Jules und Jim von François Truffaut Von der Leichtigkeit und Tragik des Seins

Kultur

Leicht, locker, lebenslustig, leger. Alles scheint zu schweben. Man taumelt durch das Leben, als wenn es nichts wäre, ein bestimmtes Nichts, ein Nichts, in dem es nichts Ernstes zu geben scheint, nur das Beschwingte, das Fröhliche, Lustige, der Genuss und die Freude, das leichte Glück und das Heitere.

Der französische Filmregisseur François Truffaut (rechts im Bild), 1963.
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Der französische Filmregisseur François Truffaut (rechts im Bild), 1963. Foto: Arquivo Nacional (PD)

7. April 2019
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Selbst der Krieg scheint nur eine – wenn auch jahrelange – Unterbrechung des träumerischen Wirklichen. Wer gewonnen habe, sei nicht so wichtig, dass Jules und Jim überlebt hätten, sei viel wichtiger.

Aber nicht nur die Geschichte von Catherine (Jeanne Moreau), Jules (Oskar Werner) und Jim (Henri Serre) scheint dieser Atmosphäre verhaftet; auch die Art und Weise, wie Truffaut diese Geschichte (mit der Handkamera) in Bilder umsetzte, zeugt von einer Leichtigkeit und Beschwingtheit, ja fast Sorglosigkeit, die einen Blick auf die französische Gesellschaft oder zumindest einen Grossteil der intellektuellen Nachkriegsgeneration Frankreichs zu öffnen, die sich bezüglich des Kinos als Nouvelle Vague prononciert zu etablieren schien und mit der Namen wie Truffaut, Malle, Godard, Chabrol, Rivette und Rohmer verbunden waren. Und das, obwohl der Film im Frankreich von Anfang des 20. Jahrhunderts bis etwa 1934 spielt.

Paris vor dem ersten Weltkrieg. Der Schriftsteller Jim trifft auf den aus Österreich stammenden Biologen Jules. Die beiden charakterlich so unterschiedlichen jungen Männer freunden sich an. Ein Leben lang werden sie sich mit „Sie“ anreden, was ihrer Freundschaft keinen Abbruch tut, im Gegenteil, was ihre Freundschaft mit der Aura des Ernsthaften umgibt.

Jim ist ein „halber“ Beau, ein kultivierter, eleganter Mann, ein Lebemann, der jedoch nicht auf der faulen Haut liegt, sondern schreibt, ein Bonvivant der sympathischen Art, von Frauen angezogen, die ihn wiederum bewundern – ganz der Autor Roché, der die Geschichte seines frühen Erwachsenendaseins erzählt. Jules dagegen, ein bisschen naiv, ein geduldiger Mann, ein sanftmütiger Mensch, in jeder Hinsicht grosszügig und verständnisvoll, scheint in Jim einen Freund gefunden zu haben, der ihn ergänzt – vice versa.

Man führt Gespräche, geht Fechten, ergeht sich in flüchtigen Frauenbekanntschaften, während Gilberte (Vanna Urbino) vergeblich bemüht ist, Jim zur Heirat mit ihr zu bewegen. Jules und Jim lernen eines Tages Catherine kennen. Diese Catherine! Ihr Lächeln, ihre Freiheit, ihre Sorglosigkeit, aber auch ihre Zerbrechlichkeit, ihre Intelligenz und Lebenslust. Beide verlieben sich in Catherine, verbringen einige Wochen des Sommers am Meer in einem weiss gestrichenen Feriendomizil, albern herum, haben Spass – bis der Krieg 1914 Jules und Jim in die verfeindeten Armeen Deutschlands und Frankreichs reisst.

Catherine ist schwanger von Jules, den sie kurz vor Beginn des Krieges heiratet. Jim hatte Jules noch gewarnt. Catherine sei eine Frau, die nie einem Mann allein gehören könne. Doch Jules ist überglücklich, obwohl er jetzt in den Krieg muss.

„Catherine macht alles gründlich,
fast pedantisch. Sie ist kein Mensch;
sie ist eine Naturgewalt und manifestiert
sich nur durch sich selbst. Sie lebt ihr
ureigenes Leben in Klarheit und
in Harmonie und lässt sich nur vom
Gefühl ihrer Unschuld leiten.“
(Jules zu Jim)

1918. Jules und Catherine leben mit ihrer kleinen Tochter Sabine (Sabine Haudepin) in einem Holzhaus im Schwarzwald (gedreht wurde im Elsass). Und eines Tages, nachdem er das Wiedersehen um einige Wochen hinaus gezögert und in dieser Zeit über den vergangenen Krieg geschrieben hatte, besucht Jim Jules und Catherine. Jim merkt schon bald, dass es zwischen den beiden nicht mehr stimmt. Und er erfährt von beiden, dass Catherine für sechs Monate weggelaufen war, mit einem früheren Bekannten, Albert (Boris Bassiak), ein Verhältnis hatte, auch mit anderen Männern. Plötzlich ist sie in Jim verliebt, will von ihm ein Kind. Jim jedoch muss zu seinem Verleger nach Paris zurück. Und als er wieder kommt, ist alles wieder anders.

„Ich verzichte immer mehr auf sie“, sagt Jules, der Jim bittet, Catherine zu heiraten, aber aufzupassen, sie nicht zu verletzen, sie immer zu würdigen. Catherine jedoch scheint mit beiden zu spielen, und mit Albert. Jim kommt zu der Erkenntnis, lieber Gilberte endlich zu heiraten, anstatt vergeblich auf Catherine zu hoffen.

„.. Sie ist eine Königin, Jim. Ich
will ganz offen mit Ihnen sprechen.
Catherine ist keineswegs besonders
hübsch oder intelligent oder ehrlich,
nur, sie ist eine wirkliche Frau.
Und diese Frau haben wir beide.
Sie ist es, die alle Männer begehren.
Warum hat Catherine, die so
umworben wird, uns beiden das
Geschenk ihrer Gegenwart gemacht?
Weil einzig und allein wir sie
vorbehaltlos anerkennen wie eine Königin.“
(Jules zu Jim)

Das Hin und Her, die Wechselhaftigkeit Catherines, ihre Unentschlossenheit wie ihre Entschlossenheit, ihre Verletzlichkeit und ihre Haltlosigkeit führen in eine Tragödie – und Jules bleibt allein zurück, ohne die einzige Frau, die er je geliebt hat, und den einzigen wahren Freund seines Lebens.

Truffaut war von dem Roman Rochés, der stark autobiographische Züge trägt, schon seit Mitte der 50er Jahre fasziniert, konnte sich aber zunächst nicht vorstellen, dass diese Geschichte für das Kino adaptiert werden könne. Später schrieben er und Gruault immer wieder an dem Drehbuch, feilten, änderten, strichen Passagen, machten sich Gedanken über die Besetzung. Und es ist nicht zuletzt Jeanne Moreau selbst gewesen, die Truffaut in seinem Ziel bestärkte, diese Geschichte zu adaptieren.

„Jules et Jim“ war Anfang der 60er Jahre ein gewagtes Unternehmen. Und Truffaut war verwundert, dass der Film von der Zensur freigegeben wurde – wenn auch erst ab 18. Im Gegensatz zum bisherigen (französischen) Mainstream gibt es in „Jules et Jim“ keine Schwarz-Weiss-Malerei in den Figuren, keine moralische oder charakterliche Eindeutigkeit in den Personen. Es geht nicht um eine Frau zwischen zwei Männern, sondern um eine Frau im Verhältnis zu zwei Männern und um deren Freundschaft. Es geht nicht um einen gehörnten Ehemann und einen heimlichen Geliebten, sondern um zwei Männer, deren Freundschaft in beider Liebe zu Catherine eben nicht zerbricht, sondern bis zuletzt aufrecht erhalten bleibt. Wir treffen auf keine „Guten“ und „Bösen“, sondern auf wirkliche Menschen, auf eine gelebte Moral, nicht auf eine aufgesetzte.

Truffaut bewundert diese Catherine, aber eben vor allem, weil Jeanne Moreau sie verkörpert. Er sieht, wohl nicht ganz zu Unrecht, in der Moreau vieles von der Romanfigur und umgekehrt. De Baecque und Toubiana drücken dies in ihrer Truffaut-Biographie so aus: „Durch die Figur der Catherine wird Jeanne Moreau für Truffaut zur Inkarnation der vollendeten Frau – zerbrechlich und verhängnisvoll, intelligent und lebhaft, lustig und tragisch, frei, unabhängig, bis zum Äussersten ihrem sexuellen Begehren folgend.“

„Jules et Jim“ ist die Geschichte von Glück, Leidenschaft, Liebe und Freundschaft, aber eben auch von Tragik, Abhängigkeit und Tod. Beide Männer sind emotional derartig von Catherine fasziniert, dass sie an dieser Abhängigkeit zugrunde gehen. Allerdings, und das macht den Film zu einem Unikum in seiner Zeit, enthält sich Truffaut jeglicher moralischer Be- oder Verurteilung. Er erzählt, auch mit Hilfe eines Erzählers aus dem Off (der Schauspieler Michel Subor in der Originalversion), aus notwendiger Distanz wie einfühlsamer Nähe zu den drei Hauptfiguren die Geschichte in einem Zeitrahmen von ungefähr 30 Jahren (bis zur im Film in einer Wochenschau gezeigten Bücherverbrennung der Nazis).

„Jetzt war die Angst für Jules zu Ende,
die ihn bedrückte, seit er Catherine
kannte. Angst zunächst, dass sie ihn
betrügen könnte, zuletzt nur noch Angst
vor ihrem Tod. ... In Catherine war Jules
die harte Wirklichkeit begegnet, an der
er zerbrach. Hatte Catherine den Kampf
um des Kampfes willen geliebt? Nein,
gewiss nicht. Aber sie hatte Jules um alles
gebracht: sein Glück, seine Ideale, seine
Liebe. Die Freundschaft zwischen Jules und
Jim hatte in der Liebe keine Entsprechung
gefunden. Sie freuten sich an den Nichtigkeiten
des Lebens und übersahen wohlwollend
die Fehler des anderen. Schon zu Beginn ihrer
Freundschaft gab man ihnen die Spitznamen
Don Quichote und Sancho Pansa.“

„Jules et Jim“ ist eben nicht nur eine bittere Tragödie, sondern zuweilen auch eine leicht sarkastische und selbstironische Komödie. Die Positionierung der Figuren ist nie eindeutig möglich. Sie „schwirren“ durch die Zeit, gruppieren sich um, und nicht zuletzt eine beschwingte Komik ist dafür ab und an verantwortlich, dass der Film nicht zu einer bierernsten Angelegenheit wird – etwa wenn Catherine den beiden Männern erklärt und mit dem Gesicht zeigt, dass sie beschlossen habe, künftig nicht mehr mit einem ernsten Gesicht herumzulaufen, sondern mit einem Lächeln. Sie macht es vor, und fast unmerklich lässt Truffaut u.a. in dieser Szene das Bild kurz anhalten, um Jeanne Moreaus Gesichtsausdruck festzuhalten. Nicht zuletzt rekurrieren Truffaut und die Moreau in dieser Szene auch auf die bisherigen, sehr ernsten Rollen der Moreau.

Ulrich Behrens

Jules und Jim

Frankreich

1962

-

105 min.

Regie: François Truffaut

Drehbuch: Henri-Pierre Roché (Roman), François Truffaut, Jean Gruault

Darsteller: Jeanne Moreau, Oskar Werner, Henri Serre

Produktion: Marcel Berbert

Musik: Georges Delerue

Kamera: Raoul Coutard

Schnitt: Claudine Bouché