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Schüsse aus dem Geigenkasten | Untergrund-Blättle

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Schüsse aus dem Geigenkasten Als die Welt noch heil schien ...

Kultur

In den 60er Jahren schien die Welt noch in Ordnung – jedenfalls die FBI-Welt.

Der deutsche Film- und Fernsehregisseur Fritz Umgelter in den frühen 60er Jahren.
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Der deutsche Film- und Fernsehregisseur Fritz Umgelter in den frühen 60er Jahren. Foto: Ingrid Umgelter (PD)

14. März 2022
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Verbrecher waren noch Verbrecher und Polizisten noch gestandene, ehrliche Männer, mit einem klaren Auftrag. George Nader (1921-2002) stand für diese Festigkeit in den Prinzipien der Verbrechensbekämpfung – jedenfalls was die Leinwand anbetraf. Zwischen 1965 und 1969 spielte er in insgesamt acht Jerry Cotton-Filmen (1) den Meisterermittler des Federal Bureau of Investigation – immer an der Seite seines Kollegen und – so muss man annehmen – Freundes Phil Decker, gespielt von Heinz Weiss, einem damals wie heute oft gesehenen TV-Schauspieler.

Ein bisschen waren diese Cotton-Filme, die sämtlich in Deutschland produziert wurden, die hiesige Antwort auf James Bond, eine Antwort, die nicht so richtig eine sein konnte, weil man den Cotton-Filmen doch auch immer anmerkte, dass sie nicht in den Staaten entstanden waren, obwohl sie in Manhattan oder Chicago spielen (sollten). Da sieht man dann schon einmal den Helden im Auto sitzen, hinter sich die eingeblendete Kulisse von Manhattan. Das Auto stand im Studio. Im Gegensatz zu Bond ist Nader nicht der ausgebuffte Frauenheld, der von Bett zu Einsatz zu Bett springt. Eher bieder und korrekt ist dieser Jerry Cotton, zuvorkommend, auch distanziert, eben anständig bis in die Knochen (manche würden vielleicht sagen: typisch deutsch, oder: wie Deutsche ihren Helden, auch wenn er Amerikaner ist, gerne sehen möchten).

Den ersten der Cotton-Filme inszenierte ein Regisseur, der sich mit seriösen Fernsehproduktionen wie „Die Physiker“ 1964 oder „Dantons Tod“ 1963 einen Namen gemacht hatte und später einige Folgen der „Tatort“-Reihe sowie eine Fernsehserie über „Arsène Lupin“ ablieferte und die ersten Folgen des unsäglichen „Traumschiff“-Kitsches auf die Leinwand warf: Fritz Umgelter (1892-1981). Neben Heinz Weiss gehören in diesem Film noch Richard Münch (1916-1987) und Helmut Förnbacher zu den damals sehr beliebten, z.T. auch international erfahrenen Schauspielern.

Das FBI hat es mit verschiedenen Raubmorden, u.a. in Chicago und Los Angeles, zu tun. Bei einem Postraub verschwinden unterschlagene Steuergelder. Zu der Bande gehören die Gangster Percy (Helmut Förnbacher), Sniff (Philippe Guégan), Latschek (Robert Rathke) und Babe (Hans Waldherr). Anonyme Anrufe führen FBI-Chef High (Richard Münch) zu Mary Springfield (Heidi Leupolt), die sich offenbar grosse Sorgen um ihre Schwester Kitty (Sylvia Pascal) macht, die sich im Kreis der Gangster bewegen soll.

Als Mary von den Gangstern überfahren wird, führt die Spur Jerry Cotton (George Nader) zu einer Bowling-Bar, die einem gewissen Christallo (Hans E. Schons) gehört. Cotton gibt sich dort als arbeitslos aus und will bei der Gang einsteigen. Er gibt vor, Augenzeuge eines ihrer Raubzüge zu sein. Christallo gibt vor, ihn in die Bande aufzunehmen, doch mit Percy spricht er ab, den unliebsamen Zeugen zu beseitigen.

Cotton und sein Kollege Phil Decker (Heinz Weiss) arbeiten fieberhaft daran herauszubekommen, wo der nächste Coup der Bande stattfinden soll. Doch der eigentliche Drahtzieher der Verbrechen, Dr. Kilborne (Franz Rudnick), hat bereits eine falsche Fähre gelegt: Er lässt in einer Schule eine Zeitbombe anbringen, um ungestört an anderem Ort Juwelen stehlen zu können. Zwischenzeitlich hat sich Cotton Kitty gegenüber als FBI-Mann zu erkennen gegeben. Die Zeit wird knapp. Und dann gerät auch noch ein enger Freund Highs, der Anwalt Everett Hamilton (H. M. Crayon) in Verdacht, der Bande die entscheidenden Tips gegeben zu haben ...

Wer die Filmmusik von Peter Thomas, einem der bis heute wohl begehrtesten deutschen Filmkomponisten, einmal im Ohr hat, der vergisst sie wohl nie. Der Siegesrausch der ehrbaren FBI-Kämpfer ist darin ebenso zu vernehmen wie das Feeling der 60er Jahre. 20 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein. Grautöne beherrschen die Szenerie, nicht allein, weil die Cotton-Filme noch in Schwarz-Weiss gedreht wurden oder die FBI-Agenten und teilweise auch die Gangster graue Anzüge tragen. Nein, hier herrscht das Grau einer Zeit des noch ungehemmten Glaubens an stetigen Fortschritt – sozusagen Grau als Positivfarbe.

Die Cotton-Filme repräsentieren, könnte man sagen, das deutsche Pleasantville, eine Welt, die mit allem Unschönen und Negativem (letztlich) fertig wird und auch werden kann, eine Welt der unbegrenzten Zuversicht. High, Cotton, Decker und auch Highs Sekretärin Helen (Helga Schlack, die man später hauptsächlich in der Werbung sehen konnte) sind ein freudiges, aber auch sachliches Team, ein Zeichen des Positiven, des Aufmerksamen, des Wachsamen in einer Welt, die man zu erhalten, ja zu konservieren gedenkt. Da gibt es keine wirklichen Konflikte oder gar Zerwürfnisse. So nimmt es nicht Wunder, dass der letzte Cotton-Film 1969 gedreht wurde, schon mitten in der nachfolgenden Epoche des Zweifels, der Rebellion, der Fragen, die tiefer gingen.

George Nader, zeitlebens immer im Schatten von Filmgrössen wie etwa Rock Hudson, repräsentiert die kleinformatige, einfache, einfach verständliche, scheinbar unproblematische Heldenfigur, einen Helden fürs Wohnzimmer, überschaubar, leicht einzuschätzen, die Polaroid-Version des tadel- und furchtlosen Helden, also alles andere als einen Rebellen.

Ihm gegenüber stehen skrupellose Gangster, vom tölpelhaften Barkeeper und Schläger Babe (eine Rolle, die Hans Waldherr zeitlebens wohl auf den Leib geschnitten war) über den gewissenlosen und gerissenen Percy, den dienenden und willenlosen Sniff bis zum intelligenten, aber letztlich doch in dieser (Film-)Welt chancenlosen Dr. Kilborne, dazwischen schliesslich der windige und aalglatte Christallo – eine Bande, die auch in ihrer letztlich simplen Art und Weise, Verbrechen zu planen, den Helden auf der anderen Seite nicht das Wasser reichen kann.

Die Story ist so platt und geradlinig tollpatschig, dass sie schon einfach wieder gut ist.

„Schüsse aus dem Geigenkasten“ ist wohl der beste der acht Cotton-Filme, aber wer will das schon letztendlich entscheiden. Cotton ist Kult, ganz sicher, ein für heutige Sehgewohnheiten und Bedürfnisse fast schon fremd wirkender Kult aus einer Zeit, die ebenso fremd erscheint und doch oft noch so nah ist.

Ulrich Behrens

Fussnoten:

(1) Neben „Schüsse aus dem Geigenkasten“ waren dies unter der Regie von Harald Reinl „Todesschüsse am Broadway“ (1969), „Dynamit in grüner Seide“ (1968) und „Der Tod im roten Jaguar“ (1968), unter der Regie von Harald Philipp „Um Null Uhr schnappt die Falle zu“ (1966) und „Mordnacht in Manhattan“ (1965) sowie Helmut Ashleys „Die Rechnung – eiskalt serviert“ (1966) und Werner Jacobs „Der Mörderclub von Brooklyn“ (1967). Bis auf „Der Tod im roten Jaguar“ sind diese Filme in der „Jerry Cotton Collector's Edition“ auf DVD erschienen.

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