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Pakistan: Immer kleinere Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft

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Menschenrechtsaktivist/innen drohen Inhaftierung und staatliche Verfolgung Pakistan: Immer kleinere Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft

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Politik

Menschrechtsaktivist/innen und NGOs sind in Pakistan harten Reglementierungen, Verhaftungen und Gefängnisstrafen ausgesetzt. Es ist unbedingt notwendig, dass die Regierung endlich die Rolle der Zivilgesellschaft anerkennt und eine Kultur des Verständnisses und der Zusammenarbeit fördert.

Verkehr in Delhi, Indien.
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Verkehr in Delhi, Indien. Foto: Samenwerkende Hulporganisaties (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 18. September 2016
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Am 14. Juli 2016 wurde der 52-jährige Zafar Lund in seinem Heimatort Kot Adu erschossen, 400 Kilometer südwestlich der Hauptstadt des Pundschab, Lahore. Seit vielen Jahren hatte er sich für die Belange der Zivilgesellschaft eingesetzt. Lund richtete sich dabei nicht nur gegen religiösen Extremismus, er leitete auch eine Aktion, die sich für mehr Sicherheit der im Bau befindlichen Atomkraftwerke einsetzte.

Lund ist in Pakistan nur das jüngste Opfer der zunehmenden Angriffe auf Menschen, die sich aktiv für die Interessen der Zivilgesellschaft einsetzen. In letzter Zeit kamen mehrere weitere Aktivist/innen ums Leben – und so wird der demokratische Handlungsspielraum in Pakistan immer geringer.

Der Rechtsanwalt Rashid Rehman, Leiter des Arbeitsstabs der Menschrechtskommission von Pakistan (HRCP), wurde am 25. Mai 2014 in seinem Büro in Multan ermordet. Als er eine der Gotteslästerung angeklagte Person verteidigte, waren ihm bereits im Gerichtssaal ernsthafte Konsequenzen angedroht worden, falls er sein Mandat nicht niederlege. In Pakistan werden Menschen, denen die Beleidigung des Islam, des Koran oder des Propheten vorgeworfen wird, nach dem Gesetz für Gotteslästerung strafrechtlich verfolgt und es droht ihnen die Todesstrafe. Anwält/innen und Regierungsvertreter/innen, die sich „erdreisten“ Angeklagte solche Fälle anzunehmen, bezahlen wie Rehman dafür einen hohen Preis.

Am 24. April 2015 wurde Sabeen Mehmood, eine mutige Aktivistin, in der Küstenstadt Karachi ermordet. Dies geschah nur wenige Tage, nachdem sie einen Vortrag über Belutschistan organisiert hatte. Dieser hatte in dem von ihr betriebenen Bürgertreff „The 2nd Floor“ stattgefunden, einem Ort, an dem sich Menschen treffen und über verschiedenen Themen austauschen konnten. Belutschistan, die flächenmässig grösste aber nur dünn besiedelte Provinz Pakistans, ist einer der akutesten Krisenherde der Region. Belutschische Unabhängigkeitskämpfer und Sicherheitskräfte beschuldigen sich gegenseitig, verschiedener Gewalttaten. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass über den Konflikt in Belutschistan nicht öffentlich diskutiert werden darf.

Menschenrechtsaktivist/innen drohen Inhaftierung und staatliche Verfolgung

Neben diesen Aktivisten, die mit ihrem Leben bezahlten, gibt es viele weitere, die eingesperrt wurden, weil sie gegen Menschenrechtsverletzungen protestiert hatten. Saeed Baloch und Maher Abdul Sattar gehören zu den jüngsten Opfern staatlicher Verfolgung. Baloch ist Generalsekretär des Forums Pakistanischer Fischer, einer dynamischen, sozialen Bewegung. Im Januar 2016 wurde Baloch in Karachi von paramilitärischen Kräften verhaftet und sass sechs Monate in Haft. Zwar wurde Baloch inzwischen per Gerichtsbeschluss auf Kaution freigelassen, aber ihm droht aufgrund des Anti-Terror-Gesetzes eine Anklage.

Sattar, der Leiter der sozialen Bewegung „Anjuma e Mazareen Punjab“ (AMP), einer Vereinigung pandschabischer Landpächter, tritt für die Rechte von Bauern ein. Im April 2016 wurde er bei einer Kundgebung verhaftet. Auch er soll gemäss des Anti-Terror-Gesetzes angeklagt werden und befindet sich weiterhin in Haft. Im Pandschab befindet sich die AMP im Bezirk Okara im Konflikt mit dem Militär, weil beide Seiten Eigentumsansprüche auf bestimmte Ackerflächen erheben. Die Bauern behaupten, das Land gehöre ihnen bereits seit der britischen Kolonialzeit. Das Militär bekräftigt, das Land zur Versorgung seiner Truppen erhalten zu haben.

Zivilgesellschaftliche Organisationen hatten es in Pakistan nie leicht – insbesondere jene, die sich für Bürgerrechte stark machen. In den vergangenen Jahren hat sich die Lage jedoch weiter verschärft, sodass Aktivitäten dieser Organisationen immer schwieirger geworden sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Darstellung von NGOs in den Medien und einem Teil der Öffentlichkeit als "Agenten des Westens sowie Indiens", welche Mittel aus dem Ausland erhalten und gegen die „nationalen Interessen“ Pakistans handeln. Diese Schilderung dient der Regierung als Rechtfertigung noch entschiedener gegen zivilgesellschaftliche Akteur/innen vorzugehen und ihre Unabhängigkeit zu unterminieren.

Darstellung von NGOs als "Agenten des Westens"

Als im Juli 2015 überraschend das Büro von „Save the Children“ in Islamabad geschlossen wurde, und man der Organisation vorwarf, gegen ‚nationale Interessen' verstossen zu haben, waren viele Menschen schockiert. Hinzu kam, dass sich das Innenministerium zu den Vorwürfen im Einzelnen nicht äusserte. Nach internationalen Protesten wiederrief die Regierung ihre Entscheidung zwar, wies „Save the Children“ jedoch an, ihre Aktivitäten zurückzufahren. In der Folge beschloss das Innenministerium eine Richtlinie, durch welche sich die Betätigung aller Internationaler Nichtregierungsorganisationen (INROs) einschränken lässt. Diese im Oktober 2015 vorgestellte Richtlinie beschneidet die Aktivitäten von INROs stark und verstösst nach Meinung vieler Beobachter gegen internationale Abkommen, die Pakistan unterzeichnet hat, wie z.B. den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR). Sie dient also allein dem Ziel, den Aktionsradius der Zivilgesellschaft in Pakistan einzuschränken.

Die Richtlinie sieht konkret vor, dass alle in Pakistan tätigen INROs ihre Zulassung erneut beantragen und dabei eine ganze Reihe sinnloser Dokumente vorlegen müssen. Zudem ist der Ausgang dieser Zulassungsverfahren unsicher und es fehlt an Rechtsmitteln, die bei einer Ablehnung eingelegt werden können. Expert/innen sehen einen eindeutigen Widerspruch zwischen dieser Richtlinie und den formalen Rahmenbedingungen für eine funktionierende Demokratie und Zivilgesellschaft. Es ist wahrscheinlich, dass NROs künftig von der Regierung penibel überwacht werden. Die Zivilgesellschaft wird so ihrer Rolle als Hüterin der Demokratie kaum mehr gerecht werden können.

Einschüchterung bei Aktivitäten für den Frieden zwischen Pakistan und Indien

Die Regierung plant darüber hinaus auch für pakistanische NROs neue Richtlinien – und das obwohl diese bereits nach den jeweils unterschiedlichen Richtlinien der Kommunen, Provinzen und Landesverwaltungen ihre Zulassung beantragen mussten. „Vor neuen Verordnungen ist uns nicht bange“, sagt Mohammad Tahseen, Sekretär des Civil Society Forum Pakistan, „aber in diesem Fall scheint die Regierung keine ordnungspolitischen Ziele zu verfolgen, sondern sie will uns an die Kandarre nehmen.“

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen in Pakistan befürchten, dass ihre Arbeit weiter eingeschränkt wird. Im November 2015 wurde dem landesweit aktiven Pakistan Institute of Labour Education and Research (PILER) vorgeworfen, ein "Werkzeug Indiens und Erzfeindes Pakistans" zu sein. Das Institut setzt sich seit 30 Jahren aktiv für die Rechte von Arbeitnehmer/innen sowie für friedensschaffende Massnahmen ein.

Auf der Grundlage eines sogenannten Berichts der Einkommenssteuerbehörde (FBR) Pakistans lancierten Medien eine Schmutzkampagne gegen die Organisation und ihren Vorstand. In dem erwähnten Papier fand sich der Vorwurf, PILER erhalte Mittel vom indischen Geheimdienst RAW. Der Geschäftsführer von PILER, Karamat Ali, erklärt: „Es handelte sich um den Versuch, unser Ansehen zu beschädigen und uns daran zu hindern, weiter für zwischenmenschliche Kontakte einzutreten, so wie wir das seit Jahrzehnten tun. Im Privatfernsehen wurden Lügenmärchen verbreitet, man verletzte die Privatsphäre unserer Angestellten und brachte sie so in Lebensgefahr. Es handelte sich ganz eindeutig um den Versuch, uns zu schikanieren und einzuschüchtern.“

Der Vorstand von PILER nimmt an, dass die Haltung des Instituts Grund für die Hetzkampagne ist – schliesslich engagiert man sich für eine Aussöhnung zwischen Indien und Pakistan. Ausserdem mobilisiert PILER die Bevölkerung rund um Karachi, eine Stadt mit 20 Millionen Einwohnern, sich für mehr Sicherheit am dortigen Atomkraftwerk einzusetzen. PILER hat gegen die Vorwürfe der Steuerbehörde rechtliche Schritte eingeleitet aber eine Gerichtsentscheidung steht noch aus.

Keine Workshops und Treffen ohne die Genehmigung örtlicher Behörden

Im März 2016 untersagte die pakistanische Regierung zwei NROs vorübergehend die Arbeit und ernannte Beamte zu Zwangsverwaltern, die überprüfen sollten, ob die Organisationen Mittel aus dem Ausland erhalten. Verstösse konnten jedoch nicht festgestellt werden und nach kurzer Zeit konnten die Organisationen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Schikanen und das unnötige Vorgehen der Regierung haben das Ansehen der beiden Organisationen allerdings beschädigt und deren Mitarbeiter/innen eingeschüchtert.

Neben solchen direkten Angriffen macht die Regierung auch auf undurchsichtigen Wegen Druck. Grosse Teile des Landes sind dadurch mittlerweile für Nichtregierungsorganisationen zum Sperrgebiet geworden. Ein Beispiel: Im März 2016 ordnete die Regierung der Provinz Padschab an, dass alle NROs selbst für kleine Versammlungen, Schulungen oder Workshops die Genehmigung des zuständigen Landrats einholen müssen. Diese Regelung macht es für manche Organisationen nehezu unmöglich, weiter ihrer Arbeit nachzugehen – besonders im Süden des Pandschab.

Die Regierung der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KPK) hat ähnliche Regelungen erlassen, weshalb nun viele Menschenrechtsorganisationen ein sogenanntes „No Objection Certificate“ (NOC) benötigen. Dies ist eine Bescheinigung darüber, dass örtliche Behörden keine Einwände gegen solche Massnahmen haben. Da der Aufwand hierfür gewaltig ist, führt dies nicht selten dazu, dass weniger Aktivitäten stattfinden. „Wenn man die Arbeits von NROs derart behindert“, so Qamar Hayat, Vertreter einer zivilgesellschaftlichen Organisation in Khyber Pakhtunkhwa, „dann blockiert man ihre Arbeit. NROs müssen, wollen sie bestimmte Ziele erreichen, Projekte innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens umsetzen.“

Das Pakistan Civil Society Forum will Handlungsräume zurückerobern

In Reaktion auf die Auflagen der Regierung trafen sich im Januar 2016 mehrere grosse NROs in Islamabad und gründeten einen Dachverband, das Pakistan Civil Society Forum (PCSF). In der Gründungserklärung des Forums heisst es, die Vorschrift, eine Bescheinigung (NOC) darüber einholen zu müssen, dass die Behörden keine Einwände gegen bestimmte Projekte haben, verstosse gegen die von der Verfassung garantierten Rechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit und man werde Widerstand leisten gegen derartige Versuche, den politischen Handlungsspielraum einzuschränken. I. A Rehamn, der sich seit vielen Jahren für Menschenrechte einsetzt, sagte: „Die Zivilgesellschaft hat alles Recht der Welt, die Regierung zu hinterfragen, wenn diese gegen verfassungsmässig garantierte Rechte und Pflichten verstösst.“ Das Forum hat die Behörden daran erinnert, dass zivilgesellschaftliche Organisationen viel zur Entwicklung eines Landes beitragen – soziale Indikatoren sind in Pakistan alles andere als überzeugend. Ein führender Vertreter von PCSF sagte in Bezug auf die Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs): „Jede Einschränkung zivilgesellschaftlichen Engagements wird sich negativ auf die Entwicklungsziele auswirken, zu denen sich Regierung und Volk in internationalen Abkommen verpflichtet haben.“

Aus einem aktuellen Bericht von Pakistans Planungs- und Entwicklungsministerium geht hervor, dass über 65 Prozent der Bevölkerung unterernährt ist und es an angemessenen Lebensmitteln fehlt. Ähnliches findet sich in einem Gutachten zu Pakistans Wirtschaftslage, das belegt, dass Millionen von Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Häufig wird Pakistan die ‚Heimat der Analphabeten' bezeichnet, da 40 Prozent der Erwachsenen weder lesen noch schreiben können. Hinzu kommen 25 Millionen schulpflichtiger Kinder, die keine Schule besuchen.

Zivilgesellschaftliche Akteur/innen können die Entwicklung Pakistans voranbringen

Im Human Capital Report 2016 steht Pakistan unter insgesamt 130 Ländern auf dem 118. Platz. Das Weltwirtschaftsforum (WEF), das diesen Bericht herausgibt, untersucht hierbei Bildungsniveau, Arbeitsmarkt und demografische Entwicklung der jeweiligen Länder.

In einem anderen, ähnlich gelagerten Bericht, dem Global Gender Gap Report des WEF, steht Pakistan sogar auf dem vorletzten Platz und liegt somit hinter vielen Ländern südlich der Sahara. In diesem Bericht geht es um Fortschritte für Frauen in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen, Chancen auf dem Arbeitsmarkt sowie um ihre Beteiligung am politischen Leben.

In einer Lage mit derart verheerende sozialen Kennziffern führen die Versuche der Regierung, den Aktionsradius zivilgesellschaftlicher Organisationen zu beschneiden, allein dazu, dass sich die Regierung noch mehr Arbeit aufhalst. Zudem verstösst dies gegen Grundrechte, die in der Verfassung Pakistans festgeschrieben sind, sowie in internationalen Abkommen, die Pakistan unterzeichnet hat.

Die Regierung muss endlich die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft anerkennen und eine Kultur der Zusammenarbeit fördern, anstatt Menschen zu verfolgen und eine feindselige Atmosphäre zu schaffen. Die politische Entwicklung im Land wie auch international erfordert mehr politischen Handlungsspielraum für Bürgerinnen und Bürger, damit sie zur Entwicklung des Landes beitragen können.

Zulfiqar Shah
boell.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.