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Die Kanzlerwahl: Lustige Demokratie

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Die Kanzlerwahl Lustige Demokratie

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Politik

Es hat für Fritz Merz also erst im zweiten Wahlgang geklappt. Grosse Aufregung in Berlin und in den Medien. Was war passiert?

Friedrich Merz am EPP Kongress in Valencia, 29 April 2025.
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Friedrich Merz am EPP Kongress in Valencia, 29 April 2025. Foto: European People's Party (CC-BY 2.0 cropped)

Datum 9. Mai 2025
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Kanzler Olaf schon am Abend vorher mit grossem Zapfenstreich durch „die Truppe“ verabschiedet. Kanzler Friedrich nicht pünktlich um 9 Uhr am Morgen danach gewählt – „obwohl“ doch schon Termine beim Bundespräsidenten vereinbart und die Koffer für Paris und Warschau gepackt waren.

Und sonst? Gab es ein Machtvakuum – ein paar Stunden (es hätten Tage werden können, wenn die Linkspartei nicht so staatskonstruktiv agiert hätte!) so ganz ohne Kanzler? Hat eine Behörde nicht funktioniert? Haben Bauherrn einfach gebaut, wie sie wollten? Wurde geplündert? Wusste die Polizei einen halben Tag lang nicht, was sie zu tun hatte?

Natürlich nichts von alledem. Der ganze kapitalistische Alltag ging seinen staatlich vorgesehenen Gang. Die Aufregung galt einem ganz anderen Punkt und macht nur aus einer ganz anderen Perspektive Sinn. Für den designierten Kanzler und die Machtansprüche, die er nach innen wie nach aussen geltend macht, sieht es allen Expertisen der versammelten Politiker, Medien und Politikwissenschaftler einfach schlecht aus, wenn er „es“ nicht gleich reibungslos und im ersten Anlauf hinkriegt.

Was sollte er eigentlich hinkriegen?

Die Kanzlerwahl

Demokratie – und damit der wesentliche und alles entscheidende Unterschied zu den verachteten „autoritären Regimen“ – besteht nach allgemeiner Ansicht darin, dass freie Bürger frei wählen dürfen. Ganz selbstverständlich ist dabei allen Beteiligten, auch den Bürgern, dass sie dabei nicht über ihre Lebensverhältnisse entscheiden, sog. „Sachfragen“, sondern über Personen, nämlich über Politiker, die ihnen von Parteien zur Auswahl vorgeschlagen werden und die die nächsten vier Jahre das Sagen über sie haben sollen.
Das haben sie am Wahltag getan und den Parteien damit ein Ergebnis geliefert, dem diese ihre Optionen entnommen haben. Resultat: CDU/CSU und SPD haben eine Koalition ausgehandelt und sich – unter Einbezug aller Erpressungsmöglichkeiten, zu denen sie jeweils in der Lage waren – auf ein Programm und eine Verteilung der Posten im Kabinett geeinigt, die Deutschland nach vorne bringen und gleichzeitig die Handschrift der beteiligten Parteien erkennbar machen sollen.

Der letzte Schritt: Die Wahl des Kanzlers, dem künftig die „Richtlinienkompetenz“ zukommt, der also das gewichtigste Wort in der Exekutive hat. Eine Wahl im eigentlichen Sinn ist dafür nicht vorgesehen – es gibt nur einen Kandidaten. Insofern können die Abgeordneten nur zustimmen oder eben nicht bzw. sich enthalten. Nicht gerade viel Möglichkeiten (was ansonsten schon mal gerne zum Vorwurf gemacht wurde und wird). Die Kanzlerwahl ist als eine öffentliche Akklamations-Veranstaltung konstruiert, da alles Entscheidende bereits feststeht, wenn sie angesetzt wird.

Im aktuellen Fall haben einige, genauer 18 Abgeordnete, von ihrer im Grundgesetz vorgesehenen, wie gesagt, ziemlich bescheidenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und dem „Abgeordneten Friedrich Merz“ ihre Stimme verweigert.

Warum sie das gemacht haben, soll hier nicht weiter interessieren, auch wenn es ein interessantes Licht darauf wirft, wie offen und transparent es in den Fraktionen der Parteien zugeht, in denen es vor der Kanzlerwahl sogar noch Probe-Abstimmungen gab (bei denen noch alles „geklappt“ hatte).

Von grösserem Interesse ist, dass die versammelten Experten, ob Opposition, Journalisten, die Hertie School und der deutsche Mittelstand (!) keine fünf Minuten später wussten, dass – wie auch immer die Sache ausgeht, und sie ging ja „am Ende des Tages“ „gut“ aus – Friedrich Merz nun „beschädigt“ und das für Deutschland eine schwere Hypothek ist.

Einige Stimmen fehlen im ersten Wahlgang und schon wissen alle: Diesem Mann fehlt es an Führungsstärke, er ist nicht in der Lage, Einheit und Geschlossenheit zu erzeugen – Himmel, wo soll das enden?

Was sich hier zu Wort meldet, ist der offenbar in der freien Demokratie sehr präsente Wunsch, ja die Forderung nach einem starken Führer (auch wenn „wir“ es so noch nicht wieder sagen, sondern lieber von „Führungsstärke“ reden). Da dürfen es gern auch bis zu hundert Prozent Zustimmung sein, und dass es nur einen Kandidaten gibt fällt sowieso nicht weiter auf. Denn nur ein starker Führer mit Führungsstärke kann die anstehenden nationalen Notwendigkeiten durchsetzen. Dürfte bekannt vorkommen…

Einige Schlüsse aus diesem lustigen Event

Erstens: Die ganze Veranstaltung der formidablen „Kanzlerwahl“ dient also dazu, die künftigen deutschen Machtansprüche zu untermauern – eine schöne Auskunft über den Sinn dieser demokratischen Abstimmung, danke dafür!

Zweitens: Wenn nicht alle wie eine Eins hinter dem Chef der deutschen Regierung stehen, dann geht „es“ nicht – gerade in Zeiten, wo die deutsche Wirtschaft einen starken Staat und seine klaren Entscheidungen braucht (wieso das eigentlich? stört der nicht immer „den Markt“?).

Drittens: Gut, dass es sich bei uns nicht um eine autoritäre Regierung handelt.

Renate Dillmann