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The Purge: Die Säuberung | Untergrund-Blättle

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Rezension zum Film von James DeMonaco The Purge: Die Säuberung

Kultur

Anfang eine starke und bitterböse Gesellschaftssatire, wandelt sich «The Purge – Die Säuberung» später zu einem einfallslosen und letztendlich überflüssigen Home-Invasion-Thriller. Schade ums verschenkte Potenzial.

Ethan Hawke spielt im Film einen Verkäufer von Sicherheitssystemen und gehört somit zu den grossen Gewinnern der „Säuberung“.
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Ethan Hawke spielt im Film einen Verkäufer von Sicherheitssystemen und gehört somit zu den grossen Gewinnern der „Säuberung“. Foto: Bridget Laudien (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

19. September 2015
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Gewalt erzeugt nur Gegenwalt, so wurde uns als Kind immer eingebläut. In den USA sieht man das freilich ein wenig anders. Nehmen wir das Dauerbrenner Amokläufe: Wann immer Jugendliche durchdrehen und einen blutigen Feldzug durch Schulen oder Einkaufsmalls starten, diskutieren wir hierzulande, wie der Zugang zu Waffen verhindert werden könnte. Auf der anderen Seite des Atlantiks haben diese Diskussionen nur wenig Aussicht auf Erfolg, zu gross und mächtig ist die Waffenlobby. Die haben auch einen ganz anderen, für uns reichlich absurden Lösungsansatz: mehr Waffen! Wenn die „Guten“ bewaffnet wären, könnten sie die „Bösen“ erst gar nicht erschiessen, so die Logik der Lobby.

Bei «The Purge – Die Säuberung» wird dieser Ansatz auf die Spitze getrieben. Die Menschen müssten nur mal wieder so richtig die Sau rauslassen dürfen, dann wäre endlich wieder Frieden! Und so erklärte die Regierung, dass einmal pro Jahr für zwölf Stunden die USA zur rechtsfreien Zone erklärt wird. Mord, Diebstahl, Vergewaltigung – erlaubt ist alles, Rettungswagen und Polizei sind während der Zeit nicht erreichbar. Eine Horrorvorstellung für unsereiner, aber es scheint zu funktionieren. Zumindest hat die Gewalt den Rest des Jahres abgenommen. Also ein Gewinn für die Zivilisation?

James Sandin (Ethan Hawke) ist davon überzeugt, was aber nicht wirklich überrascht, gehört er als Verkäufer von Sicherheitssystemen doch zu den grossen Gewinnern der „Säuberung“. Seine ganze Nachbarschaft hat schon bei ihm eingekauft. Manche von ihnen verbarrikadieren sich wie er während dieser Zeit zu Hause, andere gehen auf die Jagd nach Obdachlosen, schiessen ab, was ihnen vor die Flinte kommt. Als einer dieser Gejagten (Edwin Hodge) Zuflucht bei den Sandins sucht, bringt es Sohn Charlie (Max Burkholder) nicht übers Herz, ihn abzuweisen. Doch als er den Fremden ins Haus lässt, fängt das eigentliche Unglück erst an, denn kurze Zeit später steht eine Horde Jugendlicher vor der Tür. Dessen Anführer (Rhys Wakefield) fordert James auf, ihm die Beute auszuhändigen. Andernfalls würden sie reinkommen und sie sich holen – und die Sandins dann gleich mit.

Die zweite Regiearbeit von James DeMonaco startet ebenso gewaltig wie die alljährlichen Exzesse dieser besonderen Nacht. Nicht nur, dass die Grundidee bitterböse ist, der Amerikaner wusste auch, sie ansprechend zu präsentieren und inszeniert die Säuberung als eine Mischung aus patriotischer, fast schon religiöser Ereiferung und Halloween. Wenn sich die wohlhabenden, kulturell hochstehenden Nachbarn von James gegenseitig eine erfolgreiche Jagd wünschen, dann könnte die Satire gar nicht schwärzer werden. Gleichzeitig ist The Purge eine offene Anklage gegen die immer stärkere Trennung von arm und reich. Gejagt werden nur die mittellosen, diejenigen, die sich nicht wehren können. Ist die Säuberung nicht vielleicht nur eine symbolisch legitimierte Vernichtung von den Menschen, die nicht in die Gesellschaft passen?

Genug Material zum Grübeln gibt es also. Ähnlich wie «The Philosophers» stellt auch «The Purge» die Frage nach dem Wert eines menschlichen Lebens, losgelöst von Funktionen und Nützlichkeit. Anders als sein Kollege John Huddles, der dem Thema zumindest über weite Strecken treu blieb, tritt DeMonaco seinen originellen Ansatz aber viel zu schnell in die Tonne. Ab dem Moment, wo die Jugendlichen ins Haus einbrechen, wird aus der harten Gesellschaftssatire ein reiner Home-Invasion-Thriller. Und das ist gleich doppelt schade. Zum einen, weil der Film damit einen Grossteil seiner Eigenständigkeit einbüsst. Wenn der Thriller-Teil dann wenigstens für sich genommen gelungen gewesen wäre, hätte man über den plötzlichen Wechsel vielleicht noch hinwegsehen können.

Leider hält sich DeMonaco hier aber nur an Klischees. Wie können mehr als zehn Leute minutenlang durch dasselbe Haus schleichen, ohne dass sich jemand begegnet? Weshalb ist James in der Lage, es gleich mit mehreren Eindringlingen auf einmal aufzunehmen? Und warum verhalten die sich überhaupt derart idiotisch? Sicher hat man in dem Genre schon deutlich Schlechteres gesehen. Aber eben auch Besseres. Und einen derart durchschnittlichen Vertreter hätte es eben nicht gebraucht, gerade auch, wenn die Geschichte Potenzial zu deutlich mehr gehabt hätte. Dennoch wurde der Low-Budget-Film letztes Jahr zu einem respektablem Erfolg an den Kinokassen und spielte fast das 30-Fache seiner Drehkosten ein. Wirklich überraschend ist es daher nicht, wenn im Juni bereits die Fortsetzung «The Purge: Anarchy» in den Kinos startet. Bleibt nur zu hoffen, dass James DeMonaco diesmal mehr auf seine eigentlichen Stärken setzt.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

The Purge

USA

2013

-

85 min.

Regie: James DeMonaco

Drehbuch: James DeMonaco

Darsteller: Ethan Hawke, Lena Headey, Max Burkholder

Produktion: Michael Bay, Jason Blum, Andrew Form, Bradley Fuller

Musik: Nathan Whitehead

Kamera: Jacques Jouffret

Schnitt: Peter Gvozdas

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.

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