Das Landgericht Hamburg fällte am Dienstag, den 3. September sein Rondenbarg-Urteil Die Tatbestandsmerkmale des bedrohenden Landfriedensbruchs (Teil C)
Politik
„G20“ nennt sich – etwas ungenau – eine Gruppe von 19 wirtschaftlich mehr oder minder potenten Staaten sowie der Europäischen und Afrikanischen Union.
„Wer sich an […] Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, […] die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt […], wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__125.html; Hv. hinzugefügt)
Wie gehabt muss es sich also handeln um: • (2.) „aus einer Menschenmenge“
• (3.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“
• (4.) „mit vereinten Kräften“
• (5.) TäterIn oder zumindest TeilnehmerIn der –
aber diesmal als (1.) nicht „Gewalttätigkeiten“, sondern „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“.
Die Gewalttätigkeit müssen also nicht schon stattgefunden haben, sondern es genügt, wenn mit ihnen gedroht wird. Zumindest für den Alltagsverstand wirkt etwas irritierend, dass der Vorwurf der „Bedrohungen […] mit einer Gewalttätigkeit“ draufgesattelt wird, wenn doch tatsächlich Gewalttätigkeiten stattgefunden haben sollen. Allerdings kann ja mit weiteren/anderen Gewalttätigkeiten gedroht worden sein, als denen, die tatsächlich gefunden haben sollen – aber lassen wir dieses Detail dahinstehen.
(2.) „aus einer Menschenmenge“
Eine „Menschenmenge“ gab es im Prinzip – eben die Demo –; bleibt die Frage, ob die angeblichen Bedrohungen tatsächlich aus der Menschenmenge oder von ausserhalb der Menschenmenge erfolgten. Dafür müssen wir aber zunächst einmal erfahren, worin die Bedrohungen bestanden haben sollen und wann sie erfolgt sein sollen; dazu genauer unten.
(3.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“
Wie schon in Teil B. gesagt: Dieses Tatbstandsmerkmal ist keine ernsthafte Hürde für Staatsanwaltschaften.
(4.) „mit vereinten Kräften“
Gemeinsam Bedrohungen rufen (aussprechen), mag „mit vereinten Kräften“ sein. Aber handelt es sich überhaupt um Kraftentfaltung, wenn einfach nur alle ähnliche – angeblich „bedrohlich“ wirkende – Klamotten anhatten?
(5.) „Täter oder Teilnehmer“ der (1.) „Bedrohung“
In Bezug auf die Bedrohungen sollen die beiden Verurteilten sogar (Mit)TäterInnen (und nicht nur – wie in Bezug auf die Gewalttätigkeiten – GehilfInnen) sein. Worin soll nun die Bedrohung bestanden haben?
Ich hatte die Gerichts-Pressestelle gefragt: „Worin soll(en) die Bedrohung(en) konkret bestanden haben? Setzt sich das Gericht mit dem Unterschied zwischen einer Bedrohung durch die Angeklagten und einem von Dritten gewonnenen ‚Eindruck' auseinander?“
Antwort der Gerichts-Pressestelle zu Frage 1: „Hierzu wurden umfangreiche Ausführungen in der mündlichen Urteilsbegründung getätigt, die ich bei einer hier einzig möglichen verkürzten Wiedergabe im Zweifel verfälschen würde, sodass ich Sie insoweit auf die noch anzufassenden schriftlichen Urteilsgründe verweisen muss.“
Antwort zu Frage 2: „Ja. Zu beidem wurde umfangreich ausgeführt.“
Also – wir müssen abwarten, bis die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht wird. – Mit der Argumentation der Staatsanwaltschaft hatte ich mich am Montag, den 02.09. bei den taz-Blogs auseinandergesetzt und übernehme im folgenden meinen dortigen Text (ich verzichte auf Anführungszeichen und weise nur darauf hin, dass es hier nach der nächsten Zwischenüberschrift mit neuem Text weitergeht).
Ich hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft gefragt: „worin soll – nach aktueller Ansicht der StA – die Bedrohung bestanden haben?“
Antwort unter anderem auf diese Frage: „Weitergehende Auskünfte/Erklärungen zur rechtlichen und tatsächlichen Einschätzung können während des laufenden Verfahrens nicht erfolgen.“
Wenn wir uns statt dessen auf das Plädoyer-Protokoll der Webseite „Gemeinschaftlicher Widerstand“ verlassen, so hat die Staatsanwaltschaft bloss einen ‚Bedrohungseindruck', aber keine Bedrohung: „Der Aufzug habe auf die Verkehrsteilnehmer und Büroangestellten einen bedrohlichen Eindruck gemacht.“ „Der Schwarze Finger habe auf Aussenstehende bedrohlich gewirkt.“
„Sie hätten Angst um ihr Auto gehabt, eine Zeugin habe die Türen des Bürogebäudes verschlossen.“ (alle Hv. hinzugefügt)
Diese Formulierungen nehmen eine doppelte Verschiebung gegenüber dem gesetzlichen Tatbestand vor:
• Statt auf eine Handlung der Angeklagten (die Bedrohung sollen sie als MittäterInnen [und nicht nur GehilfInnen] begangen haben) wird auf eine Wahrnehmung von PassantInnen abgestellt.
• Die Ersetzung der Formulierung „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“ durch das Adverb „bedrohlich“ verschiebt die Sache zusätzlich ins Vage.
Es ist nicht gross überraschend, dass ZeugInnen auf die Frage:
• ‚Empfanden Sie die Demonstration als bedrohlich?'
etwas anderes antworten als auf die Fragen:
• ‚Haben Sie eine ‚Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit' wahrgenommen? Wann fand sie statt und worin bestand sie?'
Klar, mag eine vermummte Demo irgendwie „bedrohlich“ wirken; aber wenn allein schon Vermummung „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“ wäre, hätte das Vermummungverbot nie eingeführt werden müssen, sondern es könnte im Falle von Vermummung kurzer Hand wegen Landfriedensbruchs durch Bedrohung verknackt werden.
Auch mag das demonstrative Hochhalten eines Steines (genauso wie das an den Kopf halten einer Waffe) Bedrohung sein. Aber das blosse Aufnehmen oder aus dem Vorratsbeutel holen und zügige Werfen eines Steins ist eine Gewalttätigkeit (wenn der Stein in Richtung von Sachen und Personen geworfen wird), aber nicht zusätzlich eine Bedrohung.
Die Tatbestandsmerkmale des aufwieglerischen Landfriedensbruchs
Kommen wir nun zum sog. aufwieglerischen Landfriedensbruch: „[…] wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__125.html; Hv. hinzugefügt) „[S]olche Handlungen“ sind dabei die zuvor in dem Paragraphen genannten: „Gewalttätigkeiten“ (Nr. 1) und „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“ (Nr. 2).
Wegen der dritten Landfriedensbruch-Variante (Einwirkung auf die Menschenmenge) wurde im Rondenbarg-Fall nicht verurteilt. Für uns ist sie aber trotzdem interessant, da sie dagegen spricht, in Bezug auf Nr. 1 (und 2) auf bloss psychische (genauer: voluntative) Beihilfe abzustellen. Das, was im Falle von Landfriedensbruch als voluntative Beihilfe in Bezug auf die Gewalttätigkeit und/oder Bedrohungen strafbar sein soll, ist vielmehr als aufwieglerischer Landfriedensbruch separat erfasst:
„die 3. Alt. des § 125 n.F. [ist] nicht anderes als die gesonderte Erfassung des lediglich psychische Unterstützung Leistenden. Dies bedeutet umgekehrt, dass Teilnehmer nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 nur jemand sein kann, der […] nicht […] lediglich psychische Beihilfe leistet (wie hier interpretiert Arzt, JZ 1984, S. 430 mit Fn. 211 § 125 Abs. 1 3. Alt. als einen ‚Ausschnitt der Teilnahme in Abs. 1 1. und 2. Alt.'; […].“ (Bertuleit/Herkströter, in: Ridder u.a., Versammlungsrecht, 1992, § 125 StGB, Randnummer 132)
Diese Auffassung entspricht auch dem, was in den Gesetzgebungsmaterialien von 1970 steht: „die Mehrheit [gelangte] zu dem Ergebnis, dass es durchaus genüge, wenn zusätzlich zu den durch § 125 StBG i. d. F. des SPD/FDP-Entwurfs erfassten Täter noch derjenige einbezogen wird, der ‚auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern'. Unter ‚Einwirken' kann auch eine psychische Beeinflussung verstanden werden, die nicht verbal geschieht.“ (Bundestags-Drucksache VI/502, S. 9, li. unten).
Viel nutzen tut es den Angeklagten aber nicht: Zum einen ist der Strafrahmen für alle drei Landfriedensbruch-Varianten gleich; zum anderen sieht es die „herrschende Meinung“ eh anders und hält voluntative Beihilfe auch ausserhalb der Aufwiegelung für möglich: „Es handelt sich insoweit nicht um Teilnahme an den in Nummer 1 und 2 genannten Ausschreitungen, sondern um die Erfassung von Handlungen im Vorfeld der ersten beiden Begehungsformen. Der erfolgreich am Ort der Ausschreitungen agierende Aufwiegler dürfte häufig als Teilnehmer des gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruchs zu qualifizieren sein. Der Tatbestand des aufwieglerischen Landfriedensbruchs erfasst aber darüber hinaus Sachverhalte, in denen der Nachweis einer auf Anstiftung oder Beihilfe zu bestimmten Ausschreitungen angelegten konkreten Einwirkung oder deren Mitursächlichkeit für die tatsächlich begangenen Gewalttätigkeiten nicht erbracht werden kann. Insoweit kommt der 3. Begehungsform gegenüber den Täterschaftsformen der beiden ersten Alternativen Auffangfunktion zu.“ (Krauss, in: Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, 200912, § 125, Randnummer 84)
Auch aus der Auffassung von Krauss ergibt sich allerdings immerhin die Frage, ob das ‚Tun' der im Rondenbarg-Prozess Verurteilten „Beihilfe zu bestimmten Ausschreitungen“ (nämlich diejenigen, die tatsächlich stattfanden) war oder ob der angebliche Beihilfevorsatz auf andere Gewalttätigkeiten gerichtet war als die, die tatsächlich stattfanden – also ins Leere ging.
„Aus Sicht des Gerichts ist das, was geschah, auch das, was die Angeklagten vorhersahen und billigten“, so die Gerichts-Pressestelle. Die Auffassung von Krauss hilft den Angeklagten also leider nicht weiter…
Folgen wir dagegen der Mindermeinung, dann ist die Verurteilung der Rondenbarg-Angeklagten wegen Landfriedensbruchs durch psychische Beihilfe zu Gewalttätigkeiten schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil eine solche psychische Beihilfe allenfalls als aufwiegerlischer Landfriedensbruch bestraft werden darf.
Haben die Angeklagten den Straftatbestand des aufwiegerlischer Landfriedensbruchs verwirklicht? Was ist nötig, um den Straftatbestand des aufwiegerlischer Landfriedensbruchs zu verwirklichen?
Zunächst einmal wiederum (1.a) eine „Menschenmenge“ – aber hier nun eine Menschenmenge, aus der heraus nicht (notwendigerweise) gehandelt werden muss, sondern auf die – sei es mittendrin oder vom Rande aus, vielleicht auch per Telekommunikation – (2.) „eingewirkt“ wird – und zwar dahingehend einwirkt wird, dass es
• (1.b) aus dieser „Menschenmenge“ heraus
• (3.) „Gewalttätigkeiten“ oder „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“ kommt oder kommen soll, die
• (4.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“
• (5.) „mit vereinten Kräften“ begangen werden.
(1.a) „Menschenmenge“
Eine Menschenmenge gab es – halt die Demo.
(2.) Einwirkung auf die Menschenmenge
Das wäre dann wohl wieder die Einhaltung des Dresscodes – mit dem Argument, dass es sich nicht einfach um irgendeinen Dresscode gehandelt habe, sondern um einen solchen der gerade deshalb vereinbart worden sei, weil ausserdem vereinbart worden sei, dass einige Leute Straftaten begehen und andere nicht – und so schwerer festzustellen sein sollte, welche Leute was machen.
Diesbezüglich stellen sich dann mehrere Fragen:
Können Leute, dadurch, dass sie bestimmte Klamotten tragen, auf andere Leute „einwirken“ – noch dazu dahingehend, dass diese anderen Leute Straftaten begehen? – Hört sich erst einmal ziemlich esoterisch an. Aber wenn es sich darum handelt, dass diejenigen, die sich zur Begehung der Straftaten bereit erklärt haben, von dem Plan vielleicht Abstand nehmen, wenn das vereinbarte Outfit-Umfeld nicht zustandekommt, dann ist diese These schon nicht ganz so abwegig.
Lässt sich denn beweisen, dass es derartige Verabredungen gab? Das Gericht beruft sich auf den „Aktionskonsens des Bündnisses ‚Fight G20'“ (Auskunft der Pressestelle vom 05.09.2024), in dem es u.a. geheissen haben soll:
„Dass Angriffe auf Bushaltestellen und Kleingewerbe uns keine Hilfe sind, sollte den meisten ebenso einleuchten, wie die Sinnhaftigkeit und Vermittelbarkeit von beschädigten Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden.“3
Ausserdem soll dort u.a. noch von „verantwortungsvolle[r] Militanz“ die Rede gewesen sein – habe ich politisch nichts dagegen, ist aber halt strafbar. Und vor Gericht geht es nicht darum, ob es politisch richtig war, sondern darum, ob es legal war. Nun kann zwar versucht werden, einen Strafprozess zu politisieren und zu sagen: ‚Wir sagen zwar nicht, ob wir das gemacht haben, was uns vorgeworfen wird, aber finden richtig, dass solche Dinge passiert sind.' Aber so wird in Bezug auf den Rondenbarg-Komplex nicht argumentiert, sondern es wird sinngemäss argumentiert: ‚Die Angeklagten wollten ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, wurden deshalb von der Polizei verprügelt und werden jetzt oben drein auch wegen Landfriedensbruchs verknackt.' Wörtlich:
„Der ›Schwarze Finger‹ war eine nach Artikel 8 des Grundgesetzes geschützte Versammlung, die brutal von der Polizei zerschlagen wurde. Während die Polizeigewalt am Rondenbarg bis heute nicht aufgeklärt ist, werden die Protestierenden nun für Straftaten verantwortlich gemacht, die sie nicht begangen haben.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/pressemitteilung-ein-angriff-auf-die-versammlungsfreiheit-revision-wird-geprueft/)4 Das hat weder juristisch Hand und Fuss5 noch ist es politisch offensiv und selbstbewusst, sondern es wird versucht, sich mit schwachen Argumenten rauszuwinden. –
Aber zurück zu dem vom Gericht angeführten Zitat: Damit lässt sich nur beweisen, dass bestimmten Aktionsformen für „[v]ermittelbar“ befunden wurden, aber nicht, dass derartige Aktionen konkret geplant waren und dafür der in Rede stehende Dresscode verabredet wurde.
Spitzfindig könnte auch noch gefragt werden, ob denn der Dresscode verabredet war – aber eine grössere Zahl von Menschen wird nicht zufällig gemeinsam mit Deichmann-Schuhen mit weisser Sohle sowie Hassi oder Anglerhut unterwegs gewesen sein…
Kommen wir daher zu den restlichen Tatbestandsmerkmalen.
(3.) „Gewalttätigkeiten“ oder „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“
Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden zu beschädigen, wären auch nicht bloss irgendwelche Straftaten, sondern Gewalttätigkeiten.
(1.b) aus dieser „Menschenmenge“ heraus
Das wäre halt wieder die Demo.
(4.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“
Ja, Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden beschädigen, gefährdet die öffentliche Sicherheit nicht nur, sondern verletzt sie.
(5.) „mit vereinten Kräften“
Ja, jedenfalls dann, wenn mehrere Leute gleichzeitig Steine oder Mollis schmeissen (sollen); vielleicht nicht, wenn immer nur einzelne Personen mit gewissem zeitlichen Abstand und gegen unterschiedliche Ziele etwas werfen (sollen).
Hätten die Angeklagten also – zusätzlich – auch noch wegen aufwieglerischem Landfriedensbruch verurteilt werden können?
Nein, das keinesfalls. Begründung:
• Wird mit Krauss und der herrschenden Meinung davon ausgegangen, dass die dritte Begehungsform gegenüber den beiden ersten Alternativen nur „Auffangfunktion“ habe, dann kommt eine zusätzliche Verurteilung wegen der dritten Alternative eben deshalb nicht in Betracht: Wenn Alternative 1 und 2 eh schon bejaht werden, gibt es nichts mehr ‚aufzufangen'.
• Wird dagegen von der Mindermeinung ausgegangen, dann kommt auch keine zusätzliche Verurteilung in Betracht. Es stellen sich dann vielmehr folgende Fragen:
Frage 1: Hätte auf der Grundlage dessen, was das Gericht für bewiesen hält, – statt wegen ‚Landfriedensbruchs durch voluntative Beihilfe zu Gewalttätigkeiten'6 – wegen ‚Landfriedensbruchs durch Einwirkung auf eine Menschenmenge, in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräfte Gewalttätigkeiten zu verüben', verurteilt werden können?
Antwort: Kommt darauf an, wie genau der Ausdruck ‚auf eine Menschenmenge einwirken' zu verstehen ist.
Frage 2: Hätte, wenn weniger als bewiesen angesehen wird als das, was das Gericht als bewiesen ansieht, wegen der dritten Alternative verurteilt werden dürfen? Antwort: Kommt ebenfalls darauf an, wie genau der Ausdruck ‚auf eine Menschenmenge einwirken' zu verstehen ist und ausserdem darauf, was genau als bewiesen angesehen wird.
Insbesondere hängt die Sache dann an der Frage, wie der Satz, „Dass Angriffe auf Bushaltestellen und Kleingewerbe uns keine Hilfe sind, sollte den meisten ebenso einleuchten, wie die Sinnhaftigkeit und Vermittelbarkeit von beschädigten Banken, Konzernzentralen und Einrichtungen der Repressionsbehörden“, zu interpretieren ist. Wenn der Satz bzw. die Einhaltung des Dresscodes im Kontext des Satzes, bloss bedeutet:
‚Wenn Leute (irgendwann und irgendwo) solche Aktionen machen wollen, werden sie weder aus der Demo geprügelt noch als gewaltgeile LinkssektiererInnen beschimpft.'
dann kann meines Erachtens in dem Satz bzw. Dresscode-Einhaltung + Satz auch keine ‚Einwirkung' gesehen werden, solche Straftaten zu begehen. Wird dem Satz dagegen mehr entnommen (z.B.: „Ich trau mich nicht, aber mach doch bitte.' oder ‚Mach doch bitte, ich bin nicht so gut im Werfen und Zielen, aber ich verschaffe Dir ein Umfeld, dass Du möglichst unerkannt bleibst.') dann mag die Sache anders zu sehen sein.
[Es folgt noch als Teil D.: Abschnitt V. Der Preis des Anglerhuts und VI. Wie's weitergehen kann…]
Fussnoten:
1 Bei dem Text von Arzt handelt es sich um seine „Anmerkung“ (in der Juristenzeitung 1984 auf den S. 428 - 430) zum Urteil des Bundesgerichtshof vom 23.11.1983 zum Aktenzeichen 3 StR 256/83 (S), das in derselben Ausgabe der Zeitschrift auf den S. 423 - 428 und ausserdem in BGHSt 32, 165 - 183 veröffentlicht ist. Die Ausführungen von Arzt zu der uns interessierenden Frage beschränken sich auf den einen von Bertuleit/Herkströter zitierten Satz: „§ 125 3. Alt. [ist] nur als ein Ausschnitt aus der Teilnahme an § 125 1./2. Alt. zu begreifen“.
2 Vgl. auch den folgenden – allerdings etwas unklar umformulierten – Satz bei Randnummer 34 der Kommentierung: „Da die 3. Alt. innerhalb des Abs. 1 den Fall der psychischen Beihilfe eigens erfasst (vgl. o. Rz. 13), können nur solche Handlungen objektiv geeignet sein, die Bereitschaft der Menge zu gewalttätigen Handlungen zu fordern, die sich als Unterstützungsleistung erweisen. Keinesfalls kann davon bereits die Rede sein, wenn lediglich Zustimmung zu verübten Gewalttätigkeiten signalisiert wird (z.B. durch Applaudieren; so aber Werle, in: Fs. Lackner, S. 497).“
3 Im Internet konnte ich den Text nicht finden; auch in den Prozessprotokollen auf der Webseite „Gemeinschaftlicher Widerstand“, die ich einzeln durchsucht habe, habe ich den Satz nicht gefunden. Ich halte es aber für praktisch ausgeschlossen, dass sich das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung auf einen Text bezieht, der vorher in der mündlichen Verhandlung nicht erwähnt wurde.
Der Gerichts-Pressestelle hatte ich am Freitag u.a. folgende Fragen gestellt: „a) Wurde der ‚Aktionskonsens des Bündnisses ‚Fight G20'' nach staatsanwaltschaftlicher und gerichtlicher Auffassung szene-öffentlich oder sogar im Internet (gibt es ihn dort noch? Falls ja wo? – Ich konnte ihn nicht finden) verbreitet? Oder wurde der bloss durch Beschlagnahmen bei Beschuldigten gefunden? b) Meinen StA und Gericht zu wissen, wie und wann der Dresscode für die Demo kommuniziert wurden? Wurde er öffentlich-kommuniziert? Gibt es dazu einen Text (im Internet)? Oder soll der Dresscode nur einem ausgewählten Personenkreis mitgeteilt worden sein? Falls letzteres: Meinen StA und Gericht zu wissen, wie dieser Personenkreis ausgewählt wurde und auf welcher Weise die Mitteilung erfolgte?“
Auf beide Frage wurde mir zusammenfassend wie folgt geantwortet: „Die ‚Skizze zum Aktionstag' wurde bei einem Mitbeschuldigten sichergestellt. Es wurde aus einer Gesamtschau von Indizien geschlossen, dass er den Versammlungsteilnehmer_innen bekannt war.“
Ich vermute, dass mit „Skizze zum Aktionstag“ und „Aktionskonsens des Bündnisses ‚Fight G20'“ ein- und derselbe Text gemeint ist, habe aber deswegen nicht extra noch mal nachgefragt.
4 Vgl. „Der erste Tag des Gipfels war der 7. Juli. Tausende Aktivist*innen waren ab dem frühen Morgen unterwegs, um zu demonstrieren und um Zufahrtswege der Gipfelteilnehmer*innen zu blockieren. Vom Protestcamp in Altona machten sich verschiedene Demozüge auf den Weg. Eine Gruppe von etwa 200 Menschen traf auf dem Weg in die Innenstadt auf mehrere Polizeieinheiten, die den Demonstrationszug in der Strasse Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld brutal von vorne und hinten angriff und innerhalb kürzester Zeit zerschlug. […]. Falls das Gericht den Forderungen der Staatsanwaltschaft folgt und die Betroffenen der Rondenbarg-Verfahren mit Hilfe des Landfriedensbruch-Paragrafen verurteilt, wird die Versammlungsfreiheit und damit das wichtigste Mittel zur politischen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum massiv eingeschränkt.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/hintergrund/)
Dass bei der Demo einige Sachen kaputt gingen, bevor die Polizei eingriff, wird weder politisch gerechtfertigt noch als – vllt. planwidriger (weil vllt. etwas anderes beabsichtigt war) – taktischer Fehler kritisiert, sondern versucht, einfach unter den Tisch zu kehren. Das klappt vielleicht gegenüber Teilen der Öffentlichkeit aber selbstverständlich nicht gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht.
5 Juristisch hat es deshalb nicht Hand und Fuss,
• weil Artikel 8 Grundgesetz nur schützt, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“,
• das Gericht für bewiesen hält, dass die „Versammlung […] den von Anfang an gebilligten unfriedlichen Verlauf genommen hat.“ Damit müsste sich konkret auseinandergesetzt werden – statt den Vorwurf einfach zu verschweigen!
• Hinzukommt noch: Selbst wenn es sich um eine – im grossen und ganzen – friedliche Versammlung gehandelt haben sollte, so wäre nicht ausgeschlossen, dass es dabei zu einer Reihe von Straftaten kam – und dann die Polizei dagegen auch einschreiten und die Leute bestraft werden dürfen.
Dass Absurde ist, dass sich die GenossInnen vom „Gemeinschaftlichen Widerstand“ vermutlich für einigermassen radikal halten – da deutet schon der Name drauf hin – gleichzeitig aber in ihrer Öffentlichkeitsarbeit so agieren, als hätten sie eine völlig naive Vorstellung davon, wo die Toleranzmarge eines bürgerlichen Staates endet.
6 Diese Verurteilung ist – wie gesagt – auf Grundlage der Mindermeinung von vornherein rechtsfehlerhaft.