Die Berliner Polizei wird weiter aufgerüstet Mit Taser, Maschinenpistole und einer ordentlichen Portion Rassismus

Politik

Die Polizei fährt mit Maschinenpistolen in der Hand U-Bahn; sie stehen in Mannschaftstärke an öffentlichen Plätzen und U-Bahneingängen und greifen gezielt Personen heraus, die nicht „typisch deutsch“ aussehen.

Polizeihubschrauber über Berlin.
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Polizeihubschrauber über Berlin. Foto: PolizeiBerlin (CC BY-SA 4.0 cropped)

15. Februar 2017
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An jedem öffentlichen Gebäude und teurem Neubau fährt der Wachschutz stündlich vorbei; immer mehr Kameras überwachen öffentliche Plätze oder Luxusneubauten.

Im Berliner Stadtteil Wedding ist dies Alltag – vom Leopoldplatz bis zur Osloer Strasse, bis zum Gesundbrunnen. Gerade nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt ist die Präsenz sogenannter Sicherheitskräfte noch einmal stärker geworden. Begleitet werden die verstärkten Kontrollen im Kiez von einer medialen (Un-)Sicherheits-Kampagne: Der aus Linkspartei, Grüne und SPD zusammengewürfelte Berliner Senat wird die Polizei mit mehr Maschinenpistolen aufrüsten, Taser-Waffen werden zur „Erprobung“ an 20 Beamte in den Stadtteilen Mitte und Kreuzberg ausgeben die Videoüberwachung ausbauen und asylsuchende Menschen stärker kontrollieren lassen.

Auf Bundesebene will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) das Aufenthaltsrecht noch weiter verschärfen: so sollen Abschiebungen nach seinem Wunsch weiterhin in für viele Menschen lebensgefährliche Regionen wie Afghanistan durchgeführt, elektronische Fussfesseln bei sogenannten Gefährder*innen eingeführt oder Austausch von Fluggastdaten vorangetrieben werden.[1] Die CSU überbietet sich dabei mit Vorschlägen, wie Ausweitung von Ausreisegewahrsam, neuen Haftgründe für sogenannte Gefährder, Transitzentren, Ausweitung der Grenzkontrollen und vieles mehr. Unbemerkt von diesen Massnahmen wird die Überwachung mit dem BND-Gesetz immer weiter ausgebaut. Komplette Massenüberwachung und Ausweitung von Abhörbefugnissen in vielen EU-Ländern veranlasst Amnesty International zu dem Urteil:“Viele EU-Länder unterscheiden sich kaum noch von „Überwachungsstaaten“[…].[2]

Anstatt lückenlos die Verstrickung der Sicherheitsbehörden im Fall Amri aufzuklären, nutzen die Bundes- und Landesregierungen Anschläge wie im vergangenen Dezember am Berliner Breitscheidplatz, um noch mehr „Sicherheitsmassnahmen“ zu fordern und durchzusetzen. Dabei wird das Gefühl einer Bedrohung aktiv inszeniert und durch eine vermeintliche Notwendigkeit der Massnahmen die politische Diskussion umgangen. Organisationen und Einzelpersonen, die nicht jeden Ausbau von Überwachung mitmachen wollen, wird vorgeworfen, die Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden. Der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin kuscht momentan und treibt somit diesen Prozess voran.

Aber wessen Sicherheit wird hier eigentlich eingefordert? Wer wird hier vor wem beschützt? Ausgehend von den Erfahrungen, die wir tagtäglich im Kiez machen, in dem die Polizei eher als bewaffnete Gang oder Besatzungsmacht auftritt, Menschen schikaniert und anhaltslos kontrolliert, zwangsräumt und den Protest dagegen wegprügelt, schleicht sich nicht erst seit gestern das Gefühl ein: Es geht nicht um unsere Sicherheit, sondern um den Ausbau ihrer Sicherheit.[3]

Ihre sogenannte Sicherheit ist tagtäglich in öffentlichen Räumen zu beobachten: immer wieder kontrolliert die Polizei ausschliesslich nicht-weisse Passant*innen. Diese vermeintlich „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen sind legal, weil die Polizei auf Grundlage vom sogenannten ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin) Plätze als „kriminalitätsbelastete Orte“ definieren darf, was ihnen dann rechtliche Narrenfreiheit gewährt.

Zwar hat der Rot-Rot-Grüne Senat das ohnehin juristisch-illegale Racial-Profiling nun offiziell abgeschafft – ein Vorgehen, das es vorher angeblich nie gab. Für die Betroffenen hat sich allerdings nichts verändert. Die in das rassistische Profil passende Menschen werden herausgegriffen, beleidigt, schikaniert und manchmal auch körperlich attackiert.[4] Hier werden nicht die kontrollierten Personen geschützt, sondern vor allem jene kapitalstärkeren Klassen und ihrer Investor*innen, denen permanent das Gefühl der Sicherheit vor einer auf Vorurteilen beruhenden Gefahr, vermittelt und verkauft werden muss.

Dieses Bild verstärkt sich, wenn öffentliche Plätze, wie der Leopoldplatz, immer stärker von privaten Sicherheitsdiensten und der Polizei kontrolliert und marginalisierte Personengruppen stigmatisiert und vertrieben werden sollen.[5] Die gezielte Aufwertung von Stadtteilen wird somit ordnungs- und sicherheitspolitisch abgesichert.

An jedem hochpreisigen Neubau im Wedding patrouillieren sie zudem stündlich: die Wagen von Sicherheit-Nord, Securitas und vielen weiteren privaten „Sicherheitsfirmen“. Die outgesourcten und lohngedumpten Beschäftigten stehen in öffentlichen Gebäuden und in den öffentlichen Verkehrsmitteln, als verlängerter Arm derer, denen sie ihre Abhängigkeit und Ausbeutung zu verdanken haben. Sie sichern den reibungslosen Bau von Luxus- Eigentumswohnungen oder den sicheren Ablauf der täglich grauen Jobcenter-Prozedur. Und wenn eben dieses Amt mal nicht rechtzeitig zahlt oder aus anderen Gründen die Kündigung einer Wohnung durchgesetzt werden soll, dann kommt eben schon mal eine ganze Hundertschaft der Polizei angefahren.

Sie und ihre Sicherheit sind es, die Mieter*innen am laufenden Band aus den Wohnungen schmeissen und einer absoluten Unsicherheit überlassen. Eine solche Unsicherheit wird aus der Gewissheit gespeist, sich eben keine neue Wohnung mehr im Kiez oder anderswo leisten zu können, Angst vor Obdach- und Wohnungslosigkeit oder aus einem stabilen sozialen Umfeld herausgerissen zu werden. Diese Unsicherheit kann tödliche Folgen haben. Wir erinnern uns noch an die 67-jährige, schwerbehinderte Rosemarie F., die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung verstarb[5]. Wo war dort ihre Sicherheit?! Es wird demnach das Recht derjenigen abgesichert, die mit Wohnraum Profite machen. Das Recht auf Wohnen wird mit ca. 10.000 Zwangsräumungen pro Jahr allein in Berlin zum leisen Sterben auf die Strasse gezerrt.

Die Folgen der vermeintlichen Wohnungsknappheit werden natürlich nicht als gesellschaftliches Problem erkannt, sondern Betroffene sogar noch scharf attackiert. So hetzte der SPD-Abgeordnete Thomas Isenberg auf einer Veranstaltung unter dem Motto „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“ vor wenigen Tagen gegen die Versorgung von Obdachlosen.[6] Am Leopoldplatz wurde ein „Trinkerkäfig“ gebaut, um bestimmte Gruppen aus dem Stadtbild zu verdrängen – hier geht es eben um ihre Sicherheit. Eine Sicherheit davor, nicht mit Armut konfrontiert zu werden, keine Verantwortung übernehmen zu müssen und Aufwertungsprozesse im Viertel und darüber hinaus störungsfrei durchzupeitschen. Es geht ihnen nicht etwa um die Sicherheit um in Zeiten sozialer Kälte unterstützt, selbstermächtigt und gestärkt zu werden. Seit 1990 sind in der BRD 289 Menschen tatsächlich in dieser Kälte erfroren.

Die realistische Zahl liegt wohl weitaus höher. Wenn diese sich dann selbst Unterkünfte bauen oder in Zelten leben, wird im tiefsten Winter, wie jüngst geschehen durch den grünen Bezirksbürgermeister von Dassel, besonders kontrolliert und letztlich geräumt.[7] Es werden keine Lösungen für soziale Probleme, wie die der Wohnungsknappheit, präsentiert, sondern aggressive Konzepte der Sicherheit für ihre eigene Wohlfühl- und Wirtschaftszonen durchgesetzt. Mit Sicherheit verwertbar, könnten wir sagen.

Auch der Gang zum „Jobcenter“ ist von Kontrolle und Repression geprägt. Vom Sicherheitspersonal am Eingang, über den Zwang alle Finanzen bis zum letzten Cent offen zu legen, über Urlaub und Krankheit informieren zu müssen, bis dahin, dass Strafen angedroht und verhängt werden. Von Seiten des Staates wird hier eine Masse an Erwerbslosen unter Kontrolle gebracht und vereinzelt, damit die Löhne niedrig bleiben und Erwerbslose sich auch ja nicht gemeinsam organisieren. Denn wenn du den Job nicht für den Hungerlohn und unter den oft gesundheitsgefährdenden Bedingungen annehmen möchtest, steht da schon die nächste „Jobcenterkund*in“ bereit. Von einem „sozialen Sicherungssystem“ keine Spur. Besonders junge Menschen unter 25 Jahren sind in den letzten Jahren vermehrt von Kürzungen („Sanktionen“) und somit fehlender Sicherheiten betroffen: Genau die Hälfte aller Sanktionen im Jahr 2015.[8]

Doch es gibt auch Menschen, die noch nicht mal in die privilegierte Lage einer Handlungsfähigkeit gelangen, selbst wenn sie es wollten. Fast unsichtbar gibt es weiterhin im Wedding Lager für viele asylsuchende Menschen. Dort werden grundsätzliche Menschenrechte entzogen und Betroffene buchstäblich deponiert um gleichzeitig registriert und dadurch kontrolliert zu werden. Neben biometrischer Erfassung, Abschiebehaft und Arbeitsverboten, werden diejenigen die vor Krieg, Verfolgung und Armut, Schutz und Perspektive suchen, von der Nachbarschaft isoliert. Hier wird aussortiert, in verwertbar und unverwertbar geteilt und dann mit Sicherheit abgeschoben. Die Strategien dahinter sind vielfältig.

So wird mit Lagern und Residenzpflicht asylsuchenden Menschen jegliche Bewegungsfreiheit abgesprochen, während es eine garantierte Bewegungsfreiheit für Menschen mit deutschem Pass und den kapitalistischen Warenverkehr gibt. An den Grenzen Europas wird eine Festung mit Zäunen, Frontex und Soldat*innen gesichert. Menschen auf der Flucht werden auf immer gefährlichere Wege gedrängt. Hier brauchen wir keinen faschistoiden Führer alá Trump, der eine neue Mauer baut und Einreiseverbote verhängt – praktische Abschottung wurde bereits von vielen selbsternannten Demokrat*innen installiert. Allein seit 2014 starben im Mittelmeer über 10.000 Menschen. Ihre Sicherheit bedeutet, die der eigenen Bewegungsfreiheit und einer abgesicherteren Produktion, bei gleichzeitigem Massensterben und Verunsicherung in den Ländern des globalen Südens.

Es ist eine alltägliche Katastrophe für Menschen dieser und anderer Städte, eine Katastrophe, die von den vielen neuen aber auch eingesessenen Nachbar*innen im liberalen und individuellen Selbstverwirklichungsdrang gar nicht mehr wahrgenommen wird. Blicken wir zurück, dann mussten wir uns unsere Sicherheiten, d.h. Fortschritte in der Gesellschaft immer erst erkämpfen, auch wenn wir stets betrogen wurden: Zum Beispiel der Widerstand für einen angemessenen Arbeitsschutz, mehr Lohn oder für eine medizinische und soziale Grundversorgung. Begreifen wir die Gesellschaft in unserer Nachbarschaft eben als ein Kampffeld um genau diese, unsere Sicherheiten, unsere Würde!

Zunächst können wir die eigenen Probleme gemeinsam mit anderen angehen und nicht mehr nur allein die Gänge zu Ämtern oder Behörden erledigen. Einfach mal nebenan klingeln und sich gemeinsam fragen, warum denn schon wieder die verdammte Miete erhöht wurde. Das dies immer schon der simpelste, aktuell aber eher vernachlässigte Ausgangspunkt für die Basiskämpfe um uns herum ist, sollte uns zu Denken geben.

Um gemeinsam Strategien im Kiez zu entwickeln braucht es uns, unsere Zeit und Hingabe. Diese können wir kollektiv und solidarisch z.B. in bestehenden Erwerbsloseninitiativen, zu gründenden Hausräten, freien Gewerkschaften, Lager-Mobilisierungen oder selbstorganisierten Frauen*-Gruppen freisetzen. Solche Strukturen ermöglichen es uns, konkrete Projekte zu den unterschiedlichsten Kampffeldern aufzubauen. Lagerstreiks, antipatriarchale Kampagnen, Arbeitskämpfe, Jobcenter-Begleitung und Protest, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit diese Ansätze nicht immer wieder verpuffen oder in unbezahlter Lohnarbeit mündet, braucht es Orte, an denen Nachbar*innen sich selbstbestimmt austauschen und bilden können.

Für eine selbstorganisierte Basis im Stadtteil zur gemeinsamen Entwicklung einer Idee von Selbstverteidigung, also eine Sicherheit von Unten gegen die genannten Probleme und Angriffe, sind leicht zugängliche und aufbauende Bildungsprozesse ein tragender Bestandteil. Regelmässige lokale Workshops zu „Wie verhalte ich mich bei rassistischen Polizeikontrollen?“, „Was tun bei Mieterhöhung oder drohender Zwangsräumung?“, „Wie sexualisierte (häusliche) Gewalt aufarbeiten und bekämpfen?“ oder „In welchem solidarischen Modell können wir uns im Stadtteil organisieren?“, können erste Erfahrungen von Selbstermächtigung und Solidarität schaffen. Im besten Fall bringen diese erste Strukturen zur Selbstverteidigung hervor.

In der Praxis finden wir also bereits viele Gelegenheiten, uns einander näher zu bringen. Wir können bereits kleine Dinge in unserem Alltag kollektiv gestalten, entgegen ihrer Sicherheitslogik, einförmigen liberalen Denkmustern und Spaltungsversuchen. Bedeutend ist bei all diesen konkreten Alltagskämpfen der gemeinsame Blick über unsere und die Betroffenheit anderer hinaus. Um eben nicht im ständigen Abwehrkampf gegen ihre Sicherheit zu verharren und um letztlich mit einem gemeinsamen Ziel in die Organisierungsprozesse vor Ort zu gehen.

Hände weg vom Wedding / lcm

Fussnoten:

[1] http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistan-sicherheit-101.html

[2] https://netzpolitik.org/2017/amnesty-bericht-viele-eu-laender-unterscheiden-sich-kaum-noch-von-ueberwachungsstaaten/

[3] http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/zwangsraeumung-skalitzer-str.html

[4] https://www.kop-berlin.de/chronik

[5] http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/?p=239

[6] https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/tod-nach-zwangsraeumung

[7] http://www.taz.de/!5371800/

[8] http://www.morgenpost.de/berlin/article209453917/Bezirk-Mitte-laesst-Obdachlosen-Zeltlager-raeumen.html

[9] https://twitter.com/BastaBerlin/status/822822652909944837