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Zeit der Kannibalen

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Zeit der Kannibalen Das alltägliche Grauen

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Kultur

Der Titel "Zeit der Kannibalen" lässt auf einen Horrorfilm schliessen, die Umsetzung auf ein Theaterstück. Tatsächlich handelt es sich bei Zeit der Kannibalen aber um eine spassige Kapitalismussatire mit viel bösem und absurdem Humor.

Der deutsche Schauspieler Devid Striesow an der Berlinale 2010.
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Der deutsche Schauspieler Devid Striesow an der Berlinale 2010. Foto: Devid Striesow (CC-BY 3.0 cropped)

Datum 5. Oktober 2024
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Unfair? Oh ja, mächtig unfair sogar. Da haben Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) nun wirklich alles für ihre Firma getan, sind als Business Consultants um die ganze Welt gejettet, haben Kunden den grössten Quatsch aufgeschwatzt, so manchen in den Ruin getrieben und dabei – und das ist das wichtigste – eine Menge Kohle für das Unternehmen reingeholt. Und was passiert dann? Als es darum geht, wer neuer Partner der Company wird, werden beide übergangen und stattdessen Hellinger der Vorzug gegeben.

Aber das ist nicht der einzige Schock, den beide zu verkraften haben. Sie bekommen vom Chef mit Bianca März (Katharina Schüttler) eine Person an die Seite gestellt, die nicht nur eine Frau ist. Sie ist eine Frau mit Idealen. Und das ist in ihrer Branche ein Kuriosum, wenn nicht gar ein No-Go. Als sie gerade dabei sind, sich damit abzufinden, bringen eine Reihe von Ereignissen ihre Welt dann komplett ins Wanken: Hellinger begeht Selbstmord, ihre Firma wird aufgekauft und um sie herum bricht ein Bürgerkrieg aus.

Kannibalen sind in unseren Breitengraden ja eher seltener geworden, möchte man meinen. Wenn es nach Filmemachern geht, gibt es sie aber auch heute noch in unserer zivilisierten Welt, und häufiger als man denkt. Das Ergebnis mag mal dramatisch sein (We Are What We Are), witzig (Fresh Meat) oder auch einfach nur schlecht (Sickle), eines haben die Filme gemeinsam: Sie stammen alle aus dem Horrorgenre.

Das ist bei Zeit der Kannibalen etwas anders. Schrecken und Grauen gibt es auch hier, aber es ist der alltägliche, der hier thematisiert wird. Der Horror, der sich hinter einem strahlenden Lächeln, Markenanzügen und Visitenkarten verbirgt. Wenn hier auf Menschenfresser verwiesen wird, dann nur im übertragenen Sinn, als Metapher für eine rücksichtslose Gesellschaft, die umbarmherzig andere ausnutzt, der die Anordnung von Lichtschaltern in einem Hotelzimmer wichtiger ist als das Schicksal der breiten Bevölkerung. Die Absicht ist also klar, hier soll dem Heuschreckenkapitalismus kräftig in die Suppe gespuckt werden.

Dafür wählte Regisseur Johannes Naber aber kein zeigefingerschwingendes Betroffenheitsdrama, sondern eine Satire: komisch, gemein und sehr sehr seltsam. Fast der gesamte Film spielt sich in Hotelzimmern ab, die so austauschbar sind wie die Städte, in denen sie angeblich liegen. In Indien und Nigeria sollen wir sein, es hätten aber auch genauso gut die Brasilien, Japan oder Deutschland sein können. Von der Aussenwelt sehen wir ohnehin kaum etwas, die verschwommenen Gebäude jenseits der Fenster sind zu undefiniert, um sie wirklich einem konkreten Ort zuordnen zu können. Bis zuletzt ist ja nicht einmal sicher, ob es tatsächlich Gebäude sind oder nicht nur grau angemalte Bauklötze.

Und auch die drei Hauptcharaktere umweht immer der Hauch der Unwirklichkeit. Wenn Niederländer etwa das Hotelpersonal herumscheucht, um eine Stechmücke zu fangen – lebend, versteht sich – um sie auf potenzielle Krankheitserreger untersuchen zu lassen, ist das so grandios überzeichnet, dass wir schon nah dran sind an der Karikatur. Gleichzeitig geht Zeit der Kannibalen aber nie so weit, die drei Unternehmensberater zu Witzfiguren degradieren zu wollen. Denn komische Marotten hin, befremdliche Handlungsweisen her, Zweifel hat man keinen, dass es sie gibt, die Öllers, Niederländer und März dieser Welt.

Am meisten Spass hat natürlich, wer sich an bösem Humor erfreuen kann, denn die Dialoge schwanken munter zwischen absurd und sarkastisch hin und her, mit einem dicken Schuss Zynismus. Mehr als Dialoge sollte der Zuschauer jedoch nicht erwarten, eine eigentliche Handlung gibt es nicht. Zusammen mit dem fehlenden Standortwechsel und den austauschbaren, meist namenlosen Nebenfiguren vermittelt Zeit der Kannibalen das Gefühl, in einem Theaterstück zu sitzen. Vielleicht hätte die Geschichte um den entmenschlichten Kapitalismus dort auch besser hingepasst als auf eine Kinoleinwand. Lohnenswert ist die beissende Gesellschaftskritik aber auch im Filmgewand.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Zeit der Kannibalen

Deutschland

2014

-

93 min.

Regie: Johannes Naber

Drehbuch: Stefan Weigl

Darsteller: Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler, Devid Striesow

Produktion: Milena Maitz, Andrea Hanke

Musik: Cornelius Schwehr

Kamera: Pascal Schmit

Schnitt: Ben von Grafenstein

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.