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Wie der DGB aus dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse einen deutschen »Tag der Arbeit« macht

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Mit wem eigentlich? Wie der DGB aus dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse einen deutschen »Tag der Arbeit« macht »Ungebrochen solidarisch«

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Politik

Unter dem Motto »ungebrochen solidarisch« veranstaltet der DGB zum »Tag der Arbeit« wie gewohnt bundesweit Kundgebungen und Demos.

DGB-Zentrale in Osnabrück.
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DGB-Zentrale in Osnabrück. Foto: Ramsch (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 3. Mai 2023
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»Energiekrise, Klimakrise, der Krieg in der Ukraine, hohe Inflation und die Auswirkungen der Coronapandemie«, so heisst es im Aufruf zum 1. Mai, »erzeugen Unsicherheit und stürzen viele Menschen in existentielle Sorgen.«

Die erwähnten Sorgen will der Gewerkschaftsbund selbstverständlich nicht als herbe Bilanz seiner regierungstreuen Strategie im ersten Kriegsjahr verstehen. Kein Wort über den Zusammenhang zwischen der kreditfinanzierten deutschen Kriegsbeteiligung und ihren inflationären Folgen. Kein Wort zur laufenden Aufrüstung per Staatsverschuldung samt »Sondervermögen Bundeswehr«, zur eskalierenden militärischen Ausrüstung der ukrainischen Armee, zur Finanzierung ihrer Staatsführung.

Und vor allem kein Wort zur rot-grün-gelben Sanktionspolitik gegen Russland, die durchaus als Preistreiber Nummer eins gelten darf. Immerhin ist die vermeintlich subjektlose »Energiekrise« ja die Folge der Sanktionspolitik gegen Gas und Öl aus Russland sowie der Sprengung der North-Stream-Pipeline (die Ermittlungen zur Urheberschaft werden »im Interesse des Staatswohls« bekanntlich geheim gehalten).

Inflationäre Vergesslichkeit

Besser gar nicht nachdenken soll man als Gewerkschaftsmitglied darüber, dass die Substitution russischer Energieträger durch Frackinggas aus den USA, Atomstrom und heimische Braunkohle allen Ernstes zur Bewältigung der »Klimakrise« erfolgt.

Dafür verbucht der DGB die Massnahmen der Regierung zur Abfederung der desaströsen Folgen ihres Wirtschaftskrieges für den Kapitalstandort als seine Erfolge. Stichwort »Energiepreisbremse«. Ebenso hält man sich die »Einmalzahlungen an Beschäftige« zugute. Zur Erinnerung: Nach dem Willen von Bundesregierung, Unternehmen und Gewerkschaften sollte die »konzertierte Aktion« einen »heissen Herbst« samt tarifwirksamem Inflationsausgleich vermeiden. Das hat geklappt! Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 Euro (in Worten: zwölf) und die Einführung des »Bürgergeldes« wertet der DGB als Erfolg.

Reallohnsenkung als Erfolg

»Vor allem aber«, so heisst es, »haben die Gewerkschaften in vielen Tarifverhandlungen für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld im Portemonnaie von Millionen Beschäftigten gesorgt.« Angesichts einer zweistelligen Teuerungsrate für die Hälfte der Lohnabhängigen, die die niedrigsten Einkommen haben, und entsprechender Kaufkraftverluste für vierzig Millionen Werktätige samt Familien dürfte selbst solidarisches Vergessen hier nicht ausreichen.

Angesichts der laufenden Umstrukturierungen der Betriebe im Namen von Klimawandel, Digitalisierung etc. – Stellenstreichungen und Entlassungen sind da selbstverständlich inbegriffen – wird in dem Aufruf von der öffentlichen Hand verlangt, »konsequent in die Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten zu investieren«, um »die Klimawende zum Erfolg zu machen«.

Das ist schon gut: Von der SPD-geführten Bundesregierung erwartet der ebenfalls SPD-geführte Dachverband (Yasmin Fahimi, die Bundesvorsitzende, war von 2014 bis 2015 Generalsekretärin der SPD und danach Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales) »einen Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung« und »die Wiedereinführung der Vermögenssteuer« um die »historischen Herausforderungen unserer Gesellschaft«, also selbstverständlich der Staatsfinanzierung, gerecht zu verteilen. Es dürfe nicht sein, »dass die Hauptlasten der Krise den Beschäftigten aufgebürdet werden, während sich die Reichen aus der Verantwortung stehlen.« Natürlich nicht. Übrigens: Fahimi verdient beim DGB über 180.000 € brutto.

(Burg-)Friedenspolitik

Weniger missverständlich hingegen der friedenspolitische Appell am Ende des Aufrufes. Mit seinem »mörderischen Angriffskrieg« habe Russland »ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht« begangen. In wörtlicher Übereinstimmung mit den Kriegszielen aus Kiew, Warschau und Berlin fordert der DGB »die russische Regierung auf, ihre Truppen zurückzuziehen und die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen.«

Zwar werden sich die Kriegsstrategen in Moskau vermutlich nicht so sehr nach dem DGB richten. Die Botschaft ist um so deutlicher: Das Abschlachten auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz für die geopolitischen Interessen in Ost und West soll nach dem Willen des Deutschen Gewerkschaftsbundes ungebrochen weitergehen: mit ukrainischem und russischem Blut und mit deutschem Geld und deutschen Waffen. Die Kosten und Konsequenzen des Gemetzels dürfen Beschäftigte in der Bundesrepublik dann »ungebrochen solidarisch« und »im Geiste der Völkerverständigung« mittragen.

Freche Franzosen

Keine Solidarität geniessen übrigens die französischen Beschäftigten. Zum anhaltenden Kampf von Millionen Menschen gegen die dekretierte Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre kein Wort; nicht einmal ein solidarisches Lippenbekenntnis. Das ist nicht verwunderlich, weil die deutsche »Rentenreform« mit den Stimmen der DGB-Mitglieder im Bundestag 2003 durchgesetzt wurde – zum Schaden der Beschäftigten und Rentner und zum Nutzen des deutschen Kapitalstandortes. Der konkurriert seither mit der Produktivität und Billigkeit deutscher Lohnarbeit seinen linksrheinischen »Partner« kaputt und leitet daraus seine Vormachtstellung in Europa ab.

Und während die Lohnabhängigen in Frankreich immer noch das Ideal der Versöhnbarkeit ihrer persönlichen Interessen mit den Ansprüchen der Grande Nation einfordern, macht sich der DGB über die Abhängigkeit der Lohnarbeitenden von Staat und Kapital keine Illusionen. Solidarität ist für ihn eben kein Mittel zur grenzübergreifenden Durchsetzung proletarischer Interessen. Seine »ungebrochene Solidarität« gilt in sozialpartnerschaftlicher Treue den Erfordernissen des Standortes auf Kosten der Lohnabhängigen dies- und jenseits deutscher Grenzen. Seine »Verantwortung« sieht er in der Aufgabe, die Beschäftigten bei diesem arbeiterfeindlichen Programm mitzunehmen.

Arian Schiffer-Nasserie