Permanent Vacation Auf Reisen ...

Kultur

Allie ist ein Fremder, a stranger everywhere. Den 16jährigen treffen wir in New York.

Jim Jarmusch auf dem Festival Primavera Sound 2013 in Barcelona.
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Jim Jarmusch auf dem Festival Primavera Sound 2013 in Barcelona. Foto: Kurt Jansson (CC BY-SA 3.0 unported)

2. Mai 2019
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Und gleich die ersten Szenen vermitteln den eigentümlichen, den sehr eigenen Blick Jarmuschs in seinem ersten, schon viel beachteten Film, auf die Metropole aller Metropolen. Tom Di Cillos Kamera wechselt zwischen Szenen eines belebten, aber anonymen New Yorks und anderen der Lower East Side, in denen er das Verfallene der Stadt, fast menschenleere Strassen, Müll usw. zeigt. Den Film durchzieht eine Jarmusch ebenso eigene Musik, eine Mixtur aus fast schon bedrohlich wirkenden Klängen, gemischt mit blechernen Glockengeräuschen. Abwechselnd dazu hört man Charlie Parkers Jazz und John Luries Saxophon, u.a. ein stark verfremdetes „Somewhere over the rainbow“.

Allie ist ungefähr 16, streift durch die verfallenen Strassen der Lower Eastside Ende der 70er Jahre, sprüht in gelber Farbe auf eine Hauswand „Allie, total blam blam“ und wohnt bei einer schönen jungen Frau, die das Alleinsein satt hat: Leila (Leila Gastil). Leila sitzt am Fenster einer dieser seit langem unrenovierten Wohnungen, die Beine auf der Fensterbank, den Blick hinaus zum Fenster und wartet. Allie tanzt zu Parkers Musik. Die Beziehung zwischen beiden ist eine vorübergehende – wie alles im Leben Allies vorübergehend ist.

Allie ist ein Wanderer durch die Welt. Er lernt Leute kennen, Räume, Gegenden, aber schon bald sagt ihm eine innere Stimme, dass er weiterziehen müsse. Er wird auch Leila verlassen. Begegnungen finden im eigentlichen Sinne nicht statt. Aufgewachsen in Erziehungsheimen hat Allie seinen Vater schon früh verloren: der haute ab, während seine Mutter (Ruth Bolton) im Irrenhaus landete.

Schon in „Permanent Vacation“, diesem nie enden wollenden Dauerurlaub, präsentiert Jarmusch eine dieser Figuren auch seiner späteren Filme, die ständig auf Reisen sind, ständig neue Wege beschreiten und nie irgendwo ankommen – schon gar nicht bei sich selbst. Man könnte es sich einfach machen und Jarmuschs Figuren zu Outsidern deklarieren. Aber das träfe nicht den Kern. Allie ist alles andere als ein Aussenseiter, auch wenn es zunächst so scheint. Er ist eher der Protagonist all jener Reisenden, für die das Leben nicht in der zivilisatorisch geformten Zeit des Industriezeitalters und schon gar nicht der Postmoderne bestehen kann. Allie ist nicht zu faul zum arbeiten. Allie hat einen inneren Rhythmus, der gegen den Zeittakt der Moderne rebelliert, rebellieren muss.

„Somewhere over the rainbow way up high
And the dreams that you dream of
once in a lullaby
Somewhere over the rainbow blue birds fly
And the dreams that you dream of,
dreams really do come true
Someday I'll wish upon a star,
wake up where the clouds are far behind me.“ (1)

Allie begegnet dem Krieg. Er geht an die Stätte seiner Geburt, jedenfalls meint er dies, einen Ort, an dem die zerfallenden Gebäude bereits von Pflanzen überwuchert werden. Er hört Bomber und Flieger, als wenn sie über dem Ort nahe der Metropole kreisen würden. Die Chinesen hätten sein Geburtshaus im Krieg zerstört, erzählt er Leila. Dort trifft er auf einen Kriegsveteranen (Richard Boes), der glaubt, Vietnam sei noch nicht zu Ende. Symbolisch und in der Phantasie steht dieser Ort für Allies Kindheit, für den Krieg in der Familie, der den Vater verschwinden liess und die Mutter auch – im Irrenhaus. Dort besucht er sie, ohne sie wirklich zu erreichen. Der Krieg im Kopf scheint allgegenwärtig – nicht nur bei seiner Mutter, die mit Irrsinn auf das Erlebte reagiert, sondern auch bei einer jungen Lateinamerikanerin (María Duval), die er kurz darauf auf der Treppe eines herunter gekommenen Hauses trifft, im Unterrock, den Mund mit Lippenstift verschmiert, eine Frau, die ihn wegjagt, ihn fort schreit.

Dieses „Irresein“ durchzieht auch das Verhalten der weiteren Personen, die er trifft, etwa den Mann im Kino (Frankie Faison), der vom Zusammenhang des Doppler-Effekts mit Charlie Parkers Biografie phantasiert.

Jarmuschs Blick auf die Stadt aller Städte, auf die Metropole, ist – wie auch später z.B. in „Mystery Train“ bezüglich Memphis – ein messerscharfer Blick, ein sezierender, scharfer Schuss, der durch die Ausschnitt-Haftigkeit, der durch sein Weglassen dessen, was man sich von New York vorstellt, umso tiefere Einblicke gewährt. Allie nimmt in seiner begrenzten Sicht das Anonyme, das Flüchtige, das ihm Fremde – und im eigentlichen Sinne ist ihm paradoxer Weise alles so fremd, wie es ihm vertraut ist – in einer Weise wahr, die sein Weiterziehen, die Fortsetzung seiner Reise nur konsequent erscheinen lässt. Wenn ihm auf einer seiner Stationen die Popcornverkäuferin (Lisa Rosen) an der Kinokasse von einem Film erzählt, in dem Eskimos verkünden, ein neugeborener Junge würde warme gehalten und beschützt, während einem neugeborenen Mädchen Schnee in den Mund gesteckt würde, um es zu ersticken, dann klingt dies so beiläufig, so unwichtig, so unbedeutend wie alles Alltägliche, was ansonsten zu passieren scheint. Allie zieht weiter. Es gibt nichts Neues für ihn, sondern immer nur die Wiederholung des schon Bekannten.

„Someday I'll wish upon a star,
wake up where the clouds are far behind me
Where trouble melts like lemon drops
High above the chimney tops is where you'll find me
Somewhere over the rainbow way up high
And the dreams that you dare to, why, oh why can't.“ (1)

Schliesslich klaut er einer Frau (Suzanne Fletcher) ein Auto, verkauft es für 800 Dollar an einen Schieber (Eric Mitchell), um mit dem Geld ein Ticket für eine Seereise nach Paris zu kaufen. Im Hafen trifft Allie auf einen Seelenverwandten, einen Franzosen (Chris Hameon), der gerade in New York angekommen ist, geflohen aus Paris, um hier, wie er sagt, „sein Babylon“ zu finden.

Begriffe wie Verlorensein, Einsamkeit, Aussenseiter können die Atmosphäre von Jarmuschs Filmen kaum annähernd umschreiben. Allie ist nicht wirklich verloren, nicht tatsächlich einsam und auch kein Aussenseiter. Er ist eher so etwas wie ein stiller Rebell, einer, der sich den Funktionsprinzipien der Moderne nicht unterwerfen kann und will, aber nicht durch eine offene oder gar gewaltsame Rebellion, sondern eher durch eine Art innere Emigration. Es gibt für ihn eigentlich nichts wirklich Fremdes, weil es für ihn (noch?) nichts wirklich Eigenes gibt.

Man könnte sagen, dass ihm die Funktionsprinzipien der Moderne fremd sind. Trotzdem kann er sich ihnen nur schwer entziehen, so dass er gezwungen ist, ständig zu reisen. Aber Allie ist kein Reisender, der irgendwo ankommt oder gar dort bleibt, wo er ist, kein Tourist, der sich an dem Fremden eines neuen Ortes ergötzt. Die Orte, die er aufsucht, sind sich – zumindest seinem Gefühl nach – immer gleich. Er lernt Menschen und Räume kennen, deren Neuartigkeit sich schnell in Bekanntes verwandelt. Seine permanente Reise ist eine Suche nach dem Individuellen, dem wahrhaft Eigenen, das er in anderen nicht finden kann.

Selbst im Spiel des Saxophonisten (John Lurie), der „Somewhere over the rainbow“ verjazzt spielt, erkennt Allie nur allzu Bekanntes. Seine Rebellion gegen das Homogenisierte, das Vereinheitlichende, die Glättung der Unterschiede, das Unsichtbarmachen des Individuellen, des Eigenen, des Eigensinns ist daher in ihrer Konsequenz und auch in ihrer individuellen Radikalität sowohl nachzuvollziehen, als auch in dieser ihrer Radikalität in gewisser Weise riskant, weil sie, wie Allie selbst am Schluss sagt, als er das Schiff nach Paris betritt, dazu führt, dass für ihn jegliche Art von Bindung – nicht nur an eine Frau wie Leila, sondern überhaupt zu Menschen – unmöglich erscheint. Mit diesen Worten geht Allie an die Reling des Schiffes und schaut über das Wasser auf die Skyline von New York, die irgendwann in der Weite des Ozeans verschwinden wird.

„Permanent Vacation“ deutet – im Rückblick betrachtet – auf alle anderen Filme Jarmuschs, wobei schon in diesem ersten Film, den der Regisseur kurz nach Absolvierung seiner Ausbildung drehte, paradoxer Weise deutlich wird, wie wenig pessimistisch Jarmuschs Filme dennoch sind. Schon in diesem Film schwingt immer eine dem Regisseur eigene Form subtiler, fast schon „vorsichtiger“, „bedächtiger“ Komik mit, die sich kaum in äusserlichen Gesten manifestiert, sondern durch die Gesamtkomposition jeder Szene – und auch hier schon wirken die einzelnen Szenen wie in sich abgeschlossene Stücke und zugleich als Teil eines Gesamtkunstwerks – wirkt.

„Permanent Vacation“ sei nicht Jarmuschs bester Film, wird geschrieben. Aber das ist eine schwierig zu entscheidende Frage. Ich mag diesen Film, ja, ich liebe ihn. Er ist Teil des Gesamtkunstwerks eines Regisseurs, der selbst in seiner Radikalität und Hollywoodferne, in der Liebe zu seinen Figuren, über die Jahre hinweg sich treu geblieben ist – und vielleicht ist dieser Film, das was er bedeutet oder bedeuten kann, auch ein Teil meiner selbst. -

Darsteller: Masatoshi Nagase, Youki Kudoh, Screamin' Jay Hawkins

Ulrich Behrens

(1) „Somewhere over the rainbow“ (Musik: Harold Arlen, Text: E.Y. Harburg)

Mystery Traint

USA

1980

-

75 min.

Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch

Darsteller: Masatoshi Nagase, Youki Kudoh, Screamin' Jay Hawkins

Produktion: Jim Jarmusch

Musik: John Lurie, Jim Jarmusch

Kamera: Tom DiCillo, James A. Lebovitz

Schnitt: Jim Jarmusch