Die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks in Sendai Japans Rückkehr zur Atomkraft – „Nichts gelernt“?

Politik

Nach zweijährigem Stillstand der Atomkraftwerke in Japan wird nun der Block 1 des Atomkraftwerks in Sendai wieder in Betrieb gehen. Die nationale Atomaufsichtsbehörde hat dieses für sicher erklärt, weil es die nach dem GAU von Fukushima verschärften Sicherheitsanforderungen der Regierung erfüllt.

Das Kernkraftwerk in Sendai besteht aus zwei Druckwasserreaktoren von Mitsubishi.
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Das Kernkraftwerk in Sendai besteht aus zwei Druckwasserreaktoren von Mitsubishi. Foto: KEI (CC BY-SA 3.0 cropped)

16. August 2015
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Die Mehrheit der Japaner ist damit keineswegs einverstanden. Ein „heterogenes Bündnis“ hat sich gebildet, von der „Kommunistischen Partei, den Sozialdemokraten, den Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen“, die alle zusammen „den Wiederbetrieb des Reaktors in Sendai kritisieren.“

Wie die kommunistische Partei in diesem Bündnis argumentiert ist allemal einen zweiten Blick wert: „Die Risikobewertung durch die Behörde stützt sich ausschliesslich auf Computermodelle. Es gibt keine klaren Pläne für eine mögliche Evakuierung der 220.000 Menschen, die im Umkreis von 30 km wohnen“ sagt Katshuhiro Inoue von der KP Japans: „Die Lektion von Fukushima wurde nicht gelernt“. Welche Lektion aber soll das sein?

Dass die Atomkraft das Potenzial hat, im Falle des Falles einen ganzen Landstrich nuklear zu verseuchen, war dem japanischen Staat schon lange vor Fukushima klar. Schon der einwandfreie Reaktorbetrieb setzt grosse Mengen an Strahlung frei, die mit der Kernspaltung untrennbar verbunden und kaum wirksam abschirmbar ist. Und Störfälle verschiedenster Art können aus der „kontrollierten“ Kettenreaktion eine unkontrollierte machen und zum GAU führen. Davor sollen allerhand Sicherheitsvorkehrungen schützen, die den Betreibern der Kraftwerke vorgeschrieben werden, deren Kosten aber das Geschäft mit den Kraftwerken nicht verunmöglichen sollen. Vollständig ausgeschlossen wird eine nukleare Kontamination so nicht und vollständig ausschliessen lässt sie sich bei dieser Technologie auch gar nicht. Die Gefahr, die trotz durchgeführter Sicherheitsmassnahmen verbleibt, stellt für Staaten, die Nukleartechnik zur Energiegewinnung nutzen, das hinzunehmende „Restrisiko“ dar.

Japan hat als Inselreich ohne nennenswerte Energieträger, trotz bekannter Erdbebenhäufigkeit, auf Atomkraft als Mittel für seinen wirtschaftlichen Erfolg gesetzt. Dass dabei die potenzielle Verstrahlung von Menschen in Kauf genommen wurde und weiterhin wird, fällt der KP Japans durchaus auf. Sie verwandelt diese ziemlich harte Aussage über den Charakter der staatlichen Rechenweise allerdings sofort in ein Versäumnis des Staates: der hat seine „Lektion“ nicht gelernt, angesichts des eingetretenen Schadens müsste er doch auf Kernkraft verzichten.

Weil das Wohlergehen der Menschen, die im Umfeld der Atommeiler leben, nicht der Massstab japanischer Politik ist, hat Japan aber offenbar etwas ganz anderes aus Fukushima „gelernt“: Auch die Havarie eines AKWs ist national verkraftbar. Die daraus resultierenden Wachstumseinbrüche führen, jedenfalls nicht dauerhaft und immer, zum Verlust des nationalen Rangplatzes in der ökonomischen und politischen Konkurrenz der Weltmächte. Also wird – nachdem das abzusehen ist – energiepolitisch mit neuen Sicherheitsauflagen und der alten Kalkulation weitergemacht.

Dass für die KP Japans derweil feststeht, dass aus Fukushima nichts gelernt wurde, zeigt vor allem etwas über die KP selbst: Die scheint tatsächlich der Illusion anzuhängen, der japanische Staat habe – eigentlich – keinen anderen Zweck als Leib und Leben der japanischen Bevölkerung sicherzustellen. Die Lektion, wofür ein Staat wirklich da ist, lernt die KP Japan dabei wohl nicht so schnell: ihrer guten Meinung über die eigentliche Aufgabe des Staates schadet selbst ein Supergau nichts…

Berthold Beimler

Quelle: „Le monde“ Mercredi, 12 Août 2015, Seite 5: „Au Japon, une relance du nucléaire“