Blick hinter das Idyll der Eidgenossenschaft Rezension zum Film «Heimatland»
Kultur
Ein Land, zehn Filmemacher, viele Geschichten … ein Porträt? „Heimatland“ ist ein interessantes filmisches Experiment, welches eine Reihe von Jungregisseuren versammelt, um gemeinsam über das Ende der Schweiz zu sinnieren. Das ist trotz der sehr unterschiedlichen Episoden insgesamt erstaunlich homogen und atmosphärisch, auch wenn das Ende ein bisschen zu plump alles auf den Punkt bringen will.
Wenn unsere deutschsprachigen Nachbarn aus dem Süden ihre Filme in unsere Kinos schicken, dann waren es meistens die aus Österreich, welche ins Auge stachen – Werke von Michael Haneke (Liebe), Ulrich Seidl (Im Keller) oder dessen Ehefrau Veronika Franz (Ich seh, ich seh) sorgten selbst im Ausland für Furore. Im Vergleich dazu war die Schweizer Ausbeute eher gering. Dann und wann dürfen wir zwar auch die Eidgenossen bei uns begrüssen, beim empfehlenswerten Jugenddrama Chrieg zum Beispiel. Ausserhalb der Programmkinos brauchte man sie aber eher nicht zu erwarten.
Heimatland zeigt nun auf eine eindrucksvolle Weise, dass sich das ändern kann, vielleicht sogar ändern sollte. Nicht weniger als zehn Jungregisseure trafen hier zusammen, um eine Geschichte zu erzählen. Oder besser: mehrere Geschichten, die zu seiner grossen Geschichte zusammenwachsen. Vor dem Hintergrund der nahenden dunklen Wolke wird das Drama zu einer Mischung aus Katastrophenfilm und Gesellschaftsporträt. Wie Menschen sich angesichts eines Unglücks verhalten, darin zeigt sich auch, wer sie sind. Das Ergebnis sind aber nicht durchwegs grosse Geschichten: Da treffen Plünderungen und Barbarei auf Zynismus der Reichen, die sich mit Geld freikaufen möchten. Andere Episoden sind eher persönlicher, sogar leiser Natur, handeln von Erinnerungen und auseinanderbrechenden Partnerschaften.
Dass der Tonfall da nicht immer ganz zusammenpasst, ergibt sich quasi von selbst. Einen roten Faden braucht man ohnehin nicht zu erwarten: Trotz diverser Querverbindungen bleibt Heimatland ein eher diffuses Mosaikbild, bei dem nie ganz klar wird, ob es überhaupt ein Bild sein soll. Und doch ist es beeindruckend, wie homogen das Ganze ist, wie geschickt die einzelnen Stränge miteinander verwoben sind und zusammen mit den schicken, düsteren Aufnahmen eine unheilvolle, mysteriöse Atmosphäre erzeugen. Die Hintergründe der Wolke bleiben dabei übrigens im Unklaren, hier geht es weniger um die Situation als vielmehr die Personen darin.
Das funktioniert recht lange ziemlich gut, trotz eines nicht allzu ausgeprägten Spannungsaufbaus bleibt man doch gern dran und sieht den Menschen dabei zu, wie sie versuchen, ein Leben in der Ausnahmesituation zu führen. Etwas zwiespältig wird es jedoch zum Ende hin, wenn Heimatland zu einem Film über die Flüchtlingsproblematik wird. So interessant es auch ist, den Spiess einmal umzudrehen und die Schweizer zu unfreiwilligen Auswanderern zu machen, ihre Ängste vor dem Identitätsverlust zu thematisieren, es ist schon ein bisschen zu dick aufgetragen.
Gerade auch, weil vorher vieles unausgesprochen blieb und die zehn Filmemacher sich der Erklärungen verweigerten, wird da etwas unangenehm mit dem Holzhammer eingedroschen. Da hätte man dem Publikum doch noch ein bisschen mehr Eigenleistung zutrauen dürfen. Es bleibt aber trotz der kleinen Pannen ein spannendes filmisches Experiment, welches das Kollektiv hier auf die Leinwand zaubert und das es verdienen würde, auch ausserhalb der Landesgrenzen Menschen in die Kinos zu locken.
Schweiz
2015
-99 min.
Regie: Michael Krummenacher, Jan Gassmann, Lisa Blatter, Gregor Frei, Benny Jaberg, Carmen Jaquier, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp, Mike Scheiwiller
Darsteller: Isaka Sawadogo, Dashmir Ristemi, Julia Glaus
Produktion: Stefan Eichenberger, Ivan Madeo, Julia Tal
Musik: Dominik Blumer
Kamera: Simon Guy Fässler, Denis D. Lüthi, Gaetan Varone
Schnitt: Kaya Inan
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