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Essential Killing - Rezension zum Film von Jerzy Skolimowski | Untergrund-Blättle

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Ein aussergewöhnliches Überlebensdrama Essential Killing

Kultur

Seit Abu Ghraib in den Schlagzeilen stand weiss jeder aufgeklärte Bürger, dass „Water-Boarding“ kein neuer Fun-Sport, sondern eine unmenschliche Foltermethode ist.

Jerzy Skolimowski am internationalen Filmfestival von Guadalajara in Mexiko.
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Jerzy Skolimowski am internationalen Filmfestival von Guadalajara in Mexiko. Foto: Festival Internacional de Cine en Guadalajara (CC BY 2.0 cropped)

4. August 2011
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Die US-Streitkräfte büssten während der Besetzung des Iraks noch mehr an normativer Legitimität ein. Essential Killing ist kein Gefängnisfilm, der etwa in Spielfilmlänge den Alltag in einem Foltergefängnis darstellen würde. Vielmehr hat der Drehbuchautor und Regisseur Jerzy Skolimowski auf Basis von Foltergefängnissen einen atemberaubenden Verfolgungsthriller gedreht.

Der Afghane Mohammed (Vincent Gallo) will leben. Mit aller Kraft kämpft er sich durch die eisige Hölle einer feindlichen Schneewelt, irgendwo in Osteuropa. Amerikanische Soldaten sind ihm dicht auf den Fersen. Sie haben ihn in den Schluchten seiner afghanischen Heimat eingefangen, gefoltert und verschleppt, denn er hat drei von ihnen getötet. Jetzt ist er auf der Flucht. In dieser abweisenden, kältestarren Weite gibt es nur eines: am Leben bleiben! Laufen, sich wärmen, essen, sich verteidigen und töten – immer wieder töten, um nicht zu sterben. Gejagt wie ein wildes Tier kämpft sich der Mann weiter.

Der gebürtige Pole Skolimowski hat mit Essential Killing einen intensiven Cross-Country-Survival-Thriller geschaffen. Durch den Einsatz von Subjektiven Einstellungen, verwackelter Handkamera und innovativen Traumsequenzen, bei denen – durch Überlichtung oder Filtereinsatz – ein unnatürlich helles Licht erzeugt wurde, lotet der Regisseur das Genre neu aus. In 81 Minuten leidet der Zuschauer mit dem Afghanen mit, der bei seiner Flucht abwechselnd von Glück und Pech heimgesucht wird. Hinzu kommen die faszinierenden Bilder aus einer menschenfeindlichen Region, die schnell eine starke Sogwirkung entfalten.

Essential Killing ist weniger ein Film über das Töten. Es ist mehr ein Film über den Instinkt. Wie verhält sich ein Mensch, der in einer ausweglosen Extremsituation steckt? Jede Sekunde um das nackte Überleben kämpft – gegen Hunger, Kälte und Durst? Getrieben und mit dem Rücken an der Wand mobilisiert er Kraftreserven, die einem gewöhnlichen Menschen im Alltag unbekannt sind.

Der Film wird vor allem vom Hauptdarsteller getragen, den die Indie-Film-Fraktion aus dessen Haupt- und Nebenrollen von Filmen wie Buffalo 66, Arizona Dream oder L.A. Without a Map kennt. Vincent Gallo liefert eine überragende Darbietung ab, ohne auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Der sichtlich abgemagerte Gallo erinnert sogleich an Christian Bale (The Machinist, Rescue Dawn), entwickelt sich aber als instinktiver Überlebenskämpfer mit viel „Einstecker“-Qualitäten weiter. Daneben erhält auch Emmanuelle Seigner (Le scaphandre et le papillon) einen erwähnenswerten Kurzauftritt.

Skolimowski ist mit Essential Killing ein aussergewöhnliches Überlebensdrama gelungen, in dem Indie-Film-Schauspieler Gallo eine ganz neue Seite von sich zeigt. Die DVD enthält den Kinotrailer sowie eine Trailershow. Die deutsche Synchronisation ist zwar nicht empfehlenswert, aber es gibt auch nur wenig Dialoge, was von daher nicht stark ins Gewicht fällt.

Marco Behringer
film-rezensionen.de

Essential Killing

Polen, Norwegen, Ungarn, Irland

2010

-

83 min.

Regie: Jerzy Skolimowski

Drehbuch: Jerzy Skolimowski, Ewa Piaskowska, James McManus

Darsteller: Vincent Gallo, Emmanuelle Seigner, Nicolai Cleve Broch

Produktion: Ewa Piaskowska, Jerzy Skolimowski

Musik: Pawel Mykietyn

Kamera: Adam Sikora

Schnitt: Réka Lemhényi

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.

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