehnten versucht die Linke an die Arbeitskampf-Praxis in den Fabriken anzuknüpfen, während sie sich einerseits fragt, wie sie eine zunehmend prekär beschäftigte Arbeiter*innen-Klasse überhaupt organisieren kann und gleichzeitig die Fehler vergangener Gewerkschaften des Kalten Krieges, die vor allem den weissen Mann zum Subjekt des Kämpfens machten, nicht zu wiederholen. Immer wieder wird die Frage gestellt, wie man die unten gegen die oben organisieren könnte.

Dabei liegt sie Antwort so nah: die Häuserkämpfe und das Wohnen sind aktuell eins der zentralsten Themen, die Menschen organisieren sich schon, die machen sich schon neben all den anderen Mühen des Alltags auf den Weg, knapsen die Zeit ab, müssen also nicht mehr mühselig überzeugt und motiviert werden. Und wer sich mal in Mieter*innen-Kämpfen engagiert hat, weiss, dass sich hier die Unterschiede, über die das Feuilleton und die Verlängerungen der Uni-Seminare, unermüdlich in Schleifen diskutieren, materialisieren.

Man kämpft gemeinsam Seite an Seite mit denen, die die gleichen Ängste, Nöte, Sorgen haben, man ist gleich und doch ganz anders, weil die Menschen, die miteinander kämpfen, erst einmal nur Nachbar*innen sind. Hier kämpfen Männer mit Frauen, Konservative mit Schwulen, Student*innen mit Familien, Deutsche mit Türk*innen mit Araber*innen – eigentlich unvorstellbare Konstellationen. Das sorgt für grossartige Momente, viele Auseinandersetzungen und am Ende gibt es Wohnungen, Häuser, neue Freunde und Familien zu gewinnen. Auf dem Weg dahin gibt es viel Solidarität. Es wird also Zeit, dass diese Kämpfe auf eine neue Stufe gehoben, sie weitergeführt werden und einer vorzeitigen Befriedung entgegengewirkt wird. Dafür brauchen wir dringend robuste Strukturen, damit aus den vielen Entschlossenen nicht wieder einsame Einzelne werden.

Jessica Sommer / lcm