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Dresden: „Ihr seid nicht das Volk“ | Untergrund-Blättle

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Die regierenden Repräsentanten des einig deutschen Vaterlandes verwahren sich im Namen von Volk und Vaterland gegen den völkischen Protest Dresden: „Ihr seid nicht das Volk“

Politik

Bereits im Vorfeld des „dreitägigen Bürgerfestes“, das rund um den Tag der Deutschen Einheit in Dresden stattfand, stellte Innenminister De Maizière fest, dass die Wiedervereinigung aller Deutschen für dieselben ein Grund zum Feiern und nicht zum Demonstrieren sei: „Alle sollten bedenken, auch die Demonstrierer, dass es in unserer Hymne Einigkeit und Recht und Freiheit heisst, und nicht Spalten und Recht und Freiheit.“(1).

PEGIDA Demonstration in Dresden anlässlich des Tages der Deutschen Einheit 2016 am 3. Oktober.
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PEGIDA Demonstration in Dresden anlässlich des Tages der Deutschen Einheit 2016 am 3. Oktober. Foto: Chrystalcolor (PD)

14. November 2016
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Das mit der einigen Feier hat nicht ganz geklappt. Gegner von rechts pöbelten gegen die angereisten Politiker und brüllten „Volksverrat“.

Das lassen sich die Politiker nicht bieten: Ihre Antwort besteht zunächst einmal darin, dass sie den Demonstranten in höchstem Masse ungehöriges Benehmen vorwerfen und öffentlich abwägen, ob das durch „unsere“ politmoralischen Sitten und Gepflogenheiten (eindeutig „nein“) bzw. durch das Recht der Demonstrationsfreiheit (zähneknirschend „ja“) noch abgedeckt sei. Zusammengeschnürt folgt daraus: In Deutschland darf man demonstrieren und dabei auch brüllen, aber einen Grund dafür gibt es nicht. Interessanterweise schon deswegen, weil das hier erlaubt ist: Die Kanzlerin erklärt bereits kurz vor der Feier, wann der Ruf „Wir sind das Volk!“ ein Schrei nach Freiheit und wann eine Anmassung ist. „Man müsse dagegen auftreten, wenn Menschen mit rechtem Hintergrund «Wir sind das Volk» riefen, sagte Merkel am Samstag in einer Videobotschaft.

Dieser Ruf sei während der friedlichen Revolution in der DDR «ein sehr emanzipatorischer» gewesen. «Heute haben wir eine andere Situation: Wir haben heute eine Ordnung, in der jeder das Recht hat, frei seine Meinung zu sagen, zu demonstrieren. Und deshalb muss man sagen: Alle sind das Volk»“. (2) Also auf keinen Fall die Figuren, die es heute von sich behaupten, um damit gegen Merkels Politik zu demonstrieren. „Volk“ sind alle, die Merkel dazu erklärt; und das sind eben auch und gerade die, welche das nicht tun. Auf die dürfen sich die rechten Demonstranten nicht berufen, und die liegen mit ihrem Nicht-Demonstrieren auch ganz richtig.

Die bundesdeutsche „Ordnung“ ist nämlich eine, in der Politik sowieso „im Namen des Volks“ gemacht wird, was Gegnerschaft mit Berufung auf das Volk einfach verbietet. Das Volk, so Merkel und alle Festredner, werde von der deutschen Politik nämlich nicht verraten, sondern bestens vertreten. Auch „Menschen, die vielleicht zu kurz gekommen sind, wie sie glauben“ (2) hätten eigentlich keinen Grund zur Unzufriedenheit.

Erstens glauben sie ja bloss, dass ihnen was fehlt, es gehe ihnen aber gut, nämlich besser als früher und besser als anderswo. Und zweitens geht es einem Volk doch wohl grundsätzlich gut, wenn es der Nation gut geht. Und da, so rühmt nicht nur Bundestagspräsident Lammert, habe die deutsche Regierung nix anbrennen lassen: „Nach einer Anfang dieses Jahres beim Weltwirtschaftsforum in Davos vorgestellten Umfrage unter 16.000 Menschen aus aller Welt, Meinungsführern in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, gilt Deutschland mit Blick auf politische Stabilität, wirtschaftliche Prosperität, soziale Sicherheit, Bildung, Wissenschaft und Infrastruktur als „bestes Land“ auf dieser Erde.

Das ist vielleicht doch übertrieben. Aber offensichtlich ist: Vieles ist uns gelungen, manches offenbar besser als anderen“. (3) Deutschland ist in jeder Hinsicht besser als der Rest der Welt. Im Grundsatz sehen das Pegida, AfD & Co. genauso; sie meinen aber, dass die aktuelle deutsche Aussen-, Innen- und speziell Asylpolitik Deutschlands Wohl viel zu sehr dem Ausland unterordne, statt es mit Deutschlands Macht gegen den Rest der Welt durchzusetzen. Das weist der Festredner zurück: Die deutsche Politik habe deutschen Erfolg fest im Blick, schliesslich habe sich Deutschland ja, da kann er auf „Meinungsführer“ aus dem Rest der Welt berufen, weltweit an die Spitze der Erfolgsnationen gesetzt. Und Mittel dazu war und ist eben nicht die Reinhaltung des Volkskörpers: „Deutschland ist ein vitales Land, ein attraktiver Standort, eine vielfältige, bunte Gesellschaft, durch Persönlichkeiten geprägt, die Tradition wie Innovation überzeugend verkörpern: … ein türkischstämmiger Muslim war Schützenkönig einer katholischen Schützenbruderschaft in Werl/Westfalen…“ (3)

Weltoffenheit zeichne Deutschland aus und bringe es voran. Dafür könne auch so mancher Flüchtling seinen Beitrag leisten, sofern er sich – ohne diese Bedingung läuft auch bei der offiziellen Politik nichts – hiesigen Massstäben unterwirft und die störenden Eigenheiten aus seiner Heimat ablegt. Dass die Regierung aufpassen muss, dass hier nichts aus dem Ruder läuft, ist klar. Aber auch auf diesem Gebiet lässt sich die Regierung von Pegida & Co. keine Schlamperei vorwerfen: „Und wo immer gewohnte Verhaltensmuster von Zuwanderern mit hier geltenden Gesetzen kollidieren, gelten selbstverständlich die hiesigen Regeln. Für alle. Ausnahmslos.“ (3)

Und wo Recht lückenhaft ist, wird es erweitert. Letzthin wurde das Sexualstrafrecht sogar geändert, damit Verhaltensmuster von Zuwanderern, die bis dahin mit dem Gesetz nur geringfügig oder gar nicht kollidierten, das nun endlich in einem Umfang tun, der zur Abschiebung führen kann. Überhaupt sei, darauf legen alle Festredner Wert, angesichts der Bilanz nationalen Erfolgs und nationaler Stärke Fahneschwenken, Freude und ein „Weiter so, Deutschland“ angesagt und kein Gemecker. „Wir können und dürfen durchaus etwas mehr Selbstbewusstsein und Optimismus zeigen.“ (3)

Wer, anstatt „Zufriedenheit“ und „Glücksgefühl“ (3) über die nationale Grösse zu empfinden, den Repräsentanten der Staatsgewalt mit nationaler Empörung, Feindschaft und Gebrüll begegnet, den bezichtigen diese der Gegnerschaft gegen das nationale Wohl. Der stellt sich, so der Vorwurf, gegen die Mittel und Wege, mit denen verantwortliche Politiker für den Erfolg der Nation sorgen, und damit gegen das „Volkswohl“. Solchen Volksfreunden darf das deutsche Volk nicht auf den Leim gehen. Die Trennung zwischen verführtem „Volk“ und rechtsextremen Verführern liegt den Politikern am Herzen.

Ersteres soll sehen, dass seine Vaterlandsliebe bei seiner Regierung bestens aufgehoben ist und seine wie auch immer gearteten Sorgen in ein Wahlkreuz für die etablierten Parteien umsetzen. Letztere „missbrauchen“ dessen Sorgen, um es gegen seine Volksvertreter, deren volksdienliche Politik und damit letztendliche gegen das Vaterland aufzuhetzen. Dem tritt die Regierung mit vaterländischem Pathos entgegen; stellvertretend für alle der sächsische Ministerpräsident: „Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können: Für Hass und Gewalt. Wer so spricht, wer so handelt – der soll gerade an unserem Nationalfeiertag wissen: Das ist menschenverachtend und unpatriotisch. … Populisten werden reich durch die Ängste anderer. Dem sollten wir eine neue Freude auf die Zukunft entgegensetzen! Wir haben allen Grund dazu. Deutschland steht gut da.“ (4) Na dann!

Berthold Beimler

Fussnoten:

(1) http://www.handelsblatt.com/video/politik/tag-der-deutschen-einheit-de-maiziere-in-dresden-es-heisst-nicht-spaltung-und-recht-und-freiheit/14635176.html

(2) http://www.stern.de/zentraler-festakt-in-dresden-merkel-zur-deutschen-einheit—alle-sind-das-volk–7083750.html

(3) http://www.fr-online.de/politik/dokumentation-lammerts-dresdner-rede-im-wortlaut,1472596,34822518.html

(4) https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/206628/assets?page=3

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