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Jean-Luc Godard: Weekend | Untergrund-Blättle

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Rezension zum Kultfilm des französischen Meisterregisseurs Jean-Luc Godard: Weekend

Kultur

„Ein Film, verirrt im Kosmos“, „Ein Film, gefunden auf dem Schrotthaufen“ – So heisst es zumindest am Anfang von «Weekend».

Der Regisseur Jean-Luc Godard in Berkeley, 1968.
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Der Regisseur Jean-Luc Godard in Berkeley, 1968. Foto: Gary Stevens (CC BY 2.0)

11. April 2016
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Mit seinem Swift'schen (Jonathan Swift) Filmlabyrinth perfektionierte Jean-Luc Godard seinen experimentellen Aufbruch zu neuen Ufern beziehungsweise Abgründen, den er mit «Elf Uhr nachts begann». Die bitterböse Satire auf das (Klein-)Bürgertum bietet Kunstkino, das den Zuschauer verwirrt, herausfordert, ja und sogar absichtlich quält. Manche Zuschauer fühlen sich jedoch genervt von Godards Experimentierfreude, was das folgende Zitat eines Zuschauers beispielhaft belegt:

«I HATE this god awful poor excuse for a film. This is one of the WORST films I have ever seen in my life and I think I should get my head checked for watching this film. I don't care what some people say. It made no sense. I tried to pay attention to the film and I tried to watch it as a film but this is not a film. It's a senseless piece of TRASH that made me wish I was home scrubbing the kitchen sink. Oh, please! I don't give a chocolate ice cream pistachio what others say. This film SUCKS!»

Corinne (Mireille Darc) und Roland (Jean Yanne) sind mit dem Auto auf dem Weg zu Corinnes Vater, um dessen Testament zu empfangen. Auf dem Weg dorthin scheint sich die Welt gegen das Ehepaar verschworen zu haben. Sie sind in einen Autounfall verwickelt und müssen die Reise zu Fuss fortsetzen. Sie werden Zeugen von weiteren Unfällen, sehen endlose Staus und werden von Wegelagerern in Form von Pseudo-Philosophen belästigt.

Immer wieder stossen sie auf scheinbar Wahnsinnige, darunter auch auf eine als Indianer verkleidete Kannibalenbande. Ausserdem begegnen Sie fiktiven und historischen Persönlichkeiten früherer Zeiten, wie Alice im Wunderland, Emily Brontë und dem Revolutionär Antoine de Saint-Just. Sie erreichen das Haus von Corinnes Eltern. Ihr Vater ist zwischenzeitlich bei einem Autounfall gestorben und hat alles seiner Frau vermacht.

Zugegeben: der Film ist schwere Kost. Es ist nicht immer einfach das alles über sich ergehen zu lassen. Da braucht es schon eine eigene Portion antibürgerliche Einstellung, um an Weekend Gefallen zu finden. Godard verwendet verschiedene ungewöhnliche Kameraeinstellungen und reizt die Möglichkeiten des Lichteinsatzes aus, um die Sehgewohnheiten des Kinopublikums auf den Kopf und auf die Probe zu stellen.

Zu Beginn sieht man beispielsweise eine Gegenlichtaufnahme. In dieser Szene werden die Protagonisten gegen das Tageslicht des Fensters gefilmt, wobei auf eine zusätzliche Beleuchtung verzichtet wird. In der (absichtlich) dilettantisch gefilmten Einstellung erscheinen Corinne und Roland lediglich als schemenhafte, dunkle Gestalten. Zusätzlich überblendet Godard willkürlich den minutenlangen Dialog der beiden indem er dramatische Musik einspielen lässt, wodurch nur Satzfetzen zum Zuschauer durchdringen, der sich so selbst das sexuelle Abenteuer von Corinne zusammenreimen muss und dessen Geduld und Nerven auf die Probe gestellt werden. Hier werden Erinnerungen an Ingmar Bergmanns «Persona» wach.

Auch die kurz darauffolgende Stausequenz hat Filmgeschichte geschrieben: In zehn schnittfreien Minuten wird in einer Kamerafahrt ein (nerventötendes) hupendes Konzert eines Autostaus geboten, wobei Godard hier skurrile Elemente einfügt. Hier macht der französische Autodidakt Anleihen bei der Pop-Art: genau wie die Kunstströmung verwendet er die serielle Ablichtung zur Konsumkritik.

Er spielt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, der sich aufgrund der anhaltenden Wiederholungen einerseits langweilt, aber andererseits auch mit jedem Fortschreiten im Stau die Sensation erwartet. Und tatsächlich bekommt er einen Blumenstrauss des Zirkus präsentiert, wenn zum Beispiel Löwen auf einem Lastwagen zu sehen sind.

Sinnfrei beziehungsweise sinnentleert ist «Weekend» jedoch nicht: Godard bietet in 105 Minuten kritische Stellungnahmen zum damaligen Vietnamkrieg oder kulturphilosophische Statements. Es ist unmöglich hier auf alle filmhistorischen Neuerungen einzugehen, sicher ist aber, dass Godard mit «Weekend» in ziemlich jeder Szene Revolution im Film feiert und seiner Verachtung gegenüber dem Bürgertum sowie der Aussenpolitik der USA freien Lauf liess.

Marco Behringer
film-rezensionen.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.

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