Night Moves Amibvalente Welt der Umweltaktivisten

Kultur

Wie weit dürfen wir gehen, um ein berechtigtes Ideal zu verfolgen? Diese Grundfrage durchzieht Kelly Reichardts sprödes und doch faszinierendes Porträt dreier Öko-Terroristen.

Jesse Eisenberg bei der Vorstellung des Films im September 2013 beim Toronto International Film Festival.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Jesse Eisenberg bei der Vorstellung des Films im September 2013 beim Toronto International Film Festival. Foto: Tabercil (CC BY-SA 2.0 cropped)

21. Dezember 2019
2
0
4 min.
Drucken
Korrektur
Die üblichen Elemente eines Thrillers fehlen hier grösstenteils, stattdessen konzentriert sich das moralisch ambivalente, atmosphärisch starke „Night Moves“ auf die Motive und die Dynamik innerhalb des Trios.

Der Umwelt haben die drei Aktivisten Josh (Jessie Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) ihr Leben verschrieben, verachten all die, die aus persönlicher Profitgier Raubbau an der Erde betreiben. Um ein Zeichen zu setzen und die Menschen aufzurütteln, beschliesst das Trio einen ökologisch fragwürdigen Staudamm in die Luft zu sprengen. Doch als bei diesem Vorhaben etwas schiefgeht, müssen sie sich plötzlich mit ihren Idealen auseinandersetzen und einen Weg finden, wieder ein normales Leben führen zu können.

Geduld, Geduld und nochmals Geduld – wer nicht zu allem drei aus tiefster Überzeugung „Ja“ sagt, der braucht mit Night Moves erst gar nicht anzufangen. Auch wenn die offizielle Inhaltsangabe des Films es suggeriert, steht die Sprengung des Staudamms nicht am Anfang. Rund eine dreiviertel Stunde muss der Zuschauer ausharren, bevor wir zum eigentlichen Wendepunkt kommen. Und sonderlich lang dauert diese Sequenz auch nicht, gerade einmal einige Minuten ist sie lang.

Wer mit der Erwartung an den Film herangeht, einen ähnlich gewaltigen Öko-Thriller wie The East zu sehen, der darf hier daher sehr lange warten. Action, Verfolgungsjagden, nervenaufreibende Ermittlungen durch die Behörden, Rettungen in letzter Sekunde, Schusswechsel, auf keines der genretypischen Elemente wird zurückgegriffen. Zwischenzeitlich werden solche vielleicht angedeutet, wenn in Grossaufnahmen auf bestimmte Details aufmerksam gemacht wird, bei denen versierte Zuschauer gleich Schlüsselmomente vermuten, konsequent verfolgt wird keines dieser Themen.

Doch um einen herkömmlichen Thriller ging es der Regisseurin und Ko-Autorin Kelly Reichardt auch gar nicht. Stattdessen ist ihr fünfter Film eher ein Psychogramm, das die Motive seiner Protagonisten hinterfragt und der Dynamik zwischen den dreien viel Raum zur Entfaltung lässt. Schon lange vor dem eigentlichen Anschlag mehren sich die Zeichen, dass die Gruppe vielleicht das gemeinsame Ziel eint, aber eben nicht viel mehr als das. Spannungen sind an der Tagesordnung, das Misstrauen untereinander ist gross, die Unterschiede in den Persönlichkeiten ebenfalls. Während Harmon keine Gelegenheit auslässt, seine Souveränität zu beweisen und Dena mit leidenschaftlichem Idealismus an die Arbeit geht, bleibt die Hauptfigur Josh ausser Reichweite. Von Natur aus eher einzelgängerisch veranlagt, sucht er zwischenzeitlich zwar die Nähe zu anderen, kann gleichzeitig aber auch nicht wirklich mit ihr umgehen; sein Leben ist eines aus der Distanz.

Und eben diese hält auch Reichardt ein. Nur selten von Musik begleitet nimmt sie uns mit auf eine Reise in die trostlose, moralisch amibvalente Welt der Umweltaktivisten, in der es oft Nacht ist, die Natur spärlich, nicht einmal das Bio-Gemüse von Josh scheint noch eine Farbe zu haben. In vielen gespenstisch schönen Bildern zeichnet die Amerikanerin so das faszinierende Porträt dreier Menschen, die mit ihren Idealen allein gelassen wurden. Sind diese gerechtfertigt? Das wohl schon, keiner der drei Protagonisten wird für seine Überzeugungen verurteilt.

Die spannende Frage, die sich darauf anschliesst, ist die nach den Grenzen. Wann wird aus Idealismus ein Fanatismus? Aus einem gerechten Kampf ein ungerechter? Eine Antwort gibt Night Moves nicht, endet so plötzlich wie er angefangen hat, überlässt uns die Aufgabe, unsere Schlüsse daraus zu ziehen. Zusammen mit der dichten, zunehmend angespannten Atmosphäre des Films bildet sich so – sofern man sich auf die langsame Erzählweise und die spärliche Handlung einlässt – ein unbequemes Werk heraus, dessen Nachwirkungen auch lange nach dem Abspann noch zu spüren sind.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Night Moves

USA

2013

-

113 min.

Regie: Kelly Reichardt

Drehbuch: Kelly Reichardt, Jonathan Raymond

Darsteller: Jesse Eisenberg, Dakota Fanning, Peter Saarsgard

Produktion: Saemi Kim, Neil Kopp, Chris Maybach, Anish Savjani, Rodrigo Teixeira

Musik: Jeff Grace

Kamera: Christopher Blauvelt

Schnitt: Kelly Reichardt

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.