Terrorangst und sozialer Wandel Autoritarismus in den USA auf dem Vormarsch

Politik

Amerikanische Wissenschaftler sehen Donald Trump als Symptom eines Trends, der das demokratische System zu zersetzen droht.

«Schockierender als der Kandidat Trump ist die Masse und Leidenschaft seiner Anhänger».
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«Schockierender als der Kandidat Trump ist die Masse und Leidenschaft seiner Anhänger». Foto: Darron Birgenheier (CC BY-SA 2.0 cropped)

20. April 2016
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In einem sorgfältig dokumentierten Artikel auf der liberalen Website Vox.com analysiert die Journalistin Amanda Taub Trumps Aufstieg zum Dominator des republikanischen Primärwahlrennens. Die Autorin hat Forschungsergebnisse von verschiedenen US-Universitäten ausgewertet und kommt zum Schluss: Der republikanische Primärwahlkampf ist nicht bloss ein von einem finanzstarken Demagogen getriebener Spuk, sondern ein Vormarsch des Autoritarismus, der das demokratische System zu zersetzen droht.

Dieser Vormarsch wird angetrieben von beschleunigten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten zehn Jahren. Beschrieben werden scheinbar widersprüchliche Entwicklungen in der Bevölkerung:

– Zunehmende Tendenzen, aggressive Politiker zu unterstützen, die versprechen, negativ empfundene Entwicklungen mit simplen staatlichen Gewaltakten wegzuputzen,

– verbreiteter moralischer Konformismus

– und wachsende Bereitschaft, sich Strong-Man-Führerfiguren zu unterwerfen.

Trend zeichnete sich bereits vor 20 Jahren ab

Amerikanische Politologen und Psychologen hatten die Entwicklung bereits früh erkannt. Nach 1990 hatten unter anderen Marc Hetherington, Jonathan Weiler, Stanley Feldmann, Karen Stenner, Elisabeth Suay und Matthew MacWilliams die Dynamik autoritaristischer Tendenzen untersucht. Ihre Forschungsergebnisse dokumentieren einen klaren Trend zum Autoritarismus. Jahrelang erregte das wenig Interesse. Doch als Donald Trump im Herbst 2015 quasi aus dem Nichts heraus stupende Umfragewerte erreichte, stellten die Forscher plötzlich fest, dass der anlaufende Wahlkampf ihre wissenschaftlichen «Stillleben» mit politischem Leben füllten und ins öffentliche Rampenlicht rückte.

An der University of Massachusetts stellte MacWilliams fest, dass die im Rahmen seiner Dissertation über Autoritarismus erstellten psychologische Profile von Menschen mit starken Ängsten vor Gefahren von aussen und hohem Ordnungsbedürfnis weitgehend übereinstimmten mit Profilen von Trump-Anhängerinnen und Anhängern. Eine aktuelle Umfrage bestätigte das.

Polarisierung der US-Politik

Gleichzeitig stellten die Professoren Marc Hetherington an der Vanderbilt University in Tenessee und Jonathan Weiler an der University of Carolina fest, dass sie in ihrem Buch von 2009 über den «Aufstieg des Autoritarismus» Trumps Erfolge quasi vorausgesagt hatten. Ihr Zahlenmaterial zeigte auf, dass die fortschreitende Polarisierung der amerikanischen Politik einen zentralen Ursprung hatte: Seit den 1960er Jahren hatten sich die Republikaner als Law-and-Order-Partei profiliert und dadurch autoritaristisch gesinnte Bürger, die früher vor allem in den Südstaaten auch bei Demokraten politisierten, hinzugewonnen. Die «Grand Old Party» (GOP) wurde zum Sammelbecken der amerikanischen Autoritaristen, das einem extremen Populisten Trump 2016 in kürzester Zeit eine grosse Anhängerschaft verschaffte.

Politische Gesinnung messbar machen

Der Zusammenhang zwischen Autoritarismus und Trumps Erfolg wurde erst dokumentierbar, als der Politologe Stanley Feldman von der State University in Stony Brook, N.Y., autoritaristische Gesinnung vor 15 Jahren messbar machte. Weil direkte Fragen nach politischer Gesinnung kaum ehrliche Antworten bringen, testete Feldman verdeckt mit vier Fragen zur Kindererziehung.

Was ist ihrer Ansicht nach wichtiger für ein Kind:

- Unabhängigkeit oder Respekt vor Erwachsenen?

- Folgsamkeit oder Selbstvertrauen?

- Bedachtsamkeit oder Anstand?

- Neugierde oder gute Manieren?

Aus den Antworten hat er gemessen, wie hoch eine befragte Person Ordnung, Hierachie und Konformität einstuft. Die Fragen hätten sich als so zuverlässige Indikatoren für das Autoritarismus-Profil erwiesen, schreibt Taub, dass sie seit 1992 in jeder Wahljahrbefragung der «American National Election Study» figurierten und Forschern heute wichtiges Datenmaterial lieferten.

Weisse Arbeiterklasse unter Druck

Nach der ersten Primary-Wahl vom Februar hat die Newsplattform Vox.com Bürgerinnen und Bürgern mit hohem Autoritarismus-Profil Fragen zu politischen und sozialen Problemen stellen lassen. Taub schreibt: «Wir wollten wissen, welche Kräfte das plötzliche Wachstum autoritaristischer Gesinnung ausgelöst haben. Migration? Terrorismus? Der Abstieg der weissen Arbeiterklasse? Und vor allem auch: Was dieser Vormarsch des Autoritarismus für die gespaltene Republikanische Partei und für den demokratischen Prozess der USA bedeutet.

«Die Resultate», schreibt die Autorin, «lassen zentrale politische Ereignisse der letzten zehn Jahre in neuem Licht erscheinen.» Der Erfolg der Tea Party und jetzt der von Donald Trump werde landläufig damit begründet, dass die weisse amerikanische Arbeiterklasse «zornig» sei. Das jetzt vorliegende Zahlenmaterial zeige ein komplizierteres Bild. «Diese Leute sind seit der Rezession von 2008 unter enormen wirtschaftlichen Druck geraten. Weisse Bürgerinnen und Bürger befürchten, zur Minderheit zu werden und traditionelle Privilegien zu verlieren.» Umfragedaten zeigten nicht diffuse «Wut», sondern eine Zunahme autoritaristischer Verhaltensmerkmale. Diese Entwicklung werde sich fortsetzen, unabhängig davon wie Trumps Wahlkampf endet. «Schockierender als der Kandidat Trump», schreibt Taub, «ist die Masse und Leidenschaft seiner Anhänger.»

Terrorangst und sozialer Wandel

Umfrageergebnisse zeigen, wie die politische Wirkung autoritaristischer Gesinnung von äusseren Umständen abhängt. Forscher beschreiben «latente Autoritaristen», die ihre Grundhaltung erst politisch ausleben, wenn sie sich bedroht fühlen: Am radikalsten und schnellsten wirkt das Gefühl akuter physischer Bedrohung, z.B. bei Terroranschlägen. Da reagieren auch Bürger mit nicht-autoritärem Profil plötzlich autoritaristisch. Bedrohung von aussen bewegt Autoritaristen am stärksten: Stichworte «Islamischer Staat», Russland, Iran. Alltagsgefahren wie Autounfälle werden dagegen gering geachtet.

Langsam beeinflusst wird autoritaristisches Verhalten durch Besorgnis über Veränderungen des Status quo: Angst vor Arbeitslosigkeit, Immigration, Wohnungsnot, Empörung über neue Rechte für Schwule und Lesben, Gender-Konflikte, prominentere Auftritte von «out-Groups» (Latinos, Afro-Amerikaner).

«Wenn sozialer Wandel und physische akute Bedrohung sich überlagern», schreibt Taub, könne das «eine enorme Zahl von amerikanischen Autoritaristen wecken, die einen Strong-Man-Politiker und extreme politische Massnahmen wollen.»

Gefährdungsgefühle, die autoritaristisches Verhalten steigern, würden auch künstlich erzeugt: Taub verweist auf das Buch von Hetherington und Suhay: «Wenn man Bürger mit tiefem Autoritarismus-Profil genügend mit Terror-Bedrohungen verängstigt, agieren sie wie Autoritaristen.» Das sei wichtig, schreibt Taub, «weil republikanische Politiker und republikanisch tendierende Medien wie Fox News ihrem Publikum nonstop mitteilen, die Welt sei eine schreckenerregender Ort.»

Eine «neue Partei» innerhalb der GOP

Für die Zukunft schliesst Amanda Taub aus dem von ihr ausgewerteten Forschungsmaterial, dass der Vormarsch des Autoritarismus in der amerikanischen Politik anhalten wird. Kurzfristig sieht sie Veränderungen vor allem für die Republikanische Partei. Sie stehe zunehmend unter dem Einfluss von extrem politisierenden Autoritaristen. Gemäss Vox-Umfrage würden 55 Prozent der GOP-Wähler als hochgradig autoritär eingestuft, die extreme Forderungen stellten, die mit Positionen der traditionellen GOP nicht vereinbar sind. Gleichzeitig würden sie sich um zentrale Teile des Republikanischen Programms futieren: z.B. Freihandel und Steuersenkungen. «Faktisch», schreibt Taub, «sind Autoritaristen in der GOP eine neue Partei.» Die USA seien auf dem Weg zum Dreiparteien-System.

Trump trifft den Ton seiner Gefolgschaft

Formell nicht erfasst von der Forschung, schreibt Amanda Taub, sei das Element, das den Kandidaten Trump am augenfälligsten von traditionellen GOP-Kandidaten unterscheidet: sein rhetorischer Stil. «Die Art, wie er alles reduziert auf schwarz gegen weiss, stark gegen schwach, grossartig gegen miserabel. Seine simplen Versprechen, dass er Probleme lösen kann, für die andere Politiker zu schwach sind. Und seine Bereitschaft, alle Konventionen einer zivilisierten Diskussion zu ignorieren, wenn es um Minderheiten geht, die Autoritaristen bedrohlich finden».

Damit schicke Trump bewusst extreme Signale an seine autoritaristische Gefolgschaft, dass er sich von politischer Korrektheit nicht hindern lasse, wenn es darum gehe, Out-Gruppen anzugreifen, die ihnen Angst bereiten. Amanda Taub zitiert Taub Professor Stanley Feldman: «Das ist klassischer autoritaristischer Führungsstil: simpel, kampfstark, strafend.»

Starke autoritaristische Tendenzen in Europa

Taubs Beschreibung der Trump-Kampagne kann in Europa den Reflex auslösen, so schlimm sei es hier nicht. Das wäre ignorant. Ein Blick auf die europäische Politik zeigt flächendeckend kleinere und grössere Trumps in rechtspopulistischen bis xenophoben Gruppierungen, zum Teil in Regierungsverantwortung. Stichworte: «Front National» (Frankreich), «Freiheitliche Partei» (Österreich), «Alternative für Deutschland», Berlusconi (Italien), «Die wahren Finnen», der «Flaams Belang» (Belgien), die «Partei der Freiheit» (Niederlande), Jobbik und Fidesz (Ungarn), Usvit (Tschechien), «Schwedendemokraten», «Dänische Volkspartei», «Norwegische Fortschrittspartei», «NLS-Nase Slovensko» Slowakei), «Recht und Gerechtigkeit» (Polen) und die «Schweizerische Volkspartei».

Der Vormarsch des Autoritarismus läuft auch in Europa. Ein früher Warner war der bekannte, 2009 verstorbene liberale deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf. 1997 schrieb er in der Wochenzeitung «Die Zeit»: «Die Entwicklungen, die mit dem Stichwort Globalisierung beschrieben werden, sind der Demokratie, wie sie im Westen seit 200 Jahren verstanden wird, nicht förderlich. (...) Globalisierung beeinträchtigt den Zusammenhalt der Bürgergesellschaften, auf denen der demokratische Diskurs gedeiht. (...) Das ist ein düsteres Gemälde. Ein Jahrhundert des Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert.»

Richard Aschinger / Infosperber