1989
11. Februar, H.R. Human Rights (USA) und Bloodstar (Zürich) in Kooperation mit AfriKaribik. Laut Rolf Brunner von Bloodstar war es ein energiegeladener Abend. In Erinnerung bleiben ihm nervige Reggae-Fans. H.R. beendete den Auftritt mit einem Rückwärtssalto aus dem Stand.17. April, Jingo De Lunch (Berlin) mit Support. Laut Yvonne Ducksworth, der Sängerin von Jingo De Lunch, entstand ihr Bandname wie folgt: Auf der Suche nach einem Namen hätten sie ein englisches Wörterbuch durchgeblättert, bis sie auf das Wort «Jingo» stiessen, das umgangssprachlich „chauvinistischer, patriotischer, aggressiver Mensch“ bedeutet. «De Lunch» heisst so viel wie „sich auskotzen“.
27. Mai, Die Goldenen Zitronen (Hamburg) und der magische Senor Manuel Muerte und sein Handlanger (Hamburg). Jack Stoiker erinnert sich: "An meinem ersten Grabenhallenkonzert spielten Die Goldenen Zitronen. Weil damals sowieso nur fünf Leute applaudierten, hatte sich die Band mit dem Publikum darauf geeinigt, dass nur noch ein einziger besoffener Punk klatschen oder buh-rufen muss, je nachdem, ob ihm der Song gefallen hat oder nicht. Ich bin später trotz dieser ersten Grabenhallen-Erfahrung noch öfters als Konzertgast in der Halle aufgetaucht und mit meiner Band Knöppel vor ausverkauftem Haus aufgetreten."
17. Juni, Naked Raygun (USA) und Büchsenbeers (Wil). Jogi buchte die 1980 in Chicago gegründete Post-Hardcore-Punk-Band Naked Raygun. Sie war auf ihrer zweiten Europa-Tour und brachte soeben ihr viertes und letztes Album «Understand?» in der klassischen Besetzung mit John Haggerty (gt), Pierre Kezdy (bs), Jeff Pezzati (voc) und Eric Spicer (dr) heraus. «Understand?» entstand unter schwierigen Bedingungen: Haggerty war unzufrieden, wollte die Band zum Vollzeitjob machen und zeigte sich frustriert über die Zurückhaltung der anderen Mitglieder. Dazu kamen finanzielle Probleme und persönliche Spannungen mit Pezzati, der innerhalb der Band eine dominante Rolle übernahm. Auch machte sich ein Gefühl der musikalischen Stagnation breit, da das Songwriting sehr auf die Gitarrenarbeit von Haggerty zugeschnitten und weniger experimentierfreudig als auf früheren Alben war. 29. Juni, The Vandals (USA) und Mind over 4 (USA). The Vandals und die Punk-Metal-Band Mind over 4 kamen im Sommer gleich im «Package» für 3 Monate nach Europa und gaben 56 Konzerte. Jogi weiss nur noch, dass es unter den Bandmitgliedern Streit gab und schlechte Stimmung herrschte. Auch hatten sie Probleme mit ihrem deutschen Booker. Vom ersten Album «When in Rome Do as The Vandals» war Jogi begeistert. Ihr Auftritt jedoch enttäuschte. Ebenso war Mind over 4 nicht sein Fall, doch war das Teil des Deals. The Vandals sind ja ne respektlose Gute-Laune-Band, die aktuelle politische Korrektheit und soziale Pamphlete in einer ziemlich willkürlichen Manier ausgleicht, hauptsächlich aus Spass an der Sache. Aber sie fanden auf der Tour heraus, dass ihre europäischen Fans die Politik einiges ernster nehmen.
Zu Jogis Konzerten kamen üblicherweise Besucher von überall her. An diesem Abend war auch Ste Pörtner aus Zürich, heute bekannt als Krimiautor, anwesend. Das Bandlogo und der Backdrop der Vandals ziert bis heute ein «V» mit einem Maschinengewehr (mit dem Slogan «Peace thru Vandalism» von dem Cover der ersten EP). Zwei anwesende «Peace»-Punks waren damit aber gar nicht einverstanden und wollten das der «Backdrop» entfernt werde. Ste brachte sich ein und das Teil blieb bis zum Schluss des Konzertes an der Wand.
29. August, Bad Religion (USA) und Noise Annoys (Hamburg). Ein Höhepunkt war publikums- und energiemässig das erste Schweizer Konzert von Bad Religion auf ihrer «Suffer-Tour» (Titel des dritten Albums). Das Konzert war an einem Dienstag. Besorgte Bürger:innen alarmierten die Polizei, weil verdächtig viele Autos mit ausländischen Kennzeichen um die Grabenhalle kreisen. Die Polizei zieht aber beruhigt ab: Die wollen ja nur Stagediven. In der proppenvollen Halle wird genau dies durch ihr gesamtes Set praktiziert (auf «youtube» gibt einen 37-minütigen Ausschnitt des Konzerts, der von Peter Bader aufgeschaltet wurde).
22. September, Doughboys (CAN) und Exxor (Zürich). 6. Oktober, Baby Jail (Zürich) und Take a Virgin (Luzern). 30. Oktober, Der Böse Bub Eugen (Thayngen) und Hypocrisy in Spring (Luzern).
3. November, Bad Brains (USA) und abermals Negazione (IT). Jogi organisiert über die Deutsche «Hammer Promotion» Agentur 3 Konzerte in der Schweiz mit Bad Brains. Die «quickness Tour 89» beinhaltet 16 Konzerte in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Das erste Schweizer Konzert findet am Freitag in Güllen statt. Pius Frey sagt dazu: "Das Konzert war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Selten war die Halle so voll wie an diesem Abend, sie war übervoll.
Die Stimmung war im Grossen und Ganzen friedlich und das Konzert: eine Wucht! Auch soundtechnisch gab es nichts auszusetzen. Lead-Sänger H.R. war auf der Bühne unglaublich präsent. Um nach viel lauter Härte wieder runterzufahren, gab es diese sanften Reggae-Momente. Eine einzigartige Mischung, die es in sich hatte, später von anderen aber oft kopiert wurde. Jedenfalls blieb das Konzert trotz viel Stress in guter Erinnerung. Den Abend liessen wir mit einer Reggae-HipHop-Disco ausklingen." Am Tag danach kommt H.R. zu spät zum Nightliner am Grabenhallenparkplatz. Man vermutet amouröse Verstrickungen in der Stadt. Auf dem Weg zur nächsten Show im Fri-Son in Fribourg erzählt der Manager von einem Apokalypse-Traum. H.R. lacht und sagt: "Das dies nie passieren wird - Warum? Weil «Jah» dafür sorgt." Das dritte Konzert findet am Sonntag in der Roten Fabrik in Zürich statt. Als Vorgruppe spielen Jingo De Lunch aus Berlin und The People aus Zürich.
18. November, ALL (USA) und HP Zinker (USA). 2. Dezember, Steven's Nude Club (Luzern) und abermals Billion Bob (Dornbirn), zugleich der Release Anlass vom Album «Nervöus» von Steven's Nude Club.
1990 – Heute
7. April, H.R. Human Rights (USA) und Ras Michael (USA) in Kooperation mit AfriKaribik. Pius Frey erinnert sich: "Es hiess, die spirituelle Reggae Legende Ras Michael trete zusammen mit H.R. auf. Die beiden arbeiteten schon länger zusammen. Die Enttäuschung war gross: Ras Michael kam nicht. Trotzdem: H.R. Human Rights gaben alles an diesem Abend. Es war ein besonderer Auftritt, ein ungewöhnlicher Reggae-Abend mit tiefem Rasta-Bewusstsein und knalligen Gitarrentönen. Einigen Reggae-Freaks kam das Ganze suspekt vor und einige Hardcore-Punks dachten, an diesem Abend würde es einfach nach hartem Bad Brains-Sound tönen. Dem war natürlich nicht so. Das Konzert jedenfalls war gut und hatte eine positive Wirkung. Danach stieg eine fette Party mit AfriKaribik-Sound."Nach Steven's Nude Clubs-Plattentaufe und dem zweiten Konzert vom Bad Brains-Sänger H.R. organisiert Jogi am 7.April 1990 in der Grabenhalle ein letztes Konzert. Das Veranstalten von Konzerten ist zur Routine geworden. Er zieht sich ins Rheintal zurück, gründet die Band Good God und veranstaltet kleine Shows mit kaum bekannten internationalen und lokalen Bands in der Bar seines Wohnhauses in Heerbrugg. Dazu zählen die damals noch wenig bekannten internationalen Acts Green Day, Waltari und Antiseen.
Jogi fungiert ausserdem als Schweizer Kontakt für internationale Booking-Agenturen, organisiert bis 1992 die Schweizer Konzerte befreundeter Acts und neuer Lieblingsbands und übernimmt das Tour-Management einer Europatournee mit HP Zinker. Danach hat Jogi genug vom Rock'n'Roll-Zirkus und zieht 1994 nach Wien. Er übernimmt das Co-Booking in der «Arena», spielt DJ-Gigs im In- und Ausland und gründet und leitet ab 1996 den wöchentlichen Breakbeat-Club SUB im Flex, wo er sein Grabenhallen-Credo konsequent weiterführt: internationale Lieblingsacts (Jungle, Drum&Bass, HipHop, Dancehall) mit lokaler Nachwuchsförderung als Support. Bis 2004 macht er weiterhin um fünf Uhr in der Früh eigenhändig das Licht an.
Nach Jogis Abgang wurde es etwas ruhiger in der Grabenhalle. Sie war nie mehr so stark ein Anziehungspunkt für Besucher aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland danach. Pat Federli organisierte bis 1994 noch acht HC Konzerte. Der gespielte Sound und seine Inhalte änderten sich mehr und mehr. Für besondere Klänge sorgte in der Grabenhalle zwischen 1992 und 1997 auch das Sauton-Kollektiv.
Der seit 1987 aktive Veranstalter AfriKaribik legte einige grosse Konzerte aus dem afrikanischen und karibischen Raum hin: erste Rai-Konzerte, das erste Schweizer Konzert mit Ali Farka Touré oder Vorstellungen von Dub-Poet:innen. So entwickelte sich das Ganze in den 90ern weiter. Elektro und Hip-Hop eroberte kurzweilig die Szene. Jubiläumskonzerte wurden veranstaltet. Etliche Konzerte unterschiedlichster Stile organisierte Daniel Steuri bis 2004. Nach 301 Konzerten sagte er am zwanzigjährigen Grabenhalle-Jubiläum: "Adios Amigos".
Alex verlor die Grabenhalle aus den Augen. Was ihm noch in Erinnerung blieb, sind die Konzerte von Man, The Young Gods, Can Isik und The Lurkers. In der Grabenhalle konnte es aufgrund der offenen Programmstruktur so nicht weitergehen. Das Raumangebot war zu beschränkt. Hinzu kommt, dass es für die externen Veranstalter nicht mehr möglich war, grössere und teurere Acts selbsttragend zu buchen, da es ein Limit für den Eintrittspreis gab. Heute sind es maximal 30 Franken, früher waren es noch weniger.
Die Mitglieder von Punk Bands schliefen in einigen Fällen in der Halle auf der Bühne oder wurden immer noch privat untergebracht. 1995 wurde die Grabenhalle für 1,7 Millionen Franken umfassend saniert. Lärmklagen aus dem Quartier gehören seither der Vergangenheit an. Die bürgerliche Kritik an der Alternativkultur ist ebenfalls verstummt. Für viele bedeutete dies aber den Tod der Emotionen. Für das, was jetzt in der Grabenhalle abgeht, ist es sicher besser: Sie ist schallisoliert! Früher musste samstags um zwei Uhr der Sound abgestellt werden. Jetzt gibt es ausserdem einen Backstage Raum, schönes Licht, Podeste und Hauswart.
St. Gallen bleibt bis heute ein schwieriges Pflaster für Gitarrenmusik. In der Blütezeit mit Jogi Neufeld war das jedoch nicht anders. Auch damals waren die meisten Konzerte defizitär. Die Grabenhalle steht nicht-profitorientierten Veranstaltenden kostenlos für kulturelle Anlässe zur Verfügung. Auch Lurker mischt seit einigen Jahren hin und wieder mit. Die Grabenhalle bleibt eine experimentelle Wundertüte. Und das ist gut so!