Golf für wen? Brasilien: Umweltzerstörung und falsche Prioritäten

Politik

Golf wird nach 112 Jahren wieder zur Disziplin bei den Olympischen Spielen 2016. Ein Investor baut den passenden Golfplatz an der Küste von Rio de Janeiro - leider mitten in einem Naturschutzgebiet.

Protestplakat mit dem Titel „Umweltverbrechen“ vor dem eigens für die Olympischen Spiele angelegten Golfplatz in Rio de Janeiro.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Protestplakat mit dem Titel „Umweltverbrechen“ vor dem eigens für die Olympischen Spiele angelegten Golfplatz in Rio de Janeiro. Foto: Daniela Fichino (CC BY-ND 2.0)

24. Juli 2016
0
0
9 min.
Drucken
Korrektur
Das Internationale Olympische Komitee und die Regierungen der gastgebenden Länder und Städte heben gerne hervor, dass Olympische Spiele nicht nur ein Sportereignis, sondern auch eine einzigartige Gelegenheit für Stadtentwicklung in den Olympia-Städten seien. Spürbare Verbesserungen in den Bereichen Mobilität, Tourismus und Umweltschutz seien ein garantierter Nebeneffekt der Spiele. Im Fall von Rio 2016 hält allerdings all das optimistische Marketing schon einer einfachen Analyse nicht stand. Vier Monate vor Beginn der Olympischen Spiele ist deutlich zu sehen, was die Stadt geleistet hat und was nicht.

Der offizielle „Nachhaltigkeits-Management-Plan“ der Spiele definiert im Kapitel „Umweltsanierung und Umweltschutz“ unter anderem die Ziele, „eine Sanierung der Gewässer im Bereich der Spielstätten durchzuführen“ und „Programme zum Schutz, zum Erhalt und zur Sanierung der Umwelt zu fördern und zu beschleunigen“. Die verschmutzte Bucht von Guanabara, in der die Segelwettbewerbe stattfinden werden, beweist hingegen eindrucksvoll, dass von erfolgreicher Umweltsanierung nicht die Rede sein kann. Und nicht nur das – für den Bau eines überflüssigen zusätzlichen Golfplatzes erlaubte die Stadt sogar die Abholzung bedrohter Vegetation.

Ursprünglich waren die Küstenregionen Brasiliens vom Süden bis in den Nordosten von atlantischem Regenwald bedeckt. Dessen Abholzung begann in der Kolonialzeit und schreitet durch die unaufhörliche Verstädterung der Küstenregion fort, so dass heutzutage nur noch 8,5 Prozent dieser Vegetationsform übrig sind. In Barra da Tijuca, im Westen Rio de Janeiros, liegt um die Lagune von Marependi herum das gleichnamige Umweltreservat, das ehemals 970.000 Quadratkilometer atlantischen Regenwald umfasste. Heute sieht man dort anstelle der ursprünglichen Flora und Fauna die Rasenflächen des olympischen Golfplatzes.

Neubau statt Ausbau der bisherigen Golfplätze

Die beiden existierenden Golfplätze von Rio, der Gávea Golf Club und Itanhangá Golf Club (laut der Zeitschrift Golf Digest unter den 100 besten Plätzen der Welt) seien für die olympischen Wettkämpfe nicht geeignet, behauptete die Stadtverwaltung. Statt einen dieser Plätze auszubauen, entschloss sie sich zum Bau eines neuen. Da der neue Golfplatz privat finanziert werde, sei diese Lösung für den öffentlichen Haushalt von Vorteil.

Teil des Deals mit dem Investor Fiori Immobilien und dessen Partner, dem Bauunternehmen Cyrela, war allerdings, dass die Stadt mit Hilfe eines eigens für diesen Zweck verabschiedeten Gesetzes auf demselben Gebiet eine Baugenehmigung für 22 Appartementblöcke mit jeweils 22 Stockwerken erteilte. Der Verkaufspreis der „einfacheren“ Wohnungen dieser Anlage fängt bei jeweils 5 Millionen Reais (1,25 Mio. Euro, dieser und alle folgenden Eurobeträge basieren auf dem Wechselkurs 3,98 vom 28.04.2016.) an. Der Bau des Golfplatzes hingegen kostete nur 60 Millionen Reais (15,02 Mio. Euro). Es lässt sich unschwer ausrechnen, für wen dieses Geschäft von Vorteil ist.

Diese Vorgehensweise der Stadtverwaltung in der Region veranlasste Bewohnerinnen und Bewohner von Barra da Tijuca und Umweltschützer und -schützerinnen, sich in Initiativen wie „Golf für wen?“ und „Occupy Golf“ zusammenzuschliessen. Sie führten diverse Informations- und Widerstands-Aktionen durch, wie zum Beispiel eine monatelange Belagerung der Geschäftsstelle des Investors. Damit erregten die sie nationale und internationale Aufmerksamkeit. Die Stadtverwaltung Rios sah sich unter Druck gesetzt und publizierte daraufhin eine Webseite, auf der sie die Kritik am Projekt auszuhebeln versucht. Die Bürgerinitiativen weisen die Argumente der Stadtverwaltung jedoch als unwahr zurück.

Olympia als Vorwand für schon vorher geplante Bauvorhaben und Zwangsumsiedlungen

Der Anwalt Jean Carlos Novaes von der Initiative „Occupy Golf“ betont, dass die Pläne zum Bau einer neuen Golfanlage in die Zeit vor dem Zuschlag für die Olympischen Spiele zurückreichen. Seiner Meinung nach nutzen die Unternehmen der Region die Olympischen Spiele nur als Vorwand, um schon länger geplante Vorhaben durchzusetzen. So verhält es sich auch im Fall der Siedlung Vila Autódromo, die direkt an das Olympiapark-Gelände grenzt. Dessen Bevölkerung kämpft schon seit den 1990er Jahren gegen eine Zwangsumsiedlung, die nun beschleunigt vorangetrieben wird.

„Das Umweltgenehmigungsverfahren für den Golfplatz verlief absolut ungeregelt. Eine erste Genehmigung wurde 2008 kurz vor Ende der Amtszeit des ehemaligen Bürgermeisters Cesar Maia erteilt. 2011, zwei Jahre nachdem Rio den Zuschlag für die Spiele erhalten hatte, wurden die Pläne für den Golfplatz wieder aufgegriffen. Eduardo Paes behauptete damals, dies sei die beste Lösung, da es ja schon eine Genehmigung gäbe. „Die allerdings war bereits abgelaufen“, so Jean Carlos Novaes. Er erklärt auch, dass diese erste Genehmigung bis zur Klärung aller rechtlichen Fragen nur vorläufig war: „Damals stellte Carmen Lúcia Macedo von der Generalstaatsanwaltschaft Rio de Janeiro ein 15-seitiges Gutachten vor, das eine Baugenehmigung für das Gelände ausschloss.“ Zweifel am Nutzen des neuen Golfplatzes nach Olympia

Die Zerstörung der ursprünglichen Vegetation und die Unregelmässigkeiten im Genehmigungsprozess erregten Aufmerksamkeit bei der Staatsanwaltschaft des Bundesstaats Rio de Janeiro. Sie leitete ein zivilrechtliches Verfahren ein. Angesichts der negativen Reaktionen auf die Umweltzerstörungen stritt das Internationale Olympische Komitee (IOC) jegliche Verantwortung ab. Es widersprach damit Bürgermeister Eduardo Paes, der behauptet hatte, der Golfplatz sei vom IOC gefordert worden. Bei einer Gesprächsrunde mit Studierenden aus Rio de Janeiro sagte Thomas Bach, Präsident des IOC: „Der Bürgermeister hat sehr auf den Bau dieses Golfplatzes gedrängt. Ich bin sicher, dass er sich das gut überlegt hat.“

Der Golfplatz wurde im November 2015 eröffnet, aber Jean Carlos Novaes ist überzeugt, dass noch nicht alles verloren ist. „Die Staatsanwaltschaft fordert die Annullation des Gesetzes, das den Bau des Golfplatzes genehmigte und das absichtlich am letzten Arbeitstag des Stadtparlaments Ende 2012 verabschiedet wurde, damit dies von der Bevölkerung und den Medien unbemerkt über die Bühne gehen konnte. Ohne das Gesetz fehlt dem Golfplatz die rechtliche Grundlage. Das Gebiet muss wiederaufgeforstet und geschützt werden“, sagt Jean Carlos Novaes.

Und obwohl er den Golfplatz so vehement verteidigt hatte, zweifelte bei der Eröffnung Bürgermeister Eduardo Paes selbst am zukünftigen Nutzen der Anlage: „Ich glaube, in Brasilien wird der Golfsport nie eine wichtige Rolle spielen, das habe ich immer schon gesagt. Auf einen Golfplatz zu gehen ist hier nicht so populär. Es wird vielmehr etwas für Touristen sein, die man hierher holt, damit sie auf dem weltweit ersten olympischen Golfplatz spielen können.“

Lösungen für den Ausgleich von CO2-Emissionen fehlen

Bei den Olympischen Spielen ist auch der Ausgleich von CO2-Emissionen ein Thema. Im Auftrag des Lokalen Olympischen Komitees (COL) hat die Bundesuniversität von Rio de Janeiro UFRJ ermittelt, dass während der Olympischen und Paralympischen Spiele 3,6 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) produziert werden. Davon gelten 724.000 Tonnen als Menge, die direkt bei der Durchführung der Spiele entsteht. Das COL hat das in 160 Ländern tätige multinationale Unternehmen Dow beauftragt, Technologien zu entwickeln, die die Verschmutzung von zwei Millionen Tonnen CO2 ausgleichen.

Laut COL arbeitet Dow auf diversen Gebieten, etwa in der Industrie und in der Landwirtschaft, an Lösungen für höhere Energieeffizienz sowie an anderen Technologien, mit deren Hilfe zum Beispiel weniger Lebensmittel vergeudet werden. Die übrigen 1,6 Millionen Tonnen sollen durch Wiederaufforstung ausgeglichen werden. Im September 2012 kündigte das bundesstaatliche Umweltministerium an, dass bis 2016 34 Millionen Bäume gepflanzt würden, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Regierung informiert nicht genau über die Anzahl gepflanzter Bäume, die Zeitung Folha de São Paulo berichtete allerdings im November 2015, dass bis bisher nur ein Fünftel (7,2 Millionen) der vorhergesehenen Bäume gepflanzt worden seien. Die Bäume seien ausserdem gar kein Ausgleich für die Emissionen der Olympischen Spiele, sondern stünden im Zusammenhang mit anderen Bauprojekten, wie dem Petrochemischen Komplex Comperj in Itaboraí im Grossraum Rio de Janeiros.

Umweltsanierung: im Dreck steckengeblieben

Die so hübsch in das Ufergebüsch geschnittenen Olympischen Ringe am Rio Arroio Fundo in Jacarepaguá erinnern Passanten daran, dass zu den Versprechen für 2016 auch die Umweltsanierung von Flüssen und Lagunen gehörte. So stand es auch im Pflichtenheft, in dem das brasilianische Organisationskomitee beschreibt, wie es die Spiele umzusetzen gedenkt. Was man heute am Rio Arroio Fundo sieht, ist ein gescheitertes Sanierungsprojekt: ein völlig verschlammter Fluss voller Abfall und Dreck aus den Abwasserleitungen, von dessen Gestank all die Positivwerbung für die Olympischen Spiele nicht abzulenken vermag.

Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hat die schlechte Qualität der Gewässer in Rio de Janeiro untersucht und die Ergebnisse im Juli 2015 veröffentlicht. Darin wird deutlich, dass auch Wettkampfstätten von dem Problem betroffen sind. Das Wasser der Lagoa Rodrigo de Freitas, einer Lagune mitten in Rio de Janeiro, auf der die Ruder- und Kanu-Wettbewerbe stattfinden werden, enthält zwischen 14 Millionen und 1,7 Milliarden Adeno-Viren pro Liter. Als Vergleich zieht AP die Gewässer der südkalifornischen Küste heran: dort schlagen die Experten und Expertinnen bereits Alarm, wenn 1000 Adeno-Viren pro Liter gemessen werden.

Von Adeno-Viren ist bekannt, dass sie Erkrankungen der Atemwege und des Darms verursachen. Das Komitee Rio 2016 und das für die Überwachung der Wasserqualität zuständige bundesstaatliche Umweltinstitut (Inea) reagierten auf die AP-Untersuchung lapidar mit der Erklärung, dass sie bei den von ihnen durchgeführten Analysen die international geltenden Standards beachtet hätten, denen zufolge nur auf Bakterien - und nicht auf Viren - getestet wird.

Shopping-Center statt Trainingszentrum

Laut Alessandro Zelesco von der Initiative „SOS Regattastrecke“ war die Wasserqualität der Lagune Rodrigo de Freitas vor Jahren schon schlecht. Und das Verschmutzungsniveau hätte noch zugenommen, wenn die Stadt den Plan weiterverfolgt hätte, schwimmende Tribünen zu errichten. „Die Tribünen wären nämlich am Grund der Lagune verankert worden. Die dadurch aufgewirbelten Substanzen hätten ein Fischsterben ausgelöst“, erklärt er und fügt hinzu, dass die Stadtverwaltung den Plan jedoch nicht aus umwelttechnischen Gründen verwarf: „Es ist jetzt einfach zu spät, um noch solche Tribünen zu bauen.

Also werden nun provisorische Tribünen am Ufer gebaut. In das sportliche Potenzial der inzwischen privatisierten Ruder-Regattastrecke wird auch weiterhin nicht investiert. Dagegen flossen die Gelder in den Bau eines Shopping-Centers. Die Olympischen Spiele hätten eine Gelegenheit sein können, hier ein Trainingszentrum für Breiten- und Spitzensport einzurichten. So etwas fehlt uns völlig in Brasilien, während zum Beispiel Deutschland acht solcher Zentren hat. Aber Investitionen in den Sport stehen ganz offensichtlich nicht auf der Agenda der Olympischen Spiele.“

Mario Campagnani
boell.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.