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Und wo bleibt «unsere Revolution»? USA: Die Linke hat den Wahljahrblues

Politik

Die Beliebtheit von Bernie Sanders beweist: US-AmerikanerInnen sind für linke Anliegen zu gewinnen.

Sanders Kampagne beweist, dass sich US-AmerikanerInnen für linke Anliegen begeistern lassen.
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Sanders Kampagne beweist, dass sich US-AmerikanerInnen für linke Anliegen begeistern lassen. Foto: Richard Lopez (CC BY 2.0 cropped)

19. Oktober 2016
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Die US-Linke singt den Novemberblues. Denn das hässliche Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump ist alles andere als eine Hoffnungswahl. Und doch prägte die Popularisierung progressiver Ideen diese Wahlsaison.

Alle vier Jahre, anlässlich der Präsidentenwahl, erleidet die Linke in den USA einen Schub Politikpessimismus. Schon während der Vorwahlen (Primaries) werden jeweils die Klagen laut: Noch nie gab es derart oberflächliche, nichtssagende, opportunistische PräsidentschaftskandidatInnen. Noch nie wurden die politischen Debatten in den USA derart an der Sache vorbeigeführt. Noch nie war die Schlammschlacht der KonkurrentInnen so hässlich, die Wahlkampagne so käuflich und korrupt, die Diskriminierung von schwarzen WählerInnen so unverschämt. Noch nie war die Demokratie so gefährdet und noch nie der Zustand der Nation so desolat.

Und dann findet in den linken Medien die immer gleiche Diskussion um die richtige Gegenstrategie zu dieser Misere statt. Der politische Spielraum in der festgefahrenen Zweiparteienlandschaft mit ihrem simplen Mehrheitswahlrecht (der Sieger bekommt alle Stimmen) ist bescheiden. Die einen Linken, die «Prinzipienlosen», verteidigen seit Jahrzehnten wortreich ihre pragmatische Wahl des kleineren Übels, was gleichbedeutend ist mit der Stimmabgabe für den demokratischen Kandidaten oder wie dieses Jahr erstmals: für die demokratische Kandidatin. Die anderen, die «Verantwortungslosen», plädieren ebenso eloquent für eine symbolisch bedeutsame Wahl, also geben sie ihre Stimme aus Protest einer chancenlosen Drittperson aus dem sozialistischen oder grünen Lager. Seit dem Wahlfiasko im Jahr 2000 bekämpfen sich die beiden Lager besonders unerbittlich: Damals hatte der demokratische Kandidat Al Gore gegen den Republikaner George Bush eine knappe Niederlage erlitten, die nachträglich dem «Störfaktor» Ralph Nader, also dem grünen Drittkandidaten, zugeschrieben wurde. Dieses Jahr ist weit und breit kein «gefährlicher» Sprengkandidat, keine populäre «Spielverderberin» auszumachen. Jill Stein, die unermüdliche Präsidentschaftskandidatin der Grünen erreichte vor vier Jahren gerade 0.36 Prozent der Stimmen. Trotzdem tut die US-Linke so, als ob just hier, auf diesem doch sehr beschränkten Terrain der internen Präsidentenwahlarithmetik, die entscheidende politische Schlacht geschlagen würde.

Vorwärts in die Vergangenheit

Die diesjährige US-Präsidentschaftswahl treibt allerdings nicht nur linke Stimmberechtigte in den Novemberblues. Denn zur Wahl stehen zwei politische Auslaufmodelle – wenn auch ganz unterschiedlicher Qualität. Jetzt schon ist klar: Das nächste Regierungsoberhaupt der USA ist auf jeden Fall rückwärtsgewandt und kaum bereit, sich den heutigen Problemen zu stellen oder das Land gar weitsichtig in die Zukunft zu führen. Und das ist verheerend, denn die US-Gesellschaft verändert sich schon rein demografisch sehr schnell: Dieses Jahr gehört bereits ein Drittel aller Stimmberechtigten sogenannten Minderheiten an; das heisst, sie sind afroamerikanischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Herkunft.

Der blonde Donald Trump ist ein besonders fantastischer Fall von Retro: Er ortet das Goldene Zeitalter da, wo die Männer noch echte Männer sind, die Frauen alle schön und dünn, wo Schwarz und Weiss getrennte Wege gehen und wo das Volk seinen Führer achtet und ehrt. Denkt er an mittelalterlichen Feudalismus? An klassischen Kolonialismus? Oder schlicht an eine Putin-ähnliche Diktatur?

Doch auch Hillary Clinton schaut nicht nach vorn, sondern zurück in nostalgisch verklärte Neunzigerjahre. Die Regierungszeit ihres Göttergatten Bill wird zum Massstab aller guten Dinge. Kein Wort darüber, wie effizient Präsident Clinton damals den Abbau des Sozialstaates vorangetrieben hat. Und natürlich müsste die ehemalige Aussenministerin auch wissen, dass sich das heutige globale Umfeld nicht mit der Situation nach dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten 1989 vergleichen lässt.

Und wo bleibt «unsere Revolution»?

2016 ist für die USA keine Hoffnungswahl. Wenn alles schief geht, regiert fortan Trump mit Angst, Schrecken und kindischem Zorn. Im bestmöglichen Fall gibt es Besitzstandwahrung dank einem Comeback der Clinton-Dynastie. Es fehlt bei diesem Wahlgang der Mut zur Veränderung, der 2008 junge, weibliche und nichtweisse WählerInnen mobilisierte sowie den ersten Afroamerikaner ins Weisse Haus hob.

Obamas Wahlversprechen seien nichts als leere Worte gewesen, beklagen sich nun manche Linke in den USA und ziehen eine äusserst kritische Bilanz über die achtjährige Amtszeit von Präsident Barack Obama. Nicht zuletzt habe der ehemalige Hoffnungsträger seine jungen Fans gründlich desillusioniert und entpolitisiert. Diese würden sich kaum mehr für fortschrittliche Projekte mobilisieren lassen.

Das wichtigste Gegenargument zu diesem altbekannten und etwas defätistischen Wahlbluesrefrain ist Bernie Sanders, der in der Vorwahl gegen Hillary Clinton unterlegene demokratische Präsidentschaftskandidat. Es war diesmal kein junger gutaussehender Afroamerikaner, sondern ein älterer, zerzauster weisser Mann, dazu noch ein gestandener Realpolitiker, der mit seiner Vision von sozialer Gerechtigkeit vorab die Jugend zu begeistern wusste. Seine klar links stehende Kampagne, eine Reformpolitik, die er selbst etwas kokett «unsere Revolution» nennt, erzielte einen unglaublichen Widerhall. Der existenzsichernde Mindestlohn, zahlbare Studiengebühren, ein Justizsystem, das alle Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe, Herkunft oder sexuellen Orientierung gleichermassen respektiert, und auch die Reform des korrupten Wahlfinanzierungssystems: Niemand hatte erwartet, dass solche zentralen linken Themen so schnell Teil der Mainstreamdebatte werden könnten.

Zivilgesellschaft während Präsidentschaft Obama aktiver geworden

Der Erfolg ist nicht allein dem unermüdlichen Senator aus Vermont zu verdanken, sondern auch einer Zivilgesellschaft, die während der Präsidentschaft Obamas sehr viel lebendiger und aktiver geworden ist. In den letzten acht Jahren erlebten die USA die Geburt der globalisierungskritischen Occupy-Bewegung, der Mindestlohnkampagne «Fight for 15$» und der neuen antirassistischen Bürgerrechtsorganisation «Black Lives Matter», um nur drei der prominentesten Beispiele zu nennen. AktivistInnen aus diesen und unzähligen anderen politischen beziehungsweise sozialen Gruppierungen waren das Rückgrat der Sanders-Kandidatur und haben seinem linken Reformprogramm zu einem Achtungserfolg verholfen.

Die US-Linke sollte die Verbreitung progressiver Ideen als bedeutsamstes Ereignis der Wahlsaison 2016 feiern. Denn die Beliebtheit von Bernie Sanders beweist, dass die US-AmerikanerInnen für linke Anliegen zu gewinnen sind. Der Auftritt des streitbaren Senators hat zudem den harschen Widerspruch zwischen dem pragmatischen und dem ideellen Flügel der Linken wenn nicht aufgehoben, so doch herausgefordert und stellenweise aufgeweicht. Bernie Sanders nutzte so lange wie möglich das eingespielte Zweiparteiensystem, um seine Botschaft möglichst wirksam zu verbreiten. Und er stellte sich, ganz kühler Realpolitiker, entschlossen hinter Hillary Clinton, als der demokratische Parteikongress sich für diese Kandidatin entschied.

Die im ersten Moment arg enttäuschten Sanders-AnhängerInnen sind nun die vielversprechendste Basis für eine kritische Begleitung der nächsten US-Regierung. Von ihr könnte der vielbeschworene Druck von unten kommen. Und vielleicht sehen wir bei den Präsidentschaftswahlen in vier, acht oder sechzehn Jahren in den USA eine robustere Linke, die die Lage der Nation weniger bejammert und mehr mitbestimmt.

Lotta Suter / Infosperber

Dieser Text erschien zuerst in der Wochenzeitung.

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