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Die fünf Säulen der Verkehrswende | Untergrund-Blättle

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Wir fordern: Verkehr sparen, Flächen umverteilen! Die fünf Säulen der Verkehrswende

Politik

Was geschehen muss, damit der Umstieg von Auto auf Fuss, Fahrrad und ÖPNV klappt.

Verkehrswende Demo #aussteigen zur IAA in Frankfurt, September 2019.
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Verkehrswende Demo #aussteigen zur IAA in Frankfurt, September 2019. Foto: © Heinrich Stürzl/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

15. April 2021
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Viele Jahrzehnte völlig einseitige Orientierung auf den Personen- und Gütertransport per PKW und LKW haben eine verheerende Abhängigkeit von dieser Art der Fortbewegung geschaffen. Die vielen Nachteile der Toten und Verletzten, der Zuasphaltierung von Stadt und Land, der Luft- und Lärmbelastung sowie dem gigantischen Bedarf an Rohstoffen für Bau und Betrieb wurden ausgeblendet. Bahnstrecken verödeten, während gigantische Arbeitskraft und Geld in den Ausbau der Autoinfrastruktur gesteckt wurden. Die Wende hin zu menschen- und umweltfreundlichen Verkehrssystemen braucht daher vielerorts erhebliche Kapazitäten. Vielfach lassen sich die geschaffenen Systeme aber auch gut umnutzen.

Was jetzt schnell und konsequent geschehen muss, lässt sich in vier Worten zusammenfassen: Verkehr sparen, Flächen umverteilen! Aktionen für eine Verkehrswende sollten zu den konkreten Forderungen passen, die PKW- und LKW-Verkehr reduzieren und die von diesem eingenommenen Flächen für mehr Lebensqualität in den Orten, andere Formen der Fortbewegung oder eine Renaturierung frei werden lassen.

Die fünf Säulen der Verkehrswende

Im Folgenden soll benannt werden, was nötig ist, um vom gefährlichen und umweltzerstörenden Autoverkehr zu sinnvollen Alternativen zu kommen. Bis heute hat Verkehrspolitik nämlich zwei Macken. Zum einen werden weiterhin Strassen und Stellplätze gebaut. Mitunter geschieht das mit dem Versprechen, Menschen von Lärm- und Luftbelastung zu entlasten. Doch jede neue Autoinfrastruktur für zu mehr Verkehr. Zudem sind die kleinen Massnahmen für andere Verkehrsmittel fast immer Stückwerk. Es geschieht viel zu wenig und viel zu langsam, zudem ist vieles nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Verkehrswende muss konsequent geschehen, sonst gibt es am Ende nur Verlierer*innen. Hier mal ein Radwegchen und da mal eine etwas längere Grünphase für Fussgänger*innen reicht nicht. Die echte Verkehrswende besteht aus fünf Bausteinen. Aktionen und Verkehrswendevorschläge sollten darauf abzielen.

1. Verkehr vermeiden – für eine Politik der kurzen Wege!

Verkehr wird erzwungen, wenn die Lebensbereiche der Menschen auseinandergerissen werden – und er verringert sich, wenn zusammenwächst, was zusammengehört. Wenn Menschen in Stadtteilen und Dörfern (wieder) Einkaufsmöglichkeiten, Kulturangebote, Arbeitsplätze, Arztpraxen usw. finden, fallen viele Wege weg oder werden so kurz, dass Fuss und Fahrrad viel attraktiver sind als ein eigenes Auto, welches Geld kostet, Platz wegnimmt und durch die Parkplatzsuche bei kurzen Wegen auch nicht schneller ist.

Eine Politik der kurzen Wege besteht zum einen aus der Verhinderung weiterer Zentralisierungsprozessen und verkehrsintensiver Märkte auf der grünen Wiese, zum anderen müssen dezentrale Angebote entsprechend gefördert und unterstützt werden. Regional- und kommunale Planung müssen darauf ebenso ausgelegt werden wie entsprechende Förderprogramme von Bund und Ländern.

2. Autofreie Ortszentren und sensible Zonen als Anfang ... und dann ausdehnen!

Der Autoverkehr (motorisierter Individualverkehr) muss zurückgedrängt werden, zunächst aus den Innenstädten. Ortszentren und um Schulen, Kindergärten, Kliniken usw., dann aus Wohngebieten, am Ende überall. Die freiwerdenden Flächen werden dringend für andere Verkehrssysteme, Aufenthalts- und Spielflächen und Begrünung gebraucht. Vor allem aber steigert das Fernbleiben des PKW-Verkehrs aus dem unmittelbaren Umfeld verkehrsintensiver Orte die Chance, dass Menschen auf andere Weise dorthin gelangen können und wollen. Erst wenn der tägliche Horror vieler Elterntaxis von Kindergärten und Grundschulen Abstand hält, ist gefahrloses Ankommen zu Fuss oder mit dem Fahrrad wieder möglich. Wenn Geschäfte oder Bildungseinrichtungen mit dem Fahrrad oder ÖPNV direkt und gefahrlos anfahrbar sind, aber vom Park&Ride-Platz noch ein Umstieg oder ein Fussmarsch nötig sind, werden sich die umwelt- und menschenverträglichen Verkehrsmittel durchsetzen.

3. Schienenverkehr stärken, Busse als Zubringer und Nulltarif einführen!

Mobilität muss für alle gleichermassen möglich sein. Dafür bedarf es eines flächendeckenden, dichten Netzes an Bus- und Bahnlinien - und das zum Nulltarif, also der Abschaffung des Fahrkartenwesens. Die Einsparung durch einen Wechsel vieler Menschen vom Auto auf Rad und ÖPNV ist höher als die Kosten des fahrscheinlosen Fahrens.

Ausgebaut werden sollen vor allem die fussgänger*innenfreundlichen und barrierefreien Strassenbahnen. Sie bewegen zudem auf ihrem Querschnitt mehr Menschen bewegen als Autos und Busse und sind einfacher einzurichten und zu betreiben als unterirdische Bahnen. Zudem ist vielerorts möglich, die Tramgleisnetze in der Stadt mit den Eisenbahnlinien der Umgebung zu verknüpfen. Diese sogenannten RegioTrams bringen dann die Menschen aus der Peripherie direkt zu den wichtigen Orten der Metropolen. Viele Städte haben einen Anteil von 60 bis 80 Prozent des PKW-Aufkommens aus der Umgebung, so dass diese Verknüpfung sehr wichtig ist.

Busse mit klimafreundlichem Antrieb dienen als Zubringer von Haustür zu den Bahnhaltestellen mit direkten, überdachten und barrierefreien Übergängen zum Bahnverkehr. Wo der Platz für Strassenbahnen fehlt oder Hindernisse zu überwinden sind, können auch Seilbahnen eine Lösung innerhalb von Orten oder zu ausgewählten Zielen sein.

4. 50 Prozent und mehr des Verkehrs aufs Fahrrad – mit einem Netz von echten Fahrradstrassen!

Etliche Städte in den Niederlanden, in Dänemark und auch einige in Deutschland zeigen, dass es möglich ist, über die Hälfte der zurückgelegten Wege mit dem Fahrrad zu bewältigen. Solche Fahrradstädte sind attraktiv, nicht nur für die Menschen auf dem Rad, sondern auch bei denen, die dort wohnen, einkaufen, sich erholen oder Geschäfte betreiben. Denn Fahrräder nehmen viel weniger Platz weg und brauchen kein Parkticket, so dass ihre Nutzer*innen entspannter in der Stadt unterwegs sind.

Um das Radfahren systematisch zu fördern. Um Menschen zum Umstieg auf das Fahrrad zu bewegen, braucht es vor allem ein Netz von Fahrradstrassen, die gar nicht von Autos oder höchstens von Anlieger*innen befahren werden. Um neue Flächenversiegelung zu vermeiden, sollten bevorzugt bisherige Autostrassen umgewandelt werden. Durchgangsverkehr ist durch Polder oder gegenläufige Einbahnstrassen ganz zu unterbinden.

Fahrradstrassen müssen zu allen wichtigen Mobilitätspunkten verlaufen, zum Beispiel Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen, Einkaufsmärkte, Ortszentren und Bahnhöfe. Kreuzungen mit Autostrassen sind sicher zu gestalten und möglichst oft die Fahrradstrasse mit Vorfahrt auszustatten. Neben dem Fahrradstrassennetz sind überdachte und sichere Abstellanlagen, Leihradsysteme und gute Ausschilderung wichtig.

5. Fusswege und autofreie Plätze schaffen und verbessern

Nicht vergessen werden dürfen die Wege zu Fuss, die im Nahbereich und zu den Haltestellen stets Teil der Mobilität sind. Wichtig ist genug Platz, verbunden mit angenehmen Aufenthalts- und Spielplätzen, sowie eine barriere- und lärmfreie Gestaltung. Hilfreich sind gute Ausschilderung und Unterstellmöglichkeiten bei Regen. An Ampeln erhöht das Rundum-Grün (alle Ampeln für Fussgänger*innen gleichzeitig auf Grün, alle anderen gleichzeitig rot) nicht nur die Sicherheit, sondern ermöglicht auch das zügige Überqueren in der Diagonalen.

Für all diese Teile einer konsequenten Verkehrswende lohnt es sich, Forderungen zu stellen, Pläne zu entwickeln und Aktionen durchzuführen. Darüber hinaus gilt: Keine Strassen mehr! Sofortiger Baustopp überall! Denn: "Wer Strassen baut, wird Verkehr ernten!" Deutlich zeigte das der Fertigbau der A94 östlich von München. Kaum fertig, stiegen die Menschen von der Bahn aufs Auto um. Das ergab eine erste Untersuchung des durch den Autobahnbau veränderten Mobilitätsverhalten.

Aktion Automarder

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