Überlegungen zum Umgang mit der Pop-Vergangenheit Pop-Geschichte wird gemacht

Kultur

Wenn Dave Hanley beim Lachen seine obere Zahnreihe entblösst, wird eine grosse Lücke sichtbar. Seine graue Second Hand-Fischgräthose hat über dem ausgebeulten linken Knie ein Brandloch und seine Füsse stecken in abgetragenen Sandalen.

Der ehemalige Frontman der Popgruppe «Talking Heads», David Byrne, an einer Anti-Kriegs Demo in Washington DC.
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Der ehemalige Frontman der Popgruppe «Talking Heads», David Byrne, an einer Anti-Kriegs Demo in Washington DC. Foto: Jon Haynes Photography (CC BY-ND 2.0)

23. Mai 1997
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Dave Hanley sieht aus, wie viele junge Londoner in den Szenevierteln Notting Hill oder Camden Town aussehen — etwas ärmlich und abgerissen.

Der Grund dafür ist aber nicht in einer ungünstigen Einkommenssituation oder den hohen Londoner Mietpreisen zu suchen, sondern in einem spezifischen Szenecode. Auch unter widrigen ökonomischen Rahmenbedingungen hat es immer popkulturell orientierte junge Leute gegeben, die ihre geringen finanziellen Mittel bevorzugt in teure Klamotten, Motorroller oder Plattensammlungen steckten.

Vor seiner Karriere als DJ, Produzent und Musiker betrieb Dave Hanley einen Frisörladen an der Kensington High Street. Auch sein Partner Justin Langlands, vormals Layouter bei einer renommierten Popzeitschrift, kommt aus einer Szene, in der es wichtig ist, kommerziellen Erfolg mit einer Street-Attitude zu verbinden, sich nicht habituell über die Community zu erheben, deren Netzwerk den Aufstieg erst ermöglichte und deren Imagezuschreibungen auch weiterhin Einfluss auf den Marktwert der ihr angehörigen Individuen haben.

Dave Hanley und Justin Langlands wurden Anfang der 90er Jahre mit ihrem Dancefloor-Projekt Pressure Drop bekannt. Als wir sie damals interviewten, fiel mir als erstes der Gegensatz zwischen ihrem Understatement und ihrer geschäftlichen Cleverness auf. Die beiden gehörten mit zu den ersten, die mit einem Underground-Gestus zur Industrie gehen konnten, ohne dass ihnen das geschadet hätte. Ihre Deals mit Polydor und Marlboro hätten andere noch um ihre Szenereputation gebracht. Sie aber repräsentierten bereits jenen heute allzu bekannten neuen Jungunternehmertypus, der trotz geschäftlichem Erfolg den Kontakt zur Posse nicht verliert.

Im Unterschied zu dem Aufsteiger alten Typs, der seine Herkunft verleugnet und sich demonstrativ distanziert ("Spiel nicht mit den Schmuddelkindern"), steht der neue Jungunternehmer für eine andere Haltung: Er vergisst seine "Roots" nicht. Glaubt man dem Bild, das er von sich zeichnet, so hat er das System durchschaut und nutzt nur dessen Strukturen aus. Im Inneren verachtet er es. Er bleibt cool und den Werten seines Herkunftmilieus treu. Dorthin vergibt er einen Teil der Jobs und Aufträge, denn in den Bereichen Musik & Mode ist die persönliche Teilnahme heute (selbst für viele Labelchefs der Majors) Voraussetzung der permanenten Innovation. Wer Clubwear verkauft, einen Club betreibt oder mit Trend-Platten handelt, muss am Ball bleiben und auch auf sein Image in der Szene achten.

Fallstudie und theoretische Reflexion

Club Culture stellt heute (neben den von WOM, Camel etc. gesponsorten Gross-Rave-Veranstaltungen) nicht nur einen der wichtigsten Geschäftszweige des Pop dar, sondern ein verzweigtes System von Images und Orten, die in ausdrücklicher Konkurrenz zur tradierten Rock Culture durchgesetzt wurden. Mit Club Culture schufen sich Szenen und Gruppierungen ein neues Feld, die in der Rock Culture aus verschiedenen Gründen nicht zum Zug kamen. Durch eine Rekonstruktion dieser Entwicklung, das ist unsere These, würde man wichtige Anhaltspunkte für eine angemessene Analyse der Entwicklungsdynamik des Pop-Feldes erhalten. Diese Rekonstruktion wurde durch die jahrelange Wortführerschaft der auf Distinktionsstrategien abonnierten Subkulturideologen bisher behindert. Nachdem ihr Kanon von den etablierten Medien übernommen wurde, ist dessen Dekonstruktion Bedingung jeder Pop-Kritik.

Eine solche Kritik muss sich auch über ihre eigenen Voraussetzungen und Methoden klar werden. Wir plädieren dabei für eine Kombination von Fallstudien und theoretischen Reflexionen. Wie andere Gegenstände, erschliesst sich auch Pop nicht durch Ferndiagnosen und theoretische Ableitungen. Jedes Urteil aus zu grosser Distanz erweist sich schnell als unhaltbar. Wer sich mit dem Gegenstand nicht detailliert auseinandersetzt, endet bei einem Denken, das von jedem Phänomen weiss, wo es hingehört, und von keinem, was es ist. Eine rein transzendente, von ihrem Gegenstand unberührte Kritik muss als Etikettierung enden. Wer Pop kritisiert, muss ein Stück daran teilhaben, aber auch wieder Distanz herstellen. Der Selbstbewegung des Objekts vermag nur zu folgen, wer es kennt, ihm aber nicht vollkommen angehört.

Es kommt schon sehr auf die Details an, wenn man heute beispielsweise untersuchen möchte, wie das, was in der zweiten Hälfte der 80er Jahre als kleine Szene begann, die lediglich Zeitschriften und Labels des Special interest-Bereiches trug, in den 90er Jahren zu einem grossen und diversifizierten Markt der Club Culture werden konnte, der von DJs, Kinderzimmer-Produzenten, Studios, Trendclubs, Plattenläden, Clubwear- und Sport-Firmen, Stadtzeitungen, privaten Radiostationen, Plattenfirmen, Tabakmultis und nicht zuletzt von Musiksendern wie MTV und VIVA intensiv bearbeitet wird.

Aber so wichtig die Kenntnis der Details auch ist — sie setzen sich nicht von selbst zu einem Gesamtpanorama zusammen. Pop spricht seine Geheimnisse nicht unmittelbar aus. Eine immanente Betrachtung würde daher nicht ausreichen. Weil das Gewicht der konventionellen Wahrnehmungsmuster nach unten zieht, kommt es darauf an, den Gegenstand immer wieder von sich zu stossen und so einen Abstand zu ihm zu schaffen. Unvermeidlich wird er einem dabei auch ein Stück fremder werden, denn eine Distanz, die man sich erarbeitet hat, lässt sich nicht beliebig in die alte Nähe zurück verwandeln. Das merkt man schon daran, dass einen das affektive Investment nachrückender Fans befremdet oder amüsiert, die soeben eine Musik für sich entdecken (etwa Dub), die man schon ein Jahrzehnt zuvor — wahrscheinlich mit der gleichen Emphase — rezipiert hat.

Der eigene — keineswegs stabile — Sprechort muss daher ständig mit reflektiert werden. Jeder Entschluss zur Kritik ist auch eine folgenreiche Neupositionierung im sozialen Raum. Die Kritik sollte deshalb in ihrem Diskurs eine implizite Diskussion über sich selbst enthalten, die sich gegen die eigenen Axiome kehrt und ihre Voraussetzungen, Massstäbe und Kategorien befragt: "Die Kritik ist Diskurs über einen Diskurs. Sie ist die , sekundäre Sprache' oder , Meta-Sprache', die sich mit einer , primären Sprache' befasst" (Roland Barthes).

Das gilt um so mehr, wenn zur "primären Sprache" auch die der gängigen Popzeitschriften und Popbücher zählt, denn dann beobachtet man wiederum die "Beobachter zweiter Ordnung".

Auch sie sind von beschreibbaren Wünschen und Bedürfnissen geprägt, die den blinden Fleck ihrer Praxis ausmachen. Indem diese Praxis — und nicht nur das was sie sagen — in die Kritik einbezogen wird, bewerten wir den Bereich des Sozialen. Die Frage ist dann nicht mehr die nach der guten Platte oder der Berechtigung eines Deleuze-Zitates, sondern danach, welche Mechanismen der Orientierung und welche kulturellen Dimensionen diesen Diskurs antreiben: Mit welchen Unterscheidungen operieren diese Beobachter, warum mit diesen und nicht mit anderen? Welches sind die konkreten empirischen Bedingungen, unter denen sie operieren? Wie thematisieren oder überspielen sie ihre materielle Abhängigkeit von den Ressourcen der Popindustrie? Wie vermeiden sie es, explizit über den Zusammenhang zwischen Leistung, Belohnung, Konkurrenz, Spielregeln, Statuserwerb, Kompetenzerwerb etc. zu sprechen? Wie sichern sie ihre "Glaubwürdigkeit"?

Das Pop-Feld

Eine Kategorie, die in diesem Zusammenhang weiterhelfen kann, ist Bourdieus Begriff des Feldes. Er besagt folgendes: Was in der sozialen Welt existiert, sind objektive Relationen, die unabhängig vom Bewusstsein und Willen der Individuen bestehen. Ein Feld ist ein Netz relationaler Positionen. Der Zugang zu den spezifischen symbolischen, kulturellen, sozialen etc. Profiten ist z. B. auf dem kulturellen Feld anders geregelt als auf dem ökonomischen. Und in jedem Feld gibt es eine besonders umkämpfte Kapitalsorte, auf der die Macht der tonangebenden Personen beruht. Jede Szene hat z. B. ihre spezifischen Schlüsselbegriffe. In ihnen konzentriert sich ihr soziales Wollen als Losung. Die Summe der Parolen lässt sich als Verhaltenskodex lesen und ermöglicht es zu erkennen, aus welchem Stoff der symbolische Mehrwert der Wortführer ist. Ihre Parolen leben vom Überschuss, das heisst — siehe die mittlerweile eingegangene Techno-Zeitschrift “Frontpage” —, sie leben nur solange, wie ihr Kerngehalt sich noch nicht verwirklicht hat.

Das Ziel konkurrierender Kräfte ist es daher, diesen Überschuss zu entwerten und/oder umzuwerten und ihr spezifisches Kapital besser zur Geltung zu bringen. Wenn z. B. im Pop die Sprechmacht der "Rockavantgarde" auf einem technikskeptischen Kanon beruht, können Computer-Kenntnisse einen Vorsprung einbringen, sofern es gelingt HighTech, Avantgardismus und ökologische Ideen zu einem Diskurs zu vereinigen. Dann kann es sein, dass es den bisherigen Wortführern nicht mehr gelingt, die alten Sprachen der Dissidenz und der Subversion so zu aktualisieren, dass sie auch in der aktuellen "Partykultur" ihre Wirkung entfalten können. Sarah Thornton hat in ihrem lesenswerten Buch "Club Cultures. Music, Media and Subcultural Capital" (Oxford 1995) gezeigt, wie neue Szenen durch Abgrenzung von konkurrierenden Fraktionen entstehen. Erst die Abgrenzungsdiskurse schaffen neue Orte, Territorien und Seilschaften mit eigener Erzählstrategie, eigenem Wissen, eigenem Kapital und neuen Subjektpositionen (z. B. "der DJ").

Wollte man also auch für die BRD oder Österreich rekonstruieren, wie das Feld der Club Culture in Abgrenzung von der Gitarrenmusik entstand, so wären in erster Linie jene Gruppierungen zu betrachten, die auf dem bereits besetzten Feld des Rock keinen Platz mehr fanden und deshalb neue Images entwickeln und neue Orte schaffen mussten. Nicht "die Industrie", sondern diese kulturellen Gruppierungen etablierten — innerhalb der kulturindustriellen Strukturen — mit der Club Culture ein von der Rock Culture unterschiedenes alternativ-hedonistisches urbanes Milieu, das sich in seinen Anfängen als Teil einer Internationale des guten Geschmacks verstand. Im Kontext von Club Cultur wurden Instrumente wie Saxophon, Trompete, Flöte, Bar-Piano, Latin Percussion, Strings und Funk-Gitarre, die im Pop lange Zeit als veraltet galten, wieder rehabilitiert — zunächst per Sample, später auch als Live-Einspielungen und auf der Bühne. Diese nachrückenden Gruppierungen entwarfen das Bild einer stilvollen Ausgelassenheit, das zunächst Nachtschwärmer, Tanzakrobaten, Partysanen und Rare Groove-Sammler anlockte, und dann “Max”, “Elle” und angesagte Stadtmagazine lesende Medienleute, Galerieästheten, Cabrio-Fahrer, City Slickers und aufgeschlossene Mittdreissiger in fester Stellung.

Diskursive Konstruktionen

Die diskursive Konstruktion von Club Culture (wie auch die späteren Verschiebungen von "Dancefloor-Jazz" und Hip-Hop zu Dub, Jungle, Drum'n'Bass, Elektro etc. ) kann recht genau nachgezeichnet werden. So lässt sich zum Beispiel zeigen, welche Bedeutung Sampler wie "London Underground" für die später gültigen Vorstellungen von einem Dance Underground hatten oder welche Rolle der Multikulti-Diskurs bei der Imagekonstruktion spielte. Einschlägigen Publikationen von “NME” bis “The Face” lässt sich entnehmen, wie das für die Club Culture konstitutive Konzept einer "Begegnung zwischen den Kulturen" in England vorformuliert und dann in der BRD zu einem Come together-Slogan wurde. Es lässt sich auch zeigen, wie und weshalb der Entwurf des Clubs als Ort, an dem trotz ungleicher Lebensbedingungen wirkliche zivilisierte Geselligkeit möglich ist, zunächst mit Jazz-, Soul- und Latin-Anteilen am Dancefloor korrespondierte. Schliesslich wären noch die ökonomischen Strategien des postmodernen Jungunternehmertums zu rekonstruieren, seine Merchandising-Praktiken (Club & Kleiderladen, Club & CD etc. ), die Bedeutung von Corporate Identity (das LOGO auf Platte, Slipmate, Shirt etc. ), die verfeinerte Door policy (sie sichert die Separation der Szenen), das Posse-Prinzip, die neuen Gründungsmythen, die Anbetung von Creativity und Innovation etc. Zuletzt wären sicher auch noch die Tabakkonzerne zu erwähnen, die einen Teil ihres Werbeetats imageträchtig in die Club Culture investierten. Sie waren aber keineswegs der Motor dieses Trends gewesen, stützten ihn jedoch, verschoben einige Images und stellten spezifische Abhängigkeiten her.

Pop und Geschichtsschreibung

Der Pop-Diskurs ist ein Archiv konventionalisierter (und institutionalisierter) Regelmässigkeiten, die alle ihre eigene soziale Differenzierungsgeschichte haben und in Kombination mit anderen Unterscheidungen ihre jeweils aktuelle Bedeutung erhalten. Damit ist auch gesagt, dass die Kritik nicht an der kanonisierten Popgeschichte anknüpfen kann.

Dass es nach 50 Jahren Pop eine solche Geschichte gibt, kann nicht bezweifelt werden. Aber die uns bekannte Popgeschichte unterscheidet sich kaum von der Geschichtsschreibung der Schulbücher. Es ist die Geschichte von — zumeist männlichen — Helden (Elvis, Chuck Berry, Otis Redding, Jimi Hendrix, Mick Jagger, Bob Dylan, Bee Gees, Kraftwerk, Kiss, Sid Vicious, David Bowie, Michael Jackson, David Byrne, Ice-T, Chuck D, Kurt Cobain, Goldie etc. ), die Geschichte von Genres (Cool Jazz, Rock'n'Roll, Soul, Folk, Beat, Rock, Disco, Punk, Rap, House, Techno, Drum'n'Bass etc. ) und die Geschichte der Klang- und Wiedergabegeräte (Trompete, Gitarre, Schallplatte, Synthesizer, Beatbox, Sampler, Cubase etc. ). Um diese Daten herum sind diverse Erzählungen gruppiert, die seit Jahrzehnten wiederholt werden: Das Birdland war ein legendärer Jazzclub, Bill Haley entfachte eine Teen-Rebellion, Jimi Hendrix erfand die Rückkoppelung, die Woodstock-Generation kämpfte gegen den Vietnamkrieg, Mick Jagger sass wegen Drogenbesitz im Gefängnis, Jim Morrison verachtete das Establishment, Kraftwerk leiteten das elektronische Zeitalter ein, David Bowie ist ein bisexueller Avantgardist, Punk richtete sich gegen fett gewordenen Grossrock und setzt die Tradition der Dadaisten fort, Madonna ist eine autonome Frau, Cobain litt an seinem Erfolg…

Nehmen wir als Beispiel die beliebten Genre-Geschichten: Ein Mensch mit vielen Platten und einem guten Archiv blickt zurück und schreibt die Geschichte von Rock oder Disco. Nur zu gerne produziert eine solche Geschichtsschreibung Genealogien der verschiedenen Subgenres, in denen untergegangene Bands als "Vorgänger" der jeweils aktuellen Popmusik eingeordnet werden. Wer bei Oasis und Garbage die Sixties heraushört, wird sich auch leicht davon überzeugen lassen, dass die späteren Perioden popkultureller Aktivität aus den früheren hervorgehen. Von Kraftwerk zu Techno wird da meistens umstandslos eine gerade Linie gezogen, bis sich der Plattenoutput in ein aufsteigendes Fortschrittsmodell fügt. Ob man nun den Bogen von Amon Düül II zur brandneuen Steve Bug-Kompilation spannt, oder eine History of House konstruiert — am Ende lief alles, was "vorher" war, auf das heute bekannte Resultat hinaus.

Eine solche zeitlineare, technikzentrierte und "illustrative" Lektüre von Musik operiert nicht nur mit einem "Schein der Entwicklung" (Adorno) — das Lob des Neuen gilt nicht der Musik, sondern der Technik und der neuen Ware —, sondern auch mit der Vorstellung einer klaren Evidenz der Musik. Man bezieht die Klänge konventionell auf die phänomenale Welt und behandelt sie als deren Zeichen oder Ausdruck. Die Wirkung der Musik wird aus den sinnlichen Eigenschaften ihres Materials bzw. aus dem stilistischen Beitrag der einzelnen Bands abgeleitet. Selbst "Geschichte" glaubt man aus den Tönen heraus hören zu können, insbesondere aus Samples, die aber keine Geschichtszitate sind, sondern Bezugnahmen auf HEUTE gültige Konventionen und Images.

Das (Gemacht-)Werden von Massenkultur

An diesen Erzählungen hat sich also die historische und begriffliche Analyse des Pop abzuarbeiten. Dabei geht es nicht um eine isolierte "Poptheorie", sondern um das Verständnis des kulturellen Systems der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere um das Verständnis der "Massenkultur" — um ihr Werden und Gemacht-Werden, um die Kräfte, gegen die sie sich durchsetzen musste und um jene, die sich mittels ihrer durchsetzen wollten und wollen. Mit anderen Worten: es geht um die Geschichte dieser Massenkultur und um die Strukturen, in denen diese Geschichte stattfindet.

Verstanden als Geschichte gesellschaftlicher Konventionen (z. B. : wie kam es dazu, dass bestimmte Geräusche spacy klingen und an "Weltraum" erinnern? ), kollektiver Praktiken, Machtbeziehungen, Ausgrenzungen, Einschliessungen, Aufwertungen und Aburteilungen (z. B: Wer/welche Gruppe hat wann mit welcher Intention, Praxis und Macht dem Wort "Mainstream" welchen Sinn gegeben? "), muss es dabei nicht notwendig zur Historisierung der Pop-Praxis kommen.

Das Interesse an der Historisierung liegt auf der Hand. Sie würde es den Akteuren ermöglichen, die Verantwortung für früher eingenommene Positionen von sich zu weisen und sich bruchlos den jeweils neuesten Trends anzupassen. Historisierung erlaubt es, Praktiken, die heute fragwürdig (oder "peinlich") erscheinen, als welche darzustellen, die unter früheren Bedingungen durchaus adäquat waren. Nach dem Motto: "Ich will nicht unbedingt sagen, dass da etwas falsch war, sondern dass es nicht mehr funktioniert hat, ans Ende geraten war" (aus dem Buch Copy Shop). Wenn alles immer den Umständen entsprach, gibt es keine Fehler und keine Kursänderungen. Die Biographie bleibt geradlinig und unangefochten. Man kennt das auch aus politischen Diskursen. Doch die überspannten Slogans von "damals" sind nicht erst heute falsch. Wir müssen eingestehen, dass wir uns irrten (und dabei ein bestimmtes Interesse verfolgten), als wir bestimmten Musikstilen und Popszenen "subversive" Qualitäten unterschoben.

Pop und Dekonstruktion

Bei jedem Repräsentations- bzw. Symbolisierungsprozess bleibt etwas "offen", und das ist in vielen Fällen gerade die verschwiegene soziale Strategie. Eine materialistische Pop-Geschichte, die versuchen wollte, die historischen Konstruktionen des Pop-Ästhetischen einer bestimmten Zeit von denen einer anderen zu unterscheiden, hätte darauf zu achten, dass sie auch das, was da noch "offen" bleibt, im Blick behält. Das gilt durchaus auch für die "guten Hoffnungen" und phantasmatischen Projektionen, die bisher in den Pop investiert wurden. Die Kritik des "Waren-Hörens" muss sich auch jenem Quantum instabilen subjektiven Sinns stellen, das übrig bleibt, nachdem die deutlich lesbare Bedeutung einer Sache abgezogen worden ist. Wahrscheinlich ist das sogar der schwierigste Teil einer materialistischen Popgeschichte. Gerade dieser "Rest" wird gerne ideologisch weg manipuliert, weil die psychische Konfrontation mit der zu untersuchenden Sache die Identität des kritisierenden Subjekts tangiert. Die Versuchung zur Reduktion ist deshalb so gross, weil es so schwierig ist, die eigene — zweifellos "warenfetischistische" — Faszination in die Analyse einzubeziehen. Die entschiedenste Ablehnung neuer Popmusik kommt oft von denen, die ihr ihre Anziehungskraft am meisten verübeln. Sie tragen ihre Desillusion dann wie eine schmerzliche Bürde, aber man hat den Eindruck, dass sie damit einen eigenen Stil entdeckt haben.

Statt Illusionslosigkeit zur Schau zu stellen, käme es darauf an, die diskursiven Konstruktionen von Pop systematisch zu hinterfragen und auf diese Weise etwas über die Beschaffenheit des Pop-Feldes heraus zu bekommen. Dabei wird man unvermeidlich auf den Begriff der Dekonstruktion stossen, der bisher auf dem Weg populärer poststrukturalistischer Analysepraktiken wie New Historicism und Cultural Studies in die Popgeschichtsschreibung einsickerte. Er ist allerdings dadurch diskreditiert, dass er in die Hände "subkultureller" Geschäftsleute fiel, die daraus Markenartikel wie Deconstruction, Mille Plateaux etc. machten. Dadurch und durch das Interesse akademischer Popverbraucher an der Aufwertung von Teilen der Popmusik, werden bestimmte ("avantgardistische") Segmente des Pop schon selbst durch Diskursformen wie Dekonstruktion und Diskursanalyse mitkonstituiert. Als Metapher verwendet, trägt sogar ein bestimmter Diskursbegriff, indem er Sprache als Zentrum sozialer Konstruktionen privilegiert, zur Aufwertung dieser Popsegmente bei, weshalb man besser von diskursiver Konstruktion spricht, damit man fragen kann, wer mit welchen Mitteln auf dem Schauplatz dieser Konstitutionsprozesse aktiv ist?

Man wird also das Image der Dekonstruktion selbst zum Gegenstand einer die hermeneutischen Pop-Erzählungen dekonstruierenden Praxis machen müssen. Da der popkulturellen Demystifikations-Rhetorik nicht nur der Pessimismus und die existentialistische Arroganz des Dekonstruktionsansatzes abgeht, sondern überhaupt jedes analytische Interesse, dürfte das auch zu machen sein. Der heute übliche Kurzschluss von Pop und Dekonstruktion ist letztlich nicht mehr als ein Aufblitzenlassen von Namen und Zitaten. Man spielt damit auf die kanonisierten Kunst/ Theorie-Paarungen an: Weil die "vorpostmoderne" Kunst das für den durch Konventionen beschränkten Blick Unsichtbare darstellen wollte, suchte sie die Anleitung der Wissenschaft, die erhellen sollte, was "hinter" dem Sichtbaren geschieht. Impressionisten liessen sich von der Optik inspirieren, Kubisten von der Relativitätstheorie und Surrealisten von der Psychoanalyse. Heute, wo Kunst ein "Dahinter" nicht mehr darstellen will, hat es mit dem Phänomen steigender Kommentarbedürftigkeit zu tun, wenn Künstler/innen, von Cindy Sherman bis Bruce Nauman, sich auf Jacques Lacan, Roland Barthes, Paul de Man, Michel Foucault, Jacques Derrida, Gilles Deleuze oder Judith Butler berufen. Im Pop hingegen geht es um nichts dergleichen. Selbst "ambitionierte" Drum'n'Bass-Titel (etwa die auf dem Sampler "The freestyle files, Vol. 2") sind in keiner Weise kommentarbedürftig. Wenn dort ein Stück "Mothership" heisst, denn erklingen auch wirklich "Weltraumklänge".

Zusammengefasst: Popkritik sollte einerseits auf einem close reading der Ereignisse basieren, auf der Aufmerksamkeit für die Partikularität und Materialität der Dinge und Situationen. Je näher man dabei "am Material" bleibt, desto mehr Lesarten sind möglich. Jede Begegnung zwischen Individuum und Pop ist singulär. Manche haben sich verliebt, als "Why? " von Bronski Beat in den Charts war, kunstinteressierte Studenten behaupten, durch Red Krayola "politisiert" worden zu sein, während anderen die Backstreet Boys als Offenbarung gelten. Diese semantische Vielfalt ist aber — andererseits — durchaus strukturiert.

Machtbeziehungen …

Zu dieser Struktur zählt nicht zuletzt die sogenannte Kulturindustrie. Trotzdem plädiere ich dafür, nicht alle Aufmerksamkeit auf sie, sondern auf das soziale Feld insgesamt zu konzentrieren. Die umgangssprachliche Anwendung von Adornos Begriff der Kulturindustrie transportiert häufig die Vorstellung, gemeine "Monopole" würden eine vorab "unschuldige" Kultur nachträglich der kapitalistischen Logik unterwerfen. Diese Sichtweise hat zum Beispiel der kleinkapitalistischen Indie-Wirtschaft ein gutes Image verschafft. Dabei sagt der Begriff der Kulturindustrie zunächst nicht mehr, als dass Kultur heute nicht nur gelegentlich für den Markt produziert wird (wie etwa zu Mozarts Zeiten, als Musiker ihre gedruckten Kompositionen verkauften), sondern dass sie längst vollständig als kapitalistische Ware produziert wird. Kunstwerke sind spätestens seit dem 18. Jahrhundert Ware im kapitalistischen Kunstmarkt, während Rock/Pop die erste Musik ist, die nie eine andere Daseinsweise gekannt hat. Die popkulturelle Idee vom kapitalistischen Missbrauch des Pop ist deshalb eine besonders einfältige Variante der Ideologiekritik.

Die kapitalistische Produktionsweise ist von den vorangegangenen Formen vor allem dadurch unterschieden, dass die Produktion von Waren (als zusammen mit der Geldzirkulation entscheidende Voraussetzung der Kapitalbildung) die vorherrschende Produktion ist, wozu auch gehört, dass die menschliche Kraftpotenz selbst zur Ware wird. Und der Zweck der ganzen Sache besteht nicht nur nicht in der Produktion von Gebrauchswerten — das gilt für jede Warenproduktion —, sondern überhaupt nicht in der Befriedigung der privaten Bedürfnisse.

Diese Einsichten sind jedoch nicht viel wert, wenn sie so formuliert werden, dass die aktive Beteiligung der bürgerlichen Individuen an diesem Vorgang ausgeblendet wird und ihre (als unberührter Naturzustand gedachte) Lebenswelt als von fremden Mächten kolonisiert dargestellt wird. Man würde auf diese Weise nur ein Subjekt konstruieren, dem die Machtbeziehungen äusserlich sind, eine gerade in Popszenen verbreitete Vorstellung, die auf eine Praxis der "Befreiung von der Entfremdung" hinaus läuft. Man konstruiert so ein wahres, "eigentliches" Selbst, das es zu befreien gilt. Die gesamte Rockkultur-Formation war/ist um die Idee der Authentizität und des zentrierten Subjekts herum aufgebaut, das im Kampf gegen die äusseren Mächte zu einem sich im Inneren entfaltenden Ich unterwegs ist. Auch die Erzählung vom ewigen Konflikt zwischen den kommerziellen Interessen der Kulturindustrie und den Dissidenz-Interessen "der Jugend" lebt von der Vorstellung, Kapitalismus sei den Pop-Konsumenten äusserlich. Am Ende hat man einen unüberwindlichen Gegensatz zwischen "guter Gemeinschaft" einerseits und "bösem Marktprozess" andererseits herbei geredet. Indem der "Mainstream" oder das "Monopolkapital" als Übeltäter geoutet werden, kann von der eigenen Verstrickung in die Machtverhältnisse abgesehen werden.

… und Symbolsysteme

Tatsächlich ist jedoch das Wertverhältnis die Form, in der sich die Reproduktion in einer Produktionsweise vermittelt, in der die Gesellschaftlichkeit der Arbeit nicht unmittelbar gegeben ist: "Der einzelne wirkt hier nur als Teil einer gesellschaftlichen Macht, als Atom der Masse, und es ist in dieser Form, dass die Konkurrenz den gesellschaftlichen Charakter der Produktion und Konsumtion geltend macht" (Marx). Die diesen Zusammenhang verhüllenden Mechanismen der Konkurrenz sind der strukturbestimmende Teil der gesamten Verhältnisse, in welchen die bürgerlichen Individuen praktisch verkehren. Die Individuen sind also in das Wertverhältnis verwickelt. Linke Kapitalismuskritik handelt deshalb nicht von "Industrien", sondern "von Verhältnissen zwischen Personen und in letzter Instanz zwischen Klassen".

Die bürgerlichen Individuen, sogar die linken darunter, reproduzieren diese Verhältnisse, während sie im Rahmen der sozialen Konkurrenz ihren Interessen nachgehen. Das im Zusammenhang spezifischer Symbolfelder nachzuweisen, macht die Kritik erst konkret und interessant. So lässt sich beispielsweise untersuchen, wie bestimmte soziale Gruppen im Computer/Internet-Bereich an der Produktion von symbolischem Mehrwert arbeiten, der diese Felder sozial aufwertet. Es lässt sich konkret rekonstruieren, wie das Internet von Künstlergruppen und Lifestyle-Ideologen mittels besonderer Diskursstrategien zu einer Art zweitem Pop-Feld gemacht wurde. Auch von Linken übrigens, die hier einen attraktiven Ort jenseits von Isolation suchten. Man kann zeigen wie es dabei zur affektiven Besetzung solcher Felder kommt und wie Images hergestellt werden, die so ein profanes Ding wie ein technisches Kommunikationsnetzwerk unter anderen Umständen nicht hergeben würde. Der Internet-Diskurs machte neue Gruppen zu (kulturellen) "Avantgarden", die bisher — etwa im Pop oder in der Kunst — nicht zum Zug kamen. Die gehobene Techno-Musik-Debatte wiederum kann als multimediale Schnittstelle wirken, über die andere Gruppen sich an diesem Fortschrittsdiskurs andocken, so dass neuartige Koalitionen zwischen Künstlern, technischer Intelligenz und neuen Selbständigen entstehen können.

Der Adorno-Komplex

In den Diskussionen über Pop wird von Seiten der Anhänger des deleuzianischen Subversionsmodells demgegenüber gerne betont, dass Pop nicht vollständig kapitalistisch vereinnahmt werden kann und somit immer wieder "mikropolitische" Fluchtwege eröffnet werden können. Wir nennen das den Adorno-Komplex der Popdissidenten. Sie tun so, als sei eine Übermacht linker Kritiker mit Erfolg dabei, die Poprebellion zu hintertreiben. Ihre Argumentation erinnert an die verbreitete Empörung über Adornos Text zum Gedichteschreiben nach Auschwitz.

Adornos Verdikt traf seinerzeit mitten in den Transformationsprozess der sich in Auflösung befindlichen bürgerlichen Bildungskultur in eine moderne Kulturindustrie. Seither hat eine Kultur, die eigentlich heiter und unterhaltsam sein will, ein Problem. Das unabweisbare Wissen über das Grauen wird als störend empfunden und jene, die das so sagen, als Störenfriede der Gegenwart. Adornos Satz verdirbt offenbar den Genuss an einer Kultur, die sich als Medium des Vergessens etabliert hat. Deshalb kennen auch die, die nicht viel von ihm wissen, den aus dem Zusammenhang gerissenen Satz: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch. " Dieses Zitat bringt noch immer viele aus der Fassung.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der popkulturellen Warnung vor der adornotisch-marxistisch-linksradikalen Gefahr. Obwohl es sich dabei leider um eine absolut minoritäre Position handelt, die gegen die millionenfachen Affirmationen überhaupt keine Chance hat, will es sich doch niemand nehmen lassen, zum abermillionsten Mal daran zu erinnern, wie versponnen, weltfremd und trotzdem gefährlich für den Fortbestand des Pop diese Position doch ist. Hat nicht schon Adorno Jazz und die Beatles fast verhindert? Wo stünden wir heute, wenn er sich durchgesetzt hätte!

So wird wirklich gedacht. Aber weder Adorno, noch die anderen frühen linken Theoretiker der Massenkultur — Lukács, Brecht, Gramsci, Bloch, Benjamin — haben jemals behauptet, die symbolische Reproduktion werde vollständig von der Kulturindustrie kontrolliert. Da auch Pop, ähnlich wie Sprache, Tanz, Theater, Literatur, Comic, Film, Video, Photographie, Mode, Design oder Werbung, eine Unterabteilung des gesellschaftlichen Symbolsystems darstellt, und somit ebenfalls Material für Distinktionskämpfe liefert, ist Pop selbstverständlich mehr als eine Ansammlung von CDs und Magazinen. Doch dieses Mehr hat wiederum mit Kapitalismus und bürgerlichem Staat zu tun, ist es doch das Wachstum der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, das die Vertiefung der Arbeitsteilung und die Individuation der Subjekte bewirkt. Und das eine wie das andere geht notwendig mit einer Ausdehnung und Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Symbolsysteme einher.

Kampf um Bedeutung

Dabei wird eine spezifische Widersprüchlichkeit deutlich: Die Dynamisierung der Symbolsysteme ist einerseits Folge kapitalistischen Profitstrebens, andererseits bezieht sie ihre Antriebskraft zugleich aus den Möglichkeiten freier Entfaltung, die den Klassenindividuen jenseits der Zeit, die sie mit Lohnarbeit verbringen (bzw. , wie bei Schülern und Studenten, in den dieser Zeit vorgelagerten Lebensabschnitten) zur Verfügung steht.

Dieser — gestiegene — Reichtum der Subjekte an Fähigkeiten und Bedürfnissen entwickelt sich allerdings innerhalb unbeherrschter Gesamtverhältnisse auf der Basis eines von ökonomischen Mystifikationen bestimmten Alltagsbewusstseins. Und weil diese Verhältnisse nicht bewusst eingegangen werden, verselbständigen sich die symbolischen Subsysteme gegeneinander: Musik trennt sich z. B. in Unterhaltungsmusik und Kunstmusik. Die Subjekte können dieser Anordnung der gesellschaftlich-symbolischen Formen nicht ausweichen, weil sie nicht in einem freien Verhältnis zur Kultur stehen.

Damit Popmusik "kapitalistisch" genannt werden kann, müssen also keineswegs alle bildlich-ikonischen und auditiven Symbolsysteme unmittelbar in der Verwertungslogik aufgehen. Das können sie auch nicht. Die sprachliche Kommunikation zum Beispiel erlaubt es den Subjekten, ohne grossen "Produktionsaufwand" in die Umgestaltung alter Symboliken einzugreifen und sich an der Schaffung und Gestaltung neuer zu beteiligen. Sie können durch Bildung neuer Metaphern, sprachlicher Abkürzungen komplexer Zusammenhänge oder Verdichtung von Emotionalität in bestimmten sprachlichen Bildern oder Betonungstechniken ihre Individualität zum Ausdruck bringen. Solche Innovationen gehen am Ende allerdings kostenlos in die Popmusik ein, was bedeutet, dass kommerzielle Musik auch von nichtkommerziellen Prozessen profitieren kann, weil diese bereits von den konkurrenzhaften sozialen Prozessen vorstrukturiert sind.

Der Kampf um Bedeutung und der damit einher gehende Wandel der Symbolsysteme entsteht innerhalb dieser Gesellschaft.

Dieser Kampf wird beschleunigt, wenn kulturelle Artikulationsweisen zur Anlagesphäre von Kapital werden. Es ist in der Geschichte der Musik immer noch ein relativ junges Phänomen, dass zunächst nur lokal bekannte Musiker (wie etwa Offspring) weltweit Millionen Menschen erreichen. Schliesslich ist es noch nicht lange selbstverständlich, dass Musiker unbedingt eine Schallplatte aufnehmen, ihre Musik also "warenöffentlich" und somit weltweit (! ) verfügbar machen wollen.

Selbstverständlich ist die Kritik dieser Strukturen und Prozesse, in denen den Subjekten ihr gesellschaftlicher Zusammenhang unter anderem als ästhetisierte Gebrauchswerteigenschaft ihrer Produkte bzw. als Kultur erscheint, kein moralischer Vorwurf, keine Aufforderung zur Mässigung und auch keine zur Gründung von Independent-Labels. Die materialistische Pop-Kritik bestreitet nicht einmal die Existenz der faszinierenden Seiten der warenästhetischen Sinnlichkeit und auch nicht die vielfältigen Subjektivierungserfahrungen, die mit dem Erwerb bestimmter Waren einher gehen. Sie bietet allerdings einige Erklärungen dafür, warum Spass und Angst so nahe beieinander liegen, solange den Individuen die unbegriffene Gesellschaftlichkeit ihrer Tätigkeiten als unabhängige Macht gegenüber tritt.

Regina Behrendt / Günther Jacob

Regina Behrendt ist Publizistin. Günther Jacob ist DJ und Publizist. Sie leben in Hamburg.