UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Paradies: Hoffnung | Untergrund-Blättle

518

Abschluss der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl Paradies: Hoffnung

Kultur

Rund zwei Drittel aller deutschen Männer sind betroffen, bei Frauen sind es immer noch mehr als 50 Prozent – dass immer mehr Menschen hierzulande übergewichtig sind, ist nicht gerade ein Geheimnis.

Ulrich Seidl, Österreichischer Filmpreis 2013 im Festsaal des Rathauses in Wien.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Ulrich Seidl, Österreichischer Filmpreis 2013 im Festsaal des Rathauses in Wien. Foto: Manfred Werner - Tsui (CC BY-SA 3.0 cropped)

25. Mai 2013
1
0
4 min.
Drucken
Korrektur
Und die Gründe dafür sind es ebenso wenig: zu wenig Bewegung, zu viel ungesundes Essen. An beiden Fronten soll im Diätcamp gekämpft werden, in dem die 13-jährige Melanie (Melanie Lenz) zum Abspecken abgegeben wird, während ihre Mutter in Kenia unterwegs ist. Und kämpfen kann hier fast wörtlich genommen werden: Die Disziplin ist hoch, der Ton ist rau, fast so, als wäre das Camp ein Ausbildungslager fürs Militär.

Immerhin ist Melanie nicht allein, teilt sich vielmehr das Schicksal mit rund zwei Dutzend Leidensgenossen und -genossinnen, die alle ein bis zwei Kilo zu viel auf dem Leib haben. In manchen Fällen vielleicht auch zwanzig. Auf jeden Fall genug, um aus den Jugendlichen eine eingeschworene Gemeinschaft zu machen, die zusammen durch dick und dicker gehen. Und das bedeutet nächtliche Raubzüge in der Küche, unerlaubte Besuche der Dorfdisco und natürlich ein reger Austausch, was die ersten Erfahrungen mit Liebe und Sexualität angeht. Vor allem Verena (Verena Lehbauer) steht ihrer neuen Busenfreundin mit Rat und Tat zur Seite. Davon kann die auch eine ganze Menge gebrauchen, als sie sich in den Arzt des Camps (Joseph Lorenz) verliebt.

Erst Liebe, dann Glaube und nun Hoffnung – mit seinem Beitrag über dickliche Jugendliche schliesst Ulrich Seidl seine Paradies-Trilogie ab. Und wie immer stellt der österreichische Regisseur seinen ebenso scharfen wie unbarmherzigen Blick auf den Menschen unter Beweis. Ein flüchtiger Blick, etwa beim Zappen durchs Fernsehprogramm, und man könnte meinen, sich einen Dokumentarfilm anzuschauen. Ein Eindruck, der nicht zufällig entsteht, denn Seidl erhielt für seine Dokumentationen zahlreiche Preise, und auch bei seinen Spielfilmen lässt er seine Erfahrungen und erprobten Techniken gerne einfliessen. Die meisten Figuren werden zudem von Laiendarstellern übernommen. Das Ungeschönte soll in seinen Filmen gezeigt, das, was man sonst nicht gerne sieht.

Das Ergebnis fällt hier aber etwas zwiespältig aus. Sicher, authentisch ist Paradies: Hoffnung in fast allen Belangen. Besonders in den Szenen, wenn die Kinder unter sich sind, herumalbern oder eigene Grenzen austesten, hat man das Gefühl, einer von ihnen zu sein – auch dank der absolut natürlich wirkenden Jungdarsteller. Nur, was der Film eigentlich aussagen will, wird nicht so richtig klar. Vielleicht wie schnell eine kindliche Schwärmerei schief gehen kann. Den befürchteten letzten Schritt zum Kindesmissbrauch zwischen der jungen Melanie und dem 40 Jahre älteren Kinderarzt geht der Film jedoch nicht.

An einigen Stellen kommt Seidl dem schon sehr nahe, entscheidet sich aber bewusst für das „gute“ Ende. Und die Hoffnung.Versöhnlich sollte der Abschluss der Trilogie sein und das ist er auch geworden. Passend zum Titel und dem Alter der Protagonisten herrscht hier eine unschuldige, harmlose, fast schon heitere Atmosphäre. Gerade, wenn die Erwachsenen ihre Autorität auszuspielen versuchen, wirken sie so betont lächerlich, dass man an mehreren Stellen fast zwangsläufig lachen muss. Das ist gleichzeitig gut gemacht, nett anzusehen und sympathisch, aber eben auch beliebig. Ein überzeugender Blick auf den Alltag und das Lebensgefühl einer Gruppe von Jugendlichen, von dem aber – zumindest für einen Film von Seidl – am Ende erstaunlich wenig zurück bleibt.

Fazit: Nach Sextourismus und religiösem Fanatismus wendet sich Seidl diesmal einem weniger spektakulären Thema zu: Jugendliche in einem Diätcamp. Das ist wie immer sehr authentisch, aber deutlich versöhnlicher und leider auch etwas beliebig.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Paradies Hoffnung

Österreich, Deutschland, Frankreich

2013

-

91 min.

Regie: Ulrich Seidl

Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz

Darsteller: Melanie Lenz, Verena Lehbauer, Vivian Bartsch

Produktion: Ulrich Seidl

Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachman

Schnitt: Christof Schertenleib

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.

Mehr zum Thema...
Lässt in seiner neuesten Doku tief in die Keller der Österreicher blicken. Ulrich Seidl in Oslo - März 2015.
Dokumentation von Ulrich SeidlIm Keller

07.07.2015

- Ulrich Seidls Streifzug durch die Keller seiner Mitbürger bringt eine Menge sehr spezieller Geschichten zutage.

mehr...
Der radikal-islamische Prediger Pierre Vogel während einer Kundgebung in Koblenz.
Salafismus in EuropaDas Problem heisst Ausgrenzung

06.09.2014

- In Österreich wurden während der vergangenen Wochen erneut mehrere Jugendliche festgenommen, die auf dem Weg nach Syrien waren, um sich dem IS anzuschliessen.

mehr...
Severin Fiala und Veronika Franz bei der Verleihung des Papierenern Gustls im Jahr 2015 zu ihrem Film «Ich seh, ich seh».
Rezension zum Film von Veronika Franz und Severin FialaIch seh, ich seh

19.12.2016

- Zwei Kinder erkennen ihre Mutter nach einer Operation nicht wieder, was zu immer stärkeren Konflikten führt – aus dieser Ausgangslage wird bei „Ich seh, ich seh“ von den österreichischen RegisseurInnen Veronika Franz und Severin Fiala ein atmosphärischer starker, teilweise sehr schmerzhafter Thriller, auch wenn Genreprofis das Ende bereits früh vorwegsehen können.

mehr...
Die Paradies-Trilogie. Ein Gespräch mit Ulrich Seidl.

21.03.2013 - "Leider kann das Kino nicht die Gesellschaft verändern, aber es kann das Bewusstsein verändern." Ein Satz von Ulrich Seidl, der heute einen neuen Film in die hiesigen Kinos bringt: "Paradies: Glaube". Es ist der zweite Film einer Trilogie; ein Film der ein finsteres Bild über christlichen Fanatismus zeigt und bereits dem Filmemacher eine Anzeige wegen Blasphemie einbrachte.

Interview Jugendbündnis Zukunftsenergie

27.11.2013 - Das Jugendbündnis Zukunftsenergie war auf dem Klimagipfel in Warschau. Im Interview mit Dorothea Epperlein, die die Teilnahme der Jugendlichen vom JBZE aus Deutschland koordiniert hat,geht es um die Fragen: Was ist das JBZE?

Dossier: Mythos '68
Felipe Crespo
Propaganda
Capitalism kills Love

Aktueller Termin in Hamburg

Dear Future Children

Dear Future Children

Samstag, 3. Juni 2023 - 18:00 Uhr

3001 Kino, Schanzenstraße 75, 20357 Hamburg

Event in Berlin

FLINTA* Bar Abend @ Tristeza

Samstag, 3. Juni 2023
- 18:00 -

Tristeza

Pannierstraße 5

12047 Berlin

Mehr auf UB online...

ETA Symbol in Altsasu/Alsasua (Navarra, Spanien).
Vorheriger Artikel

Das (vorläufige) Ende eines Staatsproekts

Die Auflösung der ETA

Blockade der Letzten Generation am 19. Mai 2023.
Nächster Artikel

Flut von Anzeigen

Letzte Generation: Razzia für den Untergang

Untergrund-Blättle