Begrenzter Einfluss Chinas Nordkorea: Strategische Ungeduld

Politik

Alle Jahre wieder: Südkoreanisch-amerikanische Manöver, schrill-groteske Drohungen aus Nordkorea, Spannung. Wie reagiert Trump?

Kim Jong-un und Donald Trump während ihres Trffens in Singapore, Juni 2018.
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Kim Jong-un und Donald Trump während ihres Trffens in Singapore, Juni 2018. Foto: Basile Morin (CC BY-SA 4.0 cropped)

25. April 2017
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Der amerikanische Präsident Donald Trump ist seit Monaten der bevorzugte Watschenmann vieler Kommentatoren in Amerika, Europa und der Schweiz. Tituliert wird er etwa als «Amerikas Albtraum», als «irrer Rassist», als «frauenverachtender Hassprediger», als «Frauen-Grabscher», als «Steuertrickser» oder als «unzurechnungsfähig». Und zuvörderst natürlich als «Lügner» und «Narzisst«. Das alles mag zutreffen, halb wahr sein oder erfunden. Sei's drum. Als Politiker weltweit und auch der Schweiz freilich ist «the Donald» beileibe nicht der einzige und mit Sicherheit nicht der letzte Lügner, Narzisst und Zwitscherer.

Komplizierte Wirklichkeit

In der Zwischenzeit hat Präsident Trump offensichtlich dazu gelernt. Vor allem die Tatsache, dass die Wirklichkeit komplizierter ist als maximal 140 Twitter-Zeichen. Innenpolitisch lässt sich das etwa an der vorerst gescheiterten Gesundheitsreform festmachen. Auch bei der Immigrations-Frage läuft vieles nicht nach Trumps Wunsch. Der Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko – an der übrigens schon Friedensnobelpreisträger Obama gewerkelt hatte – stellt sich als schwieriger heraus als angenommen.

Aussenpolitisch hat der amerikanische Präsident in seinen ersten drei Amts-Monaten indes fast alles richtig gemacht zum Erstaunen der meisten Kommentatoren. Doch dass Trump zur Abwechslung mal was richtig gemacht hat, das lässt die durch Trumps Wahl beleidigten Eitelkeiten der Kommentatoren nicht zu. Nach dem Marschflugkörper-Angriff auf Syrien, dem massiven Bombenangriff in Afghanistan und der Prüfung militärischer Optionen für Nordkorea urteilten sie fast unisono: Keine Strategie, vor allem aber unüberlegt und unberechenbar.

«Atomstaat»

Ein genauerer Blick auf die koreanische Halbinsel aber lässt auch einen ganz anderen Schluss zu. Die Amerikaner verhandeln seit 1992 mit Nordkorea, also noch zur Zeit des «ewigen Präsidenten Kim Il-sung. Die Administrationen Clinton und Bush Jr. blieben nach Kim Il-sungs Tod 1994 dabei. Kims Sohn Kim Jong-il setzte die Politik seines Vaters fort. Auch bei den Anfang des Jahrhunderts gesponserten Pekinger 6er-Gesprächen versprach Nordkorea diplomatisch geschickt wie immer viel, bekam dafür Geld und Nahrungsmittelhilfe und hielt fast nichts. 2006 liess Kim Jong-il zum Entsetzen der Amerikaner und Chinesen eine erste Test-Atombombe platzen. Die Pekinger Gespräche wurden 2009 eingestellt.

US-Präsident Obama setzte danach auf «Strategische Geduld», will heissen, sich nicht provozieren lassen und bei jedem Test im Einklang mit China neue UNO-Sanktionen. Doch Nordkorea hielt an seinem Atomprogramm fest. Nach dem Tode von Kim Jong-il 2011 kam dessen Sohn Kim Jong-un an die Macht. Er, der Enkel des göttlichen Kim Il-sung, verschärfte umgehend die Gangart. Per Verfassung liess er Nordkorea 2012 als «Atomstaat» deklarieren. Von den bislang fünf Nukleartests seit 2006 wurden bisher allein drei unter der Ägide des «Jungen Marschalls» Kim Jong-un gezündet. Dazu kamen unzählige Raketentests.

Hart kalkulierend

Im Westen wurden und werden sowohl Grossvater Kim Il-sung als auch Sohn Kim Jong-il und Enkel Kim Jong-un gerne als verrückt und paranoid charakterisiert. Das sind sie keineswegs. Vielmehr sind die Kims rationale, hart kalkulierende Politiker. Seit über zwei Jahrzehnten manövrieren sie Grossmächte wie China, die USA, Russland, aber auch Japan und zumal Südkorea diplomatisch an die Wand. Der jetzige «Grosse Führer» Kim Jong-un erhöht 2017 den Druck. Bereits hat er mehrere Raketen – mal erfolgreich, mal misslungen – getestet. Auf die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, er entsende ein Flottengeschwader mit Flugzeugträger Carl Vinson in die koreanischen Gewässer und prüfe militärische Optionen, drohte der junge Kim mit «totalem Krieg». Nordkorea, verkündete er am «Tag der Sonne», dem 105. Geburtstag seines Grossvaters Kim Il-sung, kurz vor einer gigantischen Militärparade in Pjöngjang, sei auf alles vorbereitet und werde bei einem Angriff nuklear antworten. «Soeul und Washington», so der schrill-krasse nordkoreanische Propagandaton, «werden auf koreanische Weise durch einen präventiven Nuklearschlag in einen Aschenhaufen verwandelt» und die USA in «Schutt und Asche» gelegt.

Wie real ist die Gefahr?

Wie real die Gefahr ist, bleibt schwer abzuschätzen. Denn niemand weiss – auch die Nordkorea-, Atom- und Raketenexperten nicht – was Nordkorea mit der Entwicklung seiner Atombomben und seiner Raketen bisher erreicht hat. Experten schätzen allerdings, dass unter dem jungen Kim in den vergangenen fünf Jahren greifbare Fortschritte erzielt worden sind. Schätzungen gehen davon aus, dass Nordkorea über derzeit zwischen fünf und 30 Atomsprengköpfe verfügt. Ob diese Sprengköpfe bereits auf Raketen montiert werden können, ist umstritten. Doch spätestens in fünf Jahren, so westliche wie chinesische Spezialisten, werde es soweit sein. Etwas länger werde es noch dauern, bis zielgenau Mittel- und vor allem Langstreckenraketen einsatzfähig seien.

«Weiser Politiker»

Was oft übersehen wird: Kim Jong-un und die nordkoreanische Führungselite – wenige Hunderttausend von insgesamt 24 Millionen Nordkoreanern und Nordkoreanerinnen – sind nicht etwa paranoid, sondern fühlen sich wirklich bedroht. Um ihre Macht, um ihre Privilegien, um ihr Leben. Das koreanische Volk, unterdrückt seit langen Jahrzehnten, ist Leid und Hunger gewohnt und hat keine Wahl. Bei dem von Nordkorea angezettelten Korea-Krieg (1950-53) wurde das Land buchstäblich in die Steinzeit bombardiert, kein Stein blieb auf dem andern. Der Krieg wurde 1953 mit einem Waffenstillstand beendet. Was Nordkorea – auch heute noch – anstrebt, sind direkte Gespräche mit den USA zur Erreichung eines Friedensvertrags mit umfassenden – auch von China beglaubigten – Sicherheitsgarantien. Trump wurde vor der Wahl in Pjöngjangs Propaganda als «weiser Politiker» und als «vorausschauender Präsidentschaftskandidat» gelobt. Trump seinerseits zwitscherte, er würde gerne Kim Il-sung zum Hamburgeressen einladen. Doch bereits damals liess Trump Kim Il-sung und die Welt auch wissen: «Die verdammten Atombomben müssen weg».

Begrenzter Einfluss Chinas

In der Zwischenzeit machte sich US-Präsident Trump beim chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping kundig. Xi hat Trump wohl beim Besuch in Florida erläutert, dass das Problem Nordkorea sehr kompliziert und Chinas Einflussmöglichkeiten begrenzt seien. Dennoch hat Xi – wenigstens vorläufig – Trump offensichtlich überzeugt und etwas härtere Sanktionen nachgeschoben (Unterbindung der Kohleimporte aus Nordkorea) und bei Verschlechterung der Lage weitere versprochen. Trump sandte Vizepräsident Mike Pence nach Japan und Südkorea. Dort wiederholte Pence Trumps Vorgaben: die unter Präsident Obama geübte «Strategische Geduld» sei zu Ende. Das Nordkoreaproblem müsse gelöst werden. Bald. Am besten mit China. Die neue Strategische Ungeduld – Trumps neue Strategie – gepaart mit einer Dosis Trumpscher Unberechenbarkeit – werden im besten Falle die Konfliktparteien wieder an den Verhandlungstisch bringen.

Lackmustest

Der Lackmustest in der Nordkorea-Frage wird schon bald folgen. Am 25.April feiert die nordkoreanische Volksarmee den 85. Jahrestag ihrer Gründung. Nicht selten werden an solchen Anlässen Waffentests durchgeführt, zuletzt ein (misslungener) Raketentest am 15. April, dem «Tag der Sonne», dem Geburtstag von Kim Il-sung. Pjöngjang kündigte bereits an, für einen neuen Nukleartest wohl vorbereitet zu sein. Sollte am 25. April der sechste Atomtest seit 2006 und der vierte unter Kim Jong-un durchgeführt werden, ist China nach amerikanischer Vorstellung mit härteren Sanktionen, zum Beispiel Unterbindung der Öl-Zufuhr, gefordert. Wie wird China reagieren? Wie wird US-Präsident Donald Trump reagieren? Was hiesse in diesem Falle «Strategische Ungeduld»?

Peter G. Achten / Infosperber