No Direction Home: Bob Dylan „How does it feel ...”

Kultur

Hibbing, Minnesota, 1950. Ein durch den Bergbau verwüstetes Land. Alle arbeiten hier im Bergbau. Und Robert Zimmerman wächst hier auf. Sein Vater hat später ein Elektrogeschäft.

Bob Dylan an der St. Lawrence University in New York am 26. November 1963.
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Bob Dylan an der St. Lawrence University in New York am 26. November 1963. Foto: Unknown author (CC-BY 2.0 cropped)

7. Dezember 2022
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„How does it feel
How does it feel
To be without a home
Like a complete unknown
Like a rolling stone?“ (1)

Bob hat das Glück, in einem Radio mit Plattenspieler aus Mahagoni die Musik der Jahre hören zu können: Hank Williams und Johnny Ray, Muddy Waters und andere Folksänger der Zeit. James Dean und Marlon Brando seien es gewesen, die diese Vergangenheit in ihm auslöschten, die ihn zwar nicht vergessen liessen, wo er herkam, ihn habe aber daraus heraus wachsen lassen.

Schnitt. Newcastle 1966. Bob Dylan (*1941 in Duluth, Minnesota) wird ausgepfiffen. Viele aus dem Publikum werfen ihm vor, sich dem Massengeschmack angepasst zu haben. Dylan tritt mit Band und Elektrogitarre auf. Ein Frevel?

Schnitt. 1959. Bob Dylan ist an der University of Minnesota eingeschrieben. Doch er hat keine Zeit zum Studieren. Er muss spielen. Auf seiner Gitarre spielt er andere nach. John Jacob Nils fasziniert ihn, und Odetta. Robert Zimmerman nennt sich irgendwann Bob Dylan, nach dem Schriftsteller Dylan Thomas.

„Frömmigkeit singt,
Unschuld versüsst
meinen letzten schwarzen Atem.
Bescheidenheit verbirgt
meine Schenkel unter
ihren Flügeln,
und all die tödlichen Tugenden
plagen meinen Tod.”
(Dylan Thomas, zitiert im Film von Liam Clancy, einem Weggefährten Dylans)

Bob will spielen. Nichts weiter. Er hört Woody Guthrie, einen Radikalen, in der Musik wie im Leben. Guthrie fasziniert ihn, er spielt seine Lieder nach, er besucht ihn im Krankenhaus. Dann trifft er Joan Baez, und Dylan sagt heute, sie habe sein Leben verändert, ihn die Welt mit anderen Augen sehen lassen.

Martin Scorsese zeigt über mehr als drei Stunden: Bob Dylan. Er präsentiert eine Collage aus Interviews mit Zeitzeugen, Menschen, die Dylan begleitet haben, die ihn kennen, soweit man jemanden kennen kann, die mit ihm spielten. Dazu gehören Joan Baez, Alan Ginsberg, Pete Seeger, Liam Clancy, Maria Muldaur, Mavis Staples und viele andere. Scorsese zeigt Dylan heute. Und er zeigt zeitgenössische Ausschnitte aus Konzerten, Szenen vor oder nach Konzerten, Wochenschau- und Fernsehausschnitte, Dokumentaraufnahmen. Diese Collage vermittelt uns Bob Dylan – aber auch nicht. Wie das?

„Once upon a time you dressed so fine
You threw the bums a dime in your prime, didn't you?
Peopled call, say, beware doll, youre bound to fall
You thought they were all kiddin' you
You used to laugh about
Everybody that was hangin' out
Now you don't talk so loud
Now you don't seem so proud
About having to be scrounging for your next meal.“ (1)

Dylan ist eine Art Einzelgänger, einer, der seinen Weg ging, ohne sich um Publikumsgeschmäcker, Anforderungen anderer oder Zeitgeschichtliches zu kümmern. Mit seiner ihm eigenen fast jaulenden Stimme, die manchmal klingt, als wolle sie sich überschlagen, die der ihn begleitenden Musik oft ein bisschen voraus zu sein scheint, fordernd, aber auch introvertiert, poetisch bis in die letzten Verästelungen, manchmal einem Sprechgesang ähnlich –, mit dieser unverkennbaren Stimme geht ein vom Publikum und den Medien als Held gefeierter Folksänger seinen sehr eigenen Weg. Er hat schnell Fans, viele Fans, die einerseits seine Poesie lieben, andererseits ihn als Nachfahre der grossen Folksänger sehen oder ihn für die Ende der 50er beginnende politische Bewegung gegen Rassendiskriminierung, atomare Bewaffnung gewinnen wollen. Dylans Anziehungskraft hat aber nicht nur mit seinen poetischen Liedern zu tun; es ist auch seine Stimme, in der sich das Innere so glaubhaft nach aussen kehrt, dass er tatsächlich die Gefühle einer ganzen Generation ansprechen kann. Er wollte das nicht, sagt er, aber es kam so.

Er trifft in New York in Greenwich Village auf die Anfänge der Protestbewegung der frühen 60er Jahre, in den Clubs, in denen gesungen wird, in denen Dichterlesungen stattfinden, in denen sich Trotzkisten und Stalinisten streiten, in denen andere irische Rebellenlieder vortragen, und in denen sich die Gegner der atomaren Bewaffnung sammeln. Hier tritt auch er auf, kehrt nach einigen Monaten wieder zurück nach Minneapolis, dann wieder nach New York. Er schreibt für Woodie Guthrie und andere Folksänger einen Song „für die Herzen der Männer, die mit dem Staub kommen und vom Winde verweht werden”.

Und er komponiert die ersten bekannt werdenden Lieder „Blowin' In The Wind” und „Hard Rain”. Es ist die Zeit der Kuba-Krise, Kennedys und des atomaren Wettstreits der „Supermächte”. Die Zeit, in der sich – bis zum Eintritt der USA in den Vietnam-Krieg – eine landesweite Protestbewegung bildet, zu der auch viele namhafte Künstler gehören, wie eben Joan Baez, mit der Dylan immer wieder auftritt, Peter Seeger, der wohl auch ausserhalb der USA neben Joan Baez bekannteste politische Sänger, Peter, Paul & Mary. „Black Rain” wird vom Publikum verstanden als Protest gegen Atombewaffnung. Dylan selbst hatte das schon damals (wenn auch leise) dementiert. Ein Missverständnis? Eher ein zufälliges Zusammentreffen verschiedener Befindlichkeiten. Nein, Dylan war nie ein politischer Mensch. Einmal sagt er dies deutlich. Dylan ist einfach Dylan.

Schon hier, in der Anfangsphase der Protestbewegung wird also deutlich, dass Bob Dylan kein politischer Protestsänger ist, keiner, der sich – von wem auch immer – vereinnahmen lässt. Seine Lieder, aus dem eigenen Inneren gewonnen, allerdings passen in die Zeit. Und Dylan wird bejubelt, als eine Speerspitze der Protestbewegung gefeiert. Er wird zum Teil dieser Bewegung, ohne dass er das gewollt hätte, sich darum bemüht hätte. The voice of a generation and the spirit of time – irgendwie ist er es trotzdem. Auch 1966, beim Marsch nach Washington, wo Martin Luther King eine seiner berühmt gewordenen Reden hält, spielt Dylan. Und als er kurze Zeit danach einen Preis der Bürgerrechtsbewegung erhält, kommt es fast zu einem Eklat, weil er sich bedankt und sagt, er sei kein politischer Mensch und kein Sprachrohr der Linken.

„Princess on the steeple and all the pretty people
They're drinkin, thinkin' that they got it made
Exchanging all kinds of precious gifts and things
But youd better lift your diamond ring, youd better pawn it babe
You used to be so amused
At napoleon in rags and the language that he used
Go to him now, he calls you, you cant refuse
When you got nothing, you got nothing to lose
Youre invisible now, you got no secrets to conceal.“ (1)

Genau hier liegt die Stärke von Scorseses Film. Er führt sein Publikum durch ein Labyrinth von gesellschaftlichen Entwicklungen, Protestbewegung, aussenpolitischen Ereignissen (Ermordung Kennedys, Kampf gegen Rassismus und Vietnamkrieg usw.), Personen, die hier wichtig waren, und zeigt darin: Bob Dylan – als einen, der sich nicht und nie vereinnahmen lässt, weder musikalisch, noch politisch. Irgendwann hat er es satt, Fragen zu beantworten, die nur darauf hinauslaufen, ihn in eine Schublade zu packen. Zwei Pressekonferenzen zeigen dies deutlich. Die einen greifen ihn an, weil er nicht mehr nur Akustikgitarre spielt, sondern mit Band und Elektrogitarre auftritt, „unpolitische” Lieder vorträgt (wie „It's All Over Now, Baby Blue” oder „Mr. Tambourine Man”). Er habe die „Reinheit” der Folkmusik verraten. Die anderen attackieren ihn, weil er sich nicht zum Aushängeschild „der Bewegung” machen lässt.

Als Dylan 1966 bei einem Motorradunfall fast tödlich verunglückt, schreibt er zwar weiter Lieder. Aber er geht acht Jahre lang auf keine Tournee mehr.

Scorsese zeigt einen Heimatlosen, der seine Vergangenheit, seine Herkunft scheinbar hinter sich gelassen hat, aber immer auf der Suche ist, der schreibt, um weiter zu kommen, der nie still irgendwo herum sitzt, sondern immer auf Achse ist, der kaum jemand an sich heranlässt. Joan Baez sagt an einer Stelle des Films, sie habe immer versucht, Dylan zu verstehen, es aber irgendwann aufgegeben. Dylan geht seinen Weg ohne Rücksicht auf Publikum oder Freunde, Bekannte oder „gute Ratgeber”. Er war, ist und bleibt – wie das Interview insgesamt zeigt – ein Einzelgänger. Er muss aus diesen Gründen viel ertragen: Pfiffe des Publikums, Leute, die sich von ihm abwenden. Und trotzdem geht er weiter. Und paradoxerweise repräsentiert Dylan aus den gleichen Gründen jenen Prototyp des heimatlosen Amerikaners mehr als alle anderen, die im Film auftauchen, deutlicher als jeder politische Sänger wie Seeger oder Baez. In seiner Mentalität, seinem Charakter, seiner Ruhe, seiner Poesie, seinem Auftreten drückt sich nicht jene offen zur Schau getragene Rebellion aus, die die 60er und 70er Jahre kennzeichnete, sondern jene innere Rebellion, jene innere Stimmung, die damals Millionen Amerikaner ebenso kennzeichnete.

Der „einsame Wolf” Dylan ist das Gegenstück zu denen, die ihn begleiteten. Und doch treffen sich beide am „anderen Ende” wieder. Wenn man hört, wie Pete Seeger heute über Dylan spricht, spürt man dies deutlich. Umso mehr repräsentiert er also auch jene, die auf die Strasse gingen, die protestierten, die kämpften, nicht weil er so war oder ist wie sie, sondern weil er gerade anders war.

Auf einer der Pressekonferenzen aus den 60er Jahren wird er nach der Botschaft seiner Lieder gefragt. Er kann mit diesem Wort nichts anfangen. Er hat keine Botschaft, aber er vermittelt ein Gefühl, das andere auch spüren, nur anders artikulieren oder nicht artikulieren können. Dylan, könnte man sagen, ist – im positiven Sinne – der erste wirkliche Individualist der Pop-Bewegung. Und nichts könnte das besser zeigen als sein wohl berühmtester Song „Like a Rolling Stone”.

Ulrich Behrens

No Direction Home – Bob Dylan

USA

2005

-

205 min.

Regie: Martin Scorsese

Darsteller: Bob Dylan, Pete Seeger, Dave Van Ronk

Produktion: Martin Scorsese

Kamera: Mustapha Barat

Schnitt: David Tedeschi