Folge 2: Mao's China China – ein Lehrstück

Politik

Ein Interview zu Mao Zedong, seinem Programm und seinen Kampagnen, seiner Leistung und seinen Fehlern.

Statue von Mao Zedong in Orangle Isle, Changsha.
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Statue von Mao Zedong in Orangle Isle, Changsha. Foto: Unknown author (PD)

19. Januar 2022
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In diesem Jahr hat die Kommunistische Partei in China ihren 100. Geburtstag gefeiert. Ihre Anfänge waren extrem bescheiden; gegründet wurde sie von ganzen 53 Mitgliedern – heute beträgt ihre Mitgliederzahl über 91 Millionen. Die Volksrepublik China ist ein Lehrstück in vielfacher Hinsicht. Eines davon ist der sozialistische Gegenentwurf, der in den Jahren von 1949 bis 1978 versucht wurde und für den vor allem ein Name steht: Mao Zedong.

Der Podcast-Sender 99:1 hat mit Renate Dillmann, Autorin des Buchs „China – ein Lehrstück“ ein Interview geführt, dessen 2. Folge sich mit Programm, Politik und Kampagnen der chinesischen KP unter Mao beschäftigt. https://youtu.be/erOG2U9mbWc

Nadim (99:1): Fangen wir unsere heutige Folge mit einigen Informationen zu Mao Zedong an. Wer war eigentlich Mao, woher kam er, wie war er ausgebildet und vor allem: was waren seine tatsächlich Bezüge zum Marxismus?

Renate Dillmann: Mao war Kind einer Bauernfamilie, die es durch viel Arbeit und Anstrengung zu relativem Wohlstand gebracht hatte. Er sollte nach den Plänen seines Vaters durch erfolgreiche Schulbildung sozial aufsteigen. Aber Mao war ein rebellisches Kind – fand den Stoff in der Schule langweilig, die Lehrer autoritär und grausam, ebenso wie seinen Vater. Das hat ihn aber nicht gegen Bildung überhaupt aufgebracht; er hat sich dann selbst eine modernere Schule ausgesucht und auch vieles im Selbststudium beigebracht; dabei kam er mit den ersten Kommunisten Chinas in Kontakt. Als Grundschullehrer hat er sich für Volksbildung eingesetzt und sich gleichzeitig immer weiter politisch radikalisiert – vor allem auch angesichts der schäbigen Behandlung Chinas nach dem 1. Weltkrieg durch die europäischen Staaten, die eine Rückgabe ihrer halbkolonialen Besitzungen ablehnten.

Die Oktoberrevolution in Russland wurde in China für viele zu einem Vorbild. Leute aus bürgerlichen Kreisen, Intellektuelle merkten an der Politik der Guomindang, die wir uns ja beim letzten Mal angesehen haben https://www.youtube.com/watch?v=5uFHukuSD-k , dass China zwar inzwischen eine Republik war, es ansonsten aber nicht wirklich vorwärts ging mit einer Modernisierung des Landes – als Vorbild hatte man dafür die kapitalistisch entwickelten Staaten Europas und die USA, auch Japan, gegen das China ja ebenfalls eine militärische Niederlage erlitten hatte.

Denken wir uns mal einen Moment in einen Menschen wie den jungen Mao hinein: wie sah sein Land für ihn aus? Eine Unmenge armer Bauern, ungebildet, verwahrlost, untertänig, schicksalsergeben. In den Städten eine gelehrte Elite, die sich den Traditionen verpflichtet sah und wenig ändern wollte. Dazu reiche Grundbesitzer, die vielleicht auch gerne wieder ein mächtigeres China gehabt hätten, aber auf keinen Fall auf ihre Privilegien verzichten wollten. Eine Guomindang-Partei, die nicht bereit war, die sprichwörtlich „alten Zöpfe abzuschneiden“, sprich: mit den Grundbesitzern zu brechen und eine Landreform einzuleiten. Der Schluss daraus hiess: Eine Revolution ist nötig – und das sah nicht nur der junge Mao so! Aus dieser Unzufriedenheit heraus wurde 1921 die Kommunistische Partei gegründet und fand schnell viele Anhänger.

Entscheidend für Maos weitere Entwicklung war, dass ihm bei seiner Auseinandersetzung mit marxistischen Schriften und der jungen Sowjetunion immer weniger eingeleuchtet hat, dass diese Revolution in China eine „proletarische“ sein sollte. China war ja ganz weitgehend noch ein Agrarland; Fabriken und Arbeiter gab es nur relativ wenige in Hongkong, Shanghai und an der Ostküste. Seine Konsequenz ab Mitte der 1920er Jahre hiess deshalb: Aufwiegelung der Bauern, Gründung von kleinen „Sowjets“, d.h. bäuerlichen Räterepubliken in chinesischen Provinzen. Weil das eine sehr praktische Attacke gegen Teile der dortigen Grundbesitzer war, deren Land enteignet wurde, hat er sich darüber auch mit der Guomindang-Partei angelegt, bei der er übrigens auch Mitglied war (Volksfront-Politik). Ausserdem hatte er ständig Auseinandersetzungen mit der Komintern (dem internationalen Verband der Kommunisten) bzw. der Führung der Sowjetunion, die diese Linie nicht gut fanden; sie wollten mehrheitlich eine sozusagen „klassische“ proletarische Revolution und waren der Ansicht, dass China dafür auch erst mal eine weitere Entwicklung Richtung Kapitalismus machen sollte.

Dass Mao sich überlegt hat (und dann auch so gehandelt hat), dass eine Revolution in China eine Bauernrevolution sein musste, war also der erste Bestandteil der „Sinisierung“ des Marxismus.

Nadim (99:1): Eine sozialistische Revolution in China stand ja nach der sozialistischen Vorstellung von den Etappen, die ein Land durchlaufen muss, eigentlich auch gar nicht auf der Tagesordnung. Es gab ja noch gar keinen richtigen Kapitalismus dort…

Renate Dillmann: Ja, nach der „Etappentheorie“ sollte ein Land zunächst vom Feudalismus zum Kapitalismus übergehen; erst dann kann eine sozialistische Revolution stattfinden und eine sozialistische Planwirtschaft eingerichtet werden. Dass der junge Mao angesichts der Zustände in China keinen Nerv hatte, erst auf eine bürgerliche Republik zu setzen, die den Kapitalismus mit seinen Fortschritten, aber auch all seinem Elend entwickelt und dann noch mal in Sachen Sozialismus anzuklopfen, ist verständlich.

Umgekehrt ist allerdings auch klar, dass eine Revolution in einem nicht-kapitalistischen Land, gerade wenn sie gelingt, vor einem echten Problem steht. Marx, Engels und ihre Genossen, die diese Reihenfolge vor Augen hatten, haben sich ja kein Modell für einen Ablauf der Menschheitsgeschichte ausgedacht. Sie lebten in kapitalistischen Gesellschaften; sie hatten festgestellt, dass mit der Entwicklung der Produktivkräfte in der Landwirtschaft (vor allem Dünger) und einer Industrie, die massenhaft Dinge mit bisher ungeahnter Leichtigkeit herstellen kann, die bis dahin existierende natürliche Not prinzipiell überwunden sein könnte, alles Elend, alle Schinderei angesichts solcher Möglichkeiten wirklich nur noch gesellschaftliche Ursachen hatte. Deshalb haben sie die Chance gesehen, dass man jetzt endlich Verhältnisse einrichten könnte, die für alle, auch die bisher ausgebeuteten Klassen, befriedigend ausfallen.

Schaut man auf China, ist festzustellen: hier waren die dafür nötigen Produktivkräfte nicht einmal ansatzweise entwickelt – konkret: keine Industrie, die massenhafte Produkte für den Konsum erzeugen kann, keine Maschinen, keine Düngerfabriken, keine Bewässerungspumpen etc., Sachen also, die die Landwirtschaft produktiver machen und überhaupt genügend Lebensmittel erzeugen konnten; keine Strassen und Eisenbahnen für den Transport (bzw. nur ganz ausnahmsweise), keine Transportmittel usw. usf.

Eine schnelle Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle ist unter solchen Bedingungen eine ungemein schwierige Angelegenheit.

Wenn die materiellen Bedingungen so schlecht aussehen wie in China, dann hängt es nicht einfach am guten Willen der KP-Führer und es hängt auch nicht alles an ihrer richtigen oder falschen Theorie: Dann wird es in der ein oder anderen Form gesellschaftliche Widersprüche geben. Die chinesischen Bauern haben kaum genug erzeugt, um sich selbst am Leben zu halten. All das aufzubauen, was es für ein besseres Leben braucht, setzt – ausser dem entsprechenden Wissen – voraus, dass man überhaupt genügend Leute miternähren kann, die die „nachholende Entwicklung“, die „Industrialisierung“ erarbeiten können.

Vielleicht hilft an dieser Stelle ein Vergleich: In den europäischen Gesellschaften ist dieser Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus mit der Enteignung der kleinen Bauern, mit dem Massenelend vagabundierender Landvertriebener und mit der Bildung eines städtischen Proletariats vonstatten gegangen, das unter unsäglich schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen die Grundlagen des kapitalistischen Reichtums erzeugt hat.

Bei den beiden sozialistischen Versuchen – der Sowjetunion und dem noch schlechter gestellten China, beides Länder also, in denen der Kapitalismus bisher eher peripher entwickelt war – haben die revolutionären Parteien den kleinen Bauern (der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung) zunächst Land zur Verfügung gestellt und gleichzeitig versucht, eine Industrie aufzubauen. Das ging nur, indem man die Bauern überredet bis gezwungen hat, ihre Produkte abzuliefern, ohne dass sie für's erste Gegenleistungen dafür bekommen haben. Das produziert notwendigerweise Unzufriedenheit und hat gleichzeitig auch nur ungenügende Resultate gebracht – was in der Sowjetunion mit Zwang zu Abgaben, später den Zwangskollektivierungen beantwortet wurde.

Chinas KP hatte daraus gelernt und versuchte, die Sache einvernehmlicher zu regeln – zunächst auch durchaus erfolgreich. Im Unterschied zum bisherigen Elend auf dem Land, das immer wieder in grosse Hungersnöte umgeschlagen war, gab es in den ersten Jahren des Sozialismus schnelle und grosse Fortschritte: die Landreform, die den Bauern Land zuteilte, für das sie keine Pacht mehr zahlen mussten; die Beratung der Bauern durch Fachleute; die Anleitung dazu, kleine Kollektive oder Genossenschaften zu bilden; die Gesundheitsbetreuung durch BarfussÄrzte; die Abschaffung der Zwangsverheiratung, die Alphabetisierungskampagne usw. Das waren Fortschritte, die in Sachen Kampf gegen die bisherigen existenziellen Unsicherheiten und Kindersterblichkeit, für höhere Lebenserwartung und Bildung der Menschen immer noch ganz einmalig sind in der Menschheitsgeschichte! Die Entwicklung der Produktivität in der Landwirtschaft und die Industrialisierung verliefen dagegen nicht so schnell, wie sich das die KP erhofft hatte – zu den Gründen dafür kommen wir noch.

Nadim (99:1): Wie würdest du das frühe Programm der kommunistischen Partei charakterisieren, inwiefern unterschied sich das Programm dieser Partei von anderen kommunistischen Projekten seiner Zeit? Du gehst in deinem Buch vor allem auf theoretische Fehler ein, die diese Partei aus marxistischer Sicht machte, und die die Basis für das spätere Scheitern des “kommunistischen” Projekts geben. (Bezug auf Nationalismus vs. Sozialismus & Staat und Sozialismus)

Renate Dillmann: Da dies ein extrem wichtiger Punkt für das Verständnis der chinesischen Kommunisten ist, muss ich etwas weiter ausholen:

Die chinesische KP wurde in einer Situation gegründet, in der China von ausländischen Mächten ausgeplündert und zum Teil auch direkt beherrscht wurde. Sie hat daraus den Schluss gezogen, dass erste Voraussetzung für alles Weitere der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht des Volks sein musste: Ihre Parole hiess „nationale Revolution Chinas“ und dann – in dieser Reihenfolge! – „Befreiung der unterdrückten Klassen“. Das war neben den schon genannten eine weitere Besonderheit dieser kommunistischen Partei: Sie hat – quasi von Beginn an – Befreiung der chinesischen Nation und Befreiung der unterdrückten Klassen gleichgesetzt. Das war meines Erachtens ein Fehler, der einiges an Folgen nach sich gezogen hat.

Bevor ich diesen Fehler kennzeichne, eines vorweg: Wenn wir hier Programm und Politik der chinesischen KP untersuchen, wird das sicherlich manchem Zuhörer besserwisserisch vorkommen – wir sitzen hier in aller Ruhe im Sessel und reden über diese Leute, die sich da in einen wirklich harten Kampf gestürzt haben. Der Entschluss, sich Ausbeutung und Unterdrückung nicht weiter gefallen zu lassen, das schlechte Leben nicht weiter fatalistisch hinzunehmen – weil „es schon immer so war“, „weil Konfuzius das so sagt“, „weil die kleinen Leute es doch immer schwer haben“, und wie all die Legitimationen und Rechtfertigungen bis heute heissen – das hat meine volle Sympathie. Da kann ich nur raten, in diesem Punkt von Mao und seiner KP zu lernen.

Andererseits kommt es eben darauf an, gegen was man sich mit seinem Kampf richtet und was für eine Art von Gesellschaft man im Fall eines Erfolgs einrichtet. Wir haben heute die Zeit, das in aller Ruhe zu analysieren. Und der wesentliche politische Grund, sich solchen längst vergangenen Zeiten zuzuwenden, ist ja: Fehler, die damals gemacht wurden, möglichst nicht nochmal zu machen!

Zurück zur Frage: Befreiung der Nation und soziale Revolution – was ist der Haken, wenn man das in eins setzt. Es ist ja in der Tat klar, dass jeder, der sich damals an den elenden Zuständen in China gestört hat und sich mit den Bauern und Arbeitern eine bessere Zukunft erkämpfen wollte, nicht drum herum kam, die Imperialisten aus dem Land zu werfen.

Trotzdem ist m.E. nach wichtig festzuhalten: der Kampf um die Souveränität einer Nation ist etwas anderes als der Kampf gegen den Grund der elenden Zustände. Die chinesische KP hat in diesem Punkt eine ganze Menge Nachfolger gehabt, bis heute: anti-imperialistischer Befreiungskampf in der 3. Welt, viele separatistische Bewegungen, diverse Formen von Linksnationalismus – auch deshalb ist es wichtig, in dieser Frage Klarheit zu bekommen.

Schauen wir deshalb genauer hin: Der Grund, warum Bauern und Arbeiter in China so miserabel lebten, war das Grundeigentum auf dem Land und die beginnende kapitalistische Produktion in den Städten. Wer das ändern und eine Produktion zum Nutzen aller Produzenten einrichten wollte, musste also diese Eigentumsordnung, diese Produktionsverhältnisse bekämpfen. Die Nationalität der Grundbesitzer bzw. Unternehmens-Eigentümer – ob das nun Japaner, Deutsche oder Chinesen waren – war für diesen Kampf zunächst gleichgültig.

Wer für das „Selbstbestimmungsrecht seiner Nation“ eintritt, sieht die Sache leicht anders. Er verschiebt zumindest einen wesentlichen Teil der Gründe für das Elend, das ihn stört, darauf, dass er unter einer fremden bzw. fremdbestimmten Herrschaft lebt, dass Ausländer im Land sind, die das Verhältnis zwischen Staat und Volk stören.

Allgemein gesagt: Dass die chinesischen Kommunisten zwischen Nation und Kommunismus mehr oder weniger ein Gleichheitszeichen gemacht haben, zeigt etwas darüber, wie sie beides verstanden haben. Denn der Sache nach stellen Kommunismus und Nation einen ziemlich harten Gegensatz dar:

Nation ist – kurz und abstrakt gesagt – die Verklärung der Klassengesellschaft mit ihren Gegensätzen und Abhängigkeiten und der dazu nötigen Staatsgewalt mit ihrem herrschaftlichen Zwang zu einer Gemeinschaft – einer Gemeinschaft, die geschichtlich oder kulturell zur schicksalhaften Gemeinschaft verklärt wird.

Kommunismus dagegen ist die grundsätzliche Kritik sowohl am Klassenverhältnis, das für die Mehrheit lebenslange Ausbeutung heisst, wie am Staat, der eine solche Gesellschaft mit seiner Gewalt und seinem Recht zusammenzwingt. Eine Systemkritik, mit dem Ziel, durch eine gemeinsame (eben: kommunistische) Wirtschaft die Versorgung aller sicherzustellen.

(Das ist sicherlich sehr kurz gefasst: ich schicke gerne das entsprechende Kapitel aus dem Buch zu – schreibt mir eine Mail!)

Nation und Kommunismus sind insofern nicht vereinbare Projekte (wie man vielleicht heute sagen würde). Wenn man sie für vereinbar, ja sogar notwendig zusammengehörend hielt, muss man beide etwas anders aufgefasst haben.

Und in der Tat: Die chinesischen Kommunisten haben „Nation“ – das ist ja ein in seiner verklärenden Absicht notwendig etwas dunstiger Begriff – mit einem linken Inhalt gefüllt: Nation - das sollte in China die Gemeinschaft aller fortschrittlichen Patrioten sein, die sich um die soziale Entwicklung des Landes kümmern (so konnte man bis auf einige Gross-Grundbesitzer und Monopolkapitalisten im Grunde alle hineindenken und mitnehmen in sein Programm!). Und unter Kommunismus – dazu werden wir gleich noch im Detail kommen – haben sie sich im Groben eine Wirtschaft vorgestellt, in der die Macht der privaten Eigentümer gebrochen und durch einen fürsorglichen Staat ersetzt wird, der die Gesellschaft versorgt und entwickelt. Damit haben sie an Idealen angeknüpft, die über die kapitalistische Wirtschaft (effektive Versorgung) und den modernen, bürgerlichen Staat (steht im Dienst am Volk) existieren. So passte dann auch beides – Nation und Kommunismus – für sie zusammen!

Als sie dann an der Macht waren und ihr Programm in die Tat umgesetzt haben, haben sich dann allerdings einige Widersprüche der beiden Seiten ihres National-Kommunismus geltend gemacht: das werden wir vor allem an der Kampagne vom „Grossem Sprung“ sehen.

Nadim (99:1): Aber ihr Eintreten für die Nation hat die KP doch auch populär gemacht?

Renate Dillmann: Völlig richtig. Für den Kampf der KP bis 1949 stellte ihr Eintreten für die Nation mit Sicherheit einen wesentlichen, wenn nicht den wichtigsten Hebel da, mit dem sie sich Zustimmung im gesamten Land verschaffte. 1937 begann der 2. Weltkrieg in China (dieser Krieg wurde von Japan in Asien zwei Jahre früher gestartet als vom faschistischen Deutschland in Europa!). Ab diesem Zeitpunkt war die Kommunistische Partei diejenige Kraft, die trotz ihrer Unterlegenheit und erbärmlichen Bewaffnung, trotz der ständigen Versuche der Guomindang-Partei, sie auszurotten (ein interessantes Zitat: „Die Japaner sind eine Hautkrankheit, die Kommunisten sind ein Herzleiden“ Ciang Kai shek 1941!), die sie 1934 in ihren legendären „Langen Marsch“ nach Norden getrieben haben – trotz all dieser Hindernisse also war sie die Kraft, die den Widerstand gegen die Japaner nach ihren Kräften organisiert hat – das hat ihr Sympathien von chinesischen Patrioten aller Klassen eingebracht. Gleichzeitig hatte Mao es hingekriegt, die Bauern für sich zu gewinnen, indem seine Volksbefreiungs-Armee praktisch gezeigt hat, dass sie auf der Seite des Volks und für dessen Interessen kämpfte.

Wer dazu etwas lesen will, der sollte den Bericht des amerikanischen Journalisten Edgar Snow lesen: Roter Stern über China!

1949 war es dann soweit: Mao und seine Kommunisten hatten gesiegt, Ciang Kaishek, die Spitze der Guomindang-Partei und Teile der alten Eliten waren nach Taiwan geflohen. Jetzt sehen wir eine erste und ganz wesentliche Konsequenz der Gleichsetzung von „Nation und Kommunismus“. Von einem kommunistischen Standpunkt aus – die Eigentumsordnung und damit die Ausbeutung beseitigen, eine gemeinschaftliche Versorgung für alle zu organisieren – hätte es keinen Grund gegeben, das in einem eigenen Staat zu beginnen. Warum haben sich die chinesischen Kommunisten nicht dem ersten bereits existierenden sozialistischen Land, der Sowjetunion angeschlossen? (mit dem sie übrigens eine extrem lange Grenze hatten!) Soweit bekannt ist, haben weder Mao noch Stalin darüber auch nur eine Minute nachgedacht – so selbstverständlich war für beide bei allem Beschwören von „internationaler Solidarität“ und „Weltrevolution“, was sie ja auch draufhatten, der „nationale Standpunkt“.

Nadim (99:1): Die frühe KP spricht von dem Ziel, endlich das “Wertgesetz” in Kraft zu setzen. Was meint sie damit und warum ist das ein Missverständnis von Marx' Werttheorie und deswegen zu ewigen Widersprüchen und Problemen verdammt?

Renate Dillmann: Das ist schon wieder eine Frage, die überhaupt nicht einfach und nicht schnell zu beantworten ist. Die umgekehrt aber auch wieder enorm wichtig ist, weil sie eigentlich den ganzen Kern der realsozialistischen Planwirtschaft betrifft. Die Kritik daran zu verstehen, wäre für Linke heute wirklich ein Hit – denn da kommt raus, dass nicht Planwirtschaft an sich verkehrt war, sondern die besondere Art und Weise, wie die sowjetischen und chinesischen Kommunisten geplant haben: staatlich geplante Wertproduktion habe ich das in meinem Buch genannt.

Auch für das jetzt folgende ist klar, dass ich das hier nur ziemlich verkürzt wiedergeben kann und auch hier mache ich das Angebot, das Kapitel zuzuschicken, wenn es jemand nachlesen möchte.

Also, Schritt für Schritt. Zunächst: was ist das Wertgesetz in der Marxschen Analyse?

Marx analysiert die Ökonomie der kapitalistischen Gesellschaft; hier läuft alles, das gesamte Wirtschaften, über Kauf und Verkauf von Waren. Alle Wirtschaftssubjekte sind Eigentümer, die am Markt mit dem, was sie haben bzw. herstellen, konkurrieren. Um was konkurrieren sie? Darum, möglichst viel Zugriff auf Reichtum zu ergattern, das ist zunächst mal möglichst viel Geld (Geld ist Reichtum in abstrakter Form, mit dem man auf allen konkreten Reichtum zugreifen kann).

Die Produktion aller Dinge im Kapitalismus ist von vornherein auf den Markt bezogen: hier treffen alle Produkte aufeinander und müssen den entscheidenden Vergleich bestehen. Sind sie (als besonderer Gebrauchsgegenstand) überhaupt nachgefragt? Sind sie verglichen mit anderen günstig genug (das heisst im Normalfall: sind sie auf dem gültigen Stand der Technik produziert worden), um gekauft zu werden? Ist das der Fall, dann ist „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ auf sie verwandt worden, sie sind „werthaltig“. Anders gesagt: Dass ein Produkt „Wert“ besitzt, ist synonym dazu, dass es in einer Wirtschaft privater, unabhängig voneinander agierender Subjekte die Konkurrenz am Markt besteht und seinem Verkäufer Geld einbringt.

Jetzt kommen zwei Überlegungen, die für uns hier wichtig sind:

Erstens: Das war Marx zentrale Kritik dieser Ökonomie – gleich am Anfang seiner Ausführungen im „Kapital“: Die Mitglieder dieser Gesellschaft arbeiten einerseits füreinander, es ist eine arbeitsteilige Gesellschaft, in der keiner mehr alleine wirtschaftet. Andererseits besteht ihr Zusammenhang in einer Konkurrenz, die sich darum dreht, wer mehr Eigentum, mehr Wert, für sich gegen den anderen rausschlagen kann. Es ist wichtig, das zu betonen, weil es ansonsten ein ganz falsch verstandenes Hin und Her zwischen „Privat“ und „Gesellschaftlichkeit“ gibt: Die Gesellschaftlichkeit im Kapitalismus besteht in der Konkurrenz der Eigentümer – das ist die Auflösung dieser Frage!

Die Konkurrenz läuft über die in den Produkten steckende Arbeit und der Vergleich auf dem Markt treibt alle dazu, diese Arbeit tendenziell zu minimieren, damit die Waren günstiger angeboten werden können. Dieses „Gesetz“ – also eine etwas andere Art als ein staatliches Gesetz! – macht die ewige Dynamik des kapitalistischen Produzierens aus: Alle, wirklich alle! – weil alle Anbieter am Markt sind! – müssen überall und ständig ihr Angebot am Markt verbessern, sonst sind sie raus, bei „Strafe ihres Untergangs“, wie Marx sagt. Dieser Zwang der Konkurrenz bringt die einzigartige Steigerung der Produktivkräfte zustande, die berühmte „Innovationsfähigkeit“ des Kapitalismus. Er sorgt gleichzeitig dafür, dass alle stetig der Sicherstellung ihrer Konkurrenzfähigkeit hinterherjagen müssen: expandieren, rationalisieren, Kredit einsetzen, keine Sekunde Ruhe, never. Die Arbeiter haben übrigens in diesem System die Rolle, für diesen Anspruch gerade zu stehen: lang und intensiv arbeiten – und ständige Gefahr, den Job zu verlieren, weil eine neue Maschine die Arbeit produktiver macht.

Das Wertgesetz als das Sachgesetz ihrer eigenen Konkurrenz beherrscht also diese Gesellschaft (sogar die Nutzniesser!) – das ist das Gegenteil davon, dass die Menschen über eine Wirtschaft verfügen, sie im Griff haben und zum allgemeinen Nutzen organisieren. Deutlich wird das nicht zuletzt in den blöden Sprachfloskeln, wenn Krise ist. Dann wissen nicht einmal die Nobelpreisträger und anderen Volkswirtschaftler, warum das Wachstum jetzt gerade mal wieder nicht funktioniert, wo doch alle es unbedingt wollen und brauchen.

Zweitens: Wenn wir jetzt darüber reden, dass die sozialistischen Staaten, die Sowjetunion und danach China, Planwirtschaften aufgebaut haben, die dem „Wertgesetz“ endlich zum Durchbruch verhelfen wollten, müsste man jetzt eigentlich sofort merken: Da stimmt was ganz und gar nicht. Das Wertgesetz ist schliesslich das Gesetz, das auf der Konkurrenz privater Eigentümer beruht! Und diese Konkurrenz haben die sozialistischen Revolutionäre beseitigt, nach und nach jedenfalls. Sie haben das private Eigentum abgeschafft und die Eigentümer enteignet und in China in ihren alten Betrieben weiter beschäftigt; an die Stelle der Unternehmer ist der Staat als Sachwalter des Volkseigentums getreten. Was soll in einer solchen Wirtschaft das Wertgesetz zu suchen haben?

Versuchen wir mal, uns der Auflösung dieses Rätsels von einer anderen Seite her zu nähern:

Für die fürchterliche Lage der Bauern und Arbeiter in ihrem Land haben die chinesischen Kommunisten vor allem eins verantwortlich gemacht: deren Ausbeutung durch Grossgrundbesitzer und Kapitalisten. Die Verteilung des Reichtums, der doch von den Bauern und Arbeitern produziert wurde, stellte für sie eine einzige Ungerechtigkeit dar, die sie beseitigen wollten. Das ist keine richtige (und auch nicht die marxistische) Kritik; denn „Ungerechtigkeit“ unterstellt ja, dass es eigentlich anders, „gerechter“ sein sollte. Dass die Reichen immer reicher werden durch Ausbeutung der Armen und Eigentumslosen, ist allerdings der Zweck dieser Gesellschaft – und nicht eine Verfehlung. Die chinesischen Kommunisten haben das anders gesehen: Sie wollten die Ungerechtigkeit beseitigen und Arbeiter und Bauern zukünftig gerecht entlohnen.

Dafür wurden Grossgrundbesitzer und grosse Unternehmer in der Zeit nach 1949 enteignet. Nach der Beseitigung dieser „Störenfriede“ hielt man dann allerdings so ziemlich alles, was man aus der Geldwirtschaft kennt, tauglich für die neue sozialistische Wirtschaft: Geld, Ware, Preise, Lohn, Gewinn. All das sollte nun als Mittel einer staatlichen Planung erhalten bleiben und tauglich sein.

Damit hat man allerdings einen eigenartigen Widerspruch zum Programm gemacht: Man hantiert und plant mit lauter Kategorien, die eigentlich zu einer ganz anderen Gesellschaft gehören, nämlich der kapitalistischen, in der um die Aneignung von Reichtum konkurriert wird.

Für die kommunistischen Parteiführer war also nicht „Wert“ die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise, sondern dass dieser „privat angeeignet“ wurde. Das war in ihren Augen ungerecht. Eine staatlich organisierte Wertproduktion, in der alle ihren Dienst tun am Wachstum des Volkseigentums, das dann vom Staat gerecht verteilt wird – das fanden sie gut.

Vielleicht liegt dem ein Bedürfnis der alten Sozialisten nach ökonomischen Gesetzmässigkeiten zugrunde. Zu ermitteln, was gebraucht wird und welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen und daraus einen Plan für Produktion und Verteilung zu machen, das hat ihnen offenbar widerstrebt.

Nebenbemerkung: Mit diesem kurzen Satz soll nicht gesagt sein, dass das eine ganz einfache Sache wäre. Ganz im Gegenteil wäre das eine Angelegenheit, auf die sich viele unterschiedliche Interessen in Sachen Bedürfnis und Arbeitszeit richten und die deshalb notwendig umstritten ist, also einen organisierten Diskussions- und Entscheidungsprozess braucht. Das wäre dann übrigens eine sozialistische Demokratie – also eine, in der die Leute selbst über die Sachen entscheiden, die ihr Leben bestimmen. Eine Demokratie, in der nicht gegensätzliche Interessen, sondern unterschiedliche Bedürfnisse und unterschiedliche Planungs- und Entscheidungsstrategien beraten und berücksichtigt werden.

Die sowjetischen/chinesischen Wirtschaftsplaner waren im Unterschied dazu auf der Suche nach so etwas wie einem sich selbst steuernden und optimierenden Automatismus. Davon haben sie sich eine Produktion erwartet haben, in der Gebrauchs- und Tauschwert harmonieren und sich die Produktivkräfte endlich ungehemmt entwickeln. Das offenbart ziemliche Missverständnisse in der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise – und vor allem eines: Ziemlich viel Respekt vor dem, was sie doch überwinden wollten. Praktisch hat das in der neuen Produktionsweise eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten und Widersprüchen mit sich gebracht.

Nadim (99:1): Kannst du Beispiele dafür nennen?

Renate Dillmann: Ein Beispiel ist der sozialistische Lohn. Der war einerseits garantiert und sollte sogar anerkanntermassen steigen (schon anders als in der Marktwirtschaft, wo immerzu feststeht, dass Bescheidenheit beim Lohn das Mittel des wirtschaftlichen Erfolgs ist!); andererseits kommt aber auch die sozialistische Wirtschaftsplanung nicht davon weg, den Lohn als Mittel einer, jetzt eben staatlich verordneten Gewinnproduktion zu betrachten. Er bleibt betriebswirtschaftlich eine Kost, die der Gewinnrechnung des Betriebs negativ gegenübersteht. Auch in der sozialistischen Wirtschaftsplanung bewerkstelligt der Lohn damit den Ausschluss der Arbeiter vom Reichtum, den sie schaffen, und ihre Lebensmittel bleiben auch hier eine negative Grösse! Das führt dann zu Verlaufsformen, die den Widerspruch immer wieder aufs Tapet bringen: Lohndrücken und Entlassungen (hierzulande die Mittel des Betriebs für seine Profitproduktion) sollen nicht sein, das Verlangen nach langer und intensiver Arbeit aber schon.

Ein zweites Beispiel ist der Gewinn der sozialistischen Betriebe. Während in der kapitalistischen Wirtschaft der Zweck eines Unternehmens in nichts anderem besteht, als Gewinn zu machen und es folgerichtig Konkurs anmeldet, wenn es diesen Zweck längere Zeit verfehlt, ist der Gewinn in der sozialistischen Planwirtschaft eine Forderung, die der Staat an seine Betriebe heranträgt.

Das ist ja eigentlich absurd – und macht deutlich: Die Betriebe selbst haben unter sozialistischen Bedingungen diesen Zweck nicht. Kein Wunder, denn ihre Produktion ist ja für sie nicht Mittel ihrer Bereicherung gegen andere: Die von ihnen angebotenen Produkte sollen nicht Wettbewerber aus dem Feld schlagen, die von ihnen geforderten Preise dürfen nicht die anderer Firmen unterbieten. Und wenn sie einen Gewinn erzielen, steht er nicht ihnen zur Verfügung, um eine solche Konkurrenz auf der Basis gewachsener Grösse ihres Kapitals auf höherer Stufenleiter durchzuführen, sondern wird an den Staatshaushalt überwiesen. Mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Wirkungen untersagt der sozialistische Staat seinen Betrieben ihren schädlichen Egoismus, schlägt ihnen sämtliche Mittel dafür aus der Hand – und schreibt ihnen andererseits die Erwirtschaftung eines „Mehr“ abstrakt als Plansoll vor.

Dessen Erfüllung bzw. „Übererfüllung“ stellt die Betriebsführer vor nicht unerhebliche Probleme. Denn neben einer souveränen Preisgestaltung stehen ihnen auch die üblichen Mittel, mit denen ein kapitalistisches Unternehmen seinen Gewinn steigert, nur sehr bedingt zu Gebote. Das Sparen an Einkaufspreisen ist keine Option, denn die Preise sind staatlich festgelegt; Investitionen, die durch moderne Maschinerie die Lohnsumme senken, stossen gleich auf mehrfache Bedenken. Erstens kosten sie zunächst einmal Geld, statt unmittelbar welches zu sparen. Zweitens ist die Entlassung von Arbeitern, über die ein kapitalistischer Betrieb die aufgewandten Kosten für Investitionen als Sparen an der gezahlten Lohnsumme und so als Mittel für mehr Gewinn organisiert, im sozialistischen Unternehmen nicht statthaft – die sozialistische Wertproduktion soll ja gerade durch Anwendung möglichst des gesamten Arbeitsvolks wachsen und nicht dadurch, dass man es überflüssig macht.

Ebenfalls nicht vorgesehen ist der Verkauf von mehr Produkten dadurch, dass andere Betriebe mittels gesenkter Preise unterboten werden. Im sozialistischen Betrieb ist eine Investition also weder ein Mittel, die gezahlte Lohnsumme zu senken, noch dafür, mit niedrigeren Lohnstückkosten eine Preisoffensive gegen Konkurrenten zu starten, weshalb sie sich drittens in der betrieblichen Bilanz als höherer Vorschuss bemerkbar macht. Insofern setzen schon betriebsinterne Überlegungen dem Einsatz neuer Technologie einige Schranken. Die werden durch den Aufruf der Planungsbehörde, überhaupt „sparsam“ mit Kosten umzugehen, noch verstärkt. Investitionen eines sozialistischen Betriebs sind genehmigungspflichtig und müssen sich im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Abwägungen rechtfertigen.

Dieser Umgang mit dem Einsatz neuer Technik macht sich nicht nur als Schranke für die Kalkulationen der einzelnen Betriebe geltend, sondern steht auch der eigentlich angestrebten allgemeinen „Entwicklung der Produktivkräfte“ ziemlich im Weg – ein ganz wichtiger Punkt, der Konsequenzen hat.

Am ehesten werden die sozialistischen Betriebe in ihrem Bestreben, einen Überschuss über die Produktionskosten zu erzielen, bei zwei Momenten des von ihnen organisierten Arbeitsprozesses fündig.

Erstens, indem sie eine eigentümliche Ignoranz gegenüber der Qualität der von ihnen hergestellten Produkte an den Tag legen. Unter den ihnen aufgemachten Bedingungen, also gerade weil sie sich den Vorgaben ihrer Planungsbehörde nicht einfach verweigern, sondern sie im Gegenteil durchaus erfüllen wollen, eröffnet sich ihnen vor allem ein Weg: Sie sparen bei der Produktion durch Verwendung schlechter, aber billiger Rohstoffe und Einzelteile. Damit erzeugen sie Warensortimente, die die betriebliche (und staatliche) Wertbilanz wachsen lassen – und weiterverarbeitende Unternehmen wie Konsumenten flächendeckend zur Verzweiflung treiben oder in den staatlichen Handelshäusern trotz allgemeiner Warenknappheit zum Ladenhüter werden.

Der zweite Weg besteht darin, ihre Arbeiterschaft zur Leistung von Mehrarbeit anzustacheln. Jeder Beschäftigte soll, auf der Basis eines unterstellten gemeinschaftlichen Produktionszwecks, das Interesse entwickeln, möglichst schnell, effektiv und ergiebig zu arbeiten, mit anderen Worten: Er soll nicht seinen „kapitalistischen“ Egoismus von wenig Arbeit gegen viel Lohn zum Massstab machen, sondern diesen überwinden und „sozialistisch“ denken = möglichst viel arbeiten (wollen). Weil die sozialistischen Betriebe gegen ihre Mannschaft bewusst nicht die Mittel in Anschlag bringen, mit denen ein kapitalistisches Unternehmen seine Mehrwertproduktion permanent steigert, verfallen sie auf die Moral ihrer Arbeitskräfte als ihr wichtigstes Mittel, die Ergebnisse der Produktion zu steigern: extensive Ausdehnung der zu leistenden Arbeit durch Verlängerung der Arbeitszeit oder Erhöhung des Leistungspensums sowie zusätzliche Arbeitseinsätze für besondere Aufbauleistungen.

An dieser Betrachtung des sozialistischen Lohns und des sozialistischen Gewinns kann man sehen: Ohne die Konkurrenz freier Eigentümer kriegen Preise, Löhne, Gewinne, das Geld in der realsozialistischen Ökonomie allesamt einen durchaus anderen Gehalt – sie sind wirklich etwas anderes als Preise, Löhne, Gewinne und das Geld in einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Alle Beteiligten und Institutionen (die Betriebe) werden mit ihrer Hilfe in Beschlag genommen für ein dauerndes Wachstum nicht nur der Gebrauchswert-, sondern auch der Wertproduktion und gleichzeitig werden ihnen die in der Marktwirtschaft dafür üblichen Rücksichtslosigkeiten gegeneinander untersagt.

Aus diesem Programm, nach der Beseitigung der Konkurrenz mit den Kategorien einer Konkurrenzökonomie zu planen, erwachsen die eigentümlichen Schranken, die die realsozialistische Ökonomie so seltsam „lahm“ aussehen lassen wie die Umgangsformen der Beteiligten, die am Ende so bizarr sind, dass sie keiner mehr verstehen kann. Die Realsozialisten wollten mit der Beseitigung der Konkurrenz eine Ökonomie einrichten, in der Gebrauchswert und Wert endlich harmonieren – hingekriegt haben sie allerdings eine, in der sich Gebrauchswert und Wert systematisch behindern.

Darin liegt der Grund für die bekannten Phänomene in diesen Ländern, die die Menschen als „sozialistische Mangelwirtschaft“ genervt haben und die der Staat als unerwartet schleppende Entwicklung der Produktivkräfte registriert hat.

Von bürgerlicher Seite wird ja mit viel Freude hämisch auf das schlechte Warenangebot und die sonstigen Highlights der sozialistischen Fehlplanung hingewiesen, um zu beweisen, dass ein System zentraler Planung nicht funktionieren kann (wir wollen hier nicht über entsprechende Highlights kapitalistischer Gesellschaften reden!); von links werden Zentralismus und Bürokratie, die Entstehung einer neuen Klasse, die sich bereichert hat, kritisiert. Die Mängel der realsozialistischen Planwirtschaft rühren aber nicht daraus, dass geplant wurde und auch nicht daher, dass zentral geplant wurde, sondern was und wie geplant wurde: Das Wachsen eines Wertprodukts, das gleichzeitig einer gerechten Beteiligung der Arbeiter und Bauern und einem Staat dienen sollte. Das wäre eigentlich meine Kritik an diesen bisherigen Versuchen von Planwirtschaft.

Nadim (99:1): China entwickelte sich unter Mao ja unter den sogenannten “Sprüngen”, womit drei Initiativen zur Fortentwicklung der chinesischen Produktivkräfte gemeint sind. Fangen wir mal mit der ersten Initiative von 1957 an: “Lasst hundert Blumen blühen, lasst 100 Schulen miteinander wetteifern”. Was war die Ausgangssituation vor der sich Mao befand, was waren die Grundzüge dieser Kampagne und wie bewertest du ihren Erfolg?

Renate Dillmann: 1957 – das war gerade mal acht Jahre nach Gründung der Volksrepublik. Ich denke, dass diese erste Kampagne tatsächlich ein ganz ehrliches Moment an sich hatte: die kommunistische Führung merkte, dass es allerhand Unzufriedenheit im Volk gab und ermunterte alle, ihre Meinung zu sagen, auch um eventuell neue Lösungen zu finden, „100 Blumen“ eben. Maos KP war sich ja durchaus bewusst, dass sie in vielen Fällen angesichts des umfassenden Mangels gar nicht unbedingt selbst eingreifen konnte und riet deshalb bspw. den Dörfern dazu, „auf die eigenen Kräfte zu bauen“. Gleichzeitig war sie sich durchaus sicher, dass sie im Volk angesichts der ersten Entwicklungserfolge, die ich eben genannt habe, im Prinzip gut verankert war.

Nun ist es natürlich so, dass ungeachtet der nationalen Erfolgszahlen jeder Mensch an seinem Ort eine ganze Reihe von Dingen aufzählen konnte, die für ihn unbefriedigend liefen – das ist ja auch überhaupt kein Wunder angesichts dieser Ausgangssituation und angesichts des Mammutprogramms, das sich die chinesische KP gestellt hatte. Also hagelte es Kritik. Das hätte die Partei natürlich durchaus auch als Erfolg werten können – als Ausdruck davon, wie freimütig und vertrauensvoll diese früher untertänigen und fatalistischen Menschen ihre Meinung dargelegt haben. Die Führung, insbesondere Mao, hat es allerdings schnell als Blamage aufgefasst. Wo eine sozialistische Partei doch alles für die Unterdrückten tut, ganz und gar deren Interessen vertritt, konnte und durfte soviel Kritik doch nicht sein. Insofern ist die Kampagne regelrecht in ihr Gegenteil verkehrt worden: Es hiess plötzlich, man habe mit ihr die versteckten Konterrevolutionäre herausfinden wollen und diejenigen, die offenherzig kritisiert hatten, wurden zur Umerziehung aufs Land geschickt.

Nadim (99:1): Relativ kurz nach der ersten Kampagne folgt auch schon die nächste, 1958: “Der grosse Sprung nach vorn”. Wieso so schnell schon die nächste Initiative, was war der Kontext und was waren die Kernelemente dieser neuen Kampagne?

Renate Dillmann: Der „grosse Sprung nach vorn“ war zum einen Ausdruck einer gewissen Verzweiflung. Darüber nämlich, dass die nachholende Entwicklung so langsam lief – „langsam“ vor allem gemessen an ihren Erwartungen, dass eine sozialistische Wirtschaft die Produktivkräfte geradezu explodieren lassen müsste, aber auch gemessen an praktischen Fragen: Wie die Sowjetunion sah sich das kommunistische China einer Rückeroberungsdrohung durch die kapitalistischen Staaten ausgesetzt; Anfang der 50er Jahre begann der Korea-Krieg, in dem China Nord-Korea unterstützte, um sich selbst vor Angriffen durch die USA zu schützen. Innere Gründe für das langsame Tempo haben wir in dieser seltsamen Art der sozialistischen Wirtschaftsplanung gesehen; aus dem Zirkel „unzureichende Produktivität auf dem Land – schleppender Aufbau der Industrie“ winkte kein Ausweg – auch angesichts dessen, dass die Sowjetunion China zwar mit Industrie-Projekten unterstützte, allerdings mit ziemlich wenigen (156 – was für dieses riesige Land ein Tropfen auf den heissen Stein war). Gleichzeitig war die Kampagne auch Ausdruck einer ziemlichen Überschätzung davon, was man mit einer Mobilisierung der Moral auf die Beine stellen kann; da hat man die bisher erzielten Erfolge als Anreiz genommen, die Latte ganz hoch zu legen. Vor allem aber war sie Ausdruck eines nationalen Ehrgeizes: Das kommunistische China wollte die Industrialisierungserfolge der kapitalistischen Kernländer in den Schatten stellen; Grossbritannien und die USA sollten „früher als geplant“ (ein Zitat von Mao) eingeholt werden! Und auch der Sowjetunion wollte man zeigen, wie man Sozialismus schneller auf die Beine stellen kann, wenn man es nur entschlossen genug will – das richtete sich speziell gegen Chruschtschow als neuen Führer der UDSSR.

Hier sehen wir also, wie das „Nationale“ am chinesischen Sozialismus regelrecht fordernd gegen die eigenen Leute auftritt. Sie und ihre Anstrengung sollen das Mittel dafür sein, andere Nationen hinter sich zu lassen – das ist etwas anderes als ein gutes Leben und da geht es auch nicht mehr darum, mit schnellen Erfolgen bei der Gesundheitsversorgung oder der Alphabetisierung zu konkurrieren. Ich glaube, vielen ist bekannt, was versucht wurde: Überall auf dem Land wurden kleine Hochöfen gebaut, mit denen Eisen zu Stahl gekocht werden sollte. Es wurden Strassen angelegt und Stauseen gebaut – mit den primitivsten Mitteln. So sollte das Land industrialisiert werden, nachdem man für die Städte immer zu wenig Lebensmittel gehabt hatte. Das chinesische Volk hat sich mit aller Kraft ins Zeug gelegt, gearbeitet bis zur völligen Erschöpfung. Um die verlangten Ziele hinzukriegen, wurde die Ernte vernachlässigt, was eine regelrechte Hungersnot auslöste; die Resultate waren vielfach völlig untauglich, der Stahl brüchig, die Stauseen hielten nicht.

Nadim (99:1): Anders als die Kampagne davor, hatte der „grosse Sprung nach vorn“ enorme Auswirkungen auf die Ökonomie und die Produktivität Chinas. Kannst du kurz ausführen, was die Resultate dieser Kampagne waren und wie du diese Kampagne dann basierend auf den Resultaten bewertest?

Renate Dillmann: Kurzfristig brachte der grosse Sprung zunächst mal einen wirklichen Einbruch mit sich, der die Erfolge der ersten Jahre zu einem grossen Teil zunichte machte. Die Versuche, auf diese Weise das ländliche China zu industrialisieren, sind allerdings nicht sang- und klanglos untergegangen. Davon blieben viele kleine Kerne bestehen und auch die Idee, dass in kleinen Städten und Dörfern neben dem landwirtschaftlichen Betrieb was anderes produziert werden könnte, hat sich festgesetzt. Später wurden diese Industrie-Anlagen oft Ausgangspunkt für Unternehmen des heutigen, kapitalistischen China – vielfach betrieben von Dorfkollektiven, aber auch Privatpersonen.

Aber vielleicht noch ein Wort zu der moralischen Empörung, die es zu dieser Mao-Kampagne gibt. Sie gilt meistens als Ausdruck der geradezu irrsinnigen Machtbesessenheit, als Perfidie eines Psychopathen oder ähnliches. Tatsächlich ist sie zwar in ihrer Grössenordnung irre – das ist in China sowieso immer alles; ihrem Inhalt nach ist sie aber geradezu etwas fürchterlich und erschreckend „Normales“, wenn wir über Staaten und Völker nachRenate Dillmann:denken. Dass Staatsmänner und nationale Führer ihre Völker für ihre grossgesteckten Ziele, ihre Kriege und nationalen Aufbrüche, anstacheln und benutzen, ist in der gesamten Menschheitsgeschichte gang und gäbe. Deshalb sollte die Kritik hier Staat und Herrschaft gelten – und den patriotisch begeisterten Völkern, die so etwas mitmachen. Die Psychologisierung verharmlost da eigentlich das Wesentliche!

Nadim (99:1): Die im Westen wohl bekannteste Kampagne war “Die grosse Proletarische Kulturrevolution”. Wieder die Frage nach der Ausgangsposition: Welche Situation sah sich Mao gegenüber, was bewegte ihn zu der nächsten Kampagne? Wer war Liu Shaoqi und warum trat Mao in Konflikt mit ihm?

Renate Dillmann: Diese Kampagne ist eigentlich diejenige, die am meisten Rätsel aufgibt und auch bis heute sehr verschieden interpretiert wird. Es gibt viel moralische Empörung über die entwürdigenden Prozeduren der „Selbstkritik“, in denen Lehrer, Beamte etc. gezwungen wurden, sich beim Volk zu entschuldigen; es gibt aber auch linke Positionen, die in der Kulturrevolution den Einfluss der Arbeiter auf staatliche Entscheidungen auf ihrem Höhepunkt sehen, bspw. in der Shanghaier „Kommune“ und ähnlichen Projekten.

Ich würde diese Kampagne so zusammenfassen: Ausgelöst wurde sie von Mao selbst, der mit den Resultaten der sozialistischen Wirtschaftsplanung erneut unzufrieden war. Nach dem „grossen Sprung“ orientierte die sich relativ stark an der klassischen sowjetischen Art der Planwirtschaft, die ich vorhin charakterisiert habe; deren prominentester Vertreter war Liu Shaoqi; auch Deng Xiaoping stand für diese Linie. Mao jedenfalls vermisste den Aufbruchsgeist der Anfangszeit. Als Grund für die mangelhaften Fortschritte vermutete er erneut den Rückfall ins bürgerliche Denken oder die Fortexistenz konterrevolutionärer Aktivitäten – das ist so die sozialismus-typische Schuldzuweisung: Da die sozialistische Partei für alles zuständig ist (sie hat ja nicht die Bequemlichkeit bürgerlicher Parteien, die immer auf Sachzwänge, die Konkurrenz etc. deuten können!), und gleichzeitig zwischen Volk und Partei kein Haar passt, muss ja irgendwo jemand am Schlamassel schuld sein, wenn es nicht so funktioniert wie gewünscht. Der Feind wird im „bürgerlichen Denken“ gefunden – das hiess hier zunächst mal: egoistisch an sich statt an China, an den „Aufbau“, die Anweisungen der Partei oder ähnliches denken. Dieses bürgerliche Denken hat Mao auch in der Partei selbst ausgemacht, in die natürlich ein Haufen Leute aus Opportunismus eingetreten waren! Dagegen wollte Mao eine erneute (und permanente) Revolution in den Köpfen entflammen: die Kulturrevolution.

Indem er dafür das ganze Land und vor allem die Jugend – wie immer idealistisch und begeisterungsfähig – auf den Plan rief, hat er wirklich etwas losgetreten. Angesichts so einer abstrakt-methodischen Zielsetzung konnte jetzt gegen alles und jedes rebelliert werden; das Rebellieren war von höchster Stelle in's Recht gesetzt und keiner wusste so richtig, was verteidigt und was attackiert werden sollte. (Mao-Bibel und Mao-Wecker). Das hat im Resultat wirklich die Existenz des Landes angegriffen. Dass Arbeiter sich da auf dem Höhepunkt ihrer Macht befunden haben, bezweifle ich sehr – gerade sie mit ihren Lohnforderungen wurden ja von Mao des „Ökonomismus“ bezichtigt. Aber – wie gesagt – es hat auch lokale Versuche gegeben, die ich nicht alle überblicke. 2019 ist das Buch „Die andere Kulturrevolution“ erschienen, in dem neues Quellenmaterial aufgearbeitet wurde. Dem habe ich vor allem entnommen, dass es eine enorme Bandbreite von Initiativen, Projekten, Kämpfen gab – von sozusagen elitär-kommunistischen Organisationen, die die Privilegien eines quasi revolutionären Adels verteidigen wollten (die Kinder der Genossen vom Langen Marsch) bis hin zu interessanten Räteprojekten. Am Ende hat die Armee eingegriffen und die Sache beendet, bevor das Land wirklich in einen Bürgerkrieg versank.

Nadim (99:1): Wie entwickelte sich die Beziehung zur Sowjetunion unter Mao und welche Rolle spielte die Unterstützung der Sowjets?

Renate Dillmann: Ich glaube, angesichts der fortgeschrittenen Zeit sollte ich ganz kurz antworten: Das sozialistische China hat sich von der SU brüderliche Hilfe bei seinem Aufbau erwartet. Es hat sie auch erhalten – aus seiner Sicht allerdings viel zu wenig. China hat aus seiner Sicht nicht nur sich, sondern auch den Ostblock im Korea-Krieg verteidigt – dass die Sowjetunion dafür zwar Waffen geliefert hat, sich diese aber bezahlen liess, fanden die Chinesen absolut nicht in Ordnung, das war gleich Anfang der 1950er Jahre. Umgekehrt: Dass sich China bei der gerade entstehenden Dritten Welt (übrigens eine chinesische Wortschöpfung!) als Modell für Sozialismus unter diesen Bedingungen in Stellung gebracht hat; dass China die Politik der friedlichen Koexistenz der SU mit den USA nicht gebilligt hat, sondern zu mehr revolutionärem Elan in der Weltpolitik aufgerufen hat und für sich auch die Atombombe verlangte, hat der Sowjetunion nicht gepasst.

Diese Gegensätze haben die Länder entzweit. Man könnte zusammenfassen: Sie waren so befreundet, wie Nationen es sein können – also nicht wirklich. Der Streit wurde, wie es sich für Kommunisten gehört, zunächst als ideologische Polemik abgewickelt; dabei ist es nicht geblieben: Als Grenzstreit wurde er auch praktisch – und schliesslich hat China mit seiner Ping-Pong-Diplomatie Beziehungen zu den USA aufgenommen (noch zu Maos Lebzeiten) und die Sowjetunion noch vor den USA als gefährlichen Feind eingestuft. Das war der Anfang vom Ende des Ostblocks.

Nadim (99:1): Kannst du abschliessend noch ein paar Worte zum Maoismus sagen? Was sind die Besonderheiten des “chinesischen Sozialismus” und warum war diese obskure Schule im Westen so beliebt?

Renate Dillmann: Mit den theoretischen Leistungen des guten Mao à la „Der Imperialismus ist ein Papiertiger“ oder „Die Revolutionäre sollten sich im Volk bewegen wie Fische im Wasser“ oder den „Haupt- und Nebenwidersprüchen“ sollten wir jetzt nicht mehr beginnen – da war sicher nicht die analytische Richtigkeit das Wesentliche.

Halten wir lieber seine Leistung fest: Er hat die elenden Zustände in seinem Land gesehen, hatte keine Lust, diese fatalistisch hinzunehmen – auch als er sich klar gemacht hat, dass die ohne eine regelrechte Revolution nicht zu ändern sind. Eine Revolution heisst: die bisher geltenden Prinzipien ausser Kraft setzen, die bisherigen Nutzniesser nach Hause schicken, eine neue Ordnung, eine ganz neue Gesellschaft aufbauen. Es war klar, dass dafür ein Kampf um die Gewalt im Land nötig war, denn die alte Ordnung beruht ja an allen Ecken und Enden auf Gewalt – Mao und seine Genossen waren bereit, das durchzufechten, über Jahrzehnte, mit viel persönlichen Opfern, allem, was dazugehört.

Sein Konzept eines Guerillakriegs funktionierte in diesem Land, in dem es kein funktionierendes Gewaltmonopol gab – auch darin hat er für viele Kämpfe in der 3. Welt ein Beispiel gegeben (z.B. für Kuba). Nachdem er und seine KP gewonnen hatten, haben sie den Sozialismus in China ihrem Verständnis gemäss aufgebaut – das hat den sowieso miesen Bedingungen noch einige entscheidende Fehler hinzugefügt. Welche Konsequenzen seine Mitstreiter nach Maos Tod 1976 gezogen haben, werden wir nächstes Mal sehen…

Bei den westlichen Linken war das maoistische China beliebt, 1. weil die immer gerne einen Hoffnungsträger haben (darauf kann man deuten und sagen: seht mal hin, es geht doch – Sozialismus ist nicht nur eine schöne Idee, sondern ganz real!) und 2. weil für dieses Bedürfnis die Sowjetunion und im Fall der Deutschen die DDR einfach kein gutes Werbematerial waren: Mangelwirtschaft, Stalinismus etc. – dann schon lieber ein China, von dem man gar nicht so genau wusste, was eigentlich vor sich ging, in das man aber viel reininterpretieren konnte (Basisdemokratie!).

Interview: 99:1

https://www.heise.de/tp/features/China-und-Taiwan-Wer-ist-gut-wer-boese-6232729.html

https://www.heise.de/tp/features/Westliche-Lesarten-des-China-Taiwan-Konflikts-und-ein-Perspektivenwechsel-6234296.html

Das Interview auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=5uFHukuSD-k

Folge 2: Maos China https://www.youtube.com/watch?v=erOG2U9mbWc

Folge 3 ist für Ende Januar geplant.

Das Buch ist erschienen bei Die Buchmacherei, Berlin. https://diebuchmacherei.de/produkt/china-ein-lehrstueck/