New Order – Die neue Weltordnung Eine Vision von Morgen

Kultur

„New Order – Die neue Weltordnung“ ist eine drastische Dystopie über die Eskalation der sozialen Ungleichheit. Michel Franco zeigt eine aufrüttelnde Vision der Welt von Morgen, die in ihrer Konsequenz durchaus mutig ist, aber in der Gestaltung der Figuren es sich zu leicht macht.

Der mexikanische Regisseur Michel Franco bei nem Interview im Mai 2017.
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Der mexikanische Regisseur Michel Franco bei nem Interview im Mai 2017. Foto: NotimexTV (CC-BY 3.0 unported - cropped)

24. März 2023
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Schon immer war das Gefälle zwischen Arm und Reich in Mexiko, wie auch in vielen anderen Ländern der Welt, eklatant. Aber nun ist die Kluft so wie nie zuvor, sodass sich der wohlhabende Teil der Bevölkerung in abgetrennten Vierteln der Stadt verbarrikadiert hat und vor dort das politische, soziale und wirtschaftliche Geschehen des Landes lenkt. So auch die Familie von Marianne (Naian Gonzalez Norvind), die aber am Tag ihrer Hochzeit nichts von dem Elend und der Armut wissen will, und sich stattdessen auf die Organisation der Feier konzentriert, zu der die ganze High Society der Stadt eingeladen ist. Während sie und ihre Familie über die Sitzordnung debattieren, über das Essen und das überraschende Erscheinen eines einstigen Bediensteten, der um ein wenig Geld bittet, weil seine Frau auf eine dringende Transplantation im Krankenhaus hofft, geschehen in der Stadt wie auch im ganzen Land besorgniserregende Dinge. Maskiert und mit der Farbe Grün als Erkennungsmerkmal ausgerüstet versammeln sich tausende Menschen in den Strassen, nicht um zu protestieren, sondern um dem System endgültig zu zeigen, dass sie sich die derzeitigen Zustände, die Korruption und die Ungleichheit, nicht mehr bieten lassen wollen.

Als Marianne die Entscheidung ihrer Eltern umgeht und mit dem ehemaligen Gärtner der Familie zu dessen Haus in der Stadt fährt, bekommt auch ihre Familie einen ersten Vorgeschmack auf die Gewalt, die bald das ganze Land beherrschen wird. Eine Gruppe Aufständischer überfällt die Hochzeitsgesellschaft, zerstört das Haus und exekutiert einige der Gäste. In der Stadt sitzt Marianne nun in der Falle, denn ihre Herkunft, ihr Aussahen und ihre Kleidung verraten sie, sodass auch sie den Aufständischen in die Hände fällt, was erst der Anfang eines grausamen Martyriums ist, das die junge Frau durchleiden muss. Noch während die überlebenden Mitglieder ihrer Familie sich in Sicherheit begeben, geht für die Behörden die Ermittlung hinter den Anschlägen los sowie das Verfahren, mit den Aufständischen zu verhandeln.

Momente der Eskalation Für Regisseur Michel Franco ist die soziale Frage in seiner Heimat Mexiko wie auch in vielen anderen Teilen der Welt mit einem Gefühl der Ohnmacht und der Wut verknüpft. In New Order – Die neue Weltordnung, dessen Idee bereits vor sieben Jahren entstand, entwirft Franco deshalb ein Bild einer möglichen Zukunft, genauer gesagt einer Dystopie, die in vielerlei Hinsicht schon heute erreicht ist. Für seine konsequente und brutale Vision musste Franco sehr viel Kritik einstecken, die New Order und seine Behandlung der Thematik sozialer Ungleichheit als problematisch oder gar rassistisch ansahen, was sogar so weit ging, dass sich der Regisseur in sozialen Medien entschuldigen musste.

Die Kritik an einem Film wie New Order mag begründet sein in der Art und Weise, wie Franco seine Themen angeht, die wesentlich direkter als beispielsweise Bong Joon-hos Ansatz in Parasite ist. Gemeinsam ist beiden Filmen jener Zustand der Wut und der Hilflosigkeit, aus welcher sich eine Form des Widerstandes ergibt, die sich im Falle von New Order entlädt, zunächst als Protest und dann als gewaltsame Rebellion, die an zeitgenössische Schilderungen der Stürmung der Reichenviertel in Paris zur Zeit der Französischen Revolution erinnert. Francos Weg ist die Eskalation, welche sich in Szenen ausserordentlicher und schwer erträglicher Gewalt, sowohl psychologischer wie auch körperlicher mündet, welche sich letztlich gegen alle richten, die es wagen aufzubegehren. Eine Vision von Morgen Das Wesen einer Dystopie ist die Eskalation und die Betrachtung eines Zustands, welcher in sein Extrem hervorgehoben wird. In Francos Film sind dies nicht die gesellschaftlichen Unterschiede oder die Gewalt, welche leider zum Alltag in vielen Ländern wie Mexiko geworden sind, sondern vielmehr der Umgang der herrschenden Klasse mit diesem Aufstand. Waren Brutalität, Unterdrückung und Korruption noch Charaktermerkmale der herrschenden Schicht, finden diese sich in der neuen Ordnung schnell wieder, richtet sich diese doch an eben jene, die schon vorher nichts hatten und die keine Möglichkeit der Flucht hatten, während im Hintergrund die Männer und Frauen der Macht ihre Rückkehr planen, welche gewiss mit einer ebenso rigorosen Mentalität jegliche Opposition niedermähen wird.

Mit einem fast schon dokumentarischen Stil, der immer nah an den Charakteren ist, verfolgt Kamerafrau Yves Cape diesen Zustand der Eskalation und die Spirale der Gewalt, welche losgetreten wurde. Dass sich Franco bei seiner Herangehensweise den Vorwurf des Zynismus und der Einseitigkeit gefallen lassen muss, mag durchaus berechtigt sein, liegt aber eher in der Natur der Sache und weniger an anderen Beweggründen. Lediglich die Plakativität seines Vorgehens, sowohl visuell wie auch erzählerisch, bleibt bestehen, verheddert sich das Drehbuch doch in einer reichlich unterkomplexen Psychologisierung seiner Figuren.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

New Order – Die neue Weltordnung

Mexiko

2020

-

86 min.

Regie: Michel Franco

Drehbuch: Michel Franco

Darsteller: Naian Gonzalez Norvind, Diego Boneta, Mónica Del Carmen

Produktion: Michel Franco, Eréndira Núñez Larios, Cristina Velasco

Kamera: Yves Cape

Schnitt: Óscar Figueroa, Michel Franco