La mala educación – Schlechte Erziehung Über Leiden schaffende Leidenschaften

Kultur

„La mala educación – Schlechte Erziehung” ist einer jener typischen, wenn auch im Vergleich zu seinen früheren Werken etwas kühler wirkenden Filme, in denen Biografien als Kreislauf reproduziert werden.

Der mexikanische Schauspieler Gael García Bernal spielt in dem Film die Rolle von Ángel.
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Der mexikanische Schauspieler Gael García Bernal spielt in dem Film die Rolle von Ángel. Foto: gdcgraphics (CC-BY-SA 2.0 cropped)

30. September 2023
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Frauen scheint es in Almodóvars neuem Film nicht zu geben. Im Unterschied zu seinen bisherigen Filmen gibt es in „La mala educación” keine weibliche Hauptrolle. Anders ausgedrückt: das Weibliche fehlt in einem Film, der doch u.a. auch von Transsexuellen handelt. Gibt es Männliches in diesem Film? Offensichtlich ist nur, dass es Transsexuelle gibt und einen pädophilen Pater. Wie schon in seinen allerersten Filmen (etwa „Pepi, Luci, Bom und die anderen Mädchen vom Haufen”, 1980; „Labyrinth der Leidenschaften”, 1982; „Das Kloster zum heiligen Wahnsinn”, 1983 usw.) ist geschlechtliche Identität bei Almodóvar ein Fremdwort. Nicht nur das: Identität scheint für den spanischen Regisseur ein Fremdwort.

Die Biografien der Handelnden sind wie Puzzlespiele, kaum fassbar und – wenn überhaupt – erst am Schluss eines Films ein Ganzes. Doch auch dieses Ganze verbleibt in einem Bereich des Ungewissen, vor allem wenn man versuchen will, Schuld und Unschuld, Treue und Verrat, Ursache und Wirkung klar zu positionieren und an Personen festzumachen.

„La Mala educación” spielt auf mindestens drei Ebenen: Der Kindheit zweiter Klosterschüler, Ignacio und Enrique, in den 60er Jahren des Franco-Regimes, in den 80er Jahren und im Film des inzwischen zum Regisseur avancierten Enrique. Der Ausgangspunkt der Geschichte scheint anfangs ganz klar. In einer Klosterschule wird der junge Ignacio, der in seinen Mitschüler Enrique verliebt ist, von dem pädophilen Pater Manolo missbraucht. Als Manolo die beiden Jungen nachts auf der Toilette entdeckt und vermutet, sie hätten etwas miteinander, sorgt er dafür, dass Enrique der Schule verwiesen wird.

20 Jahre später taucht bei Enrique, der sich gerade in einer Schaffenskrise befindet, ein junger Mann mit Vollbart auf, der sich als Ignacio zu erkennen gibt. Er überreicht Enrique ein Manuskript mit dem Titel „Der Besuch”, in dem die Kindheit der beiden und eine fiktive Geschichte miteinander verknüpft sind. Enrique ist nach der Durchsicht des Manuskripts entschlossen, einen Film daraus zu machen. Ignacio besteht darauf, die Hauptrolle in diesem Film zu spielen, und ist bereit, alles dafür zu tun, auch mit Enrique zu schlafen.

In dem Manuskript erzählt Ignacio davon, wie er Pater Manolo als Transsexueller aufsuchte, um sich für den Missbrauch zu rächen, indem er eine Million Peseten dafür verlangte, dass er das Manuskript nicht an einen Verlag schickt.

Doch genauso trügerisch wie diese Geschichte erweisen sich im folgenden die Handlungen der Personen. Realität, Fiktion und Film vermischen sich derart, dass die Identität der Handelnden kaum fassbar wird. Almodóvar benutzt das Mittel „Film im Film” (nicht das erste Mal, siehe seinen Film „Das Gesetz der Begierde”, 1987), um den Zuschauer zunächst auf eine falsche Fährte zu locken, dann aber deutlich zu machen, dass diese falsche Fährte nur der äussere Schein einer Geschichte ist, in der Lüge, Verrat, Täuschung, Maskerade Ausdruck gebrochener Identitäten sind, von Menschen, die – hier stimmt dieses Klischee endlich einmal – nie zu sich selbst gefunden haben.

Im Zentrum aller Handelnden steht die Leidenschaft: die Leidenschaft Pater Manolos für Ignacio bzw. Knaben, die Leidenschaft des – falschen – Ignacio für eine Schauspielerkarriere, die Leidenschaft Enriques als Regisseur. Alle sind bereit, für ihre Leidenschaft alles zu tun. Ignacios Bruder Juan ist bereit, einen Mord zu begehen, um an sein Ziel zu gelangen. Pater Manolo, der das Kloster längst verlassen hat, ebenso, um Juans Leidenschaft zu gewinnen.

Auch wenn diese Leidenschaften, wie bei Pater Manolo, verbotene sind (Knabenliebe), so bleiben sie doch Leidenschaften, und Almodóvar zeigt auf eine teilweise groteske, teilweise fiktive Weise, wie sich Enrique, Juan, der drogenabhängige Ignacio, der Pater Manolo ohne Skrupel erpresst, um an Geld für seine Drogen zu kommen, wie sich alle drei in ihre Leidenschaft verstricken, ohne Rücksicht auf sich selbst und andere zu nehmen. Diese Leidenschaften sind nicht zu verwechseln mit bedingungsloser Liebe, von der in „La Mala educación” nur noch ein Schein existiert, eine Rauchwolke, die schnell wieder verfliegt. In Almodóvars preisgekröntem Film „Alles über meine Mutter” (1999) geht eine Frau nach dem Verlust ihres Sohnes zurück an den Ort ihrer Jugend und gewinnt nicht nur ein Kind wieder, sondern leistet in einem schmerzhaften Akt so etwas wie Wiedergutmachung. In „La Mala educación” ist Almodóvar weit von einer solchen Geschichte entfernt.

Die Personen werden durch eine ihnen eigene Begierde gesteuert, die sie weder kontrollieren wollen, noch können. „La Mala educación” ist kaum ein Film gegen die Kirche, wie viele annehmen. Denn obwohl der spanische Regisseur in seinen Filmen immer wieder die mit den Mächtigen Spaniens verwobene katholische Kirche im Visier hatte, spielt dieser Gesichtspunkt auch in „La Mala educación” eher eine untergeordnete Rolle. Almodóvar äusserte in einem Interview, dass ihm die Figur des Pater Manolo von allen am nächsten gestanden habe (1), weil Manolo seine gesamte (verbotene) Liebe diesem Kind gewidmet habe. Eine Aussage, die sicherlich heftigen Widerspruch hervorrufen wird. Allerdings wird dabei vergessen, welche Rolle Leidenschaft nicht nur in Almodóvars Filmen, sondern in einer Gesellschaft spielt, in der sie nicht selten „abgekoppelt” ist von dem Gegenüber, eine Art „verselbständigte” Existenz führt, so dass aus dem Subjekt der Leidenschaft ein Objekt der Begierde wird. Manche meinen, Liebe sei egoistisch. Bei Almodóvar ist Leidenschaft egozentrisch motiviert. Dass er dennoch eine – wenn auch distanzierte – Sympathie für seine Protagonisten empfindet, gründet letztlich in dem Mitgefühl für Menschen, die aus ihrer Haut nicht heraus können – also im Grunde für alle.

Auch „La Mala educación” ist einer jener typischen, wenn auch im Vergleich zu seinen früheren Werken etwas kühler wirkenden Filme, in denen Biografien als Kreislauf reproduziert werden, in dem es keinen Anfang und kein Ende zu geben scheint. Alles kehrt auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Stationen des Lebens der Personen wieder. Schwarzweissmalerei liegt diesen Filmen so fern wie eine eindeutige Zuordnung von Schuld und Unschuld, Opfer und Täter, Gut und Böse. Das mag manchem aufstossen, gerade bei einem Thema wie Missbrauch, aber Almodóvar zeichnet – übrigens auch in diesem neuen Film oft auf eine groteske, sogar humorvolle Art – seine Personen eben nicht als Helden oder Anti-Helden, Lebenskünstler oder Versager.

Die Maskerade, das Doppeldeutige, die verkitschte Selbstdarstellung seiner Figuren, die Verkleisterung der eigenen Vergangenheit und die Gewalt des Gegenwärtigen – zwei seiner Hauptfiguren kommen gewaltsam zu Tode – lässt „La Mala educación” als einen trügerischen film noir erscheinen, der in Wirklichkeit jedoch eher einem klassischen Melodrama nahe kommt als einem Film Jean-Luc Godards oder François Truffauts. Das Bunte, Schrille, Verkorkste, das Almodóvars erste Filme, die immer in einem Milieu der Transvestiten, der Drogenabhängigen, des „Underground” spielten, charakterisierte, wird in seinen letzten Filmen wieder aufgenommen. „La Mala educación” ist auch ein Film über Männer, die als Transsexuelle oder Pädophile erscheinen, nicht weil sie „eigentlich” Frauen wären, sondern im Gegenteil: weil ihnen das Weibliche in ihrem Charakter und in ihrem Leben fehlt.

Zu seinen früheren Werken äusserte der Regisseur einmal, es interessierten ihn Frauen, die weinen, vor allem warum sie weinen. Diese Filme gehen den Spuren dieser Frauen nach und stossen immer wieder auf das System des Machismo. In „La Mala educación” zeigt er uns Männer voller Leidenschaft, die ebenfalls Opfer und Täter im System dieses Machismo sind, in dem das Weibliche nie eine Chance hatte – es sei denn in der Rebellion. Nur aus diesem Gesichtspunkt erschliessen sich dann vielleicht auch der Filmtitel und die Folgen der frankistischen Gesellschaft.

Ulrich Behrens

Fussnoten:

(1) „Die Leute sehen den Film und wissen schon, was mit dem Titel gemeint ist. Ich glaube nicht, dass sich der Film gegen die Kirche wendet, eher im Gegenteil. Ich mag die Charaktere in dem Film, aber am meisten mag ich den Priester, weil er sein Leben einem Kind widmet, in das er über alle Massen verliebt ist“.

„Hätte ich wirklich Rache [an der katholischen Kirche, d. Verf.] nehmen wollen, hätte ich nicht vierzig Jahre damit gewartet! Dieser Film sollte nie ein Manifest gegen die Kirche werden. Die Rolle des katholischen Priesters fällt keineswegs düsterer aus als die der beiden anderen Figuren. Für mich ist es einfach ganz generell ein Film über Männer, die eine Entscheidung treffen müssen. Dieser Priester verliebt sich. Aber nur weil diese Liebe verboten ist, heisst das ja nicht, dass sie von minderer Qualität ist.”

La mala educación – Schlechte Erziehung

Spanien

2004

-

105 min.

Regie: Pedro Almodóvar

Drehbuch: Pedro Almodóvar

Darsteller: Gael García Bernal, Fele Martínez, Raúl García Forneiro

Produktion: Agustín Almodóvar

Musik: Alberto Iglesias

Kamera: José Luis Alcaine

Schnitt: José Salcedo