Rezension zum Film von Federico Fellini La Strada – Das Lied der Strasse

Kultur

Schon in diesem Film, in dem Fellinis Frau Giulietta Masina die weibliche Hauptrolle spielt, kündigt sich Fellinis Liebe für die Darstellung des Lebens und der inneren Zustände von Menschen als Absurdität an.

Federico Fellini, 1965.
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Federico Fellini, 1965. Foto: Walter Albertin (PD)

2. August 2018
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6 min.
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In „La Strada“ spürt man noch Reste des Neorealismus, die aber bereits verfremdet erscheinen, sowohl was Figuren, als auch was den Ort der Handlung anbetrifft. Es ist die Welt der Gaukler, des fahrenden Volkes, der Clowns und Artisten, aber auch anderer, hoffnungsloser Menschen, die in „La Strada“ Schauplatz einer Geschichte ist, von der Fellini selbst sagte, sie sei entstanden „aus der Vorstellung von einem Mann und einer Frau, die äusserlich zusammenleben, aber in ihrem Innern durch astronomische Weiten voneinander getrennt sind“. „La Strada“ sei sein persönlichstes Werk, „gerade ein Stück meiner selbst“.

Das Meer ist Anfang und Ende der Strasse. Dort kauft der ruppige, emotional gepanzerte Gaukler Zampanó (Anthony Quinn) von einer armen Frau für 10.000 Lire deren Tochter Gelsomina (Giulietta Masina), die für ihn arbeiten soll. Sie soll für ihn trommeln, wenn er vor Publikum die um seine Brust gelegten Ketten zerbrechen lässt, als Clown auftreten und ihm auch ansonsten zur Hand gehen. Gelsomina spielt aber nicht nur den Clown. Mit ihrem „Rettichkopf“ und ihren grossen Augen wandert sie als Clown durch die Welt – liebenswürdig und verletzlich, freundlich und nach Zuneigung dürstend glaubt sie, in Zampanó einen Freund, vielleicht einen Mann gefunden zu haben. Aber Zampanó interessiert Gelsomina nicht als Frau. Der Gaukler ist wüst, trinkt über die Massen und an jedem Ort, an dem die beiden mit seinem von einem Motorrad gelenkten Wagen auftauchen, jagt er Frauen hinterher.

Gelsomina ist tief enttäuscht, und als sie in einer Stadt nach einer Prozession den Seiltänzer Il Matto (Richard Baseheart) sieht, glaubt sie, ein bisschen Glück gefunden zu haben. Zampanó tritt eine Zeitlang im selben Zirkus von Il Signor Giraffa (Aldo Silvani) auf wie Il Matto, ein sarkastischer Zeitgenosse, der Zampanó vor dem Publikum und auch sonst verspottet. Am liebsten würde Gelsomina bei Il Matto bleiben. Doch der geht weg und schenkt ihr zum Abschied eine Kette.

Gelsomina lernt, Trompete zu spielen, versucht, Zampanós Herz zu gewinnen, wird von ihm aber immer wieder zurückgewiesen. Als beide eines Tages wieder auf Il Matto treffen, kommt es zum Streit zwischen beiden und Zampanó erschlägt Il Matto. Gelsomina ist verzweifelt, nichts ist für sie mehr so wie vor der Tat. In diesem Zustand lässt Zampanó Gelsomina zurück.

Jahre Später erfährt er von einer Frau, die das Lied singt, das Gelsomina immer auf der Trompete gespielt hatte, dass sie tot ist ...

Die Linke in Italien warf Fellini angesichts von „La Strada“ vor, den „gemeinsamen Kampf“ wie den Neorealismus des italienischen Films verraten zu haben. Aber Fellini drückte mit „La Strada“ eigentlich nur aus, dass er sich in die Konfrontation zwischen der Linken und dem katholischen Lager von keiner Seite vereinnahmen lassen wollte. „La Strada“ zeigt Menschen ohne Perspektive und einen Regisseur, der sich eine selbständige Sicht der Welt erhalten hat. Fellini zeigt Prozessionen, ein Kloster, Nonnen, aber diese inszenierte Sicherheit einer schon fast obsolet gewordenen Heilsideologie berührt die Figuren in diesem Spiel kaum. Man übernachtet bei den Nonnen, fragt freundlich danach, aber die emotionalen Konflikte von Gelsomina und Zampanó stehen fast völlig unvermittelt neben diesem Geschehen.

Als Gelsomina Il Matto hoch oben zwischen zwei Häusern auf dem Seil sieht, ist alles andere egal. Das Marienbild der Prozession steht abseits von ihr, fast leblos. Für sie und Zampanó ist das Leben – wenn auch auf unterschiedliche Weise – ein Prozess voller Trennungen und Abschiede. Es beginnt am Meer und endet am Meer. Rom, alle anderen Orte, die sie entlang fahren, kommen nur am Rande vor. Entscheidend für beide sind das Weiterfahren und das Abschiednehmen, das Schmerzliche, das darin zum Vorschein kommt, für beide auf unterschiedliche Weise.

Gelsomina ist ein zerbrechlicher und fröhlicher Mensch, der Mensch als Clown, nicht als alberner Schalk, sondern ein Clown im Sinne von Lebenskraft und Urvertrauen, von der Einheit von Tragik und Komik. Sie sucht nach einem ebensolchen Menschen. Zampanó ist ein lebendiger Panzer, der, wenn es sein muss, aus allen Rohren schiesst, ein Rohling, der seine Gefühle in ein Gefängnis gesperrt hat. An ihm scheitert Gelsomina an dem Punkt, als Il Matto, dieser ganz andere, spottende, aber herzliche Mensch von Zampanó getötet wird. Mit seinem Tod stirbt in Gelsomina die Freude, die Hoffnung und letztlich das Leben. Zampanó löscht es aus, und als er Jahre später von Gelsominas Tod erfährt, weint er zum ersten Mal, unbewusst dessen, was er sich und anderen angetan hat. Am Meer liegt er im Sand, nachdem er seine Wut, die er nicht gegen sich selbst richten kann, in einer Kneipe an anderen ausgelassen hat.

Wenn Gelsomina die Seele, die Wärme, das Lebendige versinnbildlicht, so Zampanó das Körperliche, das Unförmige, Robuste, Äusserliche, an das Gelsomina nicht herankommt. „La Strada“ zeigt die Welt der Gaukler, aber auch eine Welt der Spelunken, der verfallenen Häuser, der armen Vorstädte, nur eben nicht im Korsett der marxistischen Ideologie oder der katholischen Doktrin. Fellinis Inszenierung deutet eher auf die Absurdität dieses Lebens, nicht auf ein mit viel Trara inszeniertes Programm der Veränderung, auf die Perspektivlosigkeit, der man kaum mit am „runden Tisch“ entstandenen Heilslehren beikommen kann. Die Strasse, die Wege, die Abzweigungen, die der Film zeigt, repräsentieren insofern auch die tendenzielle Ziellosigkeit und Zufälligkeit des Geschehens, des Lebens der Figuren.

Im nachhinein gesehen, ist „La Strada“ filmhistorisch und in bezug auf die (politischen) Auseinandersetzungen im Italien der 50er und 60er Jahre auch ein Abschied vom Prokrustesbett der Ideologien und des bisherigen Neorealismus, ohne diesen vollständig über Bord zu werfen. Die zunächst geäusserte Sympathie katholischer Kreise für „La Strada“ verwandelte sich schnell wieder in Distanz, als Fellini 1960 „Das süsse Leben“ inszenierte, einem Film, in dem er die Dekadenz von römischer Schickeria, Regenbogenpresse u.a. zeigt, eine Welt der Bedeutungslosigkeit, der Jagd nach Ekstasen, einer lieblosen Welt, in der sich Marcello Mastroianni als Klatschkolumnist mit anderen als Müssiggänger bewegt.

Die Dramatik in „La Strada“ wird übrigens durch die Musik Nino Rotas vehement unterstützt. Die Abschiedsszenen, die Trennungen erhalten hierdurch eine Ausdruckskraft, die durch noch so geschliffene Dialoge kaum zu erzielen wäre.

Ulrich Behrens

La Strada – Das Lied der Strasse

Italien

1954

-

104 min.

Regie: Federico Fellini

Drehbuch: Federico Fellini, Tullio Pinelli

Darsteller: Anthony Quinn, Giulietta Masina, Richard Basehart

Produktion: Dino De Laurentiis, Carlo Ponti

Musik: Nino Rota

Kamera: Otello Martelli

Schnitt: Leo Cattozzo