Zur Funktion des Dialekts im Schweizer Film Vorsicht Baseldeutsch!

Kultur

24. Oktober 2020

Der Dialekt schafft Nähe und Vertrautheit, er vermittelt Identität, ähnlich der im Schweizer Film fast allgegenwärtigen Landschaft.

Tram zum Theaterstück Die Schweizermacher
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Tram zum Theaterstück Die Schweizermacher Foto: Adrian Michael (CC BY-SA 4.0 cropped)

24. Oktober 2020
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Als Bestandteil der Geistigen Landesverteidigung trug die Mundart im Zweiten Weltkrieg dazu bei, sich gegenüber dem allmächtigen Feind sprachlich abzugrenzen. In den fünfziger Jahren bot die Behäbigkeit der berndeutschen Gotthelf-Verfilmungen Zuflucht gegen die Gefahren des Kalten Kriegs und gegen die Verunsicherung, welche die Hochkonjunktur mit sich brachte. Während Jahrzehnten setzte der vornehmlich in Zürich produzierte Schweizer Spielfilm einzelne Mundarten als Clichées ein, was nicht ohne Vereinfachung abging: Der Basler ist der Bösewicht, der Ostschweizer kleinkariert, der Bündner charmant, aber gelegentlich aufbrausend. Mit den Dokumentarfilmen der 70er Jahre gewannen die einzelnen Regionen ihre sprachliche Identität zurück.

Bereits in Jä-soo! (Walter Lesch, Leopold Lindtberg, 1935), dem ältesten erhaltenen Dialektfilm, wurde das Publikum mit der Figur des "bösen Baslers" bekannt gemacht.

Die Filmkomödie beruhte auf einem Stereotyp, das sich schon in der Stummfilmzeit findet, auf der moralischen Überlegenheit der Landschaft gegenüber der Stadt. Zum Inhalt: Um wieder in der Nähe seiner Tochter Nelly (Elsie Attenhofer) zu sein, zieht Krämer Stäubli (Emil Hegetschweiler) mit seiner Frau vom Dorf in die Stadt Zürich. Diese wird im Film als Ansammlung von Müssiggängern und zwielichtigen Elementen gezeichnet, unter ihnen Nellys Freund André Brugger (Fritz Ritter), ein arbeitsscheuer Basler und Hochstapler, der einen Gläubiger mit der Frage "Wänn Si Ihr Gält mit eme maagere Zinsli ummehaa?" auflaufen lässt. Doch Vater Stäubli durchschaut den Betrüger.

Im Wagen von Nellys Jugendliebe Xaver, der einen bodenständigen Bündner Dialekt spricht (Zarli Carigiet), kehren die Stäublis aufs Land zurück. Die folgenden beiden Werke der Zürcher Praesens-Film AG, welche auch für Jä-soo! verantwortlich zeichnete, erweiterte die regionale Typisierung um den pingeligen Ostschweizer Vorgesetzten: Sigfrit Steiner mit seinem leicht nasalen St. Galler Dialekt gab den Oberleutnant in Füsilier Wipf (Leopold Lindtberg, Hermann Haller, 1938) und mimte den Gegenspieler von Wachtmeister Studer im gleichnamigen Film (Leopold Lindtberg, 1939), den dienstbeflissenen, buchstabengetreuen Untersuchungsrichter Dr. Steffen, der sich stur an die papierenen Unterlagen hält, während der bedächtige Studer (Heinrich Gretler) auf seine Menschenkenntnis vertraut und so einen Mordfall klärt.

Geistige Landesverteidigung

Mit seiner Mischung von Basler Dialekt und gestelztem Hochdeutsch war Alfred Rasser die Idealbesetzung für die Gottfried-Keller-Verfilmung Die missbrauchten Liebesbriefe (Leopold Lindtberg, 1940). Rasser verkörperte den Kaufmann und Möchtegern-Literat Viggi Störteler, der vor dem Antritt einer Geschäftsreise seiner Frau Gritli aufträgt, ihm während seiner Abwesenheit täglich einen gehaltvollen Brief zu schreiben. Diesen werde er umgehend beantworten, um das Ganze später als "Alwine und Kurt: - Briefwechsel zweier Zeitgenossen" zu publizieren.

Bekanntlich holt sich Gritli (Anne-Marie Blanc) in dieser Situation Hilfe beim Schulmeister Wilhelm (Paul Hubschmid), und in dessen Schulstube dürfen denn auch die Kinder ein kratzig-gurgelndes Schriftdeutsch sprechen, welches wohl ausserhalb der Geistigen Landesverteidigung von keiner Lehrperson geduldet worden wäre, beispielsweise dann, wenn am Examen Waldbäume aufgezählt werden: "Die Buuche", "Die Eiche" "Die Birrke" oder "die Lärrche". Für Landammann Stauffacher (Leopold Lindtberg, 1941), den Filmbeitrag zum 650-JahrJubiläum der Eidgenossenschaft, der die Vorgeschichte der Schlacht am Morgarten schilderte, rekonstruierte man in der Nähe des Lauerzersees ein mittelalterliches Dorf.

Ebenso grossen Wert legte die produzierende Praesens-Film auf die Sprachhandhabung: "Die Schweizer Mundart, vorab diejenige der Urschweizer, deren Einsatz von Spezialisten betreut wurde (von Hermann Stieger, der dann auch die Rolle des Ödisriedi spielte), [war] ganz einfach die Sprache des selbstbewussten, alles Fremde entschieden zurückweisenden Widerstands" (Werner Wider, Der Schweizer Film 1929-1964. Die Schweiz als Ritual, Zürich: Limmat Verlag, 1981, S. 220).

Die Rolle des verräterischen Grafen von Toggenburg hingegen wurde dem Basler C.F. Vaucher anvertraut, und dessen Dialektausführungen lehnten sich häufig an die Schriftsprache an, welche 1941 zwangsläufig mit der Sprache des Feindes assoziiert wurde. Der kurze Schlussappell des Landammanns wurde von Heinrich Gretler in einer Mischung von Urner- und Zürichdeutsch vorgetragen. Vorübergehend visierte die Praesens-Film den internationalen Markt an, wodurch Englisch zur Umgangssprache des Schweizer Films wurde. "Our avälänches are avälänches not snow balls", erklärt in Swiss Tour (Leopold Lindtberg, 1949) ein Bahnangestellter einem amerikanischen G.I., der ungehalten darüber ist, dass er wegen einer gesperrten Bahnstrecke nicht von Montreux zum Skiplausch am Matterhorn aufbrechen kann.

Mit der Verfilmung von Johanna Spyris Kinderbuchklassiker kehrte man wenig später in deutschsprachige Gefilde zurück. Heidi (Luigi Comencini, 1952) und Heidi und Peter (Franz Schnyder, 1954) liessen, um auch das deutschsprachige Publikum im Ausland zu befriedigen, keine Gelegenheit aus, hochdeutsche Sequenzen ins Drehbuch (Richard Schweizer) einzufügen. Mit dem Aufenthalt Heidis in Frankfurt war dazu im ersten Teil reichlich Gelegenheit geboten, und in der zweiten Produktion, dem ersten Schweizer Film in Farbe, kamen "die deutschen Herrschaften" in die Schweiz, um oberhalb von Maienfeld die Alpenwelt zu bestaunen: "Freilich, hier ist es schön, mit dem Blick über das ganze Thal", meint Grossmama Sesemann, um Claras anschliessende Bemerkung "Wie das riecht!" mit "So würzich, nach Greesern und Kräutern" zu quittieren.

Berndeutsche Behaglichkeit und Sprücheklopferei

Die Reihe von Gotthelf-Verfilmungen, welche unter der Regie von Franz Schnyder zwischen 1954 und 1964 teils von der Praesens-Film, teils von Schnyders eigener Zürcher Firma Neue Film AG hergestellt wurden, beruhten auf der Radiodialektbearbeitung, welche Ernst Balzli 1954 zum hundertsten Todestag des Dichters und Emmentaler Pfarrers angefertigt hatte.

Auch die Zürcher Darsteller sprachen am Radio und danach in den Filmen durchwegs Berndeutsch, Emil Hegetschweiler als Bauer auf der "Glunngge", Heinrich Gretler als Bodenbauer, Hannes Schmidhauser in den Uli-Verfilmungen oder Peter Brogle als Jakobli in den Anne-Bäbi Jowäger-Verfilmungen. Die Behäbigkeit des Berner Dialekts, im Verbund mit den breiten Dächern der Emmentaler Bauernhäusern und mit Gotthelfs konservativer Gesellschaftskritik vermittelten einen gewissen Rückhalt in einer Schweiz, die sich zu diesem Zeitpunkt mit der anbrechenden Hochkonjunktur im grössten Umbruch ihrer Geschichte seit der Gründung des Bundesstaates 1948 befand und zudem durch die unsichere politische Lage (Kalter Krieg, Ungarn-Aufstand und Sputnik-Schock) vor einer ungewissen Zukunft stand. Einen Einbruch in die heile Emmentaler-Welt gab es aber doch: Ein Basler Baumwollhändler (Alfred Rasser), dem angeblich die reichsten Basler Fabrikdirektorentöchter und jene des Sankt-Gallerlandes zu Füssen liegen, empfiehlt sich in Uli der Knecht als Tochtermann.

Dialekt wird suspekt

Die Kleinbürgerfilme der 50er Jahre, anfänglich auf Radiohörspielen von Schaggi Streuli beruhend, trieben die Clichierung der Dialekte auf die Spitze: In Polizischt Wäckerli und in Bäckerei Zürrer (Kurt Früh, 1955/57) markierten abermals zwei Basler die Bösewichte, Ruedi Walter als Finanzschwindler Bindschädler im ersten, Walter Morath als studierter Bäckerssohn, der seinen Vater mit "Überbrückungskrediten" täuscht und ihm später eine grössere Geldsumme entwendet, im zweiten Film.

Die Rolle des bünzlihaften Ostschweizers erhielt in der Person der kontrollsüchtigen Frau Wuhrmann, welche die Parterrewohnung unterhalb der Polizeistation von "Allenwil" bewohnt, ein weibliches Pendant. Mit den Auftritten Walter Roderers als verklemmter, geiziger Kunsthonighändler Muggli in Oberstadtgass ("Si mönd mi verstoh, gäälled Si") und als Trauungsbeamter Wendelin Pfannenstiel in Der 42. Himmel überschritt der Mundartfilm die Schwelle zur Peinlichkeit (Wider, a.a.O., S. 494).

Zarli Carigiet schliesslich gab wiederholt den Bündner Bergschädel, der auch einmal aufbrausen kann, der aber das Herz am rechten Fleck hat, etwa als sechsfacher Familienvater Caduff in Es Dach überem Chopf (Kurt Früh, 1962), der zunächst seine Stelle verliert und danach betrunken aus zwei Wirtshäusern fliegt, bevor ihn die noble Umgebung des Zürichbergs doch noch zum wertvollen Mitglied der Gesellschaft formt.

Mitte der sechziger Jahre hatte der "Alte" Schweizer Film künstlerisch und kommerziell ausgespielt. Damit war vorübergehend auch der Dialektfilm gestorben, denn die Welle der Dialektkomödien hatte keinen kreativen Gebrauch der Mundart nach sich gezogen, sondern allenfalls zu einer imitierenden Sprücheklopferei animiert ("Töbeli isch min Name, Töbeli, immer no Töbeli" aus Polizischt Wäckerli). Für die nachfolgenden Cineasten des "Neuen" Schweizer Films war der Dialekt mehr als suspekt. Viele von ihnen verzichteten ganz auf Spracheinsatz in ihren (Kurz-)Filmen.

Fredi. M. Murer etwa setzte in Chicorée (1967), dem Portrait des Undergrund-Poeten Urban Gwerder, lediglich eine Musiktonspur ein, genauso wie Georg Radanowicz in Pic-Nic (1967). Oftmals wurden Bildaufnahmen auch von hochdeutsch gesprochenen Kommentaren begleitet. Kurt Gloor griff in Hommage (1968) zwar auf das Berndeutsche zurück, doch nur, um in verfremdetem Beamtendeutsch mit dem damals neu erschienenen "Soldatenbuch" abzurechnen.

Dem Volk das Wort geben

Die Wiederannäherung an den Dialekt geschah über den Dokumentarfilm. Richard Dindo porträtierte in Schweizer im spanischen Bürgerkrieg (1974) den Kampf der Anarchisten gegen Franco als proletarische Massenbewegung. Die Antifaschisten von damals stehen vor der Kamera, ein Aargauer Optiker, ein Winterthurer Garagist, ein Berner Bauarbeiter und seine aus Spanien stammende Ehefrau, ein Stadtzürcher Antiquar, ein Aargauer Altstoffhändler, ein Basler Journalist mit seiner Ehefrau sowie die Witwe eines Schaffhauser Möbelhändlers.

Sie alle erinnern sich in ihrer eigenen, unverwechselbaren Sprache an die damaligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Schweiz und an die Kampfhandlungen in Spanien. Und sie formulieren ihr Verständnis von Demokratie, welches sie stets eng mit den herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen verknüpfen. - Yves Yersin und Eduard Winiger lokalisierten das Thema von Die letzten Heimposamenter (1974) ebenfalls sprachlich, sozial und geographisch genau und schufen so eine Verbindung von

Vergangenheit und Gegenwart. Die Posamenter sind Heimarbeiter, die im Kanton Baselland an ihren Webstühlen Seidenbänder herstellen. Alte Frauen und Männer schildern im Baselbieter Dialekt ihre Tätigkeit, ihre unentfremdete Arbeit genauso wie die Ausbeutung durch die "Basler Herren". Sie erzählen in ruhigem Tonfall auch von den Krisen ihres Berufes, berichten davon, dass sie in Zeiten der Depression immer die Ersten waren, die keine Aufträge mehr erhielten, und sie alle sind sich bewusst, dass sie in einem aussterbenden Beruf tätig sind.

Für Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind (1975) kehrte der in Zürich lebende Fredi M. Murer in seine Heimat, ins Urnerland, zurück. Sein Dokumentarfilm ist indes kein Film über Urner, sondern, so wie es der Untertitel formuliert "Ein Film mit Urnern in drei Sätzen". Wir schliessen uns der Familie im Schächental an, die jährlich acht Mal umzieht, wir begleiten eine der sieben Alpgenossenschaften

in Bristen während eines Jahres und wir folgen acht Gewährspersonen im Göschenental. Der Film übernimmt Sehweisen, Themenwahl und Diktion der Darsteller, von denen einige ihre früheren, auf Tonband gemachten Aussagen korrigieren, während ihnen die Kamera zuschaut. - In Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. (1976) griffen Richard Dindo und Niklaus Meienberg das bis dahin tabuisierte Thema der im Zweiten Weltkrieg erschossenen Landesverräter auf.

Ihr Dokumentarfilm führte in einen kaum bekannten Teil der Ostschweiz, ins Sittertobel und in die auf halbem Weg zwischen Abtwil und St. Gallen gelegene Moosmühle. Wiederum haben die Beteiligten das Wort, die Brüder von Ernst S., seine Schlummermutter in St. Gallen, der Vormund und ein paar Dienstkameraden von Ernst S. Nachdenklich, besonnen und eindrucksvoll schildern sie das Schicksal eines "Lumpenproletariers", der wegen eines vergleichsweise kleinen Delikts schwer büsste und dadurch auch manchem der am Film Mitwirkenden unbewusst Schaden zufügte.

Der Basler wird rehabilitiert

Mit diesen soziologisch-ethnographisch verankerten Arbeiten erreichte der Schweizer Dokumentarfilm Mitte der siebziger Jahre weltweite Anerkennung. Gleichzeitig verhalf er im Inland dem Dialekt zu neuem Respekt. Auf dieser Basis konnte sich auch wieder eine Spielfilmszene etablieren. (In der Welschschweiz, wo kein derartiges dialektsprachliches Trauma zu überwinden war, hatten die Regisseure des "Neuen" Schweizer Films wie Alain Tanner, Claude Goretta und Michel Soutter schon Ende der 60er Jahre mit Spielfilmen den Anschluss an die internationale Entwicklung wieder hergestellt.)

Mit Die plötzliche Einsamkeit des Konrad Steiner und Das gefrorene Herz (Kurt Gloor, 1976 bzw. Xavier Koller 1978) gelangen Sigfrit Steiner zwei eindrückliche Altersportraits, die seine früheren Auftritte als kleinkarierter subalterner Beamter verblassen liessen. Spätestens seit der TV-Soap Motel (1984) ist dank Daniel Levis "Peperoni" auch "der Basler" landesweit rehabilitiert. Und bei Peter von Gunten, Bernhard Giger und Clemens Klopfenstein ist das Berner Filmschaffen der Nach-Gotthelf-Ära seit längerer Zeit bestens aufgehoben. - Der Dialektfilm hat sein Publikum auch heute, sowohl im Kino als auch am Fernsehen. Aber eine Mundart, die mit nicht nachvollziehbaren Wertungen daherkommt, hat glücklicherweise ausgedient.

Beinahe muss man nun das Gegenteil befürchten, dass die Dialekte, zu denen sich in der Zwischenzeit noch die Sprachen der zweiten Ausländergeneration gesellt haben, im gleichen Film, ja in der gleichen Familie à la Lüthi und Blanc beliebig durcheinandergemischt werden. Wenn in obiger Analyse bewusst nur Filmtitel Erwähnung fanden, die von einer Zürcher Firma produziert worden waren, so hat Zürich das einheimische Filmschaffen doch nie vollständig beherrscht.

Die Zürcher haben auch nicht zwangsläufig immer das letzte Wort. Der grösste Dialekfilmerfolg der jüngeren Vergangenheit, Rolf Lyssys Die Schweizermacher (1979), ist zwar eine durch und durch zürcherische Angelegenheit. Doch der bärbeissige Zürcher Einbürgerungsbeamte Max Bodmer (Walo Lüönd), der über einen italienischen Koch kurz angebunden befindet "Fröhli nützt da gar nüüt, aapaaasse muess er sich", steht letztlich mit abgesägten Hosen da. Die naiven Fragen seines charmanten Innerschweizer Assistenten (Emil) haben ihm die Argumente ausgehen lassen.

Felix Aeppli

Quelle: Zürcher Filmrollen (hsg. von der Zürcher Kantonalbank), Zürich 2005, S. 32-43