Den Europäern warf Kagan vor, einfach die Friedensdividende zu geniessen und das Geld in den Sozialstaat zu pumpen, statt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion so richtig aufzurüsten. Kagan interpretierte vor dem Hintergrund seines offensichtlich sozialdarwinistisch geprägten Weltbildes auch gesellschaftliche und politische Prozesse als «natürlichen» Kampf zwischen Starken und Schwachen.
Er pflegte in seinem Buch einen eigenartig verkümmerten, auf das Militärische reduzierten Machtbegriff. Die Macht der USA pries er mit einer saftigen Portion Arroganz als «unter Umständen das beste – und vielleicht sogar das einzige – Mittel, um den Fortschritt der Menschheit zu befördern». Selbst eine kaum getarnte Drohung stiess er in seinem Buch aus: Den «anhaltenden Glauben der Amerikaner an die ausserordentliche Stellung ihrer Nation in der Geschichte, ihre Überzeugung, dass ihre Interessen und die Interessen der Welt identisch seien, mag man begrüssen, verspotten oder beklagen. Aber man sollte sie nicht in Zweifel ziehen».
Kagan fährt schweres Geschütz auf
Und nun das: Ausgerechnet Donald Trump, der mit dem Slogan «Make America great again» in die Schlacht um das Weisse Haus zieht, ist ins Schussfeld von Robert Kagan geraten. Und wie! Bereits im März hat er Trump als «Frankenstein-Monster der Republikaner» bezeichnet und öffentlich dazu aufgerufen, Hillary Clinton zu wählen, «um das Land zu retten», falls Trump offizieller republikanischen Kandidat werde. Nun hat Kagan nachgelegt. In einem Essay in der «Washington Post» und im «Spiegel» (22/2016) schreibt er, mit Trump «kommt der Faschismus nach Amerika: Nicht in Marschstiefeln und mit militärischem Gruss, sondern in Gestalt eines TV-Promis, eines verlogenen Milliardärs, eines Egomanen wie aus dem Lehrbuch, der sich gängige Ressentiments und Unsicherheiten zunutze macht».«Bedrohung der Freiheit»
Kagans Argumentation ist durchaus lesenswert. Das Phänomen Trump habe gar nichts mit Politik zu tun, denn er biete seinen Anhängern keine wirklichen Mittel gegen die Krise. «Was er anbietet ist eine Haltung, die Aura von grobschlächtiger Stärke und Machismo, die prahlerische Missachtung der Feinheiten der demokratischen Kultur, die, wie er behauptet und wie seine Anhänger glauben, landesweit nur Schwäche und Inkompetenz hervorgebracht haben».Er provoziere, spiele mit Unmut und Verachtung, «dazu kommt ein bisschen Angst, Hass und Wut», er verhöhne und verspotte die jeweils «Anderen», «Muslime, Hispanics, Frauen, Chinesen, Mexikaner, Europäer, Araber, Immigranten, Flüchtlinge». Seit Jahrzehnten hätten Konservative vor einer Regierung gewarnt, die alle Freiheit erstickt. «Aber dies hier ist eine andere Bedrohung der Freiheit: (…) dass in einer Demokratie die Bürger selbst in ihrer ungezügelten Wut genau die Institutionen mit Füssen treten könnten, die erschaffen wurden, um ihre Freiheiten zu bewahren».
Trump schuldet der Partei nichts
Und dann kommt die Parallele zum Faschismus. Der deutsche Nationalsozialismus und der italienische Faschismus bestanden «aus einem Haufen Widersprüche, in erster Linie vereint dadurch», was und wen sie ablehnten. Und es ging immer nur «um den starken Mann an der Spitze, dem man das Schicksal der Nation anvertrauen konnte». Genau diesen Mechanismus fürchtet Kagan auch im Fall eines Wahlsiegs von Trump: Er sei nicht zu domestizieren, weil er, einmal an der Macht, auf keine Partei Rücksicht nehmen müsse; auch nicht auf die Republikaner, weil er «ihnen und ihrer Partei nichts schuldet», und weil er ohne oder gar gegen den ursprünglichen Willen des Partei-Establishments ins Weisse Haus katapultiert worden ist. Er fühle sich dann nur seiner wachsenden Anhängerschaft, «dem Volk», verpflichtet. Trump mache sich das zunutze, «was die Gründerväter am meisten gefürchtet haben, als sie die amerikanische Demokratie begründeten: die entfesselten Gefühle der breiten Masse, die Herrschaft des Mobs».Der Warnruf von Robert Kagan hat manch einen aufgeschreckt. Carlo Strenger, Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv, schrieb in der NZZ über den Faschismus-Vergleich: «Hätte nicht Kagan geschrieben, hätte ich gedacht, das sei doch stark übertrieben. Wir sollten uns daher die Frage stellen, ob wir nicht unterschätzen, in welch epochaler Gefahr wir uns bewegen».
Wieso ist Kagan so erstaunt?
Diese Feststellung ist sicher richtig. Trotzdem bleiben Fragen zurück. Warum ist ein pointiert rechter Hardliner wie Robert Kagan, unter anderem Berater der republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain (2008) und Mitt Romney (2012), derart erstaunt und alarmiert ob einem Donald Trump? Schliesslich haben die Tea-Party-Bewegung und die zunehmende Radikalisierung innerhalb der Republikanischen Partei seit 2009 den Boden für diese Entwicklung geebnet. Die Republikaner und ihre intellektuelle Prätorianergarde haben es weitgehend sich selbst zuzuschreiben, dass eine derart unappetitliche Figur wie Donald Trump überhaupt möglich ist.Bei den Wahlen 2008 hat der von Kagan unterstützte und beratene Präsidentschaftskandidat McCain die spätere Tea-Party-Ikone Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin erkoren. Und im Januar 2016 verkündete Palin ihre Unterstützung für Trump. Es gab also frühe Anzeichen dafür, in welche Richtung die Republikanische Partei sich bewegt. Robert Kagan ist zwar mittlerweile auf Distanz zur Partei gegangen, weil sie zu keiner konstruktiven Politik mehr fähig sei. Eine späte Einsicht. Deshalb wäre ein wenig Selbstkritik seinem Essay gut angestanden.