Über die Kriminalisierung von Kriegsdienstverweigerern in Korea Die militarisierte Halbinsel

Politik

Die Zeichen stehen auf Entspannung zwischen Nord- und Südkorea. Inzwischen hat es mehrere Treffen zwischen dem Staatsoberhaupt der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea), Kim Jong Un, und dem Präsidenten der Republik Korea (Südkorea), Moon Jae In, gegeben.

Demilitarisierte Zone (DMZ) an der Grenze zu Nordkorea.
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Demilitarisierte Zone (DMZ) an der Grenze zu Nordkorea. Foto: Johannes Barre (CC BY-SA 2.0 cropped)

6. Februar 2019
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Auf dem letzten Treffen in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang habe sich Nordkorea „zum Abbau seiner landesweit wichtigsten Atomanlage in Yongbyon bereit erklärt.“ (1) Kim wolle dafür internationale Atominspekteure ins Land lassen. Die USA müssten aber im Gegenzug auch zu einem Entgegenkommen bereit sein.

Von 1950 bis 1953 wurden mehr als vier Millionen Menschen im Koreakrieg getötet. Seit dem Waffenstillstand 1953 standen sich die beiden Länder anscheinend unversöhnlich gegenüber. Der Norden hatte verstärkt auf die Aufrüstung mit Atomwaffen gesetzt. Der Süden unterhält eine enge militärische Kooperation mit den USA und baute zuletzt massiv den US-Marinestützpunkt auf der Insel Jeju aus. Regelmässig finden gemeinsame Manöver statt. Die koreanische Halbinsel ist auf beiden Seiten in höchstem Masse militarisiert. Es gibt nach wie vor keinen Friedensvertrag.

Für die Menschen in Korea selbst ist die Entspannungspolitik wohl vor allem bedeutsam, weil es auch durchaus relevante Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit beider Länder gibt: der Aufbau von Zentren für das Zusammentreffen geteilter Familien, die Wiederinbetriebnahme einer Sonderwirtschaftszone, die Wiederherstellung einer Eisenbahnverbindung oder auch die gemeinsame Mannschaft bei der aktuell stattfindenden Handball-Weltmeisterschaft.

Dennoch zeigt sich in verschiedenen Bereichen, dass der Geist des Kalten Krieges fortbesteht. Das unter einer Diktatur stehende Nordkorea hat laut „Die Welt“ vom 10. April 2017 mit schätzungsweise 1,17 Millionen Soldaten die viertgrösste Armee der Welt. Der Kriegsdienst ist nach der Verfassung „oberste Pflicht und Ehre für die Staatsbürger. Bürger müssen immer die revolutionäre Wachsamkeit beleben und sich mit all ihren Kräften für die Sicherheit des Staates einsetzen.“ (2)

Der Militärdienst in der Armee ist von Männern fünf bis acht Jahre lang abzuleisten. Frauen müssen an jährlichen Militärübungen teilnehmen. Zudem sind die Menschen in Nordkorea verpflichtet, in paramilitärischen Einheiten Dienst zu leisten. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es angesichts dieser umfassenden Militarisierung nicht. Es ist nicht bekannt, wie viele sich dem Militärdienst entziehen oder verweigern. (3) Es gibt nur Berichte von einzelnen Soldaten, die in den Süden oder in andere Länder geflohen sind.

Südkorea gilt hingegen als Aushängeschild der Demokratie. Das Land ist eine wirtschaftliche Macht in Südostasien. Es hält eine Armee von 685.000 Männern und Frauen in vier Teilstreitkräften und zwei paramilitärischen Organisationen vor und hat damit die fünftgrösste Armee der Welt. Schon in den Schulen gibt es Militärunterricht. Es besteht eine Kriegsdienstpflicht für alle Männer. Der Militärdienst dauert 21 Monate. Das Militärdienstgesetzbuch sieht eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren bei einer Kriegsdienstverweigerung vor. Die meisten Kriegsdienstverweigerer wurden bislang zu 18 Monaten Haft verurteilt. In den letzten 68 Jahren waren fast 20.000 Kriegsdienstverweigerer im Gefängnis, die insgesamt fast 37.000 Jahre Haft verbüssten. Nach wie vor gelten sie als vorbestraft.

Der Offenbacher Verein Connection e.V. unterstützt Deserteure und Kriegsdienstverweigerer weltweit und arbeitet seit mehreren Jahren auch mit der südkoreanischen Organisation World Without War zusammen. Die Organisation World Without War gründete sich 2003 und arbeitet vor allem zu drei Schwerpunkten: Gewaltfreiheit, Kampagne gegen Kriegsprofiteure und Kriegsdienstverweigerung. Die Aktiven gingen damit an die Öffentlichkeit und brachen ein Tabu: „Das Mass der Verurteilung des Zorns gegen uns gerade am Anfang unserer Bewegung lag ausser unserer Vorstellungskraft.

Südkorea ging durch eine lange Periode der Militärdiktatur. Die Militärjunta erklärte das Militär und die Wehrpflicht zu etwas Heiligem und setzte als nationales Ziel fest, dass 100% einberufen werden sollen. In solch einer Gesellschaft war es nahezu unmöglich eine öffentliche Diskussion über das Militär zu führen. Von der Öffentlichkeit war kaum Toleranz zu erwarten, auch keine Respektierung der Menschenrechte, ganz zu schweigen von einer Reflexion über das Militär als Werkzeug der Gewalt, die nur dem Staat gehört.“ (4)

Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung in Südkorea

Die jahrelange Arbeit zur Kriegsdienstverweigerung schien schon 2007 Erfolg zu haben. Das Verteidigungsministerium erklärte, einen „alternativen Dienst“ für Kriegsdienstverweigerer einführen zu wollen. Als aber die konservative Partei 2008 die Regierung übernahm, war davon keine Rede mehr. Dennoch hatten die Verweigerer mit öffentlichen Aktionen das Tabu brechen können, wie Yeo-ok Yang von World Without War berichtete: „In der Vergangenheit waren die meisten Kriegsdienstverweigerer Zeugen Jehovas. Und auch heute stellen sie noch den grössten Teil der Verweigerer.

Ende 2001 erklärte der Buddhist und Friedensaktivist Oh Tae-yang öffentlich, dass er die Ableistung des Militärdienstes verweigern werde. Danach tauchten viele Kriegsdienstverweigerer mit den unterschiedlichsten Begründungen in der Öffentlichkeit auf: religiös, pazifistisch, ökologisch, als Protest gegen die Entsendung von Truppen in den Irak, wegen ihrer sexuellen Orientierung. Für diejenigen, die gründlich über das Thema Militärdienst nachdachten, waren die Erfahrungen von World Without War aus der weitverbreiteten Antikriegsbewegung gegen den Irakkrieg und die Aussagen zur Rolle des Militärs als Werkzeug für staatliche Gewalt bei verschiedenen sozialen Kämpfen ausschlaggebend für ihre Verweigerung. Die öffentliche Wahrnehmung von Kriegsdienstverweigerern mit unterschiedlichen Hintergründen, neben der religiösen, änderte die öffentliche Wahrnehmung hin zu einem Thema der allgemeinen Menschenrechte und des Friedens.“ (5)

Vor zwei Jahren gab es erneut Bewegung: Der 2017 neu gewählte Präsident Moon Jae-in hatte in seinem Wahlkampf versprochen, eine Lösung für die Kriegsdienstverweigerer zu finden. Wichtiger war, dass mehr und mehr Gerichte in Südkorea Kriegsdienstverweigerer freisprachen, sicherlich auch aufgrund wiederholter Stellungnahmen zugunsten der Verweigerer durch die Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen. Zunehmende Freisprüche und Aussetzungen von Verfahren waren auch der Grund, warum die Zahl der inhaftierten Verweigerer von 700 auf 300 im Jahr 2018 fiel.

Mehrere Verfahren waren vor dem Verfassungsgericht anhängig. Der politische Druck wuchs, aber der entscheidende Schritt, die Anerkennung und Freilassung der Kriegsdienstverweigerer, stand nach wie vor aus. Gemeinsam mit über zehn Organisationen hatten wir daher am 15. Mai 2018 aus Anlass des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerer eine Aktion für die inhaftierten Verweigerer in Südkorea durchgeführt. Symbolisch wurden vor der südkoreanischen Botschaft in Berlin Luftballons stellvertretend für die Kriegsdienstverweigerer in die Freiheit entlassen. Auch in Grossbritannien, USA, Südkorea und anderen Ländern gab es an diesem Tag öffentliche Aktionen.

World Without War schrieb zum Aktionstag: „Erstmals seit 70 Jahren weht nun eine Atmosphäre des Friedens über der koreanischen Halbinsel. Südkoreaner*innen und Bürger*innen der ganzen Welt, die sich für Frieden einsetzen, hoffen darauf, dass das jüngste Waffenstillstandsabkommen zwischen den beiden Koreas in eine Erklärung münden wird, um den Krieg zu beenden. Damit Korea die kostbaren Möglichkeiten des Friedens, die nach 70 Jahren gekommen sind, nutzen kann, um zu einem Land des dauerhaften Friedens zu werden, muss auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt werden.“ (6)

Die Organisationen in Berlin suchten zeitgleich zur Aktion auch das Gespräch mit dem südkoreanischen Botschafter Bum Goo Jong. Erfreulicherweise wurde das Angebot angenommen, so dass eine Petition überreicht werden konnte, mit der eingefordert wurde, unverzüglich alle Kriegsdienstverweigerer freizulassen, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen und alle Vorstrafen gegen Kriegsdienstverweigerer zu löschen und sie zu entschädigen. In dem Gespräch signalisierte Botschafter Bum Goo Jong, dass es Überlegungen der Regierung gibt, entsprechende Gesetze zu verabschieden, und dass dem Parlament auch bereits Gesetzentwürfe vorliegen. Er sicherte auch zu, die Petition der südkoreanischen Regierung weiterzureichen. Das bedeutsamste an der Begegnung war sicherlich, dass sie überhaupt stattfand.

Bei ähnlichen Gelegenheiten, so im Dezember 2015 in Seoul, wiesen verantwortliche Stellen der südkoreanischen Regierung ähnliche Anliegen einfach zurück und waren auch nicht zu Gesprächen bereit. Wenige Wochen später gab es tatsächlich einen Durchbruch: Sowohl das Verfassungsgericht wie auch der Oberste Gerichtshof des Landes urteilten im Juni bzw. November 2018 in Grundsatzentscheidungen, dass die bisherige Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern Unrecht ist. Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen sei ein „berechtigter Grund“, so der Oberste Gerichtshof am 1. November 2018, der Einberufung nicht zu folgen.

Südkoreas Regierung plant verschärfte Regelungen

Zunächst war unklar, wie sich die südkoreanische Regierung dazu verhalten würde. Schliesslich sah sie sich genötigt, einige Kriegsdienstverweigerer aus der Haft zu entlassen. 58 wurden nach einer Überprüfung am 30. November entlassen. 13 weitere blieben aber in Haft, weil das Militär ihre Begründung nicht für überzeugend genug hielt oder sie noch nicht ein Drittel der 18monatigen Haft verbüsst hatten und somit noch nicht die Frist für eine vorzeitige Entlassung erfüllten. Zudem legte das Verteidigungsministerium einen Gesetzentwurf zu einem „alternativen Dienst“ vor. Und hier zeigt sich deutlich, wie stark das Militär und die Regierung weiterhin vom Geist des Kalten Krieges bestimmt sind und am Vorrang des Militärs festhalten.

Der Entwurf sieht eine fast doppelte Länge des „alternativen Dienstes“ vor, der zudem in Gefängnissen abzuleisten ist. Obendrein sollen die Dienstleistenden auch in oder bei den Strafanstalten untergebracht werden. Das ist der Regierung aber noch nicht Abschreckung genug: Zudem soll es eine Überprüfung der Gewissensentscheidung durch vom Verteidigungsministerium eingesetzte Ausschüsse geben, sowie einen Ausschluss der Antragstellung während des Militärdienstes und die Aufsicht über den alternativen Dienst durch das Verteidigungsministerium.

World Without War schreibt dazu: Die derzeitige „Gesetzesvorlage der Regierung entspricht nicht den internationalen Menschenrechtsstandards und -gesetzen. Sie weist Strafcharakter auf und ist diskriminierend.“ (7) Yong-Suk Lee von World Without War wies ergänzend darauf hin: „Wenn wir den gegenwärtigen Stand sehen, wird wohl allen Kriegsdienstverweigerern, die nicht den Zeugen Jehovas angehören, die Anerkennung versagt bleiben.“ (8) Damit würde die Kriminalisierung der Verweigerer fortgesetzt werden.

Kaum war das bekannt, erhielten wir einen Anruf eines Kriegsdienstverweigerers aus Südkorea. Er hatte sich gerade angesichts des Gesetzentwurfes dazu entschieden, in Deutschland Asyl zu beantragen. Er sieht ihn nur als eine andere Art der Bestrafung seiner Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung an. Dann sei er ja letztlich noch länger im Gefängnis. Er ist nicht der einzige: Mehrere Fälle werden derzeit von Connection e.V. betreut.

Die Möglichkeiten, tatsächlich Schutz zu erhalten, sind jedoch sehr begrenzt, da die deutschen Behörden und Gerichte die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern in aller Regel nicht als Asylgrund ansehen. Die Ankündigung der südkoreanischen Regierung, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, wird von den deutschen Behörden vermutlich als Freibrief für eine Ablehnung gewertet werden, ungeachtet der tatsächlich diskriminierenden Regelungen.

Mit dem Gesetzentwurf wird zwar die Kriegsdienstverweigerung legalisiert und Verweigerer, soweit sie anerkannt werden, gelten nicht mehr als vorbestraft. Aber die damit verbundenen restriktiven Regelungen und Massnahmen sollen offensichtlich vor allem abschrecken und stellen eine andere Form der Bestrafung dar. Regierung und Militär dringen darauf, den Status quo mit einem deutlich verlängerten sogenannten alternativen Dienst beizubehalten.

Der Einsatz in Haftanstalten und eine dort stattfindende Unterbringung ist geradezu ein Affront gegen die Kriegsdienstverweigerer. Dieser Dienst ist faktisch ein verlängerter Strafdienst. Nichts anderes als die sofortige Einstellung aller Verfahren, die Aufhebung aller bisherigen Urteile und Entschädigung sowie die sofortige Haftentlassung hätte bereits nach dem Verfassungsgerichtsurteil am 28. Juni 2018 erfolgen müssen.

Es ist absehbar, dass das Verteidigungsministerium und mit ihm die südkoreanische Regierung dieses repressive Gesetz durchdrücken will. Gemeinsam mit World Without War versuchen wir, auf internationaler Ebene den Druck auf die südkoreanische Regierung zu erhöhen, damit dieser Gesetzentwurf zurückgezogen und ein Runder Tisch für Gespräche eröffnet wird, an dem die Kriegsdienstverweigerer und die sie vertretenden Organisationen gleichberechtigt mitwirken können.

Rudi Friedrich / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 435, Januar 2019, www.graswurzel.net

Fussnoten:

1) Spiegel Online: Gipfel der Fragezeichen. 19.9.2018

2) War Resisters' International: Country report and updates: Korea, North. 10.3.1998

3) ebd.

4) Yeo-ok Yang auf einer Veranstaltung zu Südkorea in Frankfurt am 28.4.2015

5) ebd.

6) World Without War: Um die Chance auf Frieden zu nutzen, muss das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt werden. 14.5.2018. www.Connection-eV.org/article-2627

7) World Without War u.a.: Südkorea muss einen alternativen Dienst einführen, der in Übereinstimmung steht mit den internationalen Menschenrechtsstandards. 20.11.2018. https://de.connection-ev.org/pdfs/2018-11-20_sk_stellungnahme-de.pdf