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Thérèse Raquin – Du sollst nicht ehebrechen Die Ehe als Gefängnis

Kultur

„Thérèse Raquin“ erzählt basierend auf dem gleichnamigen Roman, wie eine unglücklich verheiratete Frau eine Affäre beginnt.

Der französische Filmregisseur Marcel Carné (sitzend) verfilmte den Roman von Emile Zola 1953.
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Der französische Filmregisseur Marcel Carné (sitzend) verfilmte den Roman von Emile Zola 1953. Foto: JJ Georges (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

6. Juli 2021
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Die Adaption bewegt sich stärker in eine Krimirichtung, anstatt sich allein auf das Psychologische zu konzentrieren. Tragisch ist die Geschichte dennoch, arbeitet zudem mit sehr ambivalenten Figuren, bei denen nicht klar ist, ob man sie nun anfeuern soll oder nicht.

Richtig glücklich war das Leben von Thérèse Raquin (Simone Signoret) nie. Schon früh hat sie ihre Eltern verloren, weshalb ihre Tante (Sylvie) sie bei sich aufnahm. Später verheiratete diese die junge Frau mit ihrem kränkelnden Sohn Camille (Jacques Duby). Seither muss sie sich um alle kümmern, ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte werden ignoriert. Doch dann begegnet sie eines Tages dem italienischen Lastwagenfahrer Laurent (Raf Vallone) und verliebt sich in ihn. Der drängt sie bald, mit ihm fortzugehen und ihr trostloses Leben hinter sich zu lassen. Nur zu gerne würde sie das tun. Aber Camille hat nicht vor, sie ohne Weiteres gehen zu lassen …

Die Ehe als Gefängnis

Im 19. Jahrhundert erschienen eine Reihe bedeutender Romane, die von Frauen in freudlosen Ehen handelten sowie deren Versuche, mithilfe von Affären diesem Gefängnis zu entkommen. Werke wie Effi Briest von Theodor Fontane oder Madame Bovary von Gustave Flaubert haben dabei Literaturgeschichte geschrieben. Ebenfalls wichtig, wenn auch im hiesigen Schulunterricht etwas seltener behandelt, ist Thérèse Raquin von Emile Zola. In dem 1867 erschienen Buch erzählt der französische Romancier, wie die gelangweilte Titelfigur sich auf eine Affäre mit einem Freund ihres Mannes einlässt, welches – wie in solchen Fällen praktisch immer – äusserst tragisch endet.

Die 1953 veröffentlichte Verfilmung hält sich grundsätzlich auch an dieses Szenario. Zum Teil wich Regisseur und Co-Autor Marcel Carné aber deutlich von der literarischen Vorlage ab. So wurde aus dessen bestem Freund eine Zufallsbekanntschaft. Die Art und Weise, wie das heimliche Paar mit dem lästigen Camille umgeht, ist verschieden. Vor allem aber die Geschichte, wie es im Anschluss an den Zwischenfall weitergeht, der hier erst recht spät eintritt, unterscheidet sich deutlich. Wo Zola einen grösseren Wert auf die psychologische Komponente legte, da wandelt sich Thérèse Raquin – die dritte Verfilmung des Romans – in einen Kriminalfall, der auch eine völlig neue Figur einführt.

Spannung bis zum Schluss

Das wird ein puristisch veranlagtes Publikum womöglich stören. Man kann sich auch darüber streiten, ob es einen Genrewechsel gebraucht hätte. Spannend ist dieser aber durchaus. Thérèse Raquin – Du sollst nicht ehebrechen spannt die Zuschauer und Zuschauerinnen auf die Folter, was genau am Ende geschehen wird und ob die beiden ihr Glück finden. Vergleichbar zu heutigen Thrillern wie Cross the Line – Du sollst nicht töten, in denen bislang unbescholtene Menschen auf einmal in ausweglose Situationen geraten, befinden sich Thérèse und Laurent in einer Falle. Jeder falsche Schritt könnte da zu einer Katastrophe führen, weswegen es im letzten Drittel kaum eine Möglichkeit zum Durchschnaufen mehr gibt.

Gleichzeitig macht es einem Carné schwer, da genau Position zu beziehen. Will man den beiden die Daumen drücken? Sollte man es? Thérèse Raquin gefällt in der Hinsicht mit sehr ambivalenten Figuren, die nicht so einfach in die üblichen Schemata von Gut und Böse passen. So mag Camille ein nervtötender Hypochonder sein, ist aber weit davon entfernt, seine Frau zu unterdrücken oder sie anderweitig schlecht zu behandeln. Laurent wiederum bringt zwar die Leidenschaft mit, welche Thérèse in ihrem Leben so vermisst. Doch dafür werden irgendwann dunkle Tendenzen in ihm sichtbar, welche nicht so ganz mit dem Bild der idealen Liebe zu vereinbaren sind.

Das versteckte Unglück

Doch über all dem thront Thérèse selbst. Simone Signoret (Armee im Schatten) verkörpert die Romanfigur mit einem Spiel aus Zerbrechlichkeit, Langeweile, Sehnsucht und Distanz. So wie die Protagonistin gelernt hat, ihre eigenen Gefühle zugunsten des lieben Friedens willens zu verbergen, so lässt einen auch die Schauspielerin nur widerwillig an dem Innenleben teilhaben. Wie es um dieses bestimmt ist, daran gibt es dennoch keinen Zweifel. Wenn sie in einer frühen Szene abseits von ihrem Mann und dessen Mutter steht oder in anderen Situationen resigniert ihren Alltag ausübt, dann lässt das kaum Fragen offen. Das ist für ein Publikum, das von solchen Geschichte das ganz grosse Gefühlskino fordert, womöglich dennoch zu wenig. Der an manchen Stellen melodramatischen Musik zum Trotz: Thérèse Raquin ist ein Film, der die Tragik seiner Figuren eher durch eine unheilvoll-fatalistische Stimmung zum Ausdruck gibt. Der nicht nur auf der Suche nach dem Glück jede Menge Hindernisse aufbaut, sondern dabei offen lässt, ob dieses Glück überhaupt zu erreichen ist.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.

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