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100 Jahre erster Weltkrieg: Deutsch-französische Heuchelei | Untergrund-Blättle

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Deutsch-französische Heuchelei 100 Jahre erster Weltkrieg

Politik

“Vor genau 100 Jahren erklärte Deutschland Frankreich den Krieg. Dessen gedachten die Präsidenten Gauck und Hollande gemeinsam. Sie umarmten einander innig und lobten die Aussöhnung beider Länder als Vorbild für aktuelle Konflikte.” (1)

Gedenkstätte Hartmannswillerkopf in Frankreich, welche an die gefallenen Soldaten des 1. Weltkriegs erinnert.
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Gedenkstätte Hartmannswillerkopf in Frankreich, welche an die gefallenen Soldaten des 1. Weltkriegs erinnert. Foto: Evadb (PD)

5. August 2014
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Dieser Tage wird das grosse Gemetzel vor 100 Jahren gerne als Schule der Nation inszeniert. Nach einem kleinen Rückfall 1933 bis 1945 sei die Lektion endgültig gelernt:

“Deutschland und Frankreich hätten nach zwei Weltkriegen den Mut aufgebracht, sich zu versöhnen, sagte Hollande vor den Gästen, unter ihnen Soldaten der deutsch-französischen Brigade, Kriegsveteranen, Regionalpolitiker aus beiden Ländern sowie hundert junge Deutschen und Franzosen. Europa habe den Krieg besiegt, dies sei eine “aussergewöhnliche Leistung”.” (2)

Dass der “gemeinsame Wille einstige “Erbfeinde” zueinander bringen könne” (3) hat die Europäische Union tatsächlich gezeigt, auch wenn gerne Verschwiegen wird, worin dieser besteht: In der jeweiligen gegenseitigen Benutzung der anderen Staaten für das eigene imperialistische Interesse. Da mussten Frankreich wie Deutschland nach 1945 feststellen, dass das eigene Menschenmaterial, Rohstoffe und Produktion schwer gelitten hatte unter dem Versuch, sich militärisch die grössten europäischen Nachbarn unterzuordnen.

Der Krieg wurde also nicht “besiegt”, sondern für die Durchsetzung der eigenen nationalen Interessen in Europa für Untauglich erklärt. Die Staaten unterliessen nicht ihre imperialistischen Bestrebungen, sondern entdeckten in der Kooperation ein besseres Mittel für den alten Zweck. Als 1999 unter deutscher Beteiligung die europäische Union militärisch nach Osten erweitert wurde, änderte sich also nicht der ganze Charakter der deutschen Aussenpolitik. Die nach wie vor gültigen Kriterien des nationalen Nutzens und der Friedenspolitik kamen einzig wieder einmal auf das Ergebnis, dass ein Krieg für Deutschland hier mehr tauge als Benutzung.

Deshalb ist die öffentliche Heuchelei auch perfekt. Wenn zum Beispel Hollande herbeifantasiert, dass “das aktuelle Gedenken eine Botschaft sein [könnte] für all jene, die die Hoffnung auf einen Friedensprozess im Nahen Osten aufgegeben hätten, ist das zweifelsohne blanker Hohn. “Mehr denn je” müssten “alle unsere Anstrengungen auf einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen zielen, um das Leid der Zivilbevölkerung zu beenden”. (4)

Heuchelei deshalb, weil Israel gar kein Interesse daran haben kann, den Gazastreifen bzw. die palästinensischen Gebiete für sich und seine Interessen derart zu benutzen, wie Deutschland Frankreich nutzt und Frankreich Deutschland. Die Anerkennung der palästinensischen Gebiete, gar das Zulassen eines eigenen Staates der Palästinenser wäre die Vorraussetzung für eine solche Benutzung, die aber nicht im Interesse Israels liegen kann.

Heuchelei deshalb, weil Israel die gleichen Berechnungen gegenüber seinem Nachbar anstellt wie Deutschland – allerdings aufgrund seiner anderen Lage eben keine Kooperation mit den Palästinensern betreibt, sondern diese Klein hält – mit allen Mitteln die ein moderner, hochgerüsteter demokratischer Staat anzubieten hat.

So wird aufgrund 100 Jahre weltweiter Schlächterei und imperialistischer Konflikte herbeigeredet, dass Frankreich und Deutschland bewiesen hätten, “dass Aussöhnung möglich sei” – ganz, als ob sie sich aus Menschenfreundlichkeit für den Erbfeind und gegen die nationalen Interessen entschieden hätten. Dabei weiss Deutschland durchaus, dass ohne Krieg kein modernern Weltmarktführer zu machen ist: “eine gewachsene deutsche Verantwortung” (5) kennt Gauck durchaus – was nichts anderes heisst als imperialistische Aussenpolitik global.

Das Schlachten geht also weiter. Aber weil der einstige Erbfeind als Kampfgenosse besser taugt denn als Gegner, gönnt man sich nach 100 Jahren die öffentliche Heuchelei der Diplomaten, man habe “den Krieg besiegt.” (6) Besiegt ist dabei einzig die Vorstellung, Deutschland könne allein die Welt untertan machen. Der moderne Imperialist weiss, dass man dafür Europa braucht.

Europa ist die Zukunft. Das ist eine Kampfansage.

Berthold Beimler

Fussnoten:

(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/erster-weltkrieg-gauck-und-hollande-loben-aussoehnung-auf-gedenkfeier-a-984259.html

(2) ebd.

(3) ebd.

(4) ebd.

(5) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-06/auslandseinsaetze-gauck-debatte

(6) http://www.spiegel.de/politik/ausland/erster-weltkrieg-gauck-und-hollande-loben-aussoehnung-auf-gedenkfeier-a-984259.html

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