Shine – Der Weg zum Licht Zwischen Trauma, Liebe und Musik
Kultur
Nein, nein, Scott Hicks „Künstlerbiografie“ über den 1947 in Melbourne geborenen Konzertpianisten David Helfgott hat im Vergleich zu anderen Filmen dieser Sparte äusserst wenig mit dem Klischee „Genie und Wahnsinn“ zu tun.
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21. Januar 2022
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Das Trauma des Holocaust, durch den Peter seine Eltern und seine Schwester verloren hat, und der fast unbezwingbare Drang des Vaters, die Familie zusammenzuhalten, koste es, was es wolle! „Nur die Besten werden davonkommen“, lautet der Satz des Vaters, den David immer wieder zu hören bekommt.
Das Ghetto, in das die Nationalsozialisten die europäischen Juden verfrachtet haben, um sie der vollständigen Vernichtung preiszugeben, reproduziert sich beim Vater in der Herstellung einer Art Schutzzone, die Peter von allen äusseren Einflüssen frei halten will. Die verlorene Jugend, die beim Vater durch die Zerstörung seiner ersparten Geige durch den eigenen Vater, einen schweren psychischen Riss hinterlassen hat, reproduziert Peter in dem fanatischen Wunsch, David all das zu geben, was er selbst nicht verwirklichen konnte. Des Vaters Liebe ist die Musik. Des Vaters Liebe ist aber auch die zerstörerische Kraft, mit der er seine eigene Familie, Frau, Töchter und besonders David überzieht.
David (gespielt von Alex Rafalowicz als Kind, Noah Taylor als Heranwachsender) ist begabt und wird gedrillt. Schweren Herzens übergibt ihn der Vater dem homosexuellen Klavierlehrer Ben Rosen (Nicholas Bell). Unter dem permanenten Druck des Vaters, den der Sohn zu weiten Teilen verinnerlicht, wird David bei Wettbewerben „nur“ Zweiter.
Hicks zeigt diese Szenen der Kindheit und Jugend in Rückblenden des erwachsenen David Helfgott, der durch „schizoeffective disorder“ psychisch stark angeschlagen ist, seine Orientierung im Alltag verloren hat. Ein Zusammenbruch nach einem Konzert, in dem David Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 3, eines der schwierigsten Klavierwerke überhaupt, zwingt den jungen Künstler zu einer zehnjährigen Pause (erst 1984 tritt Helfgott wieder öffentlich auf).
Der jugendliche David reagiert, wie Kinder auf einen übermächtigen Vater reagieren: er will seinen Vater lieben, aber er kann es nicht. Er leidet unter Bettnässen, und als Peter sieht, wie David in der Badewanne Kot hinterlässt, schlägt er ihn. Er verweigert ihm eine Einladung Isaacs Sterns in die USA, und erst als David Jahre später ein Stipendium am Royal College of Music in London offeriert wird, findet er einen Weg, dem Vater zu entfliehen, der ihn für immer verstösst.
Hicks zeigt diesen Weg des jungen David Helfgott nicht als einen zwischen „Genie und Wahnsinn“, hervorgerufen durch die Tätigkeit als Pianist. Helfgott stürzt sich in die Musik, und stürzt wieder heraus, bricht zusammen, rappelt sich wieder, ihm wird von den Ärzten verboten, Klavier zu spielen. In einer beeindruckenden Szene sieht man ihn beim Konzert in London, er spielt Rachmaninoff drittes Klavierkonzert. Man sieht, wie Helfgott schwitzt, als wenn es um sein Leben gehe, die langen Haare zerzaust vor dem Gesicht. Hicks lässt für Momente das Klavierspiel verstummen; man hört nur die mechanischen Tastenschläge des Klaviers, sieht Helfgotts Finger in Zeitlupe, hört seinen Herzschlag. Das heisst jedoch nicht, dass Hicks mit visuellen Tricks das Manko einer mangelhaften Geschichte ausbügeln will. Die Geschichte spricht für sich.
Besonders eindrücklich ist auch, dass es Hicks ohne Übertreibung und besondere dramaturgische Betonung gelingt zu zeigen, welche Bedeutung vier Frauen im Leben von Helfgott hatten. Da ist zum einen die schwache Mutter Rachel (Marta Kaczmarek), die sich gegen Davids Vater nicht durchsetzen kann bzw. will, weil sie die Gründe für Peters Verhalten kennt. Da ist die Schriftstellerin Katherine Prichard (Googie Withers), die David auf einem Treffen der australischen Freunde der Sowjetunion, zu denen sich sein Vater zählt, kennen lernt, die ihm zur zweiten Mutter wird und ihn in seiner Karriere unterstützt. Da ist Sylvia (Sonia Todd), Inhaberin einer Bar, die ihn als Pianisten zeitweilig engagiert, so dass er nach langer Zeit wieder Klavier spielen kann. Da ist Beryl (Beverly Dunn), eine Mitarbeiterin in der Heilanstalt, die ihn zeitweilig bei sich aufnimmt. Und da ist schliesslich die Astrologin und Freundin von Davids Schwester Suzie (Joey Kennedy), Gillian (Lynn Redgrave), die David besser zu verstehen scheint als alle anderen und die später zu Helfgotts Ehefrau wird.
Geoffrey Rush, der eigentlich nur im letzten Drittel des Films zu sehen ist, spielt diesen David Helfgott überzeugend, einen jungen Mann, der aus den Fugen geraten ist angesichts seiner Kindheit und Jugend. Er springt in den Pool, Notenblätter schwimmen auf dem Wasser, er lässt alles, was er anfasst irgendwo liegen, und seine Mitmenschen haben einiges zu tun, um wieder Ordnung zu machen. Er spricht schnell, stakkatohaft, seine Stimme überschlägt sich dabei kaum, aber man merkt gerade in diesen Szenen, wie unruhig es in diesem Menschen aussieht, wie wenig er allein zurecht kommt. Erst nach dem Tod des Vaters und der Heirat mit Gillian findet Helfgott einen gewissen Ruhepunkt in seinem Leben.
Hicks gelingt es auch zu zeigen, welche Bedeutung das Klavierspiel für Helfgott hat, wie es zunächst vor allem eine Art durch den Vater hervorgerufenen Zwang für David bedeutete, wie ihm dann sein Londoner Klavierlehrer Parkes (John Gielgud) den Rat gab: „Du musst das Klavier zähmen ... Es ist ein Monster! Zähme es oder es verschlingt dich ganz und gar!“ und Helfgott über das Klavierspiel auch seinen Vater in sich zu besiegen sucht und dabei zusammenbricht – und wie schliesslich die Liebe zu Gillian und der Tod des Vaters Helfgott das Minimum an Freiheit bescheren, das er benötigt, um aus freien Stücken zu spielen – und zu leben.
Ein besonderes Lob gilt auch Noah Taylor und Alex Rafalowicz, die David als Jugendlichen und Kind spielen. Der Übergang zwischen diesen drei Schauspielern ist exzellent gelungen.
P.S. Über den wirklichen Helfgott urteilten manche Kritiker eher negativ. So sei er, wie im Spiegel zu lesen war, der „irre Horowitz“ gewesen, der „unablässig brabbelte, grunzte und blökte, Grimassen schnitt – und höchst armeselig Klavier spielte. [...] Gegen 'Shine' und den Mythos, den der Film aus ihm gemacht hat, wird Helfgott zeitlebens vergebens anspielen“ („Elfentanz im Jammertal“, in: Der Spiegel 11/1997). Solchen harschen Kritiken am Rande der Verunglimpfung können meinem Gefühl nach dem Film kaum etwas anhaben. Denn Hicks zaubert keine Legende, sondern zeigt durchaus einen problematischen Menschen, allerdings nicht, indem er ihm dies zum Nachteil auslegt.
Shine – Der Weg zum Licht
Australien
1996
-105 min.
Regie: Scott Hicks
Drehbuch: Jan Sardi, Scott Hicks
Darsteller: Geoffrey Rush, Armin Mueller-Stahl, Alex Rafalowicz
Produktion: Jane Scott
Musik: David Hirschfelder
Kamera: Geoffrey Simpson
Schnitt: Pip Karmel